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HonorarrechtMindestsatz einklagen: HOAI 2013 war trotz Widerspruch zu EU-Recht wirksames Preisrecht

Top-BeitragAbo-Inhalt25.05.20225602 Min. Lesedauer

| Der EuGH hatte mit Urteil vom 04.07.2019 geurteilt, dass die HOAI 2013 gegen EU-Recht verstößt. Seitdem wird darum gestritten, ob bei Mindestsatzunterschreitungen eine Klage des Planers (genannt: Aufstockungsklage auf Einhaltung des Mindestsatzes) bei laufenden Verträgen bzw. im Rahmen der Honorarschlussrechnung Aussicht auf Erfolg haben könnte. Das OLG Hamburg hat das jetzt im Anschluss an die jüngste EuGH-Rechtsprechung eindrucksvoll bejaht. |

Aufstockungsklagen und ihre EuGH-Vorgeschichte

Bei den „Aufstockungsdiskussionen“ war übersehen worden, dass nicht die Planer, sondern allein die Bundesregierung Adressat des EuGH-Urteils vom 04.07.2019 war. Schließlich stammt die HOAI ja auch nicht von den Planern, sondern aus der Feder der Bundesregierung. Klargestellt wurde nämlich, dass hier die Bundesregierung gefragt ist und nicht die privaten Vertragspartner. Mit der HOAI 2021 hat die Bundesregierung dann auch reagiert.

Unberührt von der Aufgabe, eine dem EU-Recht angepasste HOAI zu erlassen, bestand immer noch die offene Frage, ob die HOAI 2013 in den privatrechtlichen Vertragsverhältnissen weiter anwendbar ist. Dazu hat sich der EuGH mit Urteil vom 18.01.2022 (Rs. C-261/20, Abruf-Nr. 227060) geäußert. Das überraschende Votum lautete, dass bis zu einer Änderung der HOAI 2013 (die mit 01.01.2021 erfolgte) das nationale Recht weiter bestehen kann. Der EuGH hat den konkreten Fall zur letztinstanzlichen Entscheidung an den BGH zurückgespielt. Die mündliche Verhandlung im Verfahren mit dem Az. VII ZR 174/19 findet dort am 02.06.2022 statt. Zwischenzeitlich hat sich aber schon das OLG Hamburg eindeutig positioniert.

Leitsätze des OLG Hamburg stärken Position der Planer

Das OLG Hamburg hat die beiden EuGH-Urteile zusammengebracht, auf nationale Ebene für privatrechtliche Vertragsverhältnisse bezogen und in den Leitsätzen Folgendes klargestellt (OLG Hamburg, Urteil vom 22.04.2022, Az. 8 U 78/19, Abruf-Nr. 229098):

  • 1. Der Verstoß der Bundesrepublik Deutschland gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie führt unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten nicht dazu, dass die (nationale) HOAI 2013 im Verhältnis zwischen Privaten nicht mehr anzuwenden ist.
  • 2. Das Aufstockungsverlangen eines Architekten, der mit seinem Auftraggeber ein unter den Mindestsätzen der HOAI 2013 liegendes Pauschalhonorar vereinbart hat und der (z. B. nach einer Kündigung des Architektenvertrags) nach den HOAI-Mindestsätzen abrechnet, ist nur dann treuwidrig, wenn der Auftraggeber seinerseits auf die Wirksamkeit der (den Mindestsatz unterschreitenden) Pauschalhonorarvereinbarung vertraut hat und darauf vertrauen durfte und er sich darauf in der Weise eingerichtet hat, dass ihm die Zahlung des Differenzbetrags nicht zugemutet werden kann.

Der Fall: Pauschalhonorar unter dem Mindestsatz

Im konkreten Fall hatten die Parteien ein Pauschalhonorar vereinbart, das unter dem Mindestsatz lag. Die Besonderheit bestand darin, dass zunächst ein konkludenter Architektenvertrag geschlossen worden war. Der wurde später durch einen schriftlichen Vertrag ersetzt. In diesem Vertrag war ein Pauschalhonorar geregelt, das die Mindestsätze unterschritt. Der Vertrag wurde vorzeitig beendet. Das Planungsbüro rechnete die Grundleistungen dann auf der Grundlage der Mindestsätze nach HOAI ab.

OLG Hamburg wendet neue EuGH-Entscheidung auf konkreten Fall an

Wie erwähnt hat sich das OLG Hamburg auf die zweite EuGH-Entscheidung (vom 18.01.2022) bezogen und sie ins nationale Recht umgesetzt. Die Aussage ist klar: Wenn die HOAI 2013 für private Verträge weiter gilt, dann gilt auch der dortige § 7 Abs. 5 HOAI 2013, dass bei fehlenden Voraussetzungen der Mindestsatz als vereinbart gilt.

Die Verunsicherung durch das EuGH-Urteil vom 04.07.2019 ist damit vom Tisch. Das OLG hat für Planungsverträge, die bis zum 31.12.2020 abgeschlossen worden sind, das Preisrecht der HOAI 2013 weiter als anwendbar eingestuft, und zwar ohne Widerspruch zum EU-Recht. Für Verträge ab dem 01.01.2021 gilt dann die dem EU-Recht entsprechende neue HOAI.

Die Konsequenz für Sie

Bevor Sie in „Aufstockungsdiskussionen“ eintreten, prüfen Sie zunächst rein kalkulatorisch, ob sich die Auseinandersetzung rechnet.

Rechnen sich Auseinandersetzungen überhaupt?

Dazu stellen Sie bürointern das vertraglich vereinbarte Gesamthonorar dem Mindestsatzhonorar gegenüber. Diese Honorardifferenz wäre dann die Basis weiterer Dispositionen.

Wichtig | Rechnen Sie das Mindestsatzhonorar bei diesem Vergleich aber ohne anteilige Honorare aus, die nicht dem Mindestsatz entsprechen. Denn für diese Honoraranteile gibt es keine Anspruchsgrundlage im Zuge der Anpassung an den Mindestsatz. Mit anderen Worten: Honoraranteile, die nicht dem Preisrecht des Mindestsatzes unterliegen, schmälern das rechnerische Anpassungsergebnis. Konkret heißt das, dass z. B. folgende Honorarbestandteile beim Vergleichshonorar außen vor zu lassen wären:

  • Honorarsatz, soweit über Mindestsatz liegend
  • Umbauzuschlag (nach herrschender Rechtsprechung nicht Mindestsatzbestandteil)
  • Nebenkostenpauschale (evtl. ersetzen durch Einzelabrechnung)
  • Honorar für Besondere Leistungen, die im Zuge der Gesamthonorarvereinbarung geregelt sind

Das Thema „Besondere Leistungen“ kann rechtlich komplex werden. Daher sollten Sie sich dazu rechtlich beraten lassen. Es ist durchaus möglich, dass gesondert vereinbarte Besondere Leistungen gesondert zu betrachten sind.

Bei diesen Honorarbestandteilen darf aufgestockt werden

Bestandteil der Mindestsatzvergleichsberechnung sind aber folgende „aufstockende“ Honorarkomponenten, die den Mindestsatz ausmachen (und dann sachgerecht zu begründen wären):

  • Anpassung einer evtl. eindeutig zu niedrigen Honorarzone
  • Unangemessen niedrige anrechenbare Kosten
  • Unangemessene niedrige anrechenbare Kosten aus mitverarbeiteter Bausubstanz
  • HOAI-widrige Objektzusammenfassung

Weitere Fallstricke bei Aufstockungsklagen vermeiden

Das OLG Hamburg hat sich in seiner Entscheidung mit weiteren Fallstricken bei Aufstockungsklagen befasst. Der Wichtigste ist die Frage der Zumutbarkeit. Wann muss der Bauherr eine solche nachträgliche Honorarforderung ertragen? Dann nicht, wenn er auf die Wirksamkeit der mindestsatzunterschreitenden Honorarvereinbarung vertrauen durfte und er sich darauf in der Weise eingerichtet hat, dass ihm die Zahlung des Differenzbetrags (= zusätzliches Honorar) nicht zugemutet werden kann.

Beispiele

  • Der Bauherr eines Wohnprojekts hat eine ganze Reihe von Eigentumswohnungen bereits vor dem Mindestsatzverlangen des Planers verkauft – seine Preise auf Basis der mindestsatzunterschreitenden geringeren Honorarvereinbarung kalkuliert. Dann kann er den Verlust faktisch nicht mehr auffangen, die nachträgliche Honorarforderung ist ihm nicht zumutbar.
  • Die Mindestsatzklage betrifft den Neubau einer Schulsporthalle (öffentlicher Bauherr). Der Bauherr wird hier nicht erfolgreich behaupten können, dass er sich auf die Mindestsatzunterschreitung eingerichtet hat und darauf vertrauen durfte, dass hier keine Mindestsatzforderung nachgereicht wird. Hier wird davon ausgegangen, dass es ihm zumutbar ist, die Mehrkosten zu tragen. Sie wären bei ordnungsgemäßer vertraglicher Vereinbarung ohnehin angefallen.

Wichtig | Aktuell hat das OLG Celle einen „Zumutbarkeitsfall“ zuungunsten des Planers entschieden (OLG Celle, Urteil vom 27.04.2022, Az. 14 U 156/21, Abruf-Nr. 229260). Mehr dazu lesen Sie in der Juli-Ausgabe von PBP.

Aufstockungsklagen bei HOAI 2021-Verträgen möglich?

Nachdem die Rechtsprechung in den genannten Fällen Klarheit geschaffen hat, gibt es für Verträge mit Datum ab dem 01.01.2021 noch eine spannende Besonderheit. Denn auch hier sind Aufstockungsklagen möglich.

Und zwar dann, wenn die Vertragspartner die Textform nach § 7 Abs. 1 HOAI 2021 nicht eingehalten haben. PBP stellt Ihnen dazu den Wortlaut von § 7 Abs. 1 HOAI 2021 vor:

Wortlaut § 7 Abs. 1 HOAI 2021

Sofern keine Vereinbarung über die Höhe des Honorars in Textform getroffen wurde, gilt für Grundleistungen der jeweilige Basishonorarsatz als vereinbart ...

Viele Aufträge sind betroffen

Das oben geschriebene zum Thema „Aufstockungsklagen“ gilt somit auch

  • für alle Verträge, die nach dem 01.01.2021 mündlich geschlossen worden sind (wenn die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 HOAI vorliegen), und
  • für solche Zusammenarbeiten, bei der Sie sich auf die Erbringung von Leistungen mündlich verständigt haben, eine schriftliche Vereinbarung aber noch nicht zustande gekommen ist.

Mit anderen Worten: Mündliche Verträge können Sie im Zweifel nach dem Basishonorarsatz (= ehemaliger Mindestsatz) abrechnen.

Planungsänderungen als Klassiker für Aufstockungen ab 2021

Beachten Sie, dass § 7 Abs. 1 HOAI 2021 auch bei Nachträgen zu Planungsverträgen gilt, die regelmäßig bei kleineren und größeren Planungsänderungen anfallen.

Können Sie sich also nicht gemäß § 650b BGB sofort auf ein angemessenes Änderungshonorar verständigen, greift § 7 Abs. 1 HOAI. Man könnte auch sagen, dass über das Hintertürchen des § 7 die HOAI 2013 zumindest bei Planungsänderungen weiter greift. Für alle Planer ist das eine faire Situation. Der Nachteil ist, dass der Abrechnungsaufwand hoch sein kann, sodass eine sofortige Honorarvereinbarung bei Planungsänderungen nach § 650b BGB die bessere Alternative darstellt.

Fazit | Für Planungsverträge auf nationaler Ebene, die bis zum 31.12.2020 abgeschlossen worden sind, ist das Preisrecht der HOAI 2013 weiter anwendbar. Das EuGH-Urteil vom 04.07.2019 hat nämlich die Bundesrepublik in die Pflicht genommen und nicht die Vertragspartner. Beachten Sie aber, dass bei Aufstockungsklagen keine Honoraranteile „mitgenommen“ werden können, die nicht dem verbindlichen Mindestsatz entsprechen. Klären Sie solche Fragen (= das potenzielle Aufstockungsvolumen) mit Ihrem Rechtsanwalt, bevor Sie klagen. Bei Planungsänderungen können auch in der HOAI 2021 die Mindestsätze (heute: „Basishonorarsatz“) die untere Honorargrenze darstellen. Es kommt darauf an, inwieweit § 7 HOAI 2021 erfüllt ist.

Weiterüfhrende Hinweise
  • Beitrag „Paukenschlag vom EuGH zur HOAI 2013: EU-Recht steht Aufstockungsklagen nicht entgegen“, PBP 2/2022, Seite 10 → Abruf-Nr. 47954856
  • Beitrag „Honorar auf Mindestsatz anheben: So ermitteln Sie den Mindestsatz im konkreten Fall“, PBP 3/2022, Seite 6 → Abruf-Nr. 48012282

AUSGABE: PBP 6/2022, S. 3 · ID: 48301613

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