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Elektronischer RechtsverkehrSo meistern Sie als Doppelberufsträger die neue Kommunikationspflicht mit Finanzämtern
| Mit dem Jahressteuergesetz 2024 vom 5.12.24 (BGBl I 24, Nr. 387, JStG 2024) hat der Gesetzgeber eine folgenreiche Entscheidung getroffen, die insbesondere für Rechtsanwälte mit Steuerberaterzulassung eine erhebliche praktische Herausforderung darstellt. Die Neuregelung des § 87a Abs. 1 S. 2 AO legt fest, dass die Kommunikation mit Finanzbehörden nahezu ausschließlich über das ELSTER-Verfahren bzw. die ERIC-Schnittstelle erfolgen muss. Damit hat sich die Finanzverwaltung einen Sonderweg gesetzlich festschreiben lassen, der im Widerspruch zur bisherigen einheitlichen Digitalisierungsstrategie der öffentlichen Verwaltung steht. |
Gesetzgebungsprozess als Achterbahnfahrt
Für Sie als Rechtsanwalt und Steuerberater bedeutet dies konkret: Während Sie im Rechtsverkehr mit Gerichten verpflichtet sind, das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) zu nutzen, müssen Sie für die Kommunikation mit Finanzämtern auf ELSTER zurückgreifen. Diese parallelen Strukturen führen nicht nur zu erhöhtem Verwaltungsaufwand, sondern bergen auch erhebliche Risiken bei der fristgerechten Einreichung von Rechtsmitteln. Dieser Beitrag thematisiert den turbulenten Gesetzgebungsprozess, analysiert die Reaktionen der betroffenen Berufsgruppen und gibt vor allem praxisorientierte Hinweise, wie Sie als Doppelberufsträger mit dieser Herausforderung umgehen können.
Vom Referentenentwurf zum Gesetz
Die Geschichte der Neuregelung des § 87a AO gleicht einer regelrechten Achterbahnfahrt. Im Bundestag wurde das Thema am 25.9.24 zunächst nicht aufgegriffen (BT-Plenarprotokoll 20/187, 24281D-24291D). Der Bundesrat hingegen nahm am 27.9.24 dazu Stellung und plädierte für die Einfügung der umstrittenen Regelungen (BR-Plenarprotokoll 1047, 348 f.). Die Bundesregierung kündigte daraufhin an, diesen Vorschlag zu prüfen (BT-Drs. 20/131579). Der Finanzausschuss griff die Thematik in seiner Beschlussempfehlung vom 16.10.24 wieder auf und schlug folgenden Wortlaut vor:
„Die Übermittlung elektronischer Nachrichten und Dokumente an Finanzbehörden mit einer qualifizierten elektronischen Signatur oder über das besondere elektronische Behördenpostfach ist nicht zulässig, soweit für die Übermittlung ein sicheres elektronisches Verfahren der Finanzbehörden zur Verfügung steht, das den Datenübermittler authentifiziert und die Vertraulichkeit und Integrität des Datensatzes gewährleistet; dies gilt nicht für Gerichte und Staatsanwaltschaften sowie in den Fällen, in denen die Übermittlung an Finanzbehörden mit einer qualifizierten elektronischen Signatur oder über das besondere elektronische Behördenpostfach gesetzlich vorgeschrieben ist (BT-Drs. 20/13419).“
Entscheidend für die Praxis: Obwohl die Regelung im Bundestag am 18.10.24 nicht einmal diskutiert wurde, wurde sie in der zweiten und dritten Beratung mit den Stimmen der damaligen Regierungsfraktionen angenommen. Der Bundesrat stimmte dem Gesetz schließlich ohne weitere Wortmeldung zu (BR-Plenarprotokoll 1049, 423-42.49).
Die Begründung zugunsten der Finanzverwaltung
Es wurde argumentiert, dass ELSTER als bevorzugter Kommunikationskanal den Bedarfen der Steuerverwaltung am besten entspreche. Mit über 20 Mio. Nutzern habe das System bereits eine hohe Marktdurchdringung erreicht und werde seit Jahren stabil und sicher betrieben. Die kontinuierliche Weiterentwicklung der ELSTER-Produkte im Rahmen des KONSENS-Vorhabens, einschließlich der neuen ELSTER-Secure- und MeinELSTER+App, würden zudem die Nutzerorientierung verbessern (BT-Drs. 20/13419, 249).
Massive Kritik der Berufsverbände
BRAK: Einheitlicher elektronischer Rechtsverkehr in Gefahr
Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) reagierte umgehend auf die Pläne des Bundesrats. In einer umfangreichen Stellungnahme kritisierte sie die Beschränkung der elektronischen Kommunikation auf das ELSTER-Verfahren bzw. die ERIC-Schnittstelle (zu den im Folgenden skizzierten Argumenten ausführlich BRAK, Stellungnahme Nr. 77/2024, S. 3 f.). Diese Regelung stehe im Widerspruch zur angestrebten Vereinheitlichung des elektronischen Rechtsverkehrs auf Basis des OSCI-Protokollstandards. Die BRAK wies darauf hin, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte seit dem 1.1.22 gesetzlich verpflichtet sind, das beA zu nutzen. Dieses System basiert auf dem OSCI-Standard, der auch im Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) verwendet wird. Die Verpflichtung, zusätzlich einen separaten Kommunikationsweg für die Finanzverwaltung zu nutzen, sei nicht nur unverständlich, sondern auch unverhältnismäßig. Praxisrelevant ist auch der Hinweis der BRAK, dass in der üblichen Kanzleisoftware eine Anbindung an die ELSTER-Schnittstelle in der Regel nicht vorgesehen ist. Dies bedeutet für Sie als Rechtsanwalt und Steuerberater einen erheblichen zusätzlichen technischen und organisatorischen Aufwand.
DAV: Technologie-Blockade statt Modernisierung
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisierte in seiner Stellungnahme vom 29.10.24 sowohl das Verfahren als auch den Inhalt der Neuregelung. Verfahrensrechtlich sei es problematisch, dass die umstrittene Regelung zunächst aufgrund breiter Ablehnung gestrichen wurde, dann aber ohne nachvollziehbare Begründung über den Finanzausschuss wieder in den Gesetzestext eingefügt wurde – ein Vorgang, den der DAV als intransparent und überraschend bewertete (DAV, Initiativstellungnahme, S. 2).
Inhaltlich bemängelte der DAV vor allem die praktischen Nachteile des ELSTER-Systems:
- 1. Verfahrensfragmentierung: Für jedes Steuerjahr und jede Steuerart müssen separate Einspruchsverfahren initiiert werden, was bei komplexen Fällen zu einer Vielzahl paralleler Verfahren führt (DAV, Initiativstellungnahme, S. 2 f).
- 2. Technische Begrenzungen: Die Übermittlung von Anhängen ist auf 100 MB bzw. 100 Seiten begrenzt. ELSTER führt automatische Prüfungen und Löschungen durch (DAV, Initiativstellungnahme, S. 3).
- 3. Wegfall alternativer Kommunikationswege: Faxgeräte sollen bis 2027 abgeschafft werden und E-Mail-Kommunikation wird von vielen Finanzämtern faktisch nicht angeboten (DAV, Initiativstellungnahme, S. 4).
Der DAV sah in dieser Entwicklung eine Technologie-Blockade, die strukturelle Defizite der Verwaltung zementiere, anstatt sie durch Modernisierung zu lösen.
Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht im DAV: Digitaler Rückschritt
Die Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht im DAV verabschiedete am 2.11.24 eine eindringliche Resolution. Sie warnte davor, dass ELSTER nicht auf die fristgerechte Übermittlung von Schriftsätzen ausgelegt sei und daher erhebliche Einschränkungen in der anwaltlichen Vertretung drohen könnten. Dies führe zu einem Verlust effektiver Rechtsschutzmöglichkeiten für die Bürger (www.iww.de/s13158, zuletzt geprüft am 29.3.25).
Wirtschaftsprüferkammer: Unzureichende technische Infrastruktur
Auch die Wirtschaftsprüferkammer kritisierte in ihrer Stellungnahme vom 4.11.24 die technischen Beschränkungen der Kommunikation über ELSTER und ERIC. Die Übermittlung sei auf einen konkreten Bescheid begrenzt und die Größe der Anhänge beschränkt. Es sei unvertretbar, Steuerberater und Rechtsanwälte daran zu hindern, Dokumente über ein spezielles elektronisches Postfach an die Behörden zu übermitteln (Wirtschaftsprüferkammer, Stellungnahme zum Regierungsentwurf des Jahressteuergesetzes 2024, S. 2).
Praktische Folgen für Ihren Kanzleialltag
Die Neuregelung betrifft zahlreiche für Ihre Praxis relevante Verfahren, darunter:
Merke | Nach dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung gelten elektronische Nachrichten und Dokumente, die unter Verstoß gegen § 87a Abs. 1 S. 2 AO mit einer qualifizierten elektronischen Signatur oder über das besondere elektronische Behördenpostfach an eine Finanzbehörde übermittelt wurden, mangels Zugangseröffnung nicht als zugegangen (AEAO zu § 87a, Nr. 2.1 Unterabs. 2 S. 1). Sie können insbesondere keine Antrags- oder Einspruchsfrist wahren (AEAO zu § 87a, Nr. 2.1 Unterabs. 2 S. 2)! |
- Einsprüche nach § 357 Abs. 1 S. 1 AO
- Anträge auf verbindliche Auskunft gemäß § 89 Abs. 2 S. 5 AO i. V. m. § 1 Abs. 1 S. 1 StAuskV
- Lohnsteueranrufungsauskünfte nach § 42e EStG
- Buchwertanträge nach dem Umwandlungssteuergesetz (§§ 3, 20, 21, 24 UmwStG)
- Kindergeldanträge (§ 67 Abs. 1 S. 1 EStG wurde ebenfalls angepasst)
Sonderfall: Steuerberaterpostfach (beSt)
Für reine Steuerberater ist die Regelung weniger einschneidend, da § 11 Abs. 2 S. 2 StBPPV bereits seit Jahren vorsieht, dass das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) nicht für die Kommunikation mit der Finanzverwaltung verwendet werden darf, wenn diese ein anderes sicheres elektronisches Verfahren bereitstellt. Für Rechtsanwälte mit Steuerberaterzulassung bedeutet die Neuregelung jedoch eine zusätzliche Hürde, da sie neben dem beA nun auch ELSTER in ihre Kanzleiabläufe integrieren müssen.
Offene Fragen in der Praxis
Trotz der eindeutigen Gesetzeslage bleiben einige Fragen offen:
- 1. Welche Fälle sind von der Ausnahmeregelung umfasst? Nach § 87a Abs. 1 S. 2 AO sind Fälle ausgenommen, in denen „die Übermittlung an Finanzbehörden mit einer qualifizierten elektronischen Signatur oder über das besondere elektronische Behördenpostfach gesetzlich vorgeschrieben ist.“ Welche Fälle dies konkret betrifft, ist nicht abschließend geklärt.
- 2. Wie verhält es sich mit Schriftformerfordernissen? Bei bestimmten Verfahren wie dem Einspruchsverzicht nach § 354 Abs. 2 S. 1 AO oder Anzeigen nach § 19 Abs. 5 S. 2 GrEStG und § 30 Abs. 1 ErbStG ist unklar, ob die elektronische Form mit qualifizierter Signatur noch zulässig ist.
Praxistipps für den Umgang mit der neuen Regelung
Beispiele |
1. Kurzfristige Maßnahmen
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2. Mittelfristige Strategie
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Deutlicher Rückschritt Fazit und Ausblick | Die Neuregelung des § 87a Abs. 1 S. 2 AO stellt einen deutlichen Rückschritt in der Digitalisierung des Steuerverfahrens dar. Statt eines einheitlichen, nutzerfreundlichen elektronischen Rechtsverkehrs entstehen Parallelstrukturen, die vor allem für Doppelberufsträger erheblichen Mehraufwand bedeuten. Für Ihre tägliche Praxis bedeutet die neue Regelung primär eines: erhöhte Wachsamkeit bei der Wahl des Kommunikationswegs mit Finanzbehörden. Die Verwendung des beA für die Kommunikation mit Finanzämtern birgt nun das erhebliche Risiko, dass Ihre Nachricht als nicht zugegangen gilt und Fristen nicht gewahrt werden können. Hoffnung auf ein Überdenken durch den Gesetzgeber Die massenhafte Kritik von Berufsverbänden und Praktikern lässt jedoch hoffen, dass der Gesetzgeber diese Regelung mittelfristig überdenkt. Eine technologieoffene Lösung, die beide Kommunikationssysteme zulässt und idealerweise miteinander verknüpft, wäre im Sinne einer modernen Verwaltung und würde den Bedürfnissen aller Beteiligten besser gerecht. Bis dahin müssen Sie als Rechtsanwalt und Steuerberater jedoch mit zwei parallel zu nutzenden Systemen leben – eine Herausforderung, die mit gezielter Organisation und klaren internen Abläufen gemeistert werden kann. |
- Bundesrechtsanwaltskammer, Stellungnahme Nr. 77/2024, elektronisch veröffentlicht unter: www.iww.de/s13159.
- Deutscher Anwaltverein, Initiativstellungnahme: zu § 87a Abs. 1 S. 2 AO n. F. Jahressteuergesetz 2024 in Fassung der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses, elektronisch veröffentlicht unter: www.iww.de/s13160.
- Wirtschaftsprüferkammer, Stellungnahme zum Regierungsentwurf des Jahressteuergesetzes 2024 in der Fassung der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des Bundestages, elektronisch veröffentlicht unter: www.iww.de/s13161.
Zum Autor | Prof. Dr. iur. Christoph Schmidt ist Professor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg. Weiterhin gründete er das Institut für digitale Transformation im Steuerrecht (IdTStR) an der gleichen Hochschule und leitet dieses seit März des Jahres 2023. Christoph Schmidt lehrt gegenwärtig auf dem Gebiet des allgemeinen Abgabenrechts und ist zudem Vorstandsmitglied sowie Vorsitzender des Fachausschusses I (Digitalisierbarkeit von Steuernormen) des Instituts für Digitalisierung im Steuerrecht e. V. (IDSt). In seiner Forschung befasst sich Christoph Schmidt insbesondere mit interdisziplinären Fragestellungen, die an der Schnittstelle zwischen Rechtswissenschaft, Verwaltungswissenschaft und Informatik einzuordnen sind.
AUSGABE: KP 9/2025, S. 156 · ID: 50439829