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EEErbrecht effektiv

WertbestimmungDie wertmäßige – gutachterliche – Bestimmung von Pflichtteilsansprüchen und deren Überprüfung

Abo-Inhalt03.03.20252627 Min. LesedauerVon RA Uwe Gottwald, VorsRiLG a. D., Vallendar

| Sollen Pflichtteilsansprüche geltend gemacht werden, ist bei deren Prüfung zwischen den einzelnen Pflichtteilsansprüchen und deren Bewertung zu unterscheiden. Die Höhe des sog. ordentlichen Pflichtteilsanspruchs (§§ 2303, 2317, 2311, 2314 BGB) bestimmt sich nach dem (Netto-)Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls. Dies ist der Differenzwert zwischen dem Aktiv- und dem Passivbestand des Nachlasses. Zum Aktivbestand des Nachlasses zählen alle vererblichen Vermögenswerte des Erblassers, wie z. B. Kontoguthaben, Immobilienvermögen, Kunstwerke, Möbel etc. Zum Passivbestand des Nachlasses zählen die Erblasser- und Erbfallschulden. |

1. Grundlagen

Für die Ermittlung des Nachlasswertes spielt die Bewertung der zum Nachlass gehörenden Gegenstände und Forderungen sowie der Nachlassverbindlichkeiten eine wichtige Rolle, denn nach diesem Nachlasswert wird unter Berücksichtigung der jeweiligen Pflichtteilsquote die Höhe des Pflichtteilsanspruchs berechnet.

Das Gesetz gibt lediglich zwei Hinweise zur Bewertung: Nach § 2311 Abs. 2 S. 1 BGB ist der Wert, soweit erforderlich, durch Schätzung zu ermitteln und nach § 2311 Abs. 2 S. 2 BGB ist eine vom Erblasser getroffene Wertbestimmung nicht maßgebend. Im Rahmen der Bewertung des Nachlasses ist jedem zum Nachlassbestand gehörenden Gegenstand ein Geldbetrag zuzuordnen. Dabei gilt das Stichtagsprinzip, d.h. grundsätzlich ist der Wert zum Zeitpunkt des Erbfalls (Todestag) maßgebend. Nachträgliche Wertsteigerungen oder -minderungen bleiben außer Betracht. Als Umrechnungsmaßstab gilt der jeweilige Wert der Gegenstände. In der Praxis bereitet die Feststellung des Nachlasswertes erhebliche Schwierigkeiten, insbesondere weil im BGB und damit für das Erbrecht keine allgemein verbindliche Wertdefinition vorgegeben ist.

2. Die Nachlassbewertung

a) Bewertungsziel

Bewertungsziel ist nach den Grundsätzen des Pflichtteilsrechts, den vollen wirklichen (realen) Wert der Gegenstände zu bestimmen, denn der Pflichtteilsberechtigte soll wertmäßig (in Geld ausgedrückt) so gestellt werden, als wäre er zu dem seiner Pflichtteilsquote entsprechenden Bruchteil Erbe geworden (BGH ZEV 11, 29) und der Nachlass zum Stichtag versilbert worden (BGH ZEV 15, 482). Deshalb haben für die Bewertung

  • die nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung ermittelten Buchwerte sowie
  • die steuerlichen Einheitswerte

außer Betracht zu bleiben.

b) Der Verkehrswert

Für die Ermittlung des Nachlasswertes und einzelner Nachlassgegenstände ist eine bestimmte Wertberechnungsmethode nicht vorgeschrieben. Nach dem Grundgedanken des Gesetzes ist der Pflichtteilsberechtigte aber wirtschaftlich so zu stellen, als sei der Nachlass beim Tode des Erblassers in Geld umgesetzt worden. Deshalb muss sich die Bewertung von Nachlassgegenständen, die alsbald nach dem Erbfall veräußert worden sind, grundsätzlich – von außergewöhnlichen Verhältnissen abgesehen – an dem tatsächlich erzielten Verkaufspreis orientieren.

Wenn auf diese Weise ein effektiver Verkehrswert eines Nachlassgegenstandes nachgewiesen werden kann, hat dies bei Bestimmung des Nachlasswertes Vorrang vor einer nur an allgemeinen Erfahrungswerten orientierten Schätzung (OLG Frankfurt ZEV 03, 364). Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn wegen einer Änderung der Marktverhältnisse oder wegen konkreter Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche Veränderung des Nachlassgegenstandes auf diesen Nachweis nicht zurückgegriffen werden kann.

Der – möglichst zeitnahe – Verkaufserlös, nach der Rechtsprechung auch bis zu über zwei Jahren (OLG Frankfurt, a. a. O.), sogar bis zu fünf Jahren, bietet die grundsätzliche Orientierung für den Verkehrswert (BGH NJW-RR 93, 131). Die Beurteilung der Tatsache, ob eine Veräußerung „zeitnah“ erfolgt und damit für den Verkehrswert relevant ist, liegt im richterlichen Ermessen.

Merke | Eine Einigung zwischen Pflichtteilsberechtigtem und Pflichtteilsschuldner nach Eintritt des Erbfalls über die Bewertung von Nachlassposten aktiver oder (auch) passiver Art ist jederzeit möglich und bindend. Sie ist formlos möglich, aber ebenfalls durch das Pflichtteilsrecht anderer Beteiligter beschränkt.

Der Verkehrswert ist nur dann nicht maßgebend (vgl. Lenz-Brendel in: Bonefeld/Kroiß/Tanck, Der Erbprozess, 6. Aufl., 2023, § 7 Rn. 41), wenn

Merke | Ist kein Verkehrswert für einen Gegenstand, ein Grundstück oder ein Unternehmen nachgewiesen, kommt eine Schätzung und damit auch die Einholung eines Wertgutachtens durch einen ausgewiesenen Sachverständigen in Betracht. Da das Gesetz keine bestimmte Wertberechnungsmethode vorsieht, obliegt die Wahl derselben dem Tatrichter, der sich der Hilfe eines Sachverständigen bedienen und diesem nach § 404a ZPO Weisungen erteilen kann.

  • seit dem Erbfall wesentliche Veränderungen der Marktverhältnisse eingetreten sind,
  • beim Verkauf von Grundstücken wesentliche Veränderungen der Bausubstanz dargelegt sind und
  • außergewöhnliche Verhältnisse vorliegen, die eine Zugrundelegung des Verkaufserlöses ausnahmsweise nicht rechtfertigen.

c) Allgemeine Bewertungsgrundsätze

aa) Allgemeines

Die Gerichte beauftragen in aller Regel einen Sachverständigen mit der Schätzung des Nachlasses bzw. einzelner Nachlassgegenstände. Dabei geben sie teilweise dem Gutachter die Bewertungsmethode vor, teilweise überlassen sie dem Gutachter die Wahl der geeigneten Methode, überprüfen dann aber nicht nur die Anwendung, sondern auch die Auswahl der jeweiligen Bewertungsmethode auf ihre rechtliche Vertretbarkeit im konkreten Fall (BGH FamRZ 05, 99). Aufgabe des Gutachtens ist es, ein der Realität entsprechendes Bild über den Wert des Nachlasses zu verschaffen.

Die Auswahl der geeigneten Wertermittlungsmethode zur Feststellung des tatsächlichen Wertes einer Immobilie (auch anderer Gegenstände des Nachlasses) steht, wenn das Gesetz nicht die Anwendung eines bestimmten Verfahrens anordnet, im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Die Methodenwahl ist unter Berücksichtigung der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr bestehenden Gepflogenheiten und sonstiger Umstände des Einzelfalles zu treffen; sie ist zu begründen (BGH NJW-RR 19, 497).

bb) Die Verfahren zur Bewertung von Nachlassgegenständen

Grundsätzlich werden folgende Verfahren unterschieden (vgl. ausführlich: Staudinger/Herzog, 2021, § 2311 BGB Rn. 215–219):

  • Vergleichswertverfahren: Ermittlung des Wertes aus dem Durchschnitt verschiedener Vergleichspreise gleichwertiger Objekte (BGH NJW 04, 2671);
  • Ertragswertverfahren: Es findet statt, wenn Nachlasswerte ihrem Wesen nach einen Ertrag liefern können;
  • Sachwert- oder Substanzwertverfahren: Der Bewertung eines (veräußerbaren) Nachlassgegenstandes auf der Grundlage seiner Substanz liegt die Vorstellung zugrunde, dass der Nachlassgegenstand so viel wert ist, wie benötigt würde, um einen vergleichbaren Nachlassgegenstand zu reproduzieren;
  • Liquidationswert: Dieser entspricht dem Betrag, der dem Eigner nach Abschluss einer Zerschlagung als Wert des Vermögensgegenstandes (i. d. R. der Sachgesamtheit) verbleibt.

d) Die Bewertung von Grundstücken

aa) Allgemeines

In der Praxis steht, sofern im Einzelfall nicht auf den Verkehrswert abzustellen ist, die Bewertung von Grundstücken im Mittelpunkt. Die Schätzung nimmt der vom Gericht bestellte Sachverständige in seinem Gutachten vor. Dabei muss es sich um einen hinreichend qualifizierten Sachverständigen handeln, der unparteiisch ist. Das erstattete Gutachten muss die Abwägung zwischen den verschiedenen Bewertungsverfahren erkennen lassen, die Begründung dafür enthalten, weshalb sich der Sachverständige für eine bestimmte Bewertungsmethode entschieden hat, und es müssen die Gedankengänge des Gutachters nachvollziehbar sein. Ein Gutachten ist mangelhaft, wenn der Sachverständige in nicht nachprüfbarer Weise nur das Ergebnis seiner Untersuchungen mitteilt (OLG Düsseldorf NJW-RR 96, 189).

Praxistipp | In der forensischen Praxis werden auch die Gutachten des regionalen Gutachterausschusses in der Regel von den Parteien und dem Gericht akzeptiert. Da es sich stets um Privatgutachten handelt, können sich die Parteien einvernehmlich auf einen Gutachter einigen. In streitigen Fällen ist das Gutachten allerdings nicht geeignet, den Wert des Grundstücks im Wege der Schätzung zu bestimmen.

Bei der Auswahl und Anwendung der geeigneten Bewertungsmethode ist die Immobilienwertermittlungsverordnung anzuwenden (ImmoWertV; neugefasst am 1.1.22). Diese enthält verschiedene gleichrangige Ermittlungsverfahren, wobei auch mehrere Verfahren zur Wertermittlung herangezogen werden können. Sie unterscheidet die Anwendung nach der Art des Grundstücks.

Merke | Für alle Grundstücksarten sind bei der Wertermittlung solche Kosten stets zu berücksichtigen und damit abzugsfähig, die den Veräußerungserlös mindern. Dazu gehören eine auf dem Grundstück ruhende latente Einkommensteuerlast (Staudinger, a. a. O., Rn. 226) sowie als Belastungen Wieder- und Ankaufsrechte (OLG Brandenburg FamRZ 04, 1029).

bb) Unbebaute Grundstücke

Unbebaute Grundstücke werden, da i. d. R. ausreichende Vergleichsgrundstücke vorhanden sind, nach der Vergleichswertmethode bewertet. Vergleichsmaßstab sind i. d. R. andere Grundstücke. Insoweit kann auch auf die örtlichen Gutachterausschüsse zurückgegriffen werden.

cc) Eigen genutzte Häuser/Eigentumswohnungen

Hier findet grundsätzlich das Sachwertverfahren, bei dem die möglichen Herstellungskosten der Immobilie und der durch Preisvergleich ermittelte Grundstückswert im Vordergrund stehen, Anwendung (OLG Köln ZEV 06, 77). Je nach Alter und Abnutzung kann vom Sachwert für Baumängel oder einen vorhandenen Renovierungsstau ein Abzug vorgenommen werden. Bei Eigentumswohnungen kann auch das Vergleichswertverfahren angewandt werden, wenn es eine aussagekräftige Anzahl von Vergleichsobjekten gibt (BGH NJW-RR 19, 497).

dd) Vermietete fremd genutzte Immobilie

Insoweit handelt es sich um ein sog. Renditeobjekt. Maßstab ist der erzielbare Zukunftswert der Immobilie für den potenziellen Erwerber. Es wird deshalb der Verkehrswert grundsätzlich nach dem Ertragswertverfahren, bei dem der Wert auf der Grundlage marktüblich erzielbarer Erträge ermittelt wird, bestimmt.

ee) Unternehmen

Ist bei Unternehmen kein zeitnaher Kaufpreis oder Liquidationserlös bekannt, fehlt es an einem Verkehrswert. Deshalb ist in diesen Fällen der Wert des Unternehmens zu schätzen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist die Ertragswertmethode im Regelfall geeignet, den Wert des Unternehmens zu bestimmen (BGH ErbR 19, 429, 432). Im Rahmen der Ertragswertmethode wird die Summe aller zukünftigen Erträge des fortgeführten Unternehmens ermittelt (Zukunftserfolgswert), und zwar durch eine Rückschau auf die Erträge des Unternehmens in den letzten Jahren. Auf dieser Grundlage wird eine Prognose zur Ertragslage der nächsten Jahre erstellt. Damit wird das Unternehmen in seiner Gesamtheit bewertet. Der Ertragswert eines Unternehmens ist nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen allein aus seiner Eigenschaft abzuleiten, nachhaltig ausschüttbare Überschüsse zu produzieren; diese werden kapitalisiert und auf den Bewertungsstichtag bezogen (BGH FamRZ 18, 93; FamRZ 16, 1044). Wird das Unternehmen fortgeführt, ist der Wert grundsätzlich nach der Ertragswertmethode zu ermitteln. Wird das Unternehmen nicht weitergeführt, können die Substanzwert- und die Liquidationswertmethode zur Anwendung kommen (BGH ErbR 19, 429, 432).

ff) Freiberufliche Praxen

Für freiberufliche Praxen besteht Einigkeit, dass die persönliche Beziehung des Inhabers zu seiner Praxis bzw. zu seinem Büro bei der Bestimmung des Verkehrswertes zu berücksichtigen ist. Dem wird überwiegend durch den Ansatz des Substanzwertverfahrens zuzüglich des „Goodwill“ Rechnung getragen. Daher wird dafür plädiert, auch bei Freiberuflerpraxen ein modifiziertes Ertragswertverfahren anzuwenden, das sich an den durchschnittlichen Erträgen orientiert und davon einen Unternehmerlohn des Inhabers absetzt, wobei sich die Bestimmung dieses Unternehmerlohns an den individuellen Verhältnissen des Inhabers orientiert; denn nur auf diese Weise kann der auf den derzeitigen Inhaber bezogene Wert ausgeschieden werden (vgl. ausführlich: Staudinger, a. a. O., Rn. 260).

gg) Sonstige werthaltige Gegenstände im Nachlass

Im Nachlass können z. B. Gemälde, wertvolle Schmuckstücke, Antiquitäten und sonstige werthaltige Gegenstände sein. Ist ein zeitnaher Verkaufspreis oder Liquidationserlös nicht bekannt, fehlt es an einem Verkehrswert der Gegenstände. Sie sind von einem sach- und fachkundigen Sachverständigen zu bewerten.

e) Einwendungen gegen ein Wertgutachten

Mit der folgenden Checkliste lässt sich ein entsprechendes Wertgutachten überprüfen, um es ggf. mit geeigneten Einwendungen anzugreifen.

Checkliste / Einwendungen gegen ein Wertgutachten

  • Liegen methodische Fehler vor? Sind insbesondere die unterschiedlichen Bewertungsmethoden, wie z. B.
    • Vergleichswertverfahren,
    • Ertragswertverfahren,
    • Sachwert- oder Substanzwertverfahren oder der
    • Liquidationswert
  • sachgerecht angewandt?
  • Basiert das Gutachten auf Annahmen, die nicht realistisch sind, z. B., weil Markttrends und/oder Ertragsentwicklungen nicht berücksichtigt sind?
  • Sind die zugrunde gelegten Daten fehlerhaft oder unvollständig, wie z. B. Flächengrößen, Zustand oder Lage des Grundstücks?
  • Wurden wertbeeinflussende Faktoren wie z. B. die Bodenbeschaffenheit, Grundbuchbelastungen und Nutzungseinschränkungen nicht berücksichtigt?
  • Sind alle rechtlichen Aspekte im Gutachten bei der Bewertung von Grundstücken berücksichtigt, wie z. B. das örtliche Baurecht, Denkmalschutz oder andere Nutzungseinschränkungen?
  • Kommen in dem Gutachten subjektive Einschätzungen wie z. B. Unterschiede
    • in der Expertise oder
    • der Auffassung von Kunst bei Kunstgegenständen oder
    • zur Einschätzung eines Unternehmenswertes
  • zum Ausdruck?
  • Ist das Gutachten aktuell? Haben sich z. B. die Marktbedingungen oder das Kaufverhalten seit der Erstellung des Gutachten geändert?
  • Liegen Widersprüche zu anderen erstellten Gutachten vor, welche signifikant sind und auf Fehler oder methodische Schwächen hinweisen?
  • Sind Befangenheit oder sonstige Interessenkonflikte bekannt, welche die Neutralität und Objektivität des Gutachtens infrage stellen?

AUSGABE: EE 3/2025, S. 50 · ID: 50294277

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