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CBChefärzteBrief

Klimaschutz„Nachhaltigkeit in der Anästhesie kann Kosten für Narkosemittel sparen!“

Abo-Inhalt28.03.20224247 Min. Lesedauer

| Der Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA) und die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) gründeten im März 2021 gemeinsam das Forum Nachhaltigkeit in der Anästhesiologie. Prof. Dr. med. Martin Schuster, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie der Fürst-Stirum-Klinik in Bruchsal, hat seitens des BDA den Vorsitz. Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte ihn, wie Anästhesisten umwelt- und klimafreundlicher handeln können als bisher. |

Frage: Herr Professor Schuster, Desfluran hat von allen volatilen Anästhetika mit Abstand den größten klimaschädigenden Effekt. Hat sich in der Anästhesiologie dazu bereits ein Problembewusstsein entwickelt?

Antwort: Sagen wir mal so: Es gibt Luft nach oben. Vielen ist bekannt, dass die Treibhauswirkung von Desfluran die von CO2 um das 2.540-Fache übersteigt – bei Sevofluran ist es das 130-Fache. Aber die Konsequenzen werden – aus verschiedenen Gründen – noch nicht immer daraus gezogen. Allein die Wahl der volatilen Anästhetika hat also schon einen gewaltigen Effekt auf den CO2-Fußabdruck der Narkose.

Frage: Welche Alternativen gibt es?

Antwort: Es gibt verschiedene Wege, den CO2-Fußabdruck der Narkose zu reduzieren: die Medikamentenwahl, den Frischgasfluss, die Verwendung von Mehrwegartikeln. Den einen großen Hebel, den wir einfach umlegen müssen, gibt es leider nicht. Nur wenn wir uns alle einzelnen Schritte ansehen, kommen wir wirklich weiter.

Frage: Klimaschädigende Narkosegase lassen sich filtern und recyceln. Wäre das ein wichtiger Schritt?

Antwort: Die Methode, volatile Anästhetika aus der Abluft herauszufiltern, ist elegant. Das ist technisch bereits möglich und im Übrigen das erste Mal, dass ein Medikament wirklich recycelt werden kann. Noch bieten die Hersteller keine Narkosegeräte mit eingebautem Filter an. Wenn der erste Anbieter ein solches Gerät auf den Markt bringt, wird das sicher ein Wettbewerbsvorteil sein. Auch könnte man die volatilen Gase aus der zentralen Abluft der Krankenhäuser herausfiltern. Bei Lachgas ist das dagegen schwieriger.

Frage: Wie lassen Investitionen in Nachhaltigkeit sich mit dem Gebot der Wirtschaftlichkeit vereinen?

Antwort: Geht Nachhaltigkeit mit Ressourceneinsparung einher, finanziert sie sich selbst. Das zeigt die Umstellung von konventionellen Leuchten auf LEDs. Seitdem wir bei uns in der Anästhesie Desfluran nicht mehr verwenden, sparen wir einen fünfstelligen Betrag pro Jahr ein. Ein weiteres Beispiel sind sehr niedrige Flussraten am Narkosegerät. Das spart Geld und Emissionen, erfordert aber eine Schulung der Mitarbeiter. In den Krankenhäusern müsste dringend in die Bausubstanz und in erneuerbare Energien investiert werden. Es ist absurd, dass der Klimaschutz durch die duale Finanzierung blockiert wird. Die Investitionsmittel, die wir für die Wärmedämmung und die Reduktion des Verbrauchs durch Wärmen, Kühlen und Lüften dringend brauchen, müssten von den Ländern kommen. Der Return on Investment, ginge jedoch zugunsten der Krankenversicherungen. Das Problem ist seit Jahrzehnten bekannt – es ist einfach nur frustrierend, dass wir da kaum Fortschritte sehen.

Frage: Der Weg zur Arbeit macht einen großen Teil des CO2-Fußabdrucks von anästhesiologischen Abteilungen aus. Was könnten Chefärzte dagegen tun?

Antwort: Die Einflussmöglichkeiten auf die einzelnen Mitarbeiter sind begrenzt. Der erhobene Zeigefinger führt vielleicht zu einem schlechten Gewissen, nicht aber zu Verhaltensänderungen. Wir brauchen bessere Strukturen, also Jobtickets, bessere Anbindung an den ÖPNV, überdachte Fahrradständer, Ladestationen für E-Bikes und für E-Autos direkt am Krankenhaus.

Frage: Wie bewerten Sie Notfalleinsätze mit dem Rettungshubschrauber vor dem Hintergrund der CO2-Emissionen?

Antwort: Das Thema ist komplex, denn es geht um Rettungseinsätze in der Stadt und auf dem Land, um Primär- und Sekundärrettung. Wir müssen uns bei allem, was wir machen, fragen, wie viele Ressourcen wir verbrauchen und welchen Nutzen wir generieren. Eine Sekundärverlegung mit dem Rettungshubschrauber verbraucht zehnmal so viel Primärenergie wie ein Rettungswagen. Da ist zu überlegen, ob die Zeitersparnis den Transport in der Luft rechtfertigt. Das Fliegen wird schwierig bleiben. Es kann nur mit synthetischen Treibstoffen klimaneutral werden. Der Elektrohubschrauber ist in naher Zukunft eher unwahrscheinlich, weil die Batterie viel zu schwer wäre.

Frage: Wohin wird die Telemedizin sich vor diesem Hintergrund entwickeln?

Antwort: Wir haben eine zunehmende Anspruchshaltung: Die Patienten wünschen schnelle ärztliche Hilfe, und die Politik verspricht den Bürgern eine kurze Hilfsfrist. So werden immer mehr hochqualifizierte Notfallmediziner in den Rettungswachen über das Land verteilt, die wir eigentlich in den Krankenhäusern und Arztpraxen dringend benötigen. Da wir hier in Baden-Württemberg wie fast überall in Deutschland nach dem Rendezvous-System arbeiten, sind dazu auch noch immer zwei Fahrzeuge unterwegs. In beidem könnte die Telemedizin zu einer echten Win-win-Situation führen. Würde ein Arzt den Patienten telemedizinisch per Video sehen, könnte eine eigene Anreise oft unterbleiben. Es würden Ressourcen gespart und die ärztliche Arbeitszeit effizienter genutzt. Unsere Notfallsanitäter sind exzellent ausgebildet, sie könnten in vielen Fällen nach der ärztlichen Sichtung die weitere Versorgung und den Transport ohne ärztliche Hilfe leisten.

Herr Professor Schuster, vielen Dank für das Gespräch!

AUSGABE: CB 6/2022, S. 5 · ID: 48113390

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