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GOÄDer Paragrafenteil der vorgeschlagenen Neufassung der GOÄ – ein Desaster für die Ärzte!
| Die GOÄ wurde zuletzt 1982 vollständig überarbeitet. 1996 gab es nur kleinere Änderungen. Seit Jahren gibt es daher Forderungen, die GOÄ an den aktuellen Stand der Medizin sowie das heutige Preisniveau anzupassen. Es war abzusehen, dass der Verordnungsgeber diese Neufassung nicht erstellen würde. Daher haben die Bundesärztekammer (BÄK), der Verband der privaten Krankenversicherungen und die Beihilfestellen eine neue Gebührenordnung (im Folgenden: GOÄ-E) entworfen und den Entwurf den ärztlichen Fachverbänden vorgestellt. Anfang Oktober sollte der Entwurf dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) übergeben werden. Wegen zahlreicher kritischer Rückmeldungen wurde dies um ein halbes Jahr verschoben. In der Diskussion bislang völlig unberücksichtigt geblieben ist, welche Folgen der neue Paragrafenteil für die Ärzteschaft im Allgemeinen sowie für Chefärzte und Krankenhäuser im Besonderen haben wird. |
Inhaltsverzeichnis
- Anwendungsbereich (§ 1 Abs. 1 GOÄ-E)
- Gebührenstruktur und Gebührenvereinbarung (§ 2 GOÄ-E)
- Verlangensleistungen (§ 1 Abs. 2 GOÄ-E)
- Gebühren (§ 4 Abs. 1 GOÄ-E)
- Basislabor (§ 4 Abs. 2 GOÄ-E)
- Vertretung des Wahlarztes (§ 4 Abs. 2a GOÄ-E)
- Vertretungsvereinbarung (§ 4 Abs. 2b GOÄ-E)
- Beschränkung der persönlichen Leistungserbringung (§ 4 Abs. 2c GOÄ-E)
- Zielleistungsprinzip (§ 4 Abs. 3 GOÄ-E)
- Analogabrechnung (§ 6 Abs. 2 GOÄ-E)
- Fortentwicklung des Gebührenverzeichnisses (§ 11a Bundesärzteordnung-E)
- Pauschalen (§ 10 Abs. 1 GOÄ-E)
- Vorgaben an die Rechnungsstellung (§ 12 GOÄ-E)
Anwendungsbereich (§ 1 Abs. 1 GOÄ-E)
Die GOÄ soll weiterhin die Vergütung für die beruflichen Leistungen der Ärzte regeln. Angesichts der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 04.04.2024, Az. III ZR 38/23; CB 06/2024, Seite 5 ff. sowie Urteil vom 13.06.2024, Az. III ZR 279/23; CB 09/2024, Seite 10 f.) wäre es sinnvoll, die Norm anzupassen und klarzustellen, dass es nicht auf die Person des Leistungserbringers bzw. Behandlers ankommt, sondern auf die Art und Weise der Leistungserbringung – nämlich eine ambulante Behandlung von Patienten, unabhängig von den Strukturen, in denen die Leistungen erbracht werden.
Gebührenstruktur und Gebührenvereinbarung (§ 2 GOÄ-E)
Das bisherige System von Gebührenziffern, die je nach Schwierigkeit der Ausführung gesteigert werden können, soll aufgegeben werden. Es soll dann nur noch ein nicht unterschreitbarer Gebührensatz abgerechnet werden können. Die bisherige Flexibilität in der Gebührenberechnung entfällt damit, die Umstände des Einzelfalls (z. B. besonders aufwendige Ausführung, Kommunikationsprobleme etc.) bleiben unberücksichtigt. Als Alternative bleibt nur noch die Gebührenvereinbarung nach § 2 Abs. 1 GOÄ-E, mit der die Gebührensätze nur gesteigert werden können (nicht vermindert). Wie schon jetzt sind bestimmte Leistungen von Gebührenvereinbarungen ausgeschlossen.
Bei der Gebührenvereinbarung soll es bei den bisherigen Vorgaben im Grunde bleiben (§ 2 Abs. 2 GOÄ-E). Allerdings wird zusätzlich gefordert, dass die Vereinbarung „rechtzeitig“ vor der Leistungserbringung geschlossen wird – was auch immer dies heißen soll. Außerdem soll in der Vereinbarung der „Steigerungsgrund“ angegeben werden. Dies ist eine deutliche Verschärfung zur aktuellen Rechtslage, denn bisher wird eine freiwillige Vereinbarung zwischen Arzt und Patient respektiert – und nicht nach dem Grund gefragt. Möglicherweise wird es dann „akzeptable“ und „inakzeptable“ Gründe für eine Vergütungsvereinbarung geben.
Die Vereinbarung soll weiterhin schriftlich geschlossen werden, d. h., sie bedarf der Unterschrift von Arzt und Patient. Die aktuelle Tendenz zur Formerleichterung – z. B. durch den Wechsel zur Textform – soll nicht übernommen werden.
Verlangensleistungen (§ 1 Abs. 2 GOÄ-E)
Nach § 1 Abs. 2 GOÄ können Ärzte schon immer grundsätzlich nur medizinisch notwendige ärztliche Leistungen abrechnen, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erbracht worden sind. Sogenannte Verlangensleistungen, die über das Maß einer medizinisch notwendigen ärztlichen Versorgung hinausgehen, durfte der Arzt nur berechnen oder beauftragen, wenn sie auf Verlangen des zahlungspflichtigen Patienten erbracht worden sind.
Geplante Ergänzung der Regelung |
„Rechtzeitig vor dem Erbringen von Leistungen, deren Kosten erkennbar nicht von einer Krankenversicherung oder von einem anderen Kostenträger erstattet werden, müssen Ärzte die Patienten in Textform über die Höhe des nach der GOÄ zu berechnenden voraussichtlichen Honorars sowie darüber informieren, dass ein Anspruch auf Übernahme der Kosten durch eine Krankenversicherung oder einen anderen Kostenträger nicht gegeben oder nicht sicher ist; Empfehlungen der gemeinsamen Kommission nach § 11a Bundesärzteordnung (BÄO) sind zu beachten.“ |
Diese Neuregelung findet sich bereits in § 630c Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Dort wird der Behandler zur wirtschaftlichen Unterrichtung des Patienten vor Behandlungsbeginn verpflichtet, wenn er weiß oder hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist. Dann muss er den Patienten in Textform darüber informieren.
Daher stellt sich die Frage nach dem Sinn dieser Neuregelung, da es eine solche Verpflichtung für Behandler bereits gibt. Zudem ist die Neuregelung in der GOÄ-E weiter gefasst als in § 630c Abs. 3 BGB. Dort muss nur „vor Behandlungsbeginn“ unterrichtet werden, hier soll die Unterrichtung „rechtzeitig“ erfolgen, was immer auch damit gemeint ist. § 630c Abs. 3 S. 2 BGB regelt ausdrücklich, dass weitergehende Formanforderungen aus anderen Vorschriften unberührt bleiben. Das heißt, dass Behandler in solchen Fällen zukünftig doppelt zur Unterrichtung verpflichtet sein werden, einmal nach § 630c Abs. 3 BGB und daneben nach § 1 Abs. 2 GOÄ-E. Bürokratischer geht es kaum noch.
Das nächste Problem, das auf die Behandler zukommt, ist die Frage, was unter „rechtzeitig“ zu verstehen ist. Darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein, sodass dies vermutlich erst durch die Gerichte geklärt wird. Es wäre vernünftiger, auf diesen Zusatz und die Neuregelung ganz zu verzichten, da der beabsichtigte Zweck mit § 630c Abs. 3 BGB bereits erreicht wird.
Schließlich soll der Patient – immerhin nur in Textform – über die Höhe des voraussichtlichen Honorars informiert werden (§ 1 Abs. 2 S. 3 GOÄ-E). Der BGH hatte schon vor Jahren entschieden, dass diese Information kaum gegeben werden kann – weil im Vorhinein nicht wirklich abzusehen ist, welche Gebührenziffern abgerechnet werden können. Unklar bleibt auch, was daraus folgt, wenn die Information unzutreffend ist, d. h. das letztendliche Honorar deutlich höher ist. Gibt es dann – vergleichbar § 649 BGB – ein Sonderkündigungsrecht für den Patienten?
Gebühren (§ 4 Abs. 1 GOÄ-E)
Die Vorschrift des § 4 GOÄ, schon immer die Zentralvorschrift der GOÄ, wurde grundlegend neu gefasst und wesentlich erweitert. Daher werden im Folgenden die einzelnen Absätze dieses Paragrafen der Reihe nach näher erläutert.
Geplante Ergänzung der Regelung |
„Die Gebühr für eine Leistung kann nur berechnet werden, wenn deren für die Berechnung erforderlicher Inhalt vollständig erbracht worden ist. Eine Berechnung kann auch dann erfolgen, wenn eine Leistung überwiegend erbracht worden ist, allerdings einzelne Leistungsbestandteile einer Gebühr wegen eines bei Behandlungsbeginn nicht absehbaren, medizinisch begründeten oder durch den Patienten verursachten, vorzeitigen Behandlungsabbruchs nicht mehr erbracht werden können (…).“ |
Die Regelung, dass die Gebühr für eine Leistung nur berechnet werden kann, wenn deren für die Berechnung erforderlicher Inhalt vollständig erbracht worden ist, ist praktisch sinnvoll, wenn sich für jede einzelne Gebührenordnungsziffer aus dem neuen Gebührenverzeichnis zur GOÄ-E eindeutig ergibt, was deren für die Berechnung erforderlicher Inhalt ist. Bleibt dies dagegen im Gebührenverzeichnis unklar, wird es darüber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Einzelfall Streit mit den Kostenträgern geben.
Wenn eine Berechnung auch dann erfolgen kann, wenn eine Leistung „überwiegend“ erbracht worden ist, wird dies nur reibungslos funktionieren, wenn im Gebührenverzeichnis für jede einzelne Gebührenordnungsposition definiert ist, wann die Leistung überwiegend erbracht worden ist. Geschieht dies nicht, wird es auch hier wieder Streit geben. Die übrigen Voraussetzungen für die Abrechnung einer Leistung, die nur überwiegend erbracht worden ist, müssen vonseiten des ärztlichen Behandlers sorgfältig dokumentiert werden, ansonsten lässt sich hier die Abrechnung in der Praxis kaum durchsetzen.
Basislabor (§ 4 Abs. 2 GOÄ-E)
§ 4 Abs. 2 GOÄ-E regelt die Abrechnung des Basislabors, die bislang in § 4 Abs. 2 S. 2 GOÄ geregelt ist. Auch hier ist eine Ergänzung geplant:
Geplante Ergänzung der Regelung |
„Eine veranlasste oder selbst erbrachte Laborleistung muss in einem medizinisch plausiblen Kausalzusammenhang mit der zugrunde liegenden Diagnose oder Fragestellung bestehen.“ |
Chefärzte bettenführender Abteilungen, die Leistungen des Basislabors abrechnen wollen, oder Fachärzte für Laboratoriumsmedizin, die die Laborleistungen insgesamt abrechnen, werden durch diese Neuregelung zu erheblichem zusätzlichem Dokumentationsaufwand gezwungen. Die Tendenz zur immer weiteren Bürokratisierung im Gesundheitswesen wird dadurch verstärkt. Im Übrigen war dies – soweit erkennbar – schon bisher kein praktisches Problem. Der BGH hatte schon im Urteil vom 14.01.2010, Az. III ZR 188/09 festgestellt, dass § 1 Abs. 1 GOÄ den Umfang der abrechenbaren Laborleistungen begrenzt auf die medizinisch erforderlichen Untersuchungen.
Vertretung des Wahlarztes (§ 4 Abs. 2a GOÄ-E)
In § 4 Abs. 2a und Abs. 2b GOÄ-E wurde versucht, die Vertretung des Wahlarztes im Kernbereich der wahlärztlichen Leistungen, die bisher nur durch Richterrecht geregelt und in der Praxis im Detail sehr umstritten ist, gesetzlich zu regeln. Dieser Versuch schlug nach Meinung der Verfasser leider ebenfalls fehl und sollte überarbeitet werden, bevor man den Text dem BMG vorlegt.
Geplante Ergänzung der Regelung |
„[…] So kann für den Fall, dass der Wahlarzt aus nicht vorhersehbaren schwerwiegenden Gründen an der Leistungserbringung gehindert ist, die wahlärztliche Leistung auch durch einen einzigen anderen in der Wahlleistungsvereinbarung genannten Arzt desselben Fachgebiets erbracht werden, der die hierfür erforderliche Qualifikation wie der Wahlarzt erfüllt. In der Wahlleistungsvereinbarung kann darüber hinaus für die Erbringung von in der Wahlleistungsvereinbarung bestimmten Leistungen des jeweiligen Fachgebietes je ein weiterer Vertretungsarzt benannt werden, der durch seine fachliche Qualifikation und Erfahrung die bestimmten Leistungen über die Voraussetzungen nach S. 1 hinausgehend in besonderer Qualität erbringen kann.“ |
Nach Auffassung des BGH (Urteil vom 20.12.2007, Az. III ZR 144/07, CB 08/2024, Seite 9 ff.) galt bislang, dass Wahlärzte, wenn sie aus bei Abschluss der Wahlleistungsvereinbarung nicht vorhersehbaren Gründen verhindert sind, sich durch ihren ständigen ärztlichen Vertreter vertreten lassen können. Nach der Neuregelung müssen diese Gründe zusätzlich „schwerwiegend“ sein, wobei völlig unklar bleibt, was ein „schwerwiegender“ Grund ist. Dies müssen wiederum erst die Gerichte klären und es wird hier ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Rechtsanwälte aufgelegt. Der Sinn dieser Verschärfung gegenüber der bisherigen Rechtslage ist zudem völlig unklar. Der BGH wies in seinem Urteil vom 20.12.2007 zutreffend darauf hin, dass jeder Patient mit einer bei Abschluss der Wahlleistungsvereinbarung unvorhersehbaren Verhinderung des Wahlarztes rechnen müsse. Warum diese Verhinderungsgründe jetzt zusätzlich „schwerwiegend“ sein müssen, erschließt sich den Verfassern nicht. Und warum soll die Vertretung bei „einfachen“ Gründen nicht möglich sein?
Aus mehreren Gründen ausgesprochen problematisch erscheinen auch die zusätzlichen Qualitätsanforderungen, die an die Vertreter des Wahlarztes gestellt werden. Diese müssen die gleiche Qualifikation wie der Wahlarzt haben oder sogar eine darüber hinausgehende Qualität. Qualität ist aber nicht messbar, sodass durch diese Neuregelung wiederum dem Streit „Tür und Tor geöffnet“ wird. Kleinere Krankenhäuser werden im Übrigen durch diese Neuregelung extrem benachteiligt, da es ihnen wesentlich schwerer fallen dürfte, genügend ständige ärztliche Vertreter mit der hier geforderten Qualifikation aufzubieten, sodass die Einnahmen dieser Krankenhäuser aus Vertreterleistungen zukünftig deutlich sinken können, wenn nicht die Abrechnung von Vertreterleistungen ganz unmöglich wird.
Nach § 4 Abs. 2 GOÄ-E können für jeden Wahlarzt mindestens zwei ständige ärztliche Vertreter benannt werden, die entsprechend qualifiziert sein müssen. Auch dies wird schwieriger werden, je kleiner das Krankenhaus ist. Der BGH war bisher davon ausgegangen, dass nur ein ständiger ärztlicher Vertreter pro Wahlarzt zulässig ist, was mit dem Wortlaut der §§ 4 Abs. 2 S. 3 und 5 Abs. 5 GOÄ begründet wurde. Die Rechtsprechung der Instanzgerichte hatte dies dahin gehend erweitert, dass jeder Wahlarzt auch mehrere ständige ärztliche Vertreter haben kann, wenn sein Zuständigkeitsbereich so aufgeteilt wird, dass jeder dieser Ärzte alleiniger ständiger ärztlicher Vertreter für einen Teil des Zuständigkeitsbereichs wird. Diese Instanzrechtsprechung wird durch die Neufassung des Paragrafenteils bestätigt, es ist nur negativ zu bemerken, dass die Qualifikation als Vertreter an bestimmte, nicht messbare Voraussetzungen geknüpft wird, was Raum für uferlose Streitigkeiten eröffnet.
Die Vorgaben zur persönlichen Leistungserbringung sollen auch gelten, wenn Wahlleistungen im Rahmen der Hybrid-DRG nach § 115f SGB V erbracht werden (§ 4 Abs. 2a S. 4 GOÄ-E; CB 09/2024, Seite 9).
Vertretungsvereinbarung (§ 4 Abs. 2b GOÄ-E)
In § 4 Abs. 2b GOÄ-E wird jetzt die Vertretung des Wahlarztes für den Fall geregelt, dass seine Verhinderung absehbar ist. Hier bleibt wiederum – wie überall im Paragrafenteil – vieles unklar. Offen bleibt, wann die Verhinderung des Wahlarztes absehbar sein muss. Während der BGH nicht von „absehbarer“, sondern von „vorhersehbarer“ Verhinderung gesprochen und damit an den Abschluss der Wahlleistungsvereinbarung angeknüpft hat, bleibt der Anknüpfungspunkt in der Neuregelung des Paragrafenteils völlig unklar. Wann muss die Verhinderung des Wahlarztes absehbar sein?
Der BGH hat zudem in seinem Urteil vom 20.12.2007, Az. III ZR 144/07 auf den Kernbereich der wahlärztlichen Leistungen abgestellt, in dem der Wahlarzt persönlich tätig werden muss, wenn die wahlärztlichen Leistungen abgerechnet werden sollen. Außerhalb des Kernbereichs ist eine Vertretung unter den in der GOÄ genannten Voraussetzungen ohne Weiteres möglich. In § 5 Abs. 5 GOÄ ist bisher zusätzlich geregelt, dass wahlärztliche Leistungen unter den dort genannten Voraussetzungen auch durch nachgeordnete Ärzte erbracht werden können, wenn sie nicht zum Kernbereich der wahlärztlichen Leistungen gehören. Diese Klausel soll in der Neufassung ersatzlos gestrichen werden. Somit wäre völlig unklar, ob es bei der Vertretung des Wahlarztes weiterhin nur um den Kernbereich der wahlärztlichen Leistungen geht oder mehr.
§ 4 Abs. 2b GOÄ-E regelt die Vertretung des Wahlarztes bei absehbarer Verhinderung durch eine individuelle Vertretungsvereinbarung, wobei im Wesentlichen die Vorgaben der Rechtsprechung des BGH vom 20.12.2007 übernommen werden mit der Maßgabe, dass der Patient jetzt über die ihm angebotenen Alternativen aufgeklärt werden muss. Dies dürfte definitiv nur in der Form möglich sein, dass bei Abschluss der individuellen Vertretungsvereinbarung die Aufklärung des Patienten durch einen Arzt erfolgen muss.
Die individuelle Vertretungsvereinbarung soll „rechtzeitig“ vor der Leistungserbringung abgeschlossen werden. Was „rechtzeitig“ bedeutet, ist wiederum nicht definiert. Auch hierüber wird es zwangsläufig Streit geben.
Bislang wird die Rechtsprechung des BGH zur Vertretung des Wahlarztes im Kernbereich der wahlärztlichen Leistungen so verstanden, dass Grund und Dauer der Verhinderung des Wahlarztes nicht anzugeben sind. § 4 Abs. 2a und Abs. 2b GOÄ-E sind eindeutig so zu verstehen, dass diese Verpflichtung für Behandler nunmehr hinzutritt. Dabei haben diejenigen, die für die Neuregelung verantwortlich sind, offensichtlich übersehen, dass der Angabe des Grundes der Verhinderung des Wahlarztes sowohl der Datenschutz als auch dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht entgegenstehen können, die Dauer der Verhinderung wird man in vielen Fällen bei Abschluss einer Vertretungsvereinbarung gar nicht wissen. Und was passiert, wenn der Zeitraum der Verhinderung überschritten wird? Die BÄK gibt mit diesem Gesetzentwurf Rechtspositionen auf, um die derzeit erbittert vor den ordentlichen Gerichten gestritten wird und zu denen mindestens ein Revisionsverfahren beim BGH anhängig ist. Gründe hierfür sind nicht ersichtlich.
Beschränkung der persönlichen Leistungserbringung (§ 4 Abs. 2c GOÄ-E)
In § 4 Abs. 2c GOÄ-E findet sich eine angepasste Version des bisherigen § 4 Abs. 2 S. 3 GOÄ, ergänzt um umfangreiche Verpflichtungen des ärztlichen Behandlers bzw. dessen Abrechnungsstelle, die Leistungsdokumentation vorzulegen und die korrekte, der tatsächlichen dokumentierten Leistungserbringung entsprechende Rechnungsstellung zu bestätigen (§ 4 Abs. 2c S. 3 GOÄ-E). Warum dies zusätzlich in die GOÄ aufgenommen werden soll, erschließt sich ebenfalls nicht. Anspruch auf die Patientendokumentation hat der Patient bereits aus § 630g BGB bzw. Art. 15 Datenschutzgrundverordnung. Einer zusätzlichen Regelung in der GOÄ bedarf es deshalb nicht. Die Tatsache, dass Ärzte korrekt abrechnen, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Warum man dies gesondert bestätigen soll, ist ebenfalls nicht ersichtlich.
Zielleistungsprinzip (§ 4 Abs. 3 GOÄ-E)
In § 4 Abs. 3 GOÄ-E wird das sogenannte Zielleistungsprinzip geregelt, das sich bisher im § 4 Abs. 2a GOÄ findet. Danach können Leistungen, die Bestandteil einer anderen Leistung sind, nicht gesondert berechnet werden.Problematisch ist die Regelung des § 4 Abs. 3 S. 2 GOÄ-E, wonach die besondere Ausführung einer Leistung auch die Modifikation oder methodische Variation in der Art und Weise der Erbringung der Leistung nach dem Gebührenverzeichnis umfasst. Zwar hat der BGH im Rahmen seiner Rechtsprechung zu Analogleistungen eine vergleichbare Linie vertreten. Dennoch ist diese Klausel unklar und beschränkt zudem die Möglichkeiten, auf den medizinischen Fortschritt zu reagieren.
Gestrichen werden soll § 4 Abs. 2a S. 3 GOÄ, wonach die Kosten der Rufbereitschaft nicht gesondert berechnet werden können.
Analogabrechnung (§ 6 Abs. 2 GOÄ-E)
§ 6 Abs. 2 GOÄ-E regelt die Analogabrechnung wie bisher, enthält aber auch die zusätzliche Verpflichtung, dass der Arzt den Patienten rechtzeitig vor Erbringung der Leistung bezogen auf die einzelne Leistung in Textform darüber zu informieren hat, dass eine nicht im Gebührenverzeichnis aufgenommene Leistung erbracht und durch Heranziehung einer vergleichbaren Leistung berechnet wird. Auch die Sinnhaftigkeit dieser Regelung erschließt sich nicht, da offenbleibt, was der Patient überhaupt von dieser Information haben soll, da es sich auch bei analog abgerechneten ärztlichen Leistungen regelmäßig um medizinisch notwendige Leistungen handeln dürfte, sodass der Patient ohnehin keine Wahl haben dürfte.
Des Weiteren wird die Möglichkeit der Analogabrechnung beschränkt auf Leistungen, die erstmals nach dem 01.01.2018 in Deutschland angewendet werden. Wie soll der einzelne Arzt dies beurteilen können? Und warum wird dieser Stichtag genannt? Gehen die Beteiligten davon aus, dass alle bis zu diesem Stichtag in Deutschland erbrachten Leistungen im Gebührenverzeichnis abgebildet sind?
Fortentwicklung des Gebührenverzeichnisses (§ 11a Bundesärzteordnung-E)
Das Projekt sieht auch die Einführung von § 11a Bundesärzteordnung vor. Danach soll eine Gemeinsame Kommission, deren Mitglieder von der Bundesärztekammer, dem Verband der privaten Krankenversicherung und den Beihilfestellen benannt werden und die der Rechtsaufsicht des BMG unterliegen, Empfehlungen beschließen. Als Aufgaben werden genannt die Anpassung der GOÄ an den medizinischen Fortschritt, die Beseitigung von Über- und Unterbewertungen, die analoge Anwendung von Gebührenziffern und die Interpretation von Abrechnungsbestimmungen. Die Empfehlungen werden dem BMG vorgelegt; dieses soll innerhalb von sechs Monaten mitteilen, ob die GOÄ entsprechend geändert werden soll.
Unterstützt werden soll die Gemeinsame Kommission durch eine Datenstelle. Welche Daten erhoben werden sollen, ist nur in groben Zügen geregelt – alle Daten, die für die Empfehlungen erforderlich sind. Die Kosten dieser Kommission sollen die Gruppen, die die Mitglieder entsenden, gemeinsam tragen (d. h. BÄK, PKV-Verband und Bund und Länder). Die Kosten der Datenstelle tragen nur die BÄK und der PKV-Verband. Die Empfehlungen der Gemeinsamen Kommission zur Analogabrechnung sollen nach § 6 Abs. 2 S. 3 GOÄ-E von den Ärzten zu beachten sein.
Pauschalen (§ 10 Abs. 1 GOÄ-E)
In der Praxis gibt es immer wieder das Problem, dass die genauen Kosten für Auslagen nach § 10 Abs. 1 GOÄ nur schwer ermittelt werden können. Dennoch soll es beim Verbot der Berechnung von Pauschalen bleiben (§ 10 Abs. 1 S. 3 GOÄ-E). Nur eine Ausnahme wird gestattet, nämlich die Berechnung von Pauschalen für Versand- und Portokosten (§ 10 Abs. 1 S. 4 GOÄ-E). Dies entspricht der bisherigen Erstattungspraxis der PKV.
Vorgaben an die Rechnungsstellung (§ 12 GOÄ-E)
Die Anforderungen an die Rechnungsstellung werden in der Neuregelung des § 12 GOÄ wesentlich erhöht, was zu erheblichen Mehraufwand bei der Rechnungsstellung und damit verbundenen Mehrkosten führen dürfte. So sind jetzt auch Diagnosen und Prozeduren nach den amtlichen Schlüsseln anzugeben – wie bei Krankenhausrechnungen. Diese Daten werden insbesondere im ambulanten Bereich nur beschränkt angegeben, und alleine die Kodes helfen dem durchschnittlichen Patienten nicht weiter.
Sollte eine Steigerungsvereinbarung nach § 2 Abs. 1 GOÄ-E abgeschlossen worden sein, ist eine Kopie dieser Vereinbarung (die der Patient schon nach § 2 Abs. 2 S. 5 GOÄ-E erhalten soll) beizufügen (§ 12 Abs. 2 S. 3 Nr. 7 GOÄ-E). Diese Doppelung dient nur dem Interesse der privaten Krankenversicherer, die dann nicht mehr den Patienten nach der Vereinbarung fragen müssen. Allerdings decken die meisten Versicherungsverträge ohnehin nur die „Grundvergütung“ ab, d. h. eine zusätzliche Vergütung muss in aller Regel der Patient selbst tragen – warum muss er erneut eine Kopie der Vereinbarung erhalten?
Bei Auslagen wird die Grenze, ab der ein Beleg beigefügt werden muss, auf 50 Euro angepasst (§ 12 Abs. 2 S. 3 Nr. 9 GOÄ-E).
Werden Laborleistungen abgerechnet und dabei auch Versandkosten in Rechnung gestellt, soll in Zukunft auch der Ort der Leistungserbringung angegeben werden (§ 12 Abs. 2 S. 3 Nr. 10 GOÄ). Damit kann die PKV prüfen, ob die Versandkosten „plausibel“ sind.
Um zu vermeiden, dass erst nach Jahren Rechnungen gestellt werden, ist als „Anregung“ vorgesehen, dass Rechnungen innerhalb von sechs Monaten nach der Leistungserbringung gestellt werden sollen (§ 12 Abs. 1 S. 2 GOÄ-E). Im Moment ist es zumindest theoretisch möglich, auch nach Jahren noch Leistungen abzurechnen, da die Verjährungsfrist von drei Jahren erst mit der Fälligkeit der Rechnung, d. h. der Rechnungsstellung beginnt. Die meisten Ärzte werden aber schon aus Eigeninteresse die Rechnung so schnell wie möglich stellen.
Fazit | Mit der Neufassung der GOÄ werden einige Probleme der bestehenden GOÄ gelöst – und die doppelte Zahl neu geschaffen. Es bleibt zu hoffen, dass die laufende Überarbeitung dazu führt, dass zumindest einige der in diesem Beitrag angesprochenen Fragen geklärt werden, damit die neue GOÄ nicht zum Arbeitsbeschaffungsprogramm für Juristen wird. |
AUSGABE: CB 11/2024, S. 4 · ID: 50202046