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SchadenersatzBeweiserhebung über den Mietdifferenzschaden
| Kann der Vermieter die vermieteten Räumlichkeiten nicht wie geschuldet zum Gebrauch überlassen oder wird ihm der Besitz – etwa durch eine bauordnungsrechtliche Nutzungsuntersagung – wieder entzogen, ist der Mieter zur fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigt, § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB. Wird eine solche Kündigung durch eine vom Vermieter zu vertretende Vertragsverletzung veranlasst, ist dieser dem Mieter zum Ersatz des hierdurch verursachten Schadens verpflichtet (sog. Kündigungs- oder Kündigungsfolgeschaden). Der Mieter kann die durch die erforderliche Anmietung von Ersatzräumen entstehenden Mehrkosten ggf. als Schadenersatz verlangen (Mietdifferenzschaden). Zur Frage, wie dieser im Streitfall zu ermitteln ist, hat sich der XII. in Anlehnung an den VIII. Zivilsenat (BGH 29.3.17, VIII ZR 44/16) jetzt positioniert. |
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Pflicht der Beklagten, der Klägerin nach Scheitern eines Mietvertrags die Mehrkosten für die Anmietung einer Ersatzimmobilie zu erstatten. Mit Vertrag vom 3.1.18 mietete die in der Modebranche tätige Klägerin von der Beklagten in W. noch herzustellende Gewerberäume mit einer Größe von 383 qm in einem zur Sanierung vorgesehenen alten Wasserwerk sowie zwei im Außenbereich des Grundstücks gelegene Pkw-Stellplätze. Die auf fünf Jahre befristete Mietzeit sollte am 1.7.19 beginnen. Die Parteien vereinbarten eine monatlich zu zahlende Nettomiete von 4.215,59 EUR (10,99 EUR/qm).
Der Beklagten gelang die beabsichtigte Sanierung des Gebäudes mangels finanzierungswilliger Investoren nicht. Sie bot der Klägerin eine Aufhebung des Mietvertrags an, die diese nicht wünschte. In 2/19 mietete die Klägerin Räume mit einer Fläche von 454 qm in einer sanierten Gewerbeimmobilie im Hafenviertel von D. an. Als monatliche Miete vereinbarte sie mit der Vermieterin der ersatzweise gemieteten Gewerberäume pro Quadratmeter einen Betrag von 12 EUR, wobei ein auf 50 qm entfallender Teilbetrag als Entgelt für die Mitbenutzung einer ca. 279 qm großen Gemeinschaftsfläche gelten sollte. Für das Anmieten von vier Tiefgaragenstellplätzen vereinbarten die Vertragsparteien eine Miete von weiteren 200 EUR monatlich. Beginn der ebenfalls auf fünf Jahre befristeten Mietzeit war der 1.10.19.
Mit Schreiben vom 30.7.19 kündigte die Klägerin den mit der Beklagten geschlossenen Mietvertrag fristlos wegen Nichtgewährung des vertragsgemäßen Gebrauchs und machte Schadenersatz in Höhe der Differenz der für die Räumlichkeiten in D. monatlich zu zahlenden Miete gegenüber dem mit der Beklagten vereinbarten Nutzungsentgelt von monatlich 410,41 EUR geltend.
Das LG hat die Beklagte verurteilt, 6.976,97 EUR nebst Zinsen zu zahlen, die monatliche Mietdifferenz von 410,41 EUR von 6/21 bis zum Ende der vereinbarten Mietzeit laufend zu erstatten, begrenzt durch die Laufzeit des Mietvertrags über die Ersatzimmobilie, und die Klägerin von vorgerichtlichen Anwaltskosten freizustellen. Es hat die Klage i. Ü. abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG das Urteil aufgehoben und die Klage vollständig abgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hatte Erfolg (BGH 26.4.23, XII ZR 83/22, Abruf-Nr. 235531).
Entscheidungsgründe
Der BGH hat die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen. Er folgt der Beanstandung der Klägerin, dass der von ihr zu entscheidungserheblichem Sachvortrag angebotene Sachverständigenbeweis zu erheben war. Die Klägerin hatte das Einholen eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache angeboten, dass die ursprünglich angemieteten Räumlichkeiten in W. mit den in D. gemieteten Gewerberäumen nach Art und Lage gleichwertig sind. Diesen Beweisantrag hat das OLG übergangen.
Beachten Sie | Vom Einholen eines beantragten Sachverständigengutachtens zu entscheidungserheblichem Parteivortrag darf das Tatsachengericht nur absehen, wenn es selbst über die notwendige Sachkunde verfügt, um den Wahrheitsgehalt der unter Beweis gestellten Behauptung zu beurteilen (st. Rspr.; BGH 9.1.18, VI ZR 106/17). Etwa vorhandene eigene Sachkunde, aufgrund derer es die Einholung eines Sachverständigengutachtens für verzichtbar hält, muss das Gericht in der Entscheidung darlegen (st. Rspr.; BGH 12.5.21, XII ZR 153/19). Dies zugrunde gelegt, hätte das OLG den von der Klägerin angebotenen Sachverständigenbeweis erheben müssen. Es durfte hiervon nicht aufgrund eigener Wertungen absehen.
Das OLG hatte gemeint, die Klägerin könne die Erstattung der Mietdifferenz nicht verlangen, weil dem höheren Mietpreis für die ersatzweise angemieteten Räumlichkeiten in D. ein entsprechend höherer Gebrauchswert gegenüberstehe, den sich die Klägerin im Wege eines Vorteilsausgleichs anrechnen lassen müsse. Der höhere Gebrauchswert ergebe sich nicht nur aus der – auch verkehrsmäßig – besseren Lage der Gewerberäume in der als „Modestadt“ bekannten Landeshauptstadt, sondern auch aus der Aufteilung und Gestaltung des Gebäudes in D., der nur bei der Ersatzimmobilie möglichen Mitnutzung von Gemeinschaftsflächen, dem dort vorhandenen Angebot einer Kinderbetreuung, der dortigen Existenz eines großen Fahrstuhls sowie aus dem zusätzlichen Komfort von Tiefgaragenparkplätzen.
Beachten Sie | Ist der Vermieter nicht in der Lage, dem Mieter die gemieteten Räume, wie geschuldet, zur Verfügung zu stellen, kann der Mieter zur Anmietung von Ersatzräumen berechtigt sein und die Mehrkosten ggf. als Schadenersatz beim Vermieter geltend machen (BGH 2.11.16, XII ZR 153/15; 3.7.13, VIII ZR 191/12). Voraussetzung hierfür ist, dass der Mieter die Vertragsverletzung durch den Vermieter berechtigterweise zum Anlass nimmt, den Umständen nach angemessene neue Räume anzumieten.
Für die Beurteilung der Angemessenheit der angemieteten Ersatzräumlichkeiten kommt es auf die Gleichwertigkeit der ursprünglich von der Beklagten angemieteten Gewerberäume in W. und der Räumlichkeiten in D. an. Die Klägerin hatte hierfür bereits in der Klageschrift das Einholen eines Sachverständigengutachtens beantragt.
Die Klägerin hatte den Beweisantrag auf ausreichende Anknüpfungstatsachen gestützt. Der BGH vermisst in der Entscheidung des OLG Darlegungen dazu, weshalb es der beantragten Beweiserhebung nicht bedurfte. Ohne den Beweisantrag der Klägerin anzusprechen und die eigene Sachkunde für die Bewertung von Gewerbeimmobilien darzulegen, hat es den Gebrauchswert der beiden Räumlichkeiten selbst beurteilt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass der höheren Miete der von der Klägerin in D. gemieteten Gewerberäume ein entsprechend höherer Nutz- und Gebrauchswert gegenüberstehe. Nach Einschätzung des BGH kommt dies einer (unzulässigen) vorweggenommenen Beweiswürdigung gleich. Bei dem von der Klägerin unter Beweis gestellten Vortrag handelte es sich auch um eine dem Beweis zugängliche Tatsachenbehauptung. Die Frage der Gleichwertigkeit von Mietobjekten ist zwar von Wertungen abhängig; diese knüpfen aber an beweisbare Eigenschaften der Mieträumlichkeiten sowie Bedürfnisse und Wertvorstellungen der maßgeblichen Verkehrskreise an. Daher bedarf es – so der BGH – für die Ermittlung einer Gebrauchswertdifferenz im Sinne eines Mietdifferenzschadens regelmäßig der Einholung eines Sachverständigengutachtens (BGH 29.3.17, VIII ZR 44/16).
Das OLG hatte auch nicht dargelegt, woher es über ausreichende eigene Sachkunde verfügt haben könnte. Nach dem BGH bedarf es für die Bewertung von Gewerbeimmobilien besonderer Erfahrungen und Kenntnisse über ortsbezogene und wirtschaftliche Begleitumstände sowie die Interessen der am Wirtschaftsleben beteiligten Verkehrskreise, die sich nicht allein aus allgemeiner Lebenserfahrung ergeben. Sie kann bei beteiligten Richtern nicht aufgrund ihrer richterlichen Tätigkeit unterstellt werden.
Eine unterschiedliche Wertigkeit der beiden Räumlichkeiten, die ggf. einen Vorteilsausgleich jedenfalls in Höhe der streitigen Mietdifferenz gerechtfertigt hätte, liegt auch nicht etwa bereits aufgrund der Lage der Immobilien und den bei der Ersatzimmobilie zusätzlich gegebenen Nutzungsvorteilen auf der Hand. Der Gebrauchswert einer Immobilie ergibt sich aus einer Gesamtschau vieler unterschiedlicher Faktoren von ggf. unterschiedlichem Gewicht. Bereits eine einzelne Eigenschaft von Räumlichkeiten – z. B. ein besonders hervorstechendes, einzigartiges Erscheinungsbild – könne den Wert anderer Eigenschaften auf- oder überwiegen und den Gebrauchswert maßgeblich bestimmen. Die für die Entscheidung erforderliche Vergleichsbetrachtung könne sich daher nicht auf eine Gegenüberstellung einzelner wertbildender Eigenschaften beschränken.
Relevanz für die Praxis
Der Kündigungs(folge)schaden ist sowohl in der Wohn- als auch in der Gewerberaummiete das (potenziell) „scharfe“ Schwert des Mieters, um die Folgen einer vorgeschobenen Kündigung des Vermieters oder einer vom Vermieter veranlassten Kündigung des Mieters dort „abzuladen“, wo die Ursache gesetzt wurde und den Vermieter im Vorfeld zu motivieren, sich vertragskonform zu verhalten. Der BGH stellt deutlicher als das Urteil des VIII. Zivilsenats (s. o.) klar, dass die Mietdifferenz ohne sachverständige Hilfe nicht zu ermitteln ist. Für die Wohnraummiete weiter ungeklärt ist die Frage, wie lange der Vermieter ggf. zum Ersatz der Mietdifferenz verpflichtet ist. Hier waren – wie in der Gewerbemiete üblich – beide Mietverträge befristet; in der Wohnraummiete ist eine Befristung wegen § 575 BGB nur im Ausnahmefall wirksam möglich mit der Folge, dass ein unbefristeter Ersatz der Mietdifferenz im Raum steht.
AUSGABE: MK 2/2025, S. 30 · ID: 50281566