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ArbeitsrechtKündigungsschutz ist nicht der Schutz vor der Kündigung, sondern vor deren Folgen
| Der Ausspruch einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses lässt sich nicht immer verhindern. Ob eine Kündigung – also die Beendigung des Arbeitsverhältnisses – wirksam ist, lässt sich indes immer arbeitsgerichtlich überprüfen. Teilweise lassen sich Kündigungen jedoch auch im Vorfeld vermeiden. Hilfreich ist insoweit, dass Sie die nachfolgend skizzierten Grundlagen der rechtlichen Rahmenbedingungen zum Kündigungsschutz kennen und die Zeichen für eine drohende Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtzeitig deuten können. Denn selten deckt sich die Motivation des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis zu beenden, mit den nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) eine Kündigung rechtfertigenden Gründen. |
Die Motivation des Arbeitgebers
Gleich einem Fußballtrainer ist der Chefarzt für den – wirtschaftlichen – Erfolg seiner Abteilung, die Stimmung im Team und die Erfüllung sämtlicher weiterer in ihn gesetzten Erwartungen verantwortlich. Dass er arbeitsrechtlich „nur“ für die Gewährleistung einer sorgfältigen Versorgung der ihm anvertrauten Patienten zuständig und nicht auch für die Bewirtschaftung der Abteilung oder die Besetzung des Stellenplans verantwortlich ist, wird dabei gern übersehen.
Läuft die Abteilung also nicht wie erwartet, ist der Chefarzt – ungeachtet externer widriger Umstände – Schuld; jedoch auch eine „zu gut“ laufende Abteilung bewahrt ihren Leiter nicht immer vor deren Zerschlagung/Unterteilung oder der Trennung, dann häufig aufgrund persönlicher Differenzen und Konkurrenzsituationen oder auch nur wegen eines Wechsels des Geschäftsführers und damit einhergehend neuer Visionen und Ziele in der Ausrichtung des Leistungsspektrums. Vielfach treffen in der Position des Chefarztes konkurrierende Interessen und Verantwortungen zusammen, die generell konfliktträchtig sind: wirtschaftlicher Erfolg versus medizinischer Erfolg, Belastung der Mitarbeiter versus Patientenversorgung. Ist die Mitarbeiterfluktuation in der Abteilung zu groß, wird dem Chefarzt ein zu autoritärer Führungsstil vorgeworfen; ist er bei seinen Mitarbeitern zu beliebt, führt er die Abteilung nicht streng genug und schöpft die vorhandenen Human Resources nicht aus.
Merke | Die jahrelange Erfahrung zeigt, dass es nicht die eine Strategie gibt, sich vor der Kündigung/Trennungsabsicht des Krankenhausträgers zu schützen. Schützen können Sie sich als Chefarzt jedoch davor, einen Kündigungsgrund nach dem KSchG zu „liefern“. |
Mögliche Kündigungsgründe nach dem KSchG
Da ein Chefarzt grundsätzlich auch ein „normaler“ Arbeitnehmer ist, gilt das KSchG uneingeschränkt. Wenn das Arbeitsverhältnis – unabhängig von der Vereinbarung einer Probezeit (!) – länger als sechs Monate bestanden hat, ist die arbeitgeberseitige Kündigung nur sozial gerechtfertigt – und damit wirksam –, wenn sie durch Gründe, die in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist.
Personenbedingte Kündigung
Die personenbedingte Kündigung setzt voraus, dass der Chefarzt aus persönlichen Gründen nicht in der Lage ist, seine arbeitsvertraglichen Pflichten zukünftig (negative Prognose) zu erfüllen. Dies ist i. d. R. infolge von (lang andauernder) Krankheit bzw. bei Berufs-/Erwerbsunfähigkeit der Fall.
Verhaltensbedingte Kündigung
Die verhaltensbedingte Kündigung erfordert eine schwere oder wiederholte Pflichtverletzung durch den Arbeitnehmer/Chefarzt. Da die Kündigung Ultima Ratio ist, ist ein Fehlverhalten i. d. R. zunächst abzumahnen.
Funktion der arbeitsrechtlichen Abmahnung |
Die Abmahnung ist keine Sanktion, sondern hat die Funktion,
Arbeitsrechtlich ist die Abmahnung die (Objektivierung der) negative/n Prognose, dass sich der Arbeitnehmer trotz erfolgter Abmahnung des beanstandeten Verhaltens nicht vertragskonform verhält, sodass künftig mit weiteren Störungen des Arbeitsverhältnisses zu rechnen sein wird. Das bedeutet dann auch, dass sich das konkret abgemahnte Verhalten zur Begründung der Kündigung wiederholen muss; zwei beliebige Abmahnungen unterschiedlicher Pflichtenverstöße begründen also noch keine verhaltensbedingte Kündigung. |
Wiegt die Pflichtverletzung derart schwer, dass auch nur deren erstmalige Hinnahme nach objektiven Maßstäben unzumutbar und – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen war, ist eine Abmahnung entbehrlich (Bundesarbeitsgericht [BAG], Urteil vom 26.09.2013,2 AZR 741/12). In derartigen Fällen kommt dann auch eine sog. außerordentliche, fristlose Kündigung aus wichtigem Grunde (§ 626 Bürgerliches Gesetzbuch) infrage. Hiernach muss das Fehlverhalten des Arbeitnehmers derart schwerwiegend sein, dass es dem Arbeitgeber unzumutbar ist, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen.
Merke | Für die außerordentliche Kündigung gilt für den Arbeitgeber eine 14-tägige Kündigungserklärungsfrist ab Kenntniserlangung des Fehlverhaltens. Fristüberschreitung führt zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung. Daher wird die Aussprache einer außerordentlichen Kündigung i. d. R. mit der hilfsweisen ordentlichen Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist verknüpft. |
Betriebsbedingte Kündigung
Betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen, können inner- oder außerbetriebliche Gründe haben (z. B. Rationalisierungsmaßnahmen, Schließung oder Zusammenlegung von Abteilungen, Umsatzrückgang). Voraussetzung ist eine – durch die Arbeitsgerichte inhaltlich nur im Rahmen der Missbrauchskontrolle eingeschränkt überprüfbare – unternehmerische Entscheidung, die zum – gerichtlich vollumfänglich überprüfbaren – Wegfall des Arbeitsplatzes führt.
Ggf. ist unter mehreren infrage kommenden Arbeitnehmern eine Sozialauswahl durchzuführen, was bei Chefärzten eher selten ist. Da die (betriebsbedingte) Kündigung jedoch Ultima Ratio ist, ist eine Änderungskündigung vorrangig – mit der Folge der Unwirksamkeit der Beendigungskündigung.
Beispiel Änderungskündigung |
Beendigungskündigung mit dem gleichzeitigen Angebot, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Konditionen, beispielsweise im Kollegialsystem oder als Oberarzt, fortzuführen. |
Wichtig | Überträgt der Arbeitgeber die Aufgaben eines Arbeitnehmers/Chefarztes lediglich auf einen anderen, ggf. hierfür eingestellten Mitarbeiter, könnte es sich um eine – unzulässige – Austauschkündigung handeln.
Die Folgen einer Kündigung
Die sozial gerechtfertigte Kündigung des Arbeitgebers beendet das Arbeitsverhältnis fristgemäß, also zum Ablauf der i. d. R. im Chefarztvertrag individuell geregelten Kündigungsfrist. Nach Zugang der ordentlichen, also fristgemäßen, Kündigung bis zum Ende der Kündigungsfrist besteht das Arbeitsverhältnis mit all seinen sich hieraus ergebenden Pflichten und Verantwortungen unverändert fort, es sei denn, der Chefarzt wird ausdrücklich unwiderruflich von seinen Pflichten unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt. Im Falle einer wirksamen Kündigung endet das Arbeitsverhältnis, ohne einen Anspruch auf eine Abfindung zum Ausgleich der mit dem Verlust des Arbeitsplatzes einhergehenden Nachteile zu begründen.
Liegt kein Kündigungsgrund nach dem KSchG vor, ist die Kündigung also sozial nicht gerechtfertigt, hat der Chefarzt einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung. Die Unwirksamkeit der Kündigung ist durch das Arbeitsgericht feststellen zu lassen. Hierfür ist es erforderlich, dass der Chefarzt innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht erhebt, andernfalls gilt die Kündigung als gerechtfertigt und wirksam. Diese Kündigungsschutzklagefrist kann nicht – auch nicht mit Zustimmung des Arbeitgebers – verlängert werden.
Bei unwirksamer Kündigung kommt es i. d. R. zur Abfindung oder zum Vergleich Merke | Aufgrund der exponierten Position eines Chefarztes führt auch eine unwirksame Kündigung i. d. R. zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses – dann allerdings im Wege einer einvernehmlichen, gütlichen Einigung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung. Deshalb wird das „Kündigungsschutzgesetz“ auch nicht selten als „Abfindungsgesetz“ bezeichnet. Die einvernehmliche Aufhebung des Arbeitsverhältnisses hat in Schriftform oder durch vom Arbeitsgericht zu protokollierenden Prozessvergleich zu erfolgen. |
So minimieren Sie das Risiko einer Kündigung
Während personen- und betriebsbedingte Kündigungssachverhalte seitens des Chefarztes kaum beeinflussbar sind, gilt es, im Verhalten liegende Kündigungssachverhalte zu vermeiden. Eine Auflistung aller insoweit in Betracht kommenden Fallkonstellationen ist aufgrund der Komplexität und Vielschichtigkeit der Chefarzttätigkeit kaum möglich. Daher beschränkt sich die folgende Aufzählung auf einige „Klassiker“ unter den Kündigungsgründen:
Fazit und Praxistipp | Bei all ihren Aufgaben und Verantwortlichkeiten können Chefärzte nicht jegliches Szenario vermeiden, das dem Krankenhausträger die Möglichkeit zum Ausspruch einer Kündigung eröffnet. Nicht selten werden betroffene Chefärzte im Vorfeld zur Sache angehört und zur Stellungnahme aufgefordert. Hier sollten sie sich erst nach professioneller Beratung einlassen oder bereits kompetent vertreten lassen. Dadurch vermeiden sie vielleicht nicht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wohl aber eine Kündigung sowie eine Kündigungsschutzklage mit öffentlichen Weiterungen. So können sie die Konditionen ihres Ausscheidens mitbestimmen und mitgestalten. |
- Misserfolge und Fehler: Weder ein bestimmter wirtschaftlicher (Miss-) Erfolg noch eine „unterdurchschnittliche“ Verweildauer, noch die Unterschreitung einer bestimmten Fallzahl, noch ein Belegungsrückgang sind geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen. Voraussetzung ist, das diese Entwicklungen nicht monokausal auf ein konkretes Fehlverhalten bzw. Versäumnis des Chefarztes zurückzuführen sind. Auch eine überdurchschnittlich hohe Komplikationsrate rechtfertigt per se keine verhaltensbedingte Kündigung. Bei Behandlungs- und Organisationsfehlern kommt es im Einzelfall auf die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung und ggf. auf die Folgen für den Patienten an.Konkretes Fehlverhalten darf nicht Ursache des Misserfolgs sein
- Dokumentation ärztlicher Maßnahmen/persönliche Leistungserbringung bei wahlärztlichen und KV-Ermächtigungsleistungen: Fehler und Nachlässigkeiten bei der Dokumentation bzw. bei der geforderten persönlichen Erbringung von Leistungen sind konsequent zu vermeiden (CB 08/2022, Seite 11). Versäumnisse könnten auch strafrechtlich relevant sein und damit sogar einen zur fristlosen Kündigung rechtfertigenden wichtigen Grund darstellen. In diesem Fall dürfte auch eine vorherige Abmahnung des Verhaltens entbehrlich sein.
- Nebentätigkeiten: Chefärzte dürfen im Rahmen genehmigter Nebentätigkeiten (Gutachten, Vorträge, Veröffentlichungen) Krankenhausressourcen einschließlich Sekretariat und Bürobedarf nur bei entsprechender Genehmigung in Anspruch nehmen. Dies ist i. d. R. im Rahmen eines sog. Nutzungsvertrags gegen Kostenerstattung geregelt. Ohne Genehmigung droht eine Kündigung. Bei Vortragstätigkeiten sollte der Arbeitgeber einbezogen werden, um im Falle des Verstoßes gegen das Gesetz gegen die Korruption im Gesundheitswesen arbeitsrechtliche Konsequenzen zu vermeiden (vgl. CB-Sonderausgabe zum Antikorruptionsgesetz, Abruf-Nr. 44870677).
- Besonderheiten bei katholischer Trägerschaft: Besondere, auch in das Privatleben reichende Verhaltenspflichten (z. B. zur Ehescheidung) existieren bei Arbeitgebern in katholischer Trägerschaft. Verstöße können eine Kündigung rechtfertigen (vgl. CB 03/2019, Seite 1, Abruf-Nr. 45764287).
AUSGABE: CB 9/2022, S. 6 · ID: 48530431