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Wissensmanagement„Ein gutes digitales Nachschlagewerk hebt Effizienz und Qualität der Krankenhausabteilung!“
| Medizinisches Wissen, Behandlungsempfehlungen und Medikationen ändern sich fortwährend. Digitale Entscheidungsunterstützungssysteme sind ein Mittel, damit aktuelles Wissen in die Kliniken gelangt. Emrah Hircin war als Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie acht Jahre im Krankenhaus tätig, bevor er als Editor in Chief zum Wissensvermittler AMBOSS mit insgesamt ca. 400 Mitarbeitenden wechselte. Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte ihn, was ein klinisches Entscheidungsunterstützungssystem leisten kann. Ein Video des Interviews finden Sie unter iww.de/s11454. |
Frage: Früher füllten Nachschlagewerke ganze Krankenhausbibliotheken. Wann startete der Wandel zu med. Datenbanken und wie gestaltete er sich?
Antwort: Datenbanken starteten in den 1990er-Jahren. Als klassisches Garagen-Start-up erschien das von Nephrologen entwickelte Verlagsprodukt UpToDate, das es bis heute gibt. Daraufhin versuchten viele Verlage, Inhalte aus der Buchform ins Digitale zu transferieren. Die Pioniere aus dieser Zeit erzählen noch gerne von ihren Disketten. Mit dem World Wide Web und mobilen Endgeräten wurde es wichtig, nicht das Buch zu digitalisieren, sondern den Content für das digitale Medium aufzubereiten. Denn Bildschirminhalte werden anders konsumiert als Inhalte auf Papier.
Frage: Heute vereint Ihr Programm Lernsoftware und Nachschlagewerk. Nach welcher Logik arbeitet Ihr System, wenn ein Arzt eine Frage eingibt?
Antwort: Wir denken aus Sicht der Nutzer. Wichtig sind uns die schnelle Auffindbarkeit von handlungsrelevanten Informationen sowie die Verknüpfung der etwa 2.000 Artikel. Wer etwas nachschlägt, bekommt Anreize für assoziierte Themen – per Link und Klick. Die Artikel enthalten Texte, Bilder, Illustrationen und Videos. Sie werden von einer medizinischen Redaktion erstellt und kuratiert. Sie sind in Datenbanken kategorisiert und adressieren Zielgruppen wie Ärzte und Studierende.
Frage: Sie sagen, dass Ihre Software sich im Gegensatz zum Buch dem Nutzer anpassen kann. Was ist damit gemeint?
Antwort: Jeder Nutzer legt ein Profil an, das wir nicht für Werbung nutzen, sondern um ihm passgenaue Informationen zu liefern. Je genauer das Profil, desto relevanter sind die Informationen. Bei Medikamenten ist die Ebene der Pharmakologie beispielsweise für Studierende interessant, die sich auf Prüfungen vorbereiten. Ärzte benötigen eher Informationen zu Indikationen, Kontraindikationen, Dosierungen und Nebenwirkungen. Wir können das jeweilige Wissensbedürfnis durch die Suche herausfiltern, um den Nutzern genau die Information anzubieten, die sie brauchen. Und nicht Dinge, die sie gar nicht wissen wollen.
Frage: Spielen wir das an einer Patientin mit Mammakarzinom durch. Eine Oberärztin möchte sich schlaumachen. Wie läuft das ab?
Antwort: Die erfahrene Oberärztin in einem Brustzentrum mit Abteilung für Senologie kennt die neuesten Studienergebnisse. Ihr bieten wir eine Übersicht zum Mammakarzinom an, die sie hoffentlich so überzeugt, dass sie sie an alle am Behandlungsprozess Beteiligten weitergibt. Es geht um Diagnostik, die notwendigen Staging-Untersuchungen, nach denen die Tumorkonferenz entscheiden kann, und Therapieansätze wie Operation, Bestrahlung und Systemtherapie. Interdisziplinärer und spannender wäre die Suche für eine Oberärztin aus der Inneren Medizin. Denn es müssen internistische Mitbehandlungen und das Komplikationsmanagement z. B. bei Osteoporose, Knochenmetastasen, pathologischen Frakturen und Pleuraergüssen mitgedacht werden.
Frage: Wie können Sie garantieren, dass das Wissen leitliniengerecht ist und aktuell bleibt?
Antwort: Das ist viel Recherchearbeit. Wir haben die Redaktion in zehn Fachgruppen der klinischen Medizin organisiert. Die Redakteure screenen deutsche und internationale Leitlinien und Fachzeitschriften. In Practice Changing Updates schauen wir, welche neuen Informationen mit Paradigmen brechen, wenn z. B. statt eines Labortests die Bildgebung für die Primärdiagnostik einer Erkrankung relevant wird. Manchmal führen unerwartete Publikationen zu neuen Handlungsempfehlungen. Unsere allererste Version zu SARS-CoV-2 haben wir in 14 Stunden Binge-Working zusammengestellt. Durch Neuentwicklungen entsteht eine ständige Hitparade der Prioritäten. Wegen unseres vernetzten Systems müssen wir manchmal 20 bis 30 Stellen anpassen.
Frage: Chefärzte beherrschen ihr Fach. Viele von ihnen sind in der Lehre tätig und bilden sich gezielt weiter. Was können Sie ihnen noch bieten?
Antwort: Unser größtes Versprechen an Chefärzte ist, dass sie Qualität und Effizienz ihrer Abteilung mit unserem Tool verbessern können. Manchmal dauert es Jahre, bis wichtige Empfehlungen von wissenschaftlichen Fachgesellschaften im Krankenhaus ankommen. Wir sind stark darin, dieses Wissen Ärzten, Pflegepersonal und Menschen in anderen Gesundheitsberufen schnell zur Verfügung zu stellen. Im Konsildienst profitieren Chefärzte, weil AMBOSS bei interdisziplinären Fragestellungen schnell über Leitlinien, Evidenz und Medikamente informiert.
Das wirkt sich auch wirtschaftlich aus. Nutzer berichten, dass Ärzte in Weiterbildung im Schnitt pro Tag 20 Minuten an Recherchezeit sparen. Auf die Belegschaften hochgerechnet summiert sich das monatlich zu Hunderten von Stunden, in denen sie sich mehr um ihre Patienten kümmern können. Es kommt schneller und einfacher zu evidenzbasierten Entscheidungen. Das steigert die Effizienz.
Herr Hircin, vielen Dank für das Gespräch!L
AUSGABE: CB 11/2024, S. 12 · ID: 50077990