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KündigungDer Begriff der Miete in § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB
| In Zeiten potenziell hoher Nachforderungen aus Heiz- und Betriebskostenabrechnungen infolge erheblicher Kostensteigerungen, vor allem – aber nicht nur – im Energiebereich, kann die Antwort auf die Frage, ob diese zur „Miete“ im Sinne des Kündigungstatbestandes des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB gehören, für Mieter von existenzieller Bedeutung sein. Um es vorwegzunehmen: Der VIII. Zivilsenat des BGH hat die Frage in der hier besprochenen Entscheidung nicht beantwortet. Bemerkenswert ist aber, dass er davon ausgeht, dass sie grundsätzlich zu klären ist. Lesen Sie selbst! |
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
Der Beklagte mietete ab 10/09 ein Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 135 qm von den damaligen Eigentümern. Die monatliche Nettokaltmiete betrug 400 EUR. 2016 erwarben die Kläger die Immobilie, um den Beklagten – den Bruder der Klägerin zu 1 – vor dem Hintergrund zu unterstützen, dass dieser nun Sozialleistungen bezog. Vereinbarungsgemäß wurde das Haus in zwei Wohnungen geteilt. Der Beklagte bewohnt seit 2017 die im Hinterhaus gelegene Zwei-Zimmer-Wohnung mit einer Größe von 75 qm. Über die vom Beklagten hierfür zu zahlende Nettokaltmiete konnten sich die Parteien nicht einigen.
Mit Schreiben vom 1.5.18 rechneten die Kläger über die Betriebskosten des Jahres 2017 ab und gelangten zu einem Nachzahlungsbetrag zulasten des Beklagten in Höhe von 477,86 EUR. Die Kläger erklärten mehrfach, zuletzt mit Schriftsatz vom 28.4.20, die außerordentliche fristlose Kündigung des Mietverhältnisses unter Bezugnahme auf rückständige Miete sowie – zuletzt – die ausstehende Betriebskostennachzahlung für 2017.
Die Klage auf Räumung und Herausgabe der Wohnung sowie – nach Teilrücknahme der Klage vor der ersten mündlichen Verhandlung – zuletzt auf Zahlung rückständiger Miete i. H. v. 649,60 EUR und Nachzahlung von Betriebskosten für 2017 hatte i. H. v. 125,17 EUR Erfolg. Im Übrigen hat das AG die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger hat das LG zurückgewiesen.
Nachdem die Kläger die vom LG zugelassene Revision eingelegt und begründet haben und der Beklagte darauf erwidert hat, ist er freiwillig ausgezogen. Die Parteien haben den Rechtsstreit hinsichtlich des zuletzt allein verfolgten Räumungs- und Herausgabeanspruchs übereinstimmend für erledigt erklärt und wechselseitig Kostenanträge gestellt. Der BGH hat dann über die Kosten des Verfahrens entschieden (BGH 13.8.24, VIII ZR 255/21, Abruf-Nr. 243823).
Entscheidungsgründe
Der BGH hebt die Kosten des Rechtsstreits bezüglich des mit der Revision noch verfolgten Räumungs- und Herausgabeanspruchs gegeneinander auf.
Nachdem die Parteien den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war über die diesbezüglichen Kosten gemäß § 91a Abs. 1 ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu entscheiden.
Was wirklich maßgeblich war
Maßgeblich war – anders als die Kläger meinten – der mutmaßliche Ausgang des Revisionsverfahrens, nicht der Umstand, dass der Beklagte nach Erlass des Berufungsurteils freiwillig aus der Wohnung ausgezogen ist. Zwar kann nach der BGH-Rechtsprechung im Rahmen der Billigkeitsentscheidung gemäß § 91a Abs. 1 ZPO zu berücksichtigen sein, dass sich die beklagte Partei durch den Ausgleich einer noch streitgegenständlichen Forderung freiwillig in die Rolle des Unterlegenen begibt, auch wenn sie nicht zugleich erklärt, die Kosten des Rechtsstreits zu übernehmen. Ein freiwilliger Auszug des Mieters aus einer Wohnung ist damit jedoch nicht vergleichbar und erlaubt keinen Rückschluss darauf, dass damit der Rechtsstandpunkt der Gegenpartei im Ergebnis hingenommen wird. Der Auszug kann auf anderen Motiven beruhen, z. B. beruflichen Notwendigkeiten, dem Wunsch nach örtlicher Veränderung, verändertem Platzbedarf oder finanziellen Gesichtspunkten.
Hier war nach Ansicht des BGH zu berücksichtigen, dass der Beklagte zunächst auf die Revisionsbegründung erwidert und durch seinen Kostenantrag im Rahmen der Erledigungserklärung hinreichend deutlich gemacht hat, dass er der rechtlichen Einschätzung der Kläger widerspricht. Im Hinblick auf den Ausgang des Revisionsverfahrens maßgeblich war daher die Beantwortung der vom LG an den BGH herangetragenen Rechtsfrage.
Frage von grundsätzlicher Bedeutung
An dieser Stelle ist interessant, dass der BGH diese für offen und höchstrichterlich klärungsbedürftig hält. Er verweist darauf, dass es nicht Zweck einer Kostenentscheidung nach § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO sei, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären oder das Recht fortzubilden (BGH 25.10.22, VIII ZB 58/21). Das wird künftig zu berücksichtigen sein.
Praxistipp | Die Revision war zur Beantwortung der Rechtsfrage zugelassen worden, ob ein Nachzahlungsbetrag aus einer Betriebskostenabrechnung bei der Berechnung des Zahlungsrückstands im Sinne des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB zu berücksichtigen ist. Dies hatten die Vorinstanzen im Grundsatz bejaht, während die ganz überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur dies verneint (OLG Koblenz NJW 84, 2369 [zu § 554 BGB a. F.]; LG Berlin 20.2.15, 63 S 202/14; 24.11.15, 63 S 158/15; LG Dessau-Roßlau ZMR 17, 481; MüKo/Bieber, BGB, 9. Aufl., § 543 Rn. 46; Siegmund in Blank/Börstinghaus/Siegmund, Miete, 7. Aufl., § 543 BGB Rn. 97; Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 16. Aufl., § 543 BGB Rn. 165; Grüneberg/Weidenkaff, 83. Aufl., § 543 BGB Rn. 23; Börstinghaus, WuM 17, 254; Schwab, NZM 19, 36, 40 f.; zum kombinierten Rückstand von Miete und Betriebskostennachzahlung ausdrücklich Hinz, WuM 19, 673, 679 f.; Siegmund in Blank/Börstinghaus/Siegmund, a. a. O., Rn. 26; zweifelnd Lützenkirchen/Lützenkirchen, Mietrecht, 3. Aufl., § 543 BGB Rn. 218a). |
Die Kläger hatten ihre fristlose Kündigung vom 28.4.20 auch auf den Nachzahlungsbetrag aus einer Betriebskostenabrechnung gestützt. Der geltend gemachte Mietrückstand allein erfüllte die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB nicht. Deshalb war ungewiss, welchen Ausgang das Verfahren im Hinblick auf den mit der Revision weiterverfolgten Räumungs- und Herausgabeantrag genommen hätte.
Merke | Nach § 543 Abs. 1 S. 1 BGB kann jede Vertragspartei das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Nach Abs. 2 S. 1 Nr. 3 liegt ein wichtiger Grund insbesondere vor, wenn der Mieter für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist [Buchst. a)] oder in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht [Buchst. b)]. In Rechtsprechung und Literatur werden als „Miete“ im Sinne der Regelungen nur regelmäßig wiederkehrende Leistungen angesehen, nicht aber einmalige Leistungen, wie Nachzahlungen aus Betriebskostenabrechnungen, Kautionen u. ä. Der XII. Zivilsenat des BGH hat für die Gewerbemiete bereits entschieden, dass Miete im Sinne von § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB die Grundmiete zuzüglich der Nebenkostenvorauszahlung ist (BGH 23.8.08, XII ZR 134/06). |
Relevanz für die Praxis
Die Beantwortung der eingangs gestellten Frage kann – wie auch hier – darüber entscheiden, ob eine fristlose Kündigung durchgreift. Die Zahlungsverzugskündigung nach § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB ist für den Mieter dabei deshalb besonders gravierend, weil es allein auf das Vorliegen des Zahlungsverzugs ankommt. Hier hilft ihm im Zweifel nur die Schonfristzahlung unter den Voraussetzungen des § 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB.
Anders als bei der Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB oder der nach § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB finden bei der Kündigung nach § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB persönliche Umstände und Gründe, die zu dem Mietrückstand geführt haben, keine Berücksichtigung. Es kommt allein auf die Tatbestandsvoraussetzungen an. § 286 Abs. 4 BGB hilft auch nicht weiter, weil sich – so der BGH – die Verantwortlichkeit des Schuldners für die Nichtleistung trotz Fälligkeit nach § 276 Abs. 1 S. 1 BGB richtet. Danach ist die Verantwortlichkeit des Schuldners nur auf Vorsatz und Fahrlässigkeit beschränkt, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos, zu entnehmen ist. Eine strengere Haftung besteht nach dem Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung nach allgemeiner Auffassung bei Geldschulden (BGH 4.2.15, VIII ZR 175/14).
Zwar wird – ebenfalls recht einhellig – davon ausgegangen, dass auch nicht ausgeglichene Nachforderungen aus Betriebskostenabrechnungen den Ausspruch einer fristlosen Kündigung rechtfertigen können, allerdings – so die Vertreter des „engeren“ Mietbegriffs – „nur“ nach § 543 Abs. 1 BGB. Im Rahmen dieser Vorschrift sind allerdings die beim reinen Zahlungsverzug ausgeblendeten persönlichen Umstände und Gründe, die – ggf. unverschuldet – zu einem Zahlungsengpass(/-verzug) geführt haben, im Rahmen der vorgeschriebenen Abwägung zu berücksichtigen (BGH 4.2.15, VIII ZR 175/14).
AUSGABE: MK 11/2024, S. 210 · ID: 50191958