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Ausschlagung Anfechtung der Ausschlagung bei Irrtum über die Zusammensetzung oder den Wert des Nachlasses
| Zwei aktuelle Urteile zur Anfechtung der Ausschlagungserklärung zeigen, dass sich der ausschlagende Personenkreis in vielen Fällen keine wirklichen Gedanken um die Zusammensetzung des Nachlasses gemacht hat und deshalb „vorschnell“ ausschlägt. Das führt dann meist zum Scheitern der Anfechtung der Ausschlagung. |
1. OLG Zweibrücken: Irrtum über Zusammensetzung des Nachlasses muss kausal für die Ausschlagung sein
. 243835
Nach einer aktuellen Entscheidung des OLG Zweibrücken (14.8.24, 8 W 102/23, Abruf-Nr. 243835) liegt ein zur Anfechtung der Erbausschlagung berechtigender Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses nur vor, wenn sich der Anfechtende über die Zusammensetzung des Nachlasses (Zugehörigkeit bestimmter Aktiva oder Passiva zum Nachlass) geirrt hat, nicht hingegen bei bloßen Fehlvorstellungen über den Wert einzelner Nachlassgegenstände oder -verbindlichkeiten. Selbst ein grundsätzlich beachtlicher Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses führt nur dann zu einer wirksamen Anfechtung, wenn er für Letztere bei wirtschaftlicher Betrachtung kausal war, d. h. der Erbe die Ausschlagung bei Kenntnis der Sachlage nicht erklärt hätte.
Im Kern ging es in dem Fall darum, dass eine Erbin nach Auffassung des OLG ihre Ausschlagung angefochten hatte, weil sie einen ihr aufgrund der Erbschaft zustehenden Grundbesitzanteil der Erblasserin mit bestehenden Belastungen nicht für (ausreichend) werthaltig gehalten habe. Ihre Annahme der Überschuldung des Nachlasses beruhte daher nach Ansicht des OLG auf einer unzutreffenden Vorstellung über den Wert des Nachlasses, nicht über dessen Zusammensetzung. Sei dem Anfechtenden die Zusammensetzung des Nachlasses bekannt und hatte er lediglich falsche Vorstellungen von dem Wert der einzelnen Nachlassgegenstände bzw. Aktiva und Passiva des Nachlasses, so stelle sich dies als unbeachtlicher Motivirrtum dar (Grüneberg/Weidlich, BGB, 83. Aufl., § 1954 Rn. 6); zum Ganzen auch OLG Düsseldorf 16.11.16, 3 Wx 12/16).
Soweit sich die Beteiligte in ihrer Anfechtungserklärung darauf berufen hat, dass sie erst im Nachhinein von einem zum Nachlass gehörenden Bankkonto mit einem vierstelligen Guthaben erfahren habe, läge somit zwar ein beachtlicher Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses vor. Insoweit fehle es aber an der Kausalität dieses Irrtums für die erfolgte Ausschlagung der Erbschaft. Hätte sie Kenntnis von dem Bankkonto mit einem Guthaben in vierstelliger Höhe gehabt, hätte nach ihrer Vorstellung immer noch eine Überschuldung von mehr als 30.000 EUR vorgelegen, sodass als sicher angenommen werden kann, dass sie auch ohne diesen Irrtum über das Vorhandensein des Bankkontos die Ausschlagung der Erbschaft erklärt hätte.
2. OLG Frankfurt: Überschuldung des Nachlasses als verkehrswesentliche Eigenschaft?
. 243836
Das OLG Frankfurt (24.7.24, 21 W 146/23, Abruf-Nr. 243836) hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Überschuldung des Nachlasses als verkehrswesentliche Eigenschaft i. S. d. § 119 Abs. 2 BGB anzusehen ist oder der Irrtum als verkehrswesentlicher Eigenschaftsirrtum i. S. d. § 119 Abs. 2 BGB betreffend die konkrete Zusammensetzung des Nachlasses zu beurteilen ist.
Nach Ansicht des OLG Frankfurt ist ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft anzunehmen, wenn der Annehmende falsche Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses, hinsichtlich des Bestandes an Aktiva oder Passiva habe. Soweit die Rechtsprechung teilweise die Überschuldung des Nachlasses als verkehrswesentliche Eigenschaft ansehe, folgt der Senat dem nicht. Denn der Wert sei anders als die wertbildenden Faktoren keine Eigenschaft einer Sache im Sinne von § 119 Abs. 2 BGB. Die Überschuldung des Nachlasses sei ihrerseits Ergebnis der Bewertung der einzelnen Aktiv- und Passivpositionen des Nachlasses. Sie sei damit ebenfalls eine Aussage über den Wert und daher keine Eigenschaft des Nachlasses. Die irrtümliche Vorstellung über eine Überschuldung sei vielmehr im Rahmen der Kausalitätsprüfung zu berücksichtigen.
In dem Fall war die Tochter der Erblasserin als Erbin davon ausgegangen, im Nachlass sei kein Aktivvermögen. Diesen Eindruck hatte sie aufgrund verschiedener Umstände gewonnen, u .a. aus einer Mitteilung einer Kriminalbeamtin, dass die Wohnung der Erblasserin in einem chaotischen und unaufgeräumten Zustand gewesen sei. Auf Nachfrage wurde der Tochter weiter mitgeteilt, dass sich die Wohnung nicht in der besten Wohngegend befinde.
Nach Anhörung der Tochter ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass diese zum Zeitpunkt der Erklärung der Ausschlagung irrtümlich falschen Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses unterlag und sich insofern über das Vorhandensein der Guthaben auf Spar- und Girokonto geirrt habe. Dieser Irrtum sei jedenfalls mitursächlich für die Erklärung, das Erbe auszuschlagen, gewesen (wird ausgeführt). Auf dieser Grundlage hat das OLG die für die Erteilung des von der Tochter beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet und das Amtsgericht angewiesen, einen entsprechenden Erbschein zu erteilen.
3. Einordnung und Konsequenzen der Entscheidungen
Die unterschiedlichen Auffassungen, ob die Überschuldung des Nachlasses eine verkehrswesentliche Eigenschaft i. S. d. § 119 Abs. 2 BGB (so die weitaus h. M.; vgl. zuletzt OLG Karlsruhe NJW-RR 23, 225; OLG Bremen NJW-RR 21, 391; OLG Brandenburg ErbR 19, 704; KG ErbR 18, 711) oder die Überschuldung des Nachlasses im Rahmen der Kausalität des Irrtums für die Ausschlagungserklärung zu berücksichtigen ist (so das OLG Frankfurt), ändert an den Ergebnissen nichts, da auch bei Einordnung der Überschuldung als verkehrswesentliche Eigenschaft ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum nur dann angenommen wird, wenn dieser auf falschen Vorstellungen über die Zusammensetzung und den Bestand des Nachlasses beruht. Im Unterschied zum OLG Frankfurt hat das OLG Zweibrücken die Frage, ob die Überschuldung des Nachlasses eine verkehrswesentliche Eigenschaft ist, offengelassen und ebenfalls die Auffassung vertreten, dass ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum nur dann vorliegt, wenn sich der Anfechtende über die Zusammensetzung des Nachlasses (Zugehörigkeit bestimmter Aktiva und Passiva) geirrt hat, nicht hingegen bei bloßen Fehlvorstellungen über den Wert einzelner Nachlassgegenstände oder -verbindlichkeiten. Dazu hat das OLG Zweibrücken die Kausalität des Irrtums für die wirksame Anfechtung betont und ausgeführt, dass der Irrtum bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise kausal für die Ausschlagung sein muss.
Das KG (a .a. O.) hat – anders als das OLG Frankfurt – wie folgt formuliert: „Die irrtümliche Annahme, der Nachlass sei überschuldet, stellt einen Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB dar, wenn der Irrtum nicht nur auf einer unzutreffenden Bewertung der dem Erklärenden bekannten Nachlassgegenstände, sondern vielmehr auf einer unrichtigen Vorstellung über die Zusammensetzung des Nachlasses beruhte, wenn also der Erbe nur deshalb von einer Überschuldung ausging, weil er keine Kenntnis von einem weiteren werthaltigen Nachlassgegenstand hatte.“
Die Auffassung des OLG Frankfurt ist die aus dogmatischen Gründen vorzuziehende Ansicht, weil sie es zu Recht ablehnt, die „Überschuldung des Nachlasses“ als verkehrswesentliche Eigenschaft i. S. d. § 119 Abs. 2 BGB anzusehen. Das OLG Zweibrücken hat diese dogmatische Frage offengelassen und kommt damit ebenfalls zum gleichen Ergebnis.
4. Hinweise für die (Beratungs-)Praxis
In der Praxis ist nicht selten allein vom Hörensagen bekannt, dass der Nachlass überschuldet sei. So wie im Falle des OLG Zweibrücken erfolgt dann die Ausschlagung mit der Angabe, dass der Nachlass nach Kenntnis des Ausschlagenden überschuldet sei. Diese – meist nicht mit Fakten begründete – Erkenntnis wird dann an mutmaßliche Miterben weitergetragen, die aus den gleichen Gründen ausschlagen, ohne sich durch eigenes Handeln Kenntnisse über den Bestand des Nachlasses zu verschaffen. Wer sich aber schon keine Kenntnisse über den Bestand des Nachlasses verschafft hat, kann sich nicht in einem Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses befunden haben. Ohne Kenntnis vom Bestand des Nachlasses sollte schlicht keine Ausschlagung erklärt werden.
War dem Erben hingegen die Zusammensetzung des Nachlasses bekannt und hatte er lediglich falsche Vorstellungen vom Wert einzelner Nachlassgegenstände bzw. von den Aktiva und Passiva des Nachlasses, stellt sich dies als unbeachtlicher Motivirrtum dar.
Willkürliche Ungleichbehandlung muss vermieden werden Merke | Die §§ 1954 ff. BGB enthalten Sondervorschriften zu den §§ 119 ff. BGB über Form und Frist der Anfechtung sowie der Wirkung der Anfechtung (ergänzend: § 1957 BGB). Die Bedeutung des Irrtums über den Berufungsgrund ist in § 1949 BGB besonders geregelt. Ein solcher Irrtum macht die Ausschlagung (auch die Annahme) ohne jegliche Anfechtung unwirksam. |
Die Annahme der Erbschaft führt – auch bei überschuldetem Nachlass – grundsätzlich nicht zur Haftung des Erben für die Nachlassverbindlichkeiten. Der Erbe kann die Haftung bis auf den Fall der Inventaruntreue (§ 2005 Abs. 1 BGB) stets im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auf den Nachlass beschränken und muss nicht mit seinem Eigenvermögen für die Nachlassverbindlichkeiten einstehen (§§ 1989 ff. BGB). Das setzt allerdings ein Handeln des Erben und eine gewisse Wachsamkeit voraus, wenn gegen ihn persönlich im Wege der Klage Nachlassverbindlichkeiten geltend gemacht werden.
Abschließend soll die folgende Checkliste Hilfestellung bei der Frage bieten, ob die Ausschlagung erfolgreich angefochten werden kann.
Checkliste / Anfechtung der Ausschlagung |
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- Zur Anfechtbarkeit einer lenkenden Ausschlagung der Erbschaft wegen Motivirrtum siehe EE 23, 111
- Ausschlagung der Erbschaft kann Ersatzerbeneinsetzung ungültig werden lassen, EE 23, 5
AUSGABE: EE 10/2024, S. 165 · ID: 50152092