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CBChefärzteBrief

Weiterführender HinweisAlkoholkranke Mitarbeiter: Warnsignale und Lösungsansätze für Chefärztinnen und Chefärzte

Abo-Inhalt31.08.2022353 Min. LesedauerVon Prof. Dr. Nora Walter, Bildung und Beratung in Unternehmen und Gesellschaft, Essen, und Dipl.-Kfm. Thomas Schneider, Essen

| Nach Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) waren im Jahr 2018 insgesamt drei Mio. Erwachsene von einer alkoholbezogenen Störung betroffen (Missbrauch oder Abhängigkeit). Das sind etwa vier Prozent der Bundesbevölkerung. Schaut man nur auf die Ärzteschaft, wird das Bild dramatischer, denn fast ein Viertel der Ärzte in Deutschland konsumieren Alkohol in gefährlichen Mengen (Quelle: iww.de/s7019). Lesen Sie im Folgenden, woran Sie Betroffene erkennen und wie Sie als Chefärztin/Chefarzt rechtzeitig handeln. |

Alkoholabhängigkeit: Verbreitung und Erkennungsmerkmale

Laut dem Jahrbuch Sucht 2022 der DHS lag der Pro-Kopf-Konsum der ab 15-Jährigen in Deutschland im Jahr 2019 bei 10,2 Litern Reinalkohol. Unter den insgesamt drei Mio. Erwachsenen mit einer alkoholbezogenen Störung lag bei 1,4 Mio. Alkoholmissbrauch, bei 1,6 Mio. eine Abhängigkeit vor. Praktisch kann jeder jemanden kennen, der einen Suchtkranken kennt. Im unmittelbaren Umfeld wird Sucht jedoch kaum wahrgenommen.

In der Alltagssprache wird der Begriff „Sucht“ häufig falsch verstanden und verwendet. Eine Abhängigkeit liegt vor, wenn mehr als zwei der folgenden Punkte im Zeitraum eines Jahres gleichzeitig vorlagen:

Kiterien einer Abhängigkeit

  • 1. Starker Wunsch oder Zwang zum Konsum,
  • 2. Verminderte Kontrollfähigkeit bzgl. Beginn, Beendigung und Menge des Konsums,
  • 3. Körperliche und psychische Entzugserscheinungen bei Absetzen oder Reduktion des Konsums,
  • 4. Toleranzentwicklung (es müssen immer mehr Mengen konsumiert werden, um die gewünschte Wirkung zu erzeugen),
  • 5. Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Konsums und erhöhter Zeitaufwand zur Beschaffung bzw. zur Erholung von den Folgen des Konsums,
  • 6. Anhaltender Substanzkonsum trotz des Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen (z. B. Leistungsabfall, Arbeitsplatzverlust, körperliche Folgeschäden, depressive Verstimmungen)

Eine Abhängigkeit entsteht nicht durch einmaligen (oder gelegentlichen) Konsum, sondern entwickelt sich, wobei die Übergänge zwischen riskantem, schädigendem und abhängigem Alkoholkonsum fließend sind. Im alltäglichen Umgang mit Arbeitskollegen oder Mitarbeitern stellt sich weniger die Frage, ob die Diagnose „Sucht“ zutreffend ist, als vielmehr, ob der Umgang mit Alkohol verantwortungsbewusst oder unangemessen ist.

Ausprägungen des Alkoholkonsums

Verantwortungsbewusster Konsum

Unangemessener Konsum

Menge und Ziel

  • Kleine Mengen
  • Weil es schmeckt
  • Rausch ist das Ziel
  • Täglicher Konsum
  • Dosissteigerung

Kontrolle und Konsum in unangemessenen Situationen

  • Verzicht ist kein Problem, v. a. in unangemessenen Situationen wie:
    • im Straßenverkehr
    • am Arbeitsplatz
  • Konsum in unangemessenen Situationen wie:
    • in Anwesenheit von Kindern
    • im Straßenverkehr
    • am Arbeitsplatz

Grund des Konsums

  • Zu besonderen Anlässen
  • Konsum, um positive Wirkung zu erzeugen
  • In (fast) jeder Situation / bei jeder Gelegenheit
  • Konsum, um negative Gefühle (z. B. Stress, Ängste, Trauer, Einsamkeit) zu mindern oder zu beseitigen

Einschätzen der Situation als „Eingreifen erforderlich“

Obwohl Alkoholkonsum am Arbeitsplatz i. d. R. verboten ist, gelingt es Alkoholkranken, nicht beim Trinken ertappt zu werden, auch die übliche „Fahne“ ist kaum zu riechen. Allerdings lässt sich eine Alkoholkrankheit kaum dauerhaft verbergen. Aufmerksame Chefs, Kollegen oder Patienten werden dies bei alltäglichen Handlungen, aber auch bei der Arbeitsleistung feststellen.

Typische Auffälligkeiten bei Alkoholabhängigkeit

Auffälligkeiten im Arbeitskontext

  • Fehltage ohne ärztlichen Nachweis, oft durch Dritte entschuldigt
  • Fehlerhafte Arbeitsergebnisse
  • Unzuverlässigkeit, Termine werden nicht eingehalten, zu spätes Erscheinen, Überziehen der Pausen
  • Entfernen vom Arbeitsplatz während der Arbeit, Arbeitsende wird vorgezogen
  • Unkonzentriertheit, Nervosität, Unruhe

Auffälligkeiten im Sozialverhalten

  • Gesteigerte Aggressivität
  • Zunehmende Kritikunfähigkeit
  • Schuld an Fehlern sind andere oder „besondere Umstände“
  • Zunehmender sozialer Rückzug, Isolation

Auffälligkeiten im äußeren Erscheinungsbild

  • Ungepflegtes Erscheinungsbild
  • Schweißausbrüche, Zittern der Hände
  • Verlangsamte Sprache
  • Schwierigkeiten beim Gehen, Gleichgewichtsprobleme
  • Aufgedunsenes Gesicht, gerötete Gesichtsfarbe, glasige Augen
  • Häufige, starke Müdigkeit
  • Alkoholfahne, die z. B. mit Parfüm/Rasierwasser/Kaugummi kaschiert wird

Vermeidung von Koverhalten

Das intensive Miteinander in der Klinik vereinfacht den Umgang mit einem betroffenen Mitarbeiter nicht. Das liegt zum einen daran, dass sich fast jede einzelne Situation irgendwie rechtfertigen lässt. Das Argument den sprichwörtlichen „Einen über den Durst getrunken“ zu haben, ist Allgemeingut. Bereitwillig schenkt man dieser Aussage Glauben. Zum anderen stellt man, oft aus Unsicherheit oder vermeintlicher Fairness, die eigene Beurteilung der Situation, der Arbeitsleistung und der beobachteten Auffälligkeiten infrage.

Allzu oft decken Mitarbeiter ihren suchtkranken Kollegen aus falsch verstandener Loyalität. In diesen Situationen erfolgt, sog. Koverhalten, welches in bester Absicht geschieht, jedoch das problematische Konsumverhalten des Betroffenen stabilisiert und begünstigt und die Motivation herauszögert, aktiv etwas gegen das eigene Problemverhalten zu unternehmen. Es herrscht die Überzeugung, dass man das Problem gemeinsam in den Griff bekäme.

Verantwortung übernehmen

Ihr rechtzeitiges Handeln – schon in der Phase des riskanten, unangemessenen Konsums – ist auch notwendig, um arbeitsrechtliche Konsequenzen zu vermeiden, die das Koverhalten auslösen. Dabei ist eine konsequente Einstellung erforderlich, die auf der Einsicht basiert: Mein Mitarbeiter hat ein Alkoholproblem, er benötigt Hilfe. Sie als Vorgesetzter sind im Falle einer Alkoholkrankheit für das Eingreifen verantwortlich. Besser Sie suchen zu früh als zu spät das Gespräch, in dem sie nach dem KLAR-Modell eine klare Haltung kommunizieren.

D PP_Grafik_breit D_KLAR-Modell_47329793.eps (© IWW Institut)
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© IWW Institut

In diesem vertraulichen, persönlichen Gespräch sprechen Sie die Auswirkungen neutral, eindeutig und konsequent an. Den Abschluss sollte eine Vereinbarung bilden, mögliche Missverständnisse sind auszuräumen. Dabei kann durchaus gegenseitig Sympathie und die Hoffnung auf eine weitere, dauerhafte Zusammenarbeit ausgedrückt werden. Aber auch das Aufzeigen möglicher Konsequenzen sollte nicht fehlen.

AUSGABE: CB 9/2022, S. 18 · ID: 47563031

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