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ArbeitnehmerüberlassungLeiharbeit: Entleiher haften bei Zahlungsverzug und Insolvenz des Verleihers
| In vielen Branchen ist der Einsatz von Leiharbeitnehmern an der Tagesordnung. Was vielen Entleihern dabei nicht bewusst ist: Sie tragen ein erhebliches Haftungsrisiko! Denn führt der Verleiher die für den Leiharbeitnehmer geschuldeten Sozialabgaben nicht in richtiger Höhe ab, kann der Entleiher in Anspruch genommen werden (§ 28e Abs. 2 SGB IV). MBP klärt Sie über dieses Risiko auf. |
1. Grundsatz: Verleiher trägt Sozialabgaben
Bei der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern entrichtet der Entleiher das für die geleisteten Arbeitsstunden vereinbarte Entgelt an den Verleiher. Damit sind seine Zahlungspflichten erfüllt, da der Leiharbeitnehmer nicht mit dem Entleiher, sondern mit dem Verleiher in einem Arbeitsverhältnis steht. Der Verleiher zahlt nun das Arbeitsentgelt an den Leiharbeitnehmer aus und muss auf der Grundlage des Arbeitsentgelts die Sozialabgaben berechnen sowie an die Einzugsstellen abführen (§ 28e Abs. 1 S. 1 SGB IV).
2. Haftung bei Zahlungsverzug des Verleihers
Kommt der Verleiher seiner Zahlungspflicht nicht nach, haftet der Entleiher für die Beitragsschulden bei einem wirksamen Leiharbeitsvertrag wie ein selbstschuldnerischer Bürge (§ 28e Abs. 2 SGB IV). Diese Haftung erstreckt sich auf
- die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialabgaben,
- die auf die dem Entleiher überlassenen Leiharbeitnehmer entfallen und
- in der Zeit der vergüteten Leiharbeit beim Entleiher angefallen sind.
Der Entleiher haftet also nicht für alle Beitragsschulden, sondern nur für diejenigen, die sich auf die Tätigkeit eines Leiharbeitnehmers bei ihm beziehen.
Beachten Sie | Der Entleiher kann eine von der Sozialversicherung geltend gemachte Zahlungspflicht verweigern, solange der Verleiher nicht zur Zahlung gemahnt wurde und die Mahnfrist abgelaufen ist. Wendet sich die Einzugsstelle an den Entleiher, sollte dieser daher zunächst prüfen, ob der Verleiher bereits gemahnt wurde und ob die Mahnfrist abgelaufen ist (§ 28e Abs. 2 S. 2 SGB IV). Einer Mahnung bedarf es nur dann nicht, wenn der Verleiher bereits wegen Vermögenslosigkeit aus dem Handelsregister gelöscht wurde (LSG Bayern 27.4.20, L 5 KR 584/19 B ER).
3. Haftung bei mangelnder Solvenz des Verleihers
Kommt es zur Haftung des Entleihers, werden oft Zahlungen im fünf- oder sechsstelligen Bereich fällig. Denn der Anspruch der Sozialversicherungen verjährt regelmäßig erst in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem er fällig geworden ist (§ 25 Abs. 1 S. 1 SGB IV). Das bedeutet, dass die Sozialversicherung im Haftungsfall die Beiträge der letzten vier Jahre überprüfen und die ausstehenden Zahlungen vom Entleiher einfordern wird. Das Risiko ist daher insbesondere bei Insolvenz des Verleihers hoch, denn typischerweise hat dieser in den Monaten vor der Insolvenzeröffnung zumindest keine Arbeitgeberanteile mehr abgeführt. Daneben besteht das Risiko, dass der Verleiher die Abgaben zwar geleistet hat, die Zahlungen aber nach den Vorschriften der Insolvenzanfechtung anfechtbar sind. Der Insolvenzverwalter kann die Zahlungen also von den Sozialversicherungen zurückfordern. Diese treten dann an den Entleiher heran und machen die Haftung geltend. Der Entleiher muss die Forderungen in voller Höhe begleichen und kann nur versuchen, einen Teil über das Insolvenzverfahren zurückzuerhalten.
Merke | Eine Haftung kann auch vorliegen, wenn der Verleiher seine Mitarbeiter zu niedrig entlohnt, weil er davon ausging, dass durch einen Tarifvertrag der „equal pay“-Grundsatz wirksam abbedungen wurde („CGZP-Fälle“). Die Haftung erstreckt sich dann auf die Sozialabgaben der Differenzlöhne. |
4. Abwehr bzw. Vermeidung der Haftung
Der Entleiher kann sich gegen eine Haftung wehren. Gegen den Beitragsbescheid kann Widerspruch eingelegt werden. Bleibt dieser erfolglos, kann auch das SG angerufen werden. In der Praxis empfiehlt es sich daher, den Beitragsbescheid eingehend zu prüfen. Insbesondere ist sicherzustellen, dass
- die geltend gemachten Forderungen noch nicht verjährt sind,
- die Leiharbeitnehmer, für die die Zahlung verlangt wird, im maßgeblichen Zeitraum tatsächlich im Betrieb des Entleihers eingesetzt waren (Rechnungen des Verleihers und Zeiterfassungen der Leitarbeitnehmer aufbewahren!) und
- der Berechnung das zutreffende Arbeitsentgelt zugrunde gelegt wurde.
Die Haftung des Entleihers soll diesen veranlassen, sich ständig über die Seriosität des Verleihers zu informieren. Dies soll den Verleiher gewissermaßen zwingen, seinen gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen und darüber hinaus den sozialversicherungsrechtlichen Schutz der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer gewährleisten. Aus diesem Grund ist es relativ einfach, das Haftungsrisiko ganz oder teilweise zu vermeiden, z. B., indem sich der Entleiher vom Verleiher eine Bankbürgschaft geben lässt. Damit die Bürgschaft einen wirksamen Schutz bietet, muss sie unbefristet, unwiderruflich und selbstschuldnerisch sein. Außerdem sollte sie einen Passus enthalten, dass sie auch dann gilt, wenn Beiträge infolge einer Insolvenzanfechtung gefordert werden.
Darüber hinaus kann zwischen Verleiher und Entleiher vereinbart werden, dass der Entleiher zunächst einen Teil der geschuldeten Vergütung als Sicherheit einbehält. Schließlich sollte der Verleiher dem Entleiher Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Einzugsstellen vorlegen. Geht aus diesen bereits hervor, dass der Verleiher seinen Verpflichtungen in letzter Zeit nicht, nicht regelmäßig oder nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist, sollte der Entleiher die Geschäftsbeziehung beenden, um das Haftungsrisiko zu vermeiden.
AUSGABE: MBP 6/2025, S. 97 · ID: 50377001