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KapitalgesellschaftenGestaltungssicherheit durch Anerkennung inkongruenter Gewinnausschüttungen
| Der BFH hatte seinerzeit entschieden, dass ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung einer GmbH, der von der Gesellschafterversammlung einstimmig gefasst worden ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann, als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zugrunde zu legen ist (BFH 28.9.22, VIII R 20/20). Die bisherige Verwaltungspraxis war damit überholt. Die Finanzverwaltung hat nun reagiert, erkennt inkongruente Gewinnausschüttungen unter bestimmten Voraussetzungen an und schafft damit erfreulicherweise Gestaltungssicherheit (BMF 4.9.24, IV C 2 - S 2742/19/10004 :003). |
1. Zum Hintergrund
§ 29 Abs. 3 S. 1 GmbHG sieht zwar als Grundregel vor, dass der auszuschüttende Gewinn nach dem Verhältnis der Gewinnanteile verteilt wird. Der Kapitalgesellschaft ist es jedoch unbenommen, ihren Gewinn in Einklang mit den gesellschaftsrechtlichen Vorgaben abweichend von diesem Maßstab „inkongruent“, „disquotal“ oder „disproportional“ zu verteilen. Voraussetzung dafür ist, dass der Gesellschaftsvertrag die quotenabweichende Verteilung des Gewinns ermöglicht, sei es in Gestalt einer entsprechenden Festlegung oder in Gestalt einer Öffnungsklausel. Die Gründe für einen derartig von den Beteiligungsquoten abweichenden Verteilungsschlüssel sind vielfältig:
- Ungleichmäßige Leistung der Gesellschaftereinlagen (§ 60 Abs. 2 AktG)Motive für einen abweichenden Verteilungsschlüssel
- Unterbewertete Sacheinlagen
- Abgeltung persönlicher Leistungsbeiträge eines Gesellschafters
- Anwendung des sog. Schütt-aus-hol-zurück-Verfahrens
- Verrechnung der Ausschüttung mit einem anderweitig verloren gehenden Verlustvortrag.
Diese Gründe mögen im Einzelfall steuerlich motiviert sein, rechtsmissbräuchlich sind sie indes schon deshalb nicht, weil sie regelmäßig „systemimmanent“ im Gesetz angelegt sind (Gosch, KStG, § 8, Rn. 146b, m. w. N.).
1.1 Gesellschaftsvertrag bzw. Satzungsklausel bisher entscheidend
Der BFH hatte bereits mit Urteil vom 19.8.99 (I R 77/96) entschieden, dass inkongruente Gewinnausschüttungen und inkongruente Wiedereinlagen steuerlich anzuerkennen sind und grds. auch dann keinen Gestaltungsmissbrauch i. S. d. § 42 AO darstellen, wenn andere als steuerliche Gründe für solche Maßnahmen nicht erkennbar sind. Dies entspricht mittlerweile ständiger Rechtsprechung. Die steuerliche Anerkennung einer inkongruenten Gewinnausschüttung setzte bislang zunächst voraus, dass eine vom Anteil am Grund- oder Stammkapital abweichende Gewinnverteilung zivilrechtlich wirksam bestimmt ist. Dies war regelmäßig der Fall, wenn eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt war (BMF 17.12.13, BStBl I 14, 63):
- Im Gesellschaftsvertrag wurde gem. § 29 Abs. 3 S. 2 GmbHG ein anderer Maßstab der Verteilung als das Verhältnis der Geschäftsanteile festgesetzt.
- Beachten Sie | Für eine nachträgliche Satzungsänderung zur Regelung einer ungleichen Gewinnverteilung ist gem. § 53 Abs. 3 GmbHG die Zustimmung aller beteiligten Gesellschafter erforderlich.
- Die Satzung enthält anstelle eines konkreten Verteilungsmaßstabs eine Klausel, nach der alljährlich mit Zustimmung der beeinträchtigten Gesellschafter oder einstimmig eine von der satzungsmäßigen Regelung abweichende Gewinnverteilung beschlossen werden kann, und der Beschluss ist mit der in der Satzung bestimmten Mehrheit gefasst worden.Öffnungsklausel anstelle eines konkret festgelegten Verteilungsmaßstabs
1.2 BFH setzte neue Maßstäbe zu inkongruenten Gewinnausschüttungen
Nun hatte der BFH mit dem o. g. Urteil vom 28.9.22 entschieden, dass ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung einer GmbH, der von der Gesellschafterversammlung einstimmig gefasst worden ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann, als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Der BFH widerspricht damit ausdrücklich der bisherigen Verwaltungspraxis (BMF 17.12.13, BStBl I 14, 63).
2. Steuerliche Anerkennung inkongruenter Gewinnausschüttungen durch aktuelle Verwaltungspraxis
Inkongruente Gewinnausschüttungen sind nach aktueller Verwaltungspraxis steuerrechtlich grds. dann anzuerkennen, wenn sie zivilrechtlich wirksam sind (vgl. BFH 28.9.22, VIII R 20/20, BFH/NV 23, 196). Dies ist nach der aktuellen Verwaltungspraxis (vgl. BMF 4.9.24, IV C 2 - S 2742/19/10004 :003) insbesondere in den folgenden Fällen gegeben:
2.1 Abweichende Regelung der Gewinnverteilung im Gesellschaftsvertrag
Es wurde im Gesellschaftsvertrag gem. § 29 Abs. 3 S. 2 GmbHG ein anderer Maßstab der Verteilung als das Verhältnis der Geschäftsanteile festgesetzt und die Ausschüttung entspricht diesem Verhältnis. Für eine nachträgliche Änderung des Gesellschaftsvertrags ist insoweit die Zustimmung der Gesellschafter erforderlich, die von der Veränderung nachteilig betroffen sind.
2.2 Öffnungsklausel für abweichende Gewinnverteilung
Der Gesellschaftsvertrag enthält eine Klausel, nach der mit Zustimmung der beeinträchtigten Gesellschafter eine von der satzungsmäßigen oder gesetzlichen Regelung abweichende Gewinnverteilung beschlossen werden kann, und der Beschluss ist mit den erforderlichen Zustimmungen und der ggf. im Gesellschaftsvertrag bestimmten Mehrheit gefasst worden.
2.3 Punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss
Zudem ist nun ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung, der von der Gesellschafterversammlung mit den Stimmen aller Gesellschafter gefasst worden ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann, als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zugrunde zu legen. Ein solcher Beschluss liegt vor, wenn seine Wirkung sich in der betreffenden Maßnahme als Einzelakt erschöpft, sodass die Satzung durch den Beschluss zwar verletzt wird, aber nicht mit Wirkung für die Zukunft geändert werden soll.
Beachten Sie | Ein satzungsdurchbrechender Gesellschafterbeschluss, der einen vom Regelungsinhalt der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand mit Dauerwirkung begründet, ist selbst bei Einstimmigkeit nichtig, wenn bei der Beschlussfassung nicht alle materiellen und formellen Bestimmungen einer Satzungsänderung – insbesondere die notarielle Beurkundung und die Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister gem. § 53 Abs. 3 S. 1, § 54 Abs. 1 GmbHG – eingehalten werden (BFH 28.9.22, VIII R 20/20, BFH/NV 23, 196).
2.4 Gespaltene Gewinnverwendung zeitlich inkongruenter Ausschüttungen
Der BFH hat mit Urteil v. 28.9.21 (VIII R 25/19) zudem entschieden, dass ein zivilrechtlich wirksamer Gesellschafterbeschluss, nach dem der auf den Mehrheitsgesellschafter gemäß seiner Beteiligung entfallene Anteil am Gewinn nicht ausgeschüttet, sondern in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage eingestellt wird, grds. auch steuerlich anzuerkennen ist. Dies gilt auch dann, wenn zugleich die Gewinnanteile von Minderheitsgesellschaftern ausgeschüttet werden. Die Einstellung eines Gewinnanteils in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage führt auch bei einem beherrschenden Gesellschafter nicht zum Zufluss von Kapitalerträgen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 i. V. m. § 11 Abs. 1 S. 1 EStG. Diese Urteilsgrundsätze stehen nicht im Widerspruch zu den in H 20.2 EStH 2023 aufgeführten BFH-Entscheidungen (Stichwort: „Zuflusszeitpunkt bei Gewinnausschüttungen - Beherrschender Gesellschafter/Alleingesellschafter“).
Beachten Sie | Bei einer AG sind inkongruente Gewinnausschüttungen hingegen nur anzuerkennen, wenn in der Satzung gem. § 60 Abs. 3 AktG ein vom Verhältnis der Anteile am Grundkapital (§ 60 Abs. 1 AktG) abweichender Gewinnverteilungsschlüssel festgelegt wurde und die Ausschüttung diesem Verhältnis entspricht. Eine inkongruente Gewinnausschüttung aufgrund einer Öffnungsklausel in der Satzung oder eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses erfüllen diese Voraussetzung nicht.
3. Relevanz für die Praxis
Die Finanzverwaltung schafft mit dem neuen BMF-Schreiben aus Anlass der aktuellen Rechtsprechung Gestaltungssicherheit durch Anerkennung inkongruenter Gewinnausschüttungen unter den genannten Voraussetzungen. Das aktuelle BMF-Schreiben ersetzt hierbei die bisherige Verwaltungspraxis und ist grds. in allen noch offenen Fällen anzuwenden. Inkongruente Gewinnausschüttungen sind somit nach aktueller Verwaltungspraxis steuerrechtlich grds. insbesondere dann anzuerkennen, wenn sie zivilrechtlich wirksam sind. Dieses ist bei einer abweichenden Regelung der Gewinnverteilung im Gesellschaftsvertrag, einer Öffnungsklausel für abweichende Gewinnverteilung im Gesellschaftsvertrag, einem punktuell satzungsdurchbrechenden Beschluss bzw. einer gespaltenen Gewinnverwendung zeitlich inkongruenter Gewinnausschüttungen gegeben.
AUSGABE: GStB 10/2024, S. 347 · ID: 50157413