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Künstliche IntelligenzEinsatzmöglichkeiten von ChatGPT & Copilot in der erbrechtlichen Praxis
| Die Begriffe Künstliche Intelligenz (KI), Legal Tech und Smart Contracts begegnen uns fast täglich. Die technische Entwicklung ist rasant. Es steht außer Frage, dass KI auch juristisches Arbeiten erheblich beeinflussen wird bzw. schon beeinflusst. Obwohl KI noch in den „Kinderschuhen“ steckt, kann sie schon jetzt dazu beitragen, zeitraubende und sich wiederholende Aufgaben zu automatisieren und somit den Kanzleialltag effizienter zu gestalten. Wie KI in erbrechtlich ausgerichteten kleinen und mittelständischen Kanzleien effektiv angewandt werden kann, beleuchtet dieser Beitrag. |
1. Was ist KI?
KI, auch bekannt als Artificial Intelligence (AI), umfasst Technologien, die es Computern und Maschinen ermöglichen, Aufgaben zu erledigen, die normalerweise menschliche Intelligenz erfordern würden. Sie beinhaltet eine klare, logische Struktur, die grammatisch einwandfrei ist. Die Sprache ist objektiv, sachlich, vorurteilsfrei und emotionslos. Zudem werden Formatierungsregeln und Zitierungen beachtet. Machine Learning (ML), Natural Language Processing (NLP) und Deep Learning (DL) sind Beispiele für verschiedene Teilbereiche der künstlichen Intelligenz. Diese Systeme basieren in der Regel auf Algorithmen und Modellen, die Datenmuster erkennen und Entscheidungen treffen können. KI-Technologien werden bereits in vielen Branchen eingesetzt und sind auch im Alltag weit verbreitet, z. B. Gesichtserkennungen an Smartphones, Sprachassistenten oder Fahrzeugassistenzsysteme.
2. Für den Erbrechtler interessant: ChatGPT und Copilot
Derzeit sind die Chatbots „ChatGPT“ und der Microsoft „Copilot“, bis vor kurzem noch bekannt als Bing Chat, für den Einsatz in der Kanzlei interessant. Das Sprachmodell ChatGPT wurde von OpenAI entwickelt und trainiert, um natürliche Sprache zu verstehen und menschenähnliche Konversationen zu führen. ChatGPT basiert auf den Modellen GPT-3 bzw. GPT-4 und verwendet Deep-Learning-Algorithmen, um auf viele Themen sachlich zu antworten und Antworten zu generieren, die menschlichen Antworten ähneln. Mit ChatGPT können Texte erstellt und bearbeitet werden. Das KI-Tool kann juristische Texte objektiv, verständlich und logisch strukturiert umformulieren, ohne subjektive Bewertungen zu beinhalten. Die Struktur des Textes entspricht der üblichen akademischen Gliederung und berücksichtigt Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung.
Beachten Sie | ChatGPT verfügt über keine Modelle, um juristische Probleme zu lösen oder zu argumentieren. Es kann auch nicht selbstständig denken, ist aber imstande, juristische Texte umzuformulieren, auszuarbeiten, zu analysieren und zu beantworten. Die Antworten basieren auf Wahrscheinlichkeiten, wobei vorhandene Daten berücksichtigt werden. ChatGPT berechnet dabei die wahrscheinlichste Antwort, die dem Nutzer nützlich sein kann. Chatbots können jedoch (noch) keine Sachverhalte aufnehmen, streitige Sachverhalte klären, Beweisaufnahmen durchführen und analysieren, kreative neue rechtliche Lösungen finden, Wertentscheidungen treffen oder Strategien entwickeln. Mithilfe sogenannter „Plugins“, die allerdings derzeit nur in der Bezahlversion von ChatGPT verfügbar sind, kann ChatGPT mittlerweile auch auf das Internet zugreifen.
Der Chatbot „Copilot“ liefert kürzere Antworten als ChatGPT, kann aber das Internet auch ohne einen kostenpflichtigen Account live durchsuchen und für seine Recherchen nutzen. Da viele juristische Beiträge und Gerichtsentscheidungen online verfügbar sind, können damit unter Umständen präzisere Ergebnisse erzielt werden. Vorteilhaft ist auch, dass man die von „Copilot“ erzeugten Links und die darin enthaltenen, vom Bot verwendeten Inhalte selbst auf Plausibilität, Reputation und Nutzen überprüfen kann. Im Vergleich zu Copilot liegt die Stärke von ChatGPT darin, dass es größere Textmengen im juristischen Bereich bearbeiten kann. Das bedeutet: Es können lange Texte zusammengefasst, andere Argumente gegenübergestellt und Gegenpositionen formuliert oder umfassendere Verträge analysiert und bearbeitet werden.
3. Der Schlüssel zum Erfolg: Der richtige Prompt
Ein „Prompt“ ist eine Anweisung oder eine Frage an den Chatbot, die dazu dient, relevante und nützliche Informationen zu erhalten oder Texte zu generieren. Prompts können z. B. genutzt werden, um Texte zusammenzufassen, Fragen zu beantworten oder sogar juristische Schreiben zu entwerfen. Sie liefern dem KI-Modell Kontext und geben einen Hinweis darauf, welche Art von Antwort oder Inhalt der User erwartet. Qualität und Relevanz der generierten Antwort hängen entscheidend von der Klarheit und Präzision der Prompts ab.
Letztlich gibt es für die Eingaben keine „goldene Regel“. Ein strukturierter Prompt führt aber meist zu genaueren Ergebnissen als ein unstrukturierter und pauschaler Prompt. Um das gewünschte Ergebnis zu erhalten, muss der Prompt möglichst eindeutig und umfassend sein. Nennen Sie daher immer die aktuelle Situation, um dem Chatbot zu helfen, Ihre Problemstellung besser zu verstehen. Erklären Sie dem Chatbot, um welches Thema es geht, welche Rolle Sie oder der Chatbot einnehmen und welches spezielle Problem gelöst werden soll. Sollen wichtige Teile des Prompts betont werden, helfen Anführungszeichen, um den Chatbot auf die wichtigsten Informationen zu fokussieren.
Bei komplexen rechtlichen Themen empfiehlt es sich, einzelne Teile in mehrere Prompts aufzugliedern. Grundsätzlich gilt: Kurze, klare Sätze sind besser als lange und verschachtelte. Man sollte also so konkret, klar und präzise wie möglich formulieren und deutliche Anweisungen erteilen („Schreibe ...“, „Nenne mir ...“). Benötigt man umfangreichere Antworten, bieten sich offene Fragen an.
Sind die Antworten nicht zufriedenstellend, können sie in mehreren Schritten verbessert und angepasst werden, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Oft reichen hierzu schon geringfügige Änderungen, Auslassungen und Ergänzungen aus. Das Risiko für falsche Informationen lässt sich auch durch einfache Rückfragen wie „Was sind deine Quellen?“ oder „Betrifft diese OLG-Entscheidung tatsächlich die Frage der erbvertraglichen Bindungswirkung bei Vor- und Nacherbschaftsregelung?“ identifizieren. Mit anderen Worten: Führen Sie mit dem Chatbot eine Konversation. Stellen Sie Nachfragen und bitten um weitere Details, um genauere Antworten zu erhalten!
Dem Chatbot eine Rolle zuweisen PRAXISTIPP | Weisen Sie dem Chatbot eine Rolle zu! Für erbrechtliche Anwendungen empfiehlt es sich, dem Chatbot den Hintergrund der Anfrage durch eine klare Anweisung mitzuteilen. So steigern Sie die Qualität der Ergebnisse deutlich. Beispiel für einen solchen Prompt: „Du bist Fachanwalt für Erbrecht. Dein Mandant stellt Dir folgende Frage: Was passiert nach dem Tod mit den Bankkonten des Erblassers? Gib ihm eine fundierte, ausführliche Antwort mit praktischen Hinweisen.“ |
a) Erbrechtliche Urteile zusammenfassen
ChatGPT und Copilot können Texte analysieren und nach zeitlichen Abläufen, Fundstellen und beteiligten Parteien strukturieren. Sie können z. B. Urteile aus Ihren Datenbanken oder Gerichtsentscheidungen aus dem konkreten Mandatsverhältnis verwenden, indem Sie den Text in das KI-Tool eingeben.
Beachten Sie | Denken Sie an Datenschutz, Urheber-, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Das Einfügen von Texten in diese Plattformen erfordert höchste Sorgfalt und Genauigkeit. Die Anonymität muss stets gewährleistet sein.
Statt den Text für Ihren Mandanten eigenhändig zusammenzufassen, können Sie die relevanten Passagen in die Oberfläche der Plattform hineinkopieren und z. B. die folgende Anweisung geben: „Du bist Fachanwalt für Erbrecht. Dein Mandant hat ein Urteil zur Wechselbezüglichkeit einer Schlusserbeneinsetzung erstritten. Einen Auszug aus der Entscheidung erhältst Du nachfolgend. Fasse den Urteilstext in wenigen gegliederten Absätzen zusammen.“ Es ist auch möglich, einen Schritt weiterzugehen und die Chatbots zur Vorbereitung der eigenen juristischen Argumentation zu nutzen, z. B. im Rahmen einer Berufung. Sehr leistungsfähig ist hierin der Microsoft Copilot, wo man Quellenangaben erhält, die weitere Recherchemöglichkeiten eröffnen. Der Prompt dazu könnte lauten: „Analysiere den Text dieses Urteils zur Wechselbezüglichkeit einer Schlusserbeneinsetzung. Zeige mir detailliert auf, wo er logische Brüche oder Widersprüche enthält. Suche mir dann Gerichtsurteile und rechtswissenschaftliche Literatur, die dieses Urteil kritisieren.“
KI können Sie auch für Ihr Kanzlei-Marketing einsetzen. Denn Sie sind nun ohne Weiteres in der Lage, mit geringerem Aufwand praxisrelevante erbrechtliche Urteile zusammenzufassen und in einem Kanzlei-Newsletter interessierten Mandanten zur Verfügung zu stellen. Da sich der Text an Nichtjuristen wendet, sollten Sie auf eine einfache und verständliche, gleichwohl juristisch korrekte Formulierung achten und den Prompt entsprechend fassen.
Beispiel: Prompt für Mandanteninformationen |
„Du bist Anwalt für Erbrecht. Du gibst einen Kanzlei-Newsletter heraus, in dem Du aktuelle praxisrelevante Urteile für Deine Mandanten zusammenfasst. Die Entscheidung erhältst Du im Folgenden. Fasse den Text in wenigen gegliederten Absätzen zusammen. Verwende eine allgemeinverständliche Sprache für Nichtjuristen. Achte darauf, dass der Inhalt juristisch korrekt ist.“ |
b) Mandantenkorrespondenz führen
ChatGPT und Copilot bieten einige gute Möglichkeiten, Schreiben an Mandanten zu erstellen. Greift man den obigen Anwendungsfall auf, könnte das zusammengefasste erbrechtliche Urteil im laufenden Mandat Anlass für ein Begleitschreiben an den Mandanten sein, das vom KI-Tool erstellt werden soll, um den Anwalt zu entlasten. Der Prompt könnte wie folgt lauten: „Erstelle ein kurzes anwaltliches Schreiben an den Mandanten, der in dem vorliegenden Fall obsiegt hat. Erläutere ihm den Inhalt des Urteils kurz in allgemein verständlicher Sprache. Weise ihn darauf hin, dass die Gegenseite Berufung einlegen kann und dass wir ihn über den weiteren Verlauf unterrichten. Biete ihm an, bei Bedarf einen Besprechungstermin zu vereinbaren.“
Ein Einsatz ist auch denkbar bei der allgemeinen Mandantenkorrespondenz, z. B. bei der Übersendung eines Schreibens der Gegenseite. Dann kann z. B. folgender Prompt hilfreich sein: „Entwirf eine E-Mail an den Mandanten. Nehme dabei Bezug auf diesen Text: ... Teile mit, dass Du das Vorgehen nicht für zielführend hältst. Biete dem Mandanten an, einen Besprechungstermin zu vereinbaren, um die weitere Strategie zu besprechen.“
In der erbrechtlichen Praxis gibt es wiederkehrende Informationsschreiben an Mandanten, bei denen die Chatbots den Anwalt unterstützen können, z. B.
- Informationen zur gesetzlichen Erbfolge
- Informationen zur Erstellung eines Testaments
- Informationen zur Adoption
- Informationen zum Erbschein/Checkliste: Relevante Unterlagen
- Informationen zur geschuldeten Auskunft bei Pflichtteilsforderung
- Informationen zur Vorsorgevollmacht/Betreuungsverfügung/Patientenverfügung
- Informationen zu Steuern im Todesfall
- Checkliste Bestandsverzeichnis (Aktiv- und Passivnachlass)
Um ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erzielen, werden Sie vielfach weitere, konkretere Fragen stellen oder Anweisungen erteilen müssen. Ein entsprechender Prompt könnte wie folgt lauten: Du bist Anwalt für Erbrecht. Du hast für Deinen pflichtteilsberechtigten Mandanten eine Stufenklage gem. § 254 ZPO erhoben. Der Beklagte wurde durch Teilurteil zur Auskunft nach § 2314 BGB verurteilt. Entwirf ein Informationsschreiben an den Mandanten, in dem Du ihm die Entscheidung im Rahmen der Stufenklage und die nun anstehende Vollstreckung nach § 888 ZPO erläuterst.“
c) Juristische Recherche und Beantwortung von Rechtsfragen
Ihre Vorteile zeigen ChatGPT und Copilot insbesondere in der juristischen Recherche und bei der Beantwortung konkreter Rechtsfragen.
Die Chatbots bieten gegenüber der traditionellen Suche in juristischen Portalen durch ihre interaktive Kommunikation die Möglichkeit, komplexe Fragen zu beantworten und „Diskussionen“ zu führen, die ein Thema vertiefen können. Im Gegensatz zu einer konventionellen Suche wird jede Anfrage unabhängig behandelt, der Chatbot kann den Kontext einer Konversation verstehen und auf vorherige Nachrichten Bezug nehmen und Antworten gemäß den spezifischen Anforderungen und dem Kontext des Benutzers liefern. Die Recherche wird auch dadurch vereinfacht, dass die Anfragen in natürlicher Sprache erfolgen können, also keine konkreten Suchbegriffe eingeben werden müssen. Eine allgemeine Suchanfrage für eine spezifische Rechtsfrage könnte wie folgt lauten: „Gib mir Informationen zu der Frage, ob eine Anfechtung wegen Inhaltsirrtums nach § 119 Abs. 1, Alt. 2 BGB möglich ist, wenn sich der eine Erbschaft Ausschlagende über die Person irrt. Wie ist der Meinungsstand? Welche Konsequenzen ergeben sich für meine Beratungspraxis?“
d) Verträge und Vertragsklauseln prüfen und erstellen
ChatGPT und Copilot können unter Umständen auch ganze Verträge entwerfen, sind aber derzeit noch eingeschränkt und auch fehleranfällig. Besser funktioniert die sprachliche Optimierung bestimmter Vertragsklauseln oder der Entwurf einzelnen Klauseln. Dazu wird die jeweilige Klausel in den Chat kopiert und entsprechende Instruktionen gegeben.
Beispiele: Sprachliche Optimierung von Klauseln |
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Beachten Sie | Seien Sie stets kritisch und hinterfragen Sie die Antworten. Wenn Sie von dem betreffenden Rechtsgebiet nichts verstehen, ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie nicht erkennen können, dass eine entworfene oder korrigierte Vertragsklausel fehlerhaft oder unpassend ist. Copilot liefert passende Links zu den Antworten, sodass Sie prüfen können, ob die Quellen seriös und reputierlich sind. Dementsprechend haben Sie damit auch eine verbesserte Suche nach Klauselvorlagen im Internet, die Sie vielleicht mit einer herkömmlichen Suche über Google so nicht gefunden hätten.
e) Überarbeitung von Texten
Die Chatbots eignen sich sehr gut für die Überarbeitung von Texten. Hat z. B. Ihr Referendar zur Vorlage bei Ihrem Mandanten einen Entwurf eines umfangreichen Schreibens zur Sach- und Rechtslage verfasst, der aus Ihrer Sicht sprachlich verbesserungswürdig ist, weil für einen juristischen Laien schwer verständlich, könnte ein entsprechender Prompt z. B. lauten: „Formuliere diesen Text in einer allgemein-verständlichen Sprache für Nichtjuristen. Vermeide Substantive und Schachtelsätze. Achte darauf, dass der Inhalt juristisch korrekt ist (ggf. „Ergänze diesen Text um eine weitere und bessere juristische Argumentation, in besserer Gliederung, an den entsprechenden Stellen“ oder „Ergänze diesen Text um weitere Fundstellen aus Rechtsprechung und juristischer Literatur an den entsprechenden Stellen“).“
4. Fazit
KI-Chatbots können Sie erheblich bei Ihrer Arbeit unterstützen, sind aber nicht immer zuverlässig und korrekt. Daher sollten Sie die Ergebnisse stets kritisch prüfen und ggf. nachbearbeiten, um Fehler und Haftungsrisiken zu vermeiden. Die Rolle des Rechtsanwalts bleibt entscheidend, um die Richtigkeit der Informationen und die Qualität der Argumentation zu gewährleisten.
AUSGABE: EE 2/2024, S. 27 · ID: 49819663