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DBA-SchweizBesteuerungsrecht für Arbeitseinkünfte während der Freistellungsphase
| Der BFH hat in einem aktuellen Urteil klargestellt, dass während der Freistellungsphase eines Arbeitnehmers das Besteuerungsrecht für seine Einkünfte aus unselbständiger Arbeit nach Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz 1971/2010 ausschließlich dem Ansässigkeitsstaat (hier: Deutschland) zusteht. Dies gilt für einen Arbeitnehmer, der vor seiner Kündigung sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland tätig war und während der Freistellungsphase unwiderruflich von der Arbeitspflicht entbunden wurde (BFH 1.8.24, VI R 23/22, BB 24, 2389). |
Sachverhalt
Ein in Deutschland ansässiger Außendienstmitarbeiter war seit 2011 bei einem in der Schweiz ansässigen Unternehmen beschäftigt. Ende April 2016 kündigte der Schweizer Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum 31.10.16 und stellte den Außendienstmitarbeiter unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts mit sofortiger Wirkung unwiderruflich von seiner Arbeitsverpflichtung frei. Ein im Arbeitsvertrag ursprünglich vereinbartes Konkurrenzverbot wurde für hinfällig erklärt. Im Streitjahr 2016 erhielt der Außendienstmitarbeiter einen Bruttolohn von 132.000 CHF, darin enthalten war eine Abfindung von 30.000 CHF. Bis zum Tag der Freistellung (27.4.16) verbrachte der Mitarbeiter im Jahr 2016 11 Arbeitstage in der Schweiz und 52 Arbeitstage in Deutschland; der Rest entfiel auf Wochenenden sowie Urlaubs-, Krankheits- und gesetzliche Feiertage. In diesem Zeitraum kehrte der Mitarbeiter zudem an 22 Arbeitstagen wegen seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz zurück.
Der Außendienstmitarbeiter war der Ansicht, dass der gesamte auf die Freistellungsphase entfallende Lohn nur in der Schweiz besteuert werden könne. Das FA stellte jedoch im Laufe des Verfahrens neben einem Teil des Arbeitslohns aus der aktiven Phase (unter Berücksichtigung von 11 in der Schweiz verbrachten Arbeitstagen) nur einen Teil der Abfindung steuerfrei. Es bestand Einigkeit, dass der Betrag gemäß § 24 Abs. 1 S. 2 und 3 der Deutsch-Schweizerischen Konsultationsvereinbarungsverordnung (v. 20.12.10, BStBl I 10, 146) nach den Orten aufzuteilen sei, von denen der Außendienstmitarbeiter seine Tätigkeit seit Beginn ausgeübt habe. Die Klage auf Freistellung der gesamten Lohnzahlung für die Freistellungsphase und der gesamten Abfindung von der deutschen Besteuerung unter Anwendung des Progressionsvorbehalts wies das FG ab (FG Hessen 15.12.21, 9 K 133/21, EFG 22, 566). Jetzt war auch die Revision des Mitarbeiters vor dem BFH erfolglos.
Anmerkungen
Das Urteil behandelt die Frage der Zuordnung des Besteuerungsrechts für Arbeitseinkünfte während der Freistellungsphase nach den Regelungen des DBA-Schweiz (vom 11.8.71, BGBl II 72, 1022, in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 27.10.10, BGBl II 11, 1092).
Der Arbeitnehmer unterlag nach dem Welteinkommensprinzip auch mit seinen Schweizer Arbeitseinkünften der deutschen Steuerpflicht. Der BFH entschied, dass ihm nach dem DBA-Schweiz keine über die bereits vom FA gewährte Steuerfreistellung hinausgehende Freistellung für den laufenden Arbeitslohn der aktiven Tätigkeit und für die anteilige Abfindung zustand. Dies begründet der BFH im Wesentlichen wie folgt:
- Die Grenzgängerregelung nach Art. 15a DBA-Schweiz war nicht anwendbar, weil der Arbeitnehmer im Streitjahr kein Grenzgänger war.Grenzgängerregelung (Art. 15a DBA Schweiz) nicht anwendbar
- Während der Freistellungsphase war der Arbeitnehmer bereits deshalb kein Grenzgänger i. S. d. Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz, weil er aufgrund der Freistellung von der Arbeit ab dem Zeitpunkt der Kündigung nicht mehr aktiv in der Schweiz tätig war.
- Bis zum Beginn der Freistellung entfiel die Grenzgängereigenschaft, weil er in diesem Zeitraum an 22 Arbeitstagen aufgrund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz zurückkehrte. Da die Grenze von 60 Nichtrückkehrtagen im Kalenderjahr aufgrund des verkürzten Tätigkeitszeitraums im Streitjahr neu zu berechnen ist (Ziff. II.3. Verhandlungsprotokoll zum Änderungsprotokoll (21.12.92 vom 18.12.91 zum DBA-Schweiz, BGBl II 93, 1889), war im Streitfall anstelle von 60 Tagen die Zahl von 18 Nichtrückkehrtagen maßgeblich, die aber überschritten wurde.Anzahl der Nichtrückkehrtage bei verkürzter Tätigkeitsdauer überschritten
- Nach dem folglich anwendbaren Art. 15 Abs. 1 S. 2; Art. 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. d) DBA-Schweiz waren die Einkünfte während der Freistellungsphase überhaupt nicht und die Einkünfte während der vorgelagerten aktiven Tätigkeit nur insoweit von der Besteuerung in Deutschland unter Anwendung des Progressionsvorbehalts freizustellen, als sie auf die in der Schweiz ausgeübte Tätigkeit entfielen. Denn während der aktiven Tätigkeit bis zum 27.4.16 hatte der Außendienstmitarbeiter seine Tätigkeit tatsächlich nur an 11 Tagen in der Schweiz ausgeübt. Demnach konnte nur das Arbeitsentgelt für die aktive Tätigkeit für 11 Tage in der Schweiz besteuert werden und war daher nach Art. 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. d) und S. 2 DBA-Schweiz unter Progressionsvorbehalt von der Besteuerung freizustellen:Steuerfreistellung nur bei tatsächlich in der Schweiz ausgeübter Tätigkeit
- Während der Freistellungsphase hatte der Arbeitnehmer seine Arbeit nicht i. S. d. Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz in der Schweiz „ausgeübt“. Eine „Arbeitsausübung“ i. S. d. Art. 15 DBA-Schweiz liegt auch nicht aufgrund der „Erfüllung einer anderen Verpflichtung“ gegenüber seinem Arbeitgeber in der Schweiz vor. Weil der Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht unwiderruflich freigestellt war, musste er sich während der Freistellungsphase nämlich nicht in irgendeiner Weise für seinen Arbeitgeber zur Verfügung halten (BFH 9.9.70, I R 19/69, BStBl II 70, 867).
- Der Außendienstmitarbeiter musste auch keine Karenzpflicht erfüllen (vgl. BFH 9.11.77, I R 254/75, BStBl II 78, 195). Die Zahlungen während der Freistellungsphase konnten deshalb nicht Entgelt für die Einhaltung einer Karenzpflicht sein, sondern wurden in Erfüllung eines modifizierten Dienstverhältnisses geleistet (BFH 27.4.94, XI R 41/93, BStBl II 94, 653).Keine Karenzpflicht des Arbeitnehmers
- Auch die gezahlte Abfindung unterlag der Besteuerung in Deutschland. Nach ständiger BFH-Rechtsprechung sind Abfindungen anlässlich der Beendigung des Dienstverhältnisses nach Art. 15 Abs. 1 S. 1 DBA-Schweiz nicht im Tätigkeitsstaat, sondern ausschließlich im Ansässigkeitsstaat zu besteuern (BFH 2.9.09, I R 111/08 , BStBl II 10, 387; I R 90/08, BStBl II 10, 394; 24.7.13, I R 8/13, BStBl II 14, 929; 10.6.15, I R 79/13, BStBl II 16, 326 sowie BFH 1.8.24, VI R 52/20, PIStB 25, 3). Denn sie werden nicht für eine konkrete im In- oder Ausland ausgeübte Tätigkeit gezahlt, sondern für den Verlust des Arbeitsplatzes. Ein solcher bloßer Anlasszusammenhang zwischen Zahlung und Tätigkeit genügt nach dem Abkommenswortlaut („dafür“) indes nicht. Daran ändert auch die Konsultationsvereinbarung vom 17.3.10 (BMF 25.3.10, IV B 2 -S 1301 CHE/07/10015, BStBl I 10, 268) nichts.Abfindung wird im Ansässigkeitsstaat besteuert
Relevanz für die Praxis
Mit seiner Entscheidung stellt der BFH für den Anwendungsbereich des DBA- Schweiz klar, dass das Besteuerungsrecht für den auf die unwiderrufliche Freistellungsphase entfallenden Gehaltsanteil nicht der Tätigkeitsstaat, sondern der Ansässigkeitsstaat (hier: Deutschland) hat. Anders kann allerdings der Fall zu beurteilen sein, wenn sich der Arbeitnehmer während einer (widerruflichen) Freistellung in irgendeiner Weise weiterhin zur jederzeitigen Verfügung halten muss. Diese „passive“ vertragliche Arbeitsleistung wird dort erbracht, wo sich der Arbeitnehmer während der Freistellungsphase tatsächlich aufhält (BFH 9.9.70, I R 19/69, BStBl II 70, 867; BMF 12.12.23, IV B 2 - S 1300/21/10024 :005, BStBl I 23, 2179, Rn. 361).
Nach der Konsultationsvereinbarung vom 17.3.10 hat der (frühere) Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht, sofern es sich bei einer Abfindung um Lohn- oder Gehaltsnachzahlungen oder Tantiemen aus einem früheren Arbeitsverhältnis handelt. Wird die Abfindung allgemein für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Dienst gewährt und war der Arbeitnehmer auch teilweise im Ansässigkeitsstaat tätig, ist die Abfindung zeitanteilig aufzuteilen.
Beachten Sie | „Grenzmarke“ für das richtige Abkommensverständnis ist jedoch der Abkommenswortlaut. Wird das in der Konsultationsvereinbarung gefundene Abkommensverständnis durch den Wortlaut nicht gedeckt, kann die Vereinbarung die Abkommensauslegung durch die Gerichte nicht beeinflussen oder die Gerichte gar binden (BFH 10.6.15, I R 79/13 , BFHE 250, 110, BStBl II 16, 326). Der Abkommenstext belässt für die Frage der Besteuerungszuordnung von Abfindungen an ehemals nichtselbstständig tätige Arbeitnehmer deshalb keine Spielräume.
- Zur Grenzgängerregelung des DBA-Schweiz bei nicht ganzjähriger Beschäftigung s. FG München 15.3.24, 8 K 883/23, PIStB 24, 271.
- Zur Besteuerung von Abfindungen nach dem DBA Frankreich 1959/2001 s. Jahn, PIStB 25, 3archivAusgabe 1 | 2025 Seite 3
AUSGABE: PIStB 2/2025, S. 34 · ID: 50234181