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Betriebswirtschaftliche BeratungDamit am Ende was übrig bleibt – Realistische Stundensatzkalkulationen in Zahnarztpraxen
| Besonders bei wirtschaftlich unterausgelasteten Praxen ist es entscheidend, dass Berater aufzeigen, ob mit den aktuellen Behandlungszahlen überhaupt die notwendigen Einkünfte des Inhabers zu erwirtschaften sind. Für Steuerberater bedeutet das: Die in der Praxissoftware hinterlegten Stundensätze des Zahnarztes müssen aktiv geprüft, individuell angepasst und realitätsnah kalkuliert werden. Auf diese Weise generiert der Berater einen echten Mehrwert für den Mandanten. |
1. Die Gewinnsituation von Zahnarztpraxen
Die wirtschaftliche Lage vieler Zahnarztpraxen erscheint auf den ersten Blick solide, doch bei genauerem Hinsehen offenbaren sich deutliche Unterschiede in der Einkommenssituation. In den alten Bundesländern liegt der durchschnittliche Gewinn je Praxisinhaber laut arithmetischem Mittel bei 211.000 EUR, der Median jedoch nur bei 175.000 EUR. In den neuen Bundesländern sinken diese Werte sogar auf 168.000 EUR bzw. 139.000 EUR. Wenn wie hier das arithmetische Mittel deutlich über dem Median liegt, dann deutet das darauf hin, dass die Verteilung durch einige große Ausreißer nach oben verzerrt wird.
Beispiel |
Fünf Zahnarztpraxen haben folgende Gewinne: 100.000 EUR, 110.000 EUR, 120.000 EUR, 130.000 EUR, 500.000 EUR. Das arithmetische Mittel beträgt dann (100.000 + 110.000 + 120.000 + 130.000 + 500.000) ÷ 5 = 192.000 EUR. Der Median (also der Wert in der Mitte) liegt aber nur bei 120.000 EUR. |
In Ostdeutschland erzielt fast ein Drittel der Praxisinhaber ein Jahreseinkommen unter 100.000 EUR, im Westen betrifft dies immerhin noch 21 %. Am anderen Ende der Skala stehen nur etwa 10 % der Inhaber in Westdeutschland und knapp 5 % in Ostdeutschland mit einem Jahresgewinn von über 400.000 EUR.
Diese Verteilung zeigt deutlich, dass Durchschnittswerte nur eine begrenzte Aussagekraft haben. Das gilt im makroökonomischen wie im betriebswirtschaftlichen Sinn. Steuerberater müssen beispielsweise genau prüfen, wie die verwendeten Vergleichszahlen zustande kommen – ob auf Basis des arithmetischen Mittels oder des Medians – und welche Bezugsgrößen einbezogen wurden, ob z. B. pro Inhaber oder pro Behandler gerechnet wurde. Auch regionale Unterschiede sind nicht zu unterschätzen. Die Zahlen erst einmal kritisch zu hinterfragen, ist gerade beim externen Praxisvergleich sehr wichtig.
2. Personalkosten als dominierender Kostenfaktor
Ein zentraler Einflussfaktor auf die Gewinnsituation sind die Personalkosten. Sie sind seit der Coronapandemie ohnehin bereits stark gestiegen. Viele Praxen sehen sich mit deutlich erhöhten Gehaltsforderungen konfrontiert, die sich angesichts des angespannten Arbeitsmarkts kaum ablehnen lassen. Während früher die sogenannte Zwei-Drittel-Regel galt – also zwei Drittel der Einnahmen für Kosten, ein Drittel als Gewinn –, ist dieses Verhältnis für viele Praxen längst nicht mehr erreichbar. Ein Beispiel verdeutlicht die Dimension.
Beispiel |
Wenn die Praxiskosten um 8 % steigen, die Einnahmen jedoch gleich bleiben, sinkt der Gewinnanteil des Praxisinhabers bereits nach 15 Monaten von einem Drittel auf nur noch ein Viertel. In der Praxis bedeutet das: Wer seine Honorare nicht rechtzeitig anpasst oder seine Produktivität steigert, verliert kontinuierlich an wirtschaftlicher Substanz. |
Alternative Vergütungsmodelle wie steuerfreie Arbeitgeberleistungen (Jobticket, Kindergartenzuschüsse, Weiterbildungskosten etc.) können helfen, die Mitarbeiterbindung zu erhöhen, ohne die Lohn- und Sozialversicherungskosten im gleichen Maß ansteigen zu lassen. Doch diese Instrumente reichen nicht aus, wenn die grundlegende betriebswirtschaftliche Struktur der Praxis nicht tragfähig ist.
3. Kalkulation der Behandlungszeit ist entscheidend
In diesem Zusammenhang rückt die präzise Kalkulation der Kosten pro Behandlungsstunde in den Fokus. Denn nur wenn bekannt ist, was eine Stunde zahnärztlicher Behandlung tatsächlich kostet, kann beurteilt werden, ob die Praxis wirtschaftlich arbeitet – insbesondere bei unterdurchschnittlicher Auslastung oder niedrigem Honorarniveau.
Die Herausforderungen beginnen bei der Erfassung der realen Behandlungszeit. Der präziseste Ansatz wäre, die tatsächliche Arbeitszeit mittels Stoppuhrfunktion in der Praxissoftware zu dokumentieren – eine Methode, die jedoch häufig auf Widerstand im Praxisalltag stößt. Alternativ greifen viele Praxen auf in der Software erfasste Aufenthaltszeiten der Patienten im Behandlungszimmer zurück. Diese Methode ist jedoch ebenfalls problematisch, da etwaige Wartezeiten unreflektiert in die Kalkulation einfließen und damit zu verzerrten Ergebnissen führen. Realistisch – wenn auch methodisch nicht ganz sauber – ist daher die Orientierung an festen wöchentlichen Behandlungsstunden oder durchschnittlichen Jahreswerten pro Behandler. Allerdings müsste man hier theoretisch noch Leerlaufzeiten, Rüstzeiten sowie Ausfälle durch Terminabsagen abziehen, um ein realistisches Bild zu erhalten.
Nächster Baustein sind die bereinigten Praxiskosten. Sie sind schon wesentlich einfacher zu ermitteln. Grundlage sind die Praxiskosten eines Jahres, von denen bestimmte Posten abzuziehen sind.
Beispiel | |
| 320.000 EUR |
| – 40.000 EUR |
| – 10.000 EUR |
| – 50.000 EUR |
| – 10.000 EUR |
| – 60.000 EUR |
| 150.000 EUR |
Die Bereinigung dient dazu, Praxiskosten zu eliminieren, die nicht mit der zahnärztlichen Behandlung in Verbindung stehen. Im nächsten Schritt müssen diese bereinigten Kosten durch die tatsächlichen Behandlungsstunden dividiert werden. Das Ergebnis: die Kosten pro Stunde. Im Jahr 2022 betrugen die durchschnittlichen Kosten pro zahnärztlicher Behandlungsstunde in Deutschland 151 EUR. Darin nicht enthalten sind – wie im Beispiel beschrieben – das Gehalt des Praxisinhabers sowie Labor- und Prophylaxekosten. Das bedeutet: Erst ab einem Stundenumsatz von mehr als 151 EUR erwirtschaftet der Zahnarzt überhaupt einen Überschuss.
Doch damit endet die Kalkulation nicht. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, welchen Betrag der Praxisinhaber zur Deckung seiner privaten Ausgaben monatlich benötigt. Angenommen, dieser Bedarf liegt bei 12.000 EUR pro Monat (inkl. Steuern und Versorgungswerk), entspricht das etwa 100 EUR pro Arbeitsstunde. Addiert man diesen Betrag zu den 151 EUR fixen Praxiskosten, ergibt sich ein kalkulatorischer Stundensatz von 251 EUR. Hierauf können und sollten noch angemessene Aufschläge – vor allem für den Praxisgewinn – berücksichtigt werden. Im Durchschnitt rechneten die Praxen in den alten Bundesländern im Jahr 2022 252 EUR pro Stunde für zahnärztliche Leistungen ab. In den neuen Bundesländern lag der Betrag bei 212 EUR pro Stunde.
4. Wirtschaftlichkeit braucht individuelle Kalkulation – und der Zahnarzt (s)einen Berater
Wenn eine Praxis nicht in der Lage ist, diesen Stundensatz regelmäßig zu erwirtschaften, ist die wirtschaftliche Existenz des Zahnarztes mittelfristig gefährdet. Und genau hier liegt der zentrale Beratungsauftrag für Steuerberater: Die in der Praxissoftware gespeicherten Stundensätze sind oft zu pauschal, zu optimistisch oder schlichtweg nicht an den aktuellen Gegebenheiten ausgerichtet. Sie müssen aktiv geprüft, individuell angepasst und regelmäßig aktualisiert werden. Ob durch Honoraranpassungen, effizientere Abläufe oder strategische Investitionen – nur wer die echten Behandlungskosten kennt, kann fundierte Entscheidungen treffen. Steuerberater, die ihre Mandanten an dieser Stelle proaktiv begleiten, leisten einen entscheidenden Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg der Praxis.
In der Realität vieler Zahnarztpraxen fehlt es nicht nur an betriebswirtschaftlichem Wissen, sondern auch an Zeit und Kapazitäten, um sich mit komplexen Kalkulationsfragen auseinanderzusetzen. Die allermeisten Praxisinhaber sind Zahnmediziner aus Berufung – aber keine Unternehmer im klassischen Sinn. Sie sind Experten in Diagnostik, Behandlung und Patientenkommunikation, nicht jedoch in Liquiditätsplanung, Kostenanalyse oder Szenarienrechnungen. Genau hier beginnt der Auftrag des Steuerberaters – und zwar nicht als reiner Erfüllungsgehilfe, sondern als proaktiv handelnder Partner, der seinen Mandanten frühzeitig, klar und verständlich auf wirtschaftliche Risiken hinweist.
Wirtschaftliche Schieflagen entstehen nicht über Nacht, sondern entwickeln sich schleichend – oft über Monate oder sogar Jahre. In dieser Zeit verlassen sich viele Praxisinhaber auf die in ihrer Praxissoftware hinterlegten Werte, ohne deren Herleitung oder Aktualität zu hinterfragen. Sie sehen möglicherweise eine positive Entwicklung in der Einnahmenübersicht oder einen scheinbar stabilen Kontostand – und ziehen daraus falsche Rückschlüsse auf ihre tatsächliche Ertragslage. Der Steuerberater, der regelmäßig die Finanzbuchhaltung und die Kostenstruktur des Mandanten im Blick hat, ist in einer idealen Position, solche Trugschlüsse aufzudecken und gegenzusteuern.
Dabei geht es nicht nur um die Interpretation von Zahlen, sondern um echte Aufklärung:
- Was bedeutet eine Erhöhung der Lohnkosten um 5 % für den kalkulatorischen Stundensatz?
- Wie verändert sich der notwendige Umsatz bei sinkender Auslastung?
- Welche Spielräume bestehen für Gehaltserhöhungen, ohne dass die Liquidität leidet?
Nur der Steuerberater kann diese Fragen in den konkreten Kontext der individuellen Praxis setzen und gemeinsam mit dem Mandanten Lösungswege entwickeln.
Wichtig ist dabei das Selbstverständnis des Beraters: Wer rein reaktiv arbeitet und erst dann handelt, wenn der Mandant eine konkrete Frage stellt, riskiert, Entwicklungen zu spät zu erkennen. Aktive Beratung bedeutet hingegen, auf Grundlage der vorliegenden Daten selbstständig potenzielle Probleme zu identifizieren und Handlungsbedarf frühzeitig zu kommunizieren. Dazu gehört auch, unangenehme Wahrheiten klar anzusprechen – etwa wenn der Lebensstandard des Praxisinhabers dauerhaft über dem erwirtschafteten Gewinn liegt oder eine strukturelle Unterauslastung gegeben ist.
Darüber hinaus ist es Aufgabe des Steuerberaters, praxisgerechte Werkzeuge zur Verfügung zu stellen: einfache Kalkulationshilfen, individuelle Stundenkostensätze, Vergleichswerte aus dem Mandantenstamm oder Branchenkennzahlen. Je verständlicher die Zusammenhänge erklärt werden, desto höher ist die Bereitschaft der Praxisinhaber, notwendige Maßnahmen auch tatsächlich umzusetzen.
FAZIT | Letztlich geht es um Verantwortung: Nur wer seine Mandanten ganzheitlich unterstützt, schafft die Grundlage für nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg. Gerade in einer Branche, in der die Kosten steigen und das Personal knapp ist, ist der Steuerberater mehr denn je gefordert, aktiv zu beraten – nicht nur im Sinne der Zahlen, sondern im Sinne einer wirtschaftlich gesunden, zukunftsfähigen Zahnarztpraxis. |
AUSGABE: PFB 7/2025, S. 205 · ID: 50367756