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WiderrufFeststellungslast und Vermutungswirkung für den Widerruf eines Testaments durch Durchstreichen
| Das OLG München hat darüber befunden, ob Durchstreichungen in einem dreiseitigen eigenhändigen Testament zu dessen Widerruf führten. |
Sachverhalt
Die Erblasserin hinterließ ein eigenhändiges Testament, in dem sie ihren Lebensgefährten zum Alleinerben einsetzte. Ihre Brüder hatte sie ausdrücklich enterbt. Dieses Testament wies zum Zeitpunkt des Auffindens über alle drei Seiten, die physisch nicht miteinander verbunden waren, jeweils schräge Durchstreichungen auf, die den gesamten Text umfassten. Auf Grundlage dieses Testaments beantragte der Lebensgefährte einen Alleinerbschein.
Das Nachlassgericht kündigte die Erteilung des Erbscheins mit der Begründung an, dass das Testament durch die Durchstreichungen nicht widerrufen worden sei. Es seien Zweifel verblieben, ob die Durchstreichungen von der Erblasserin vorgenommen worden seien, diese Zweifel gingen aber zulasten der enterbten Brüder. Deren Beschwerde hat das Nachlassgericht unter Hinweis auf eine Entscheidung des OLG Düsseldorf (29.9.17, I-3 Wx 63/16) nicht abgeholfen und die Akten dem OLG München zur Entscheidung vorgelegt.
Abruf-Nr. 238713
Das OLG München (13.10.23, 33 Wx 73/23, Abruf-Nr. 238713) hat nach mündlicher Verhandlung und Anhörung der Beteiligten der Beschwerde stattgegeben und den Erbscheinsantrag des Lebensgefährten zurückgewiesen.
Leitsätze: OLG München 13.10.23, 33 Wx 73/23 |
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Entscheidungsgründe
Zur Begründung hat das OLG ausgeführt, dass das eigenhändige Testament formwirksam errichtet worden sei. Streitig sei allein, ob dieses Testament von der Erblasserin in Widerrufsabsicht durchgestrichen worden sei, oder ob die Durchstreichungen von einer dritten Person, oder aber von der Erblasserin, aber nicht in Widerrufsabsicht, erfolgt seien. Das OLG war nach den vom Nachlassgericht durchgeführten Ermittlungen und der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Erblasserin das fragliche Testament in Widerrufsabsicht vernichtet (§ 2255 BGB) hat.
Grundsätzlich trage derjenige die Feststellungslast für die Wirksamkeit eines Testaments, der Rechte aus diesem herleiten will. Die Feststellungslast für eine Widerrufshandlung des Erblassers in Widerrufsabsicht trage derjenige, der sich darauf berufe. Falls sich die vorhandene Urkunde bis zuletzt im Gewahrsam des Erblassers befunden habe und keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Veränderungen an der Urkunde von Dritten vorgenommen worden seien, seien die Anforderungen an den Beweis, dass die Veränderung der Urkunde auf eine Handlung des Erblassers zurückzuführen sei, nicht hoch anzusetzen.
Das Testament habe sich bis zum Tode im Besitz der Erblasserin befunden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Senat davon überzeugt, dass Dritte die Veränderungen an dem Testament nicht vorgenommen haben, so dass daraus zu schließen sei, dass die Erblasserin die Streichungen (selbst) vorgenommen habe. Gemäß § 2255 S. 2 BGB werde mithin vermutet, dass die Erblasserin die Streichungen in Widerrufsabsicht vorgenommen habe. Diese Vermutung sei auch nicht widerlegt, weil es für den Willen der Erblasserin, das durchgestrichene Testament fortgelten zu lassen, bis sie eine neue Verfügung von Todes wegen errichtet hatte, bereits an belastbaren Anknüpfungstatsachen fehle (wird ausgeführt).
Relevanz für die Praxis
Für die Praxis ist bedeutsam, dass der Widerruf durch Vernichtung oder Veränderung der eigenhändigen Testamentsurkunde eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung darstellt. Dabei ist § 2255 BGB von der Bestimmung des § 2258 BGB abzugrenzen. Änderungen nach § 2255 BGB werden nicht in einem neuen Testament angeordnet und setzen eine (zumindest teilweise) Widerrufsabsicht voraus, während nach § 2258 BGB ein inhaltlicher Widerspruch zwischen zwei Testamenten vorliegt, der nicht vom Erblasser bedacht sein muss.
Praxistipp | Unter Vernichtung ist das endgültige Beseitigen der Urkunde zu verstehen. Als sicherste Methode ist das Verbrennen zu nennen, weniger sicher das Zerreißen, denn eine zerrissene Testamentsurkunde kann wieder zusammengesetzt werden. Dann kann Streit entstehen, ob die Urkunde vom Erblasser in Widerrufsabsicht oder versehentlich zerrissen worden ist. Als Veränderungshandlungen kommen u. a. in Betracht:
Unklarheiten mittels Widerrufstestament vorbeugen Bei allen Handlungen ist subjektiv die Widerrufs- oder Aufhebungsabsicht Voraussetzung. Dabei greift die Vermutung des § 2255 S. 2 BGB nur dann ein, wenn feststeht, dass der Erblasser selbst die Urkunde vernichtet oder verändert hat (BayObLG FamRZ 05, 1779), denn diese knüpft allein an eigenen Handlungen des Erblassers an und ist widerlegbar (Grüneberg / Weidlich, a. a. O. Rn. 7). Zur Vermeidung von Problemen bei der Feststellung der Widerrufsabsicht bei Vernichtung oder Veränderung der Testamentsurkunde wird empfohlen, ein Widerrufstestament i. S. d. § 2258 BGB zu errichten. |
AUSGABE: EE 2/2024, S. 21 · ID: 49827599