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VerfahrensrechtRechtzeitige Rücknahme eines Einspruchs, um eine Änderung zum Nachteil zu verhindern!
| In einem Einspruchsverfahren kann der angefochtene Verwaltungsakt auch zum Nachteil des Einspruchsführers geändert werden. Dies kann ggf. durch eine Rücknahme des Einspruchs verhindert werden. Der Beitrag zeigt, bis wann eine wirksame Rücknahme erfolgen muss, wenn das FA die Einspruchsentscheidung bereits erlassen hat. |
1. Einspruchsrücknahme und Zeitpunkt der Bekanntgabe
Die Finanzbehörde, die über einen Einspruch entscheidet, hat die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen (Gesamtfallaufrollung, § 367 Abs. 2 S. 1 AO). Dabei kann der Verwaltungsakt auch zum Nachteil des Steuerpflichtigen geändert werden. Voraussetzung ist, dass dieser auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung hingewiesen worden ist und ihm Gelegenheit gegeben wurde, sich hierzu zu äußern (§ 367 Abs. 2 S. 2 AO). Um einer Verböserung vorzubeugen, kann der Einspruch zurückgenommen werden. Eine Änderung zum Nachteil des Steuerpflichtigen ist dann nur noch möglich, wenn dies nach den Vorschriften über Aufhebung, Änderung, Rücknahme oder Widerruf von Verwaltungsakten zulässig ist (AEAO zu § 367, Tz. 2.4).
Nach § 362 Abs. 1 S. 1 AO muss die Rücknahme bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch erfolgen. Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, gilt bei einer Übermittlung im Inland nach § 122 Abs. 2 AO am dritten Tag (für Verwaltungsakte, die nach dem 31.12.24 übermittelt werden, gelten vier Tage; Änderung durch das Postrechtsmodernisierungsgesetz, BGBl I 24, Nr. 236) nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dabei umfasst der Begriff „Post“ alle Unternehmen, soweit sie Postdienstleistungen erbringen (AEAO zu § 122, Tz. 1.8.2.1).
Beachten Sie | Ist dieser dritte bzw. vierte Tag ein Sonntag, ein gesetzlicher Feiertag oder ein Sonnabend, fällt die Bekanntgabe auf den nächstfolgenden Werktag (§ 108 Abs. 3 AO).
Bekanntgabe von Verwaltungsakten | ||
Form der Zustellung | Vorschrift | Zeitpunkt der Bekanntgabe |
postalische/elektroni-sche Übermittlung | postalisch: § 122 Abs. 2 AO elektronisch: § 122 Abs. 2a AO | am dritten (ab 2025 vierten) Tag nach der Aufgabe zur Post bzw. nach der Absendung |
Einschreiben durch Übergabe | §§ 122 Abs. 5 S. 2 AO, 4 Abs. 2 S. 2 VwZG, AEAO zu § 122, Tz. 3.1.2 | am dritten (ab 2025 vierten) Tag nach der Aufgabe zur Post |
Einschreiben mit Rückschein | §§ 122 Abs. 5 S. 2 AO, 4 Abs. 2 S. 1 VwZG, AEAO zu § 122, Tz. 3.1.2 | Tag, den der Rückschein angibt |
mit Zustellungs- urkunde | §§ 122 Abs. 5 S. 2 AO, 3 VwZG i. V. mit §§ 177 bis 182 ZPO | Tag, der beurkundet wurde. Auf Anordnung der Geschäftsstelle wird auch die Uhrzeit der Zustellung angegeben (§ 182 Abs. 2 Nr. 7 ZPO) |
öffentliche Zustellung | § 122 Abs. 4 S. 3 AO | zwei Wochen nach dem Tag der ortsüblichen Bekanntmachung |
2. Zugang der Einspruchsentscheidung
Zu unterscheiden ist, ob die Einspruchsentscheidung tatsächlich vor oder nach dem fingierten Bekanntgabezeitpunkt zugegangen ist.
2.1 Zugang innerhalb des Drei-/Vier-Tage-Zeitraums
Beispiel 1 |
Die Einspruchsentscheidung des A wurde am 16.12.24 zur Post gegeben. Bereits am Folgetag geht sie ihm zu. Zugangsfiktion gilt auch bei früherem Zugang |
Beachten Sie | Die Einspruchsrücknahme sollte wegen der Postlaufzeiten vorsorglich nicht per Post erfolgen, da die bloße Absendung des Schreibens keine Vermutung und keinen Anscheinsbeweis für den (rechtzeitigen) Zeitpunkt des Zugangs beim FA begründet, sondern der Eingangsstempel als öffentliche Urkunde hohe Beweiskraft hat (FG Hamburg 5.3.09, 3 K 176/08).
2.2 Zugang außerhalb des Drei-/Vier-Tage-Zeitraums
Beispiel 2 (Abwandlung) |
Wie oben, aber die Einspruchsentscheidung geht dem A erst am 20.12.24 zu. Um 18:30 Uhr faxt er dem FA, dass er seinen Einspruch zurücknimmt. Die Dreitagesfiktion gilt nach § 122 Abs. 2 AO nicht, wenn der Verwaltungsakt zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Behörde den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. |
Nicht höchstrichterlich geklärt ist bis dato, ob die Bekanntgabe bewirkt ist, wenn das Schriftstück tatsächlich zugegangen ist, oder ob es hier ebenfalls auf den Ablauf des Tages ankommt, an dem der Zugang erfolgt ist. In einer aktuellen Entscheidung tendiert der BFH (18.6.24, VIII R 16/21, Rn. 45) im Gegensatz zur Vorinstanz dazu, dass es auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs ankommt. Dann müsste ggf. aufgeklärt werden, zu welcher Uhrzeit die Post an dem Tag ausgeliefert worden ist und ob eine Kenntnisnahme unter normalen Umständen um diese Zeit erwartet werden konnte (BFH 18.6.24, a. a. O., Rn. 44).
Für den Fall, dass es auf den genauen Zeitpunkt des Zugangs der Einspruchsentscheidung ankommen sollte, hat das FA diesen zu ermitteln. Der Steuerpflichtige ist hierbei zur Mitwirkung verpflichtet. Die Feststellungslast für die rechtzeitige Einspruchsrücknahme trägt der Steuerpflichtige, der sich auf den Zugang der Einspruchsrücknahme vor dem Zugang der Einspruchsentscheidung beruft und auf diesem Wege die Herabsetzung der Steuer auf die Höhe vor der Verböserung begehrt (BFH 18.6.24, a. a. O., Rn. 48, m. w. N.).
Beachten Sie | Erfolgt die tatsächliche Zustellung außerhalb des Drei-/Vier-Tage-Zeitraums und weigert sich der Zusteller, den Zugang schriftlich zu bestätigen, sollte er gebeten werden, diesen zumindest für sich zu vermerken, um ggf. bei einer späteren Zeugenvernehmung im finanzgerichtlichen Verfahren eine glaubhafte Aussage tätigen zu können.
Lösung Beispiel 2 (Abwandlung) |
Damit die Rücknahme des Einspruchs als wirksam beurteilt werden kann, muss A nachweisen, dass ihm die Einspruchsentscheidung erst nach 18:30 Uhr (Uhrzeit des Faxes) bekannt gegeben wurde. Zu dieser Uhrzeit dürften aber die Zusteller der Deutschen Post AG ihre Arbeit beendet haben, da das tarifvertragliche Arbeitsende überschritten worden sein dürfte. |
Fraglich bleibt, wie die Finanzgerichtsbarkeit Indizien bewerten würde:
Beispiel 3 |
Zusammen mit der Einspruchsentscheidung, die als gewöhnlicher Brief mit der Deutschen Post AG versandt wurde, wird A auch ein Einschreiben zugestellt. Über die Sendungsverfolgung lässt sich der dokumentierte Zeitpunkt der Übergabe des Einschreibens belegen. Die Formulierung des BFH, dass aufgeklärt werden muss, „um wie viel Uhr die Post ausgeliefert worden ist“, ohne dabei auf die konkrete streitgegenständliche Sendung Bezug zu nehmen, lässt vermuten, dass dies als Nachweis ausreicht. |
3. Antrag auf schlichte Änderung als Alternative
Innerhalb der Einspruchsfrist i. S. des § 355 Abs. 1 AO kann alternativ auch ein Antrag auf schlichte Änderung gestellt werden. Er bedarf keiner Form, kann somit sogar telefonisch übermittelt werden. Aus Beweissicherungsgründen empfiehlt sich jedoch die Schriftform.
In diesem Fall kann das FA die Steuerfestsetzung nicht in vollem Umfang erneut überprüfen und eine Verböserung ist ausgeschlossen. Mit der beantragten Änderung nicht in sachlichem oder rechtlichem Zusammenhang stehende materielle Fehler der Steuerfestsetzung können aber ggf. über § 177 AO berichtigt werden (so ausdrücklich: AEAO zu § 172, Tz. 2).
Unabhängig davon ist während der Festsetzungsfrist eine Korrektur der Steuerfestsetzung nach den übrigen Vorschriften (§§ 129, 173 ff. AO) möglich. Zu beachten ist allerdings, dass der Steuerpflichtige eine genau bestimmte Änderung beantragen muss, während die Begründung bei einem fristgerechten Einspruch nachgereicht werden kann. Eine Erweiterung des Antrags auf schlichte Änderung ist nur innerhalb der Einspruchsfrist möglich.
Beachten Sie | Eine Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO) ist nur bei einem Einspruch und nicht aufgrund eines schlichten Änderungsantrags zulässig. Allerdings ist eine Stundung (§ 222 AO) möglich (AEAO zu § 172, Tz. 2).
AUSGABE: MBP 2/2025, S. 23 · ID: 50254312