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DBA-SchweizGrenzgängereigenschaft bei Teilzeitbeschäftigung

Abo-Inhalt28.04.20256 Min. LesedauerVon Prof. Dr. Ralf Jahn, Würzburg

| Bei einem Teilzeitbeschäftigten, der nur tageweise im anderen Staat beschäftigt ist, ist die Anzahl von 60 unschädlichen Tagen proportional im Verhältnis der Arbeitstage zu kürzen – so das FG Baden-Württemberg (12.6.24, 2 K 2189/21, REWIS RS 24, 12086). |

Sachverhalt

Der Arbeitnehmer erzielte im Streitjahr 2019 in Teilzeitbeschäftigung (90 % der vollschichtigen Arbeitszeit) Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit bei einem Unternehmen in der Schweiz. Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz verfügte er über eine ständige Wohnstätte, sein Lebensmittelpunkt befand sich jedoch in Deutschland. Das FA unterwarf den Arbeitslohn in voller Höhe der deutschen Besteuerung.

Dagegen wandte der Arbeitnehmer ein, Art. 15 DBA-Schweiz weise das Besteuerungsrecht grundsätzlich dem Tätigkeitsstaat zu. Nur als Ausnahme erhalte der Wohnsitzstaat nach der Grenzgängerregelung in Art. 15a DBA-Schweiz das Besteuerungsrecht. Er sei jedoch kein Grenzgänger gewesen, da er an mehr als 60 Tagen im Jahr 2019 berufsbedingt nicht von der Arbeit zu seinem Wohnsitz nach Deutschland zurückgekehrt sei.

Das FA verwies jedoch zur Behandlung von am Schweizer Wohnsitz verbrachten Arbeitstagen auf die Konsultationsvereinbarung vom 15./18.7.22 (BMF 26.7.22, IV B 2 – S 1301-CHE/21/10019: 016, BStBl I 22, 1227); diese seien nach der Konsultationsvereinbarung keine Nichtrückkehrtage i. S. d. Art. 15a Abs. 2 S. 2 DBA-Schweiz (KonsVerCHEV v. 12.10.18, BMF 25.10.18, IV B 2 – S 1301-CHE/07/10015-09, BStBl I 18, 1103).

Entscheidungsgründe

Streitig war im Besprechungsfall, ob der Arbeitnehmer Grenzgänger i. S. v. Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz ist. Dabei setzt sich das FG Baden-Württemberg mit der Berechnung der für die Bestimmung der Grenzgängereigenschaft wichtigen Nichtrückkehrtage auseinander.

Das FG Baden-Württemberg hat der Klage stattgegeben und den Einkommensteuerbescheid entsprechend zugunsten des Arbeitnehmers geändert. Die in der Schweiz erzielten Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit unterliegen danach, soweit sie nicht auf Tätigkeiten im Inland oder in Drittstaaten entfallen, nicht der Besteuerung in Deutschland, weil es sich beim Arbeitnehmer nicht um einen Grenzgänger i. S. v. Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz handelt. Er ist nach Ansicht des FG an mehr als 54 Tagen im Jahr 2019 berufsbedingt nicht von der Arbeit zu seinem Wohnsitz nach Deutschland zurückgekehrt. Die Einkünfte seien deshalb freizustellen und im Progressionsvorbehalt zu berücksichtigen. Dies begründet das FG im Wesentlichen wie folgt:

Merke | „Arbeitstage“ i. S. dieser Regelung sind die im Arbeitsvertrag vereinbarten Tage; dies ist eine verbindliche Vorgabe für die Auslegung des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz (Ziff. II. Nr. 2 des Verhandlungsprotokolls zum Änderungsprotokoll 18.12.91, BStBl I 93, 929; st. Rspr. BFH 30.9.20, I R 37/17, BFH/NV 21, 698).
Merke | Ein Nichtrückkehrtag i. S. d. Art. 15a Abs. 2 S. 2 DBA-Schweiz liegt immer dann vor, wenn die Rückkehr nach Deutschland aus beruflichen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Irrelevant ist eine Nichtrückkehr aus persönlichen Gründen (wie eine Erkrankung).
  • Die besondere Grenzgängerregelung nach Art. 15a DBA-Schweiz war nicht anwendbar, weil der Arbeitnehmer im Streitjahr kein Grenzgänger war. „Grenzgänger“ ist nach Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, entfällt die Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn die Person bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt.
  • Ein tägliches Überqueren der Grenze zur Schweiz ist für die Begründung der Grenzgängereigenschaft nicht erforderlich, ein gelegentliches Überqueren jedoch nicht ausreichend. Die hiernach erforderliche Anzahl an Grenzüberschreitungen bestimmt sich bei Berufspendlern nach den tatsächlichen Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls.
  • Eine Rückkehr aus dem Tätigkeitsstaat wird an den Tagen nicht verlangt, an denen sich der Grenzgänger aus beruflichen oder privaten Gründen nicht in den Tätigkeitsstaat begeben hat. Am Arbeitsort verbrachte arbeitsfreie Tage (insbesondere Urlaubs- und Krankheitstage, arbeitsfreie Samstage, Sonntage und Feiertage, Arbeitstage im Wohnsitzstaat oder einem Drittstaat) sind in diese Beurteilung nicht einzubeziehen.
  • Bei einem Teilzeitbeschäftigten, der nur tageweise im anderen Staat beschäftigt ist, ist die Anzahl von 60 unschädlichen Tagen anteilig im Verhältnis der Arbeitstage zu kürzen, im Streitfall bei einem Beschäftigungsumfang von 90 %, also von 60 Tagen auf 54 Tage.
  • Nach der BFH-Rechtsprechung liegt eine Nichtrückkehr „aufgrund der Arbeitsausübung” insbesondere dann vor, wenn dem Steuerpflichtigen eine Rückkehr nach Deutschland „nicht möglich“ oder „nicht zumutbar“ ist (vgl. BFH 11.11.09, I R 50/08, BFH/NV 010, 647). Das Merkmal „aufgrund der Arbeitsausübung“ ist hierbei ein unbestimmter Rechtsbegriff, für dessen Auslegung die gesamten Einzelfallumstände zu berücksichtigen sind.
  • Das FG Baden-Württemberg hat für die Beurteilung, ob eine Rückkehr zumutbar ist, nicht allein auf die Entfernung der Arbeitsstätte zum Wohnort und die Reisezeit abgestellt (so jedoch die Konsultationsvereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft v. 12.10.18, KonsVerCHEV), sondern auf die Art der Tätigkeit, den Arbeitsbeginn, das Arbeitsende, die Entfernung und die Zeitdauer für eine Fahrt zwischen inländischer Wohnung und Arbeitsort.

Relevanz für die Praxis

Der unbeschränkten Steuerpflicht steht nicht entgegen, dass der Arbeitnehmer nach dem vorgelegten Mietvertrag auch in der Schweiz über Räume verfügte, die nach Art und Einrichtung zum Wohnen geeignet sind und die er im Streitjahr auch, wenn auch nicht täglich, nutzte. Denn ein Steuerpflichtiger kann gleichzeitig mehrere Wohnsitze i. S. d. § 8 AO innehaben. Diese können im In- und/oder Ausland belegen sein. § 8 AO geht insoweit erkennbar von der Gleichwertigkeit aller Wohnsitze einer Person aus, da er ohne weitere Unterscheidung nur das Vorliegen „eines“ Wohnsitzes verlangt. Allein das Innehaben eines Wohnsitzes im Inland reicht daher zur Begründung einer unbeschränkten Einkommensteuerpflicht des Steuerpflichtigen aus (BFH 23.10.18, I R 74/16, BFH/NV 19, 388).

Die Anwendung der Regelung in § 7 KonsVerCHEV, die der im BMF-Schreiben vom 19.9.94 (IV C 6 – S 1301 Schz-60/94, BStBl I 94, 683, Rz. 10) getroffenen Regelung entspricht, führt zu keinem anderen Ergebnis. Nach § 7 KonsVerCHEV liegt zwar eine „regelmäßige Rückkehr“ auch noch vor, wenn sich der Arbeitnehmer aufgrund eines Arbeitsvertrages oder mehrerer Arbeitsverträge mindestens an einem Tag pro Woche oder mindestens an fünf Tagen pro Monat von seinem Wohnsitz an seinen Arbeitsort und zurück begibt. Sind diese Voraussetzungen bei geringfügigen Arbeitsverhältnissen nicht erfüllt, wird eine regelmäßige Rückkehr nicht angenommen.

Merke | Zwischenstaatliche Konsultationsvereinbarungen, die aufgrund der Ermächtigung des § 2 Abs. 2 AO als Rechtsverordnung erlassen wurden, können eine Regelung im DBA spezifizieren und umsetzen. Konsultationsvereinbarungen haben aber keine Rechtsnormqualität, können ein DBA deshalb nicht außer Kraft setzen und binden die Gerichte auch nicht (BFH 24.9.13, VI R 48/12, BFH/NV 14, 341; BFH 13.1.11, V R 12/08, BStBl II 12, 61). Die Befugnis zur Verwerfung derartiger abkommensändernder Rechtsverordnungen liegt deshalb bei den Gerichten (BFH 30.9.20, I R 37/17, BFH/NV 21, 698; BFH 10.6.15, I R 79/13, BStBl II 16, 326).

Beachten Sie | Das FG hat die Revision zum BFH zugelassen, weil die Frage, welche Bedeutung die KonsVerCHEV für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „auf Grund ihrer Arbeitsübung” i. S. v. Art. 15a Abs. 2 S. 2 DBA-Schweiz hat, noch nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen BFH-Entscheidung war.

Weiterführende Hinweise
  • Zur Grenzgängerbesteuerung s. noch Jahn, PIStB 05, 29
  • Zum Verhältnis von Art. 15 Abs. 3 zu Art. 15a DBA-Schweiz s. Jahn, PIStB 22, 300

AUSGABE: PIStB 5/2025, S. 122 · ID: 50360329

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