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SozialrechtKrankenhaus muss Patienten über Leistungen der Pflegeversicherung aufklären
| Manchmal enthalten auch Urteile, die auf den ersten Blick nicht die stationäre Versorgung betreffen, wichtige Aussagen für Krankenhäuser. Dazu gehört das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17.06.2021, Az. B 3 P 5/19 R. Die Eltern eines Patienten erstritten die rückwirkende Zahlung von Pflegegeld. Im vorliegenden Fall war die verspätete Antragstellung auf ein Informationsversäumnis des Krankenhauses zurückzuführen. In vergleichbaren Fällen können sich Krankenhäuser demnach gegenüber den Kostenträgern und/oder den Patienten schadenersatzpflichtig machen. |
Sachverhalt
Die Eltern eines Patienten klagten gegen eine Pflegekasse. In dem Verfahren ging es um die Frage, ob die Pflegeversicherung auch schon für Zeiträume vor dem Antragsdatum Pflegegeld gewähren muss. Geklagt hatte ein 2003 geborenes Kind, bei dem 2013 ein Hirntumor diagnostiziert und behandelt wurde. Das Krankenhaus, in dem der Kläger behandelt wurde, informierte ihn (und seine Eltern) nicht über die Möglichkeit, Pflegeleistungen zu beantragen. Erst Ende 2014 erfuhren die Eltern von der Möglichkeit, Pflegegeld zu beantragen. Dies taten sie und die Pflegeversicherung gewährte Leistungen ab November 2014. Die Eltern wollten aber schon rückwirkend ab Juli 2013 Pflegegeld erhalten. Vor dem BSG hatte ihre Klage Erfolg.
Rechtliche Ausführungen
Das BSG wiederholte zunächst den Grundsatz, dass soziale Leistungen wie das Pflegegeld erst ab dem Antragszeitpunkt gewährt werden. Hier komme dem Kläger aber der sozialrechtliche Herstellungsanspruch zugute. Denn nach § 7 Abs. 2 S. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) XI habe – so die Richter – das Krankenhaus eine Benachrichtigungspflicht. Weil das Krankenhaus seine Benachrichtigungspflicht verletzt habe und dies der Pflegeversicherung zuzurechnen sei, sei der Kläger so zu stellen, als ob er bereits im Juli 2013 einen Antrag gestellt hätte. Unstreitig war, dass er schon dann einen Anspruch auf Pflegegeld hatte. Da er von seinen Eltern betreut worden sei, ging es auch „nur“ um Pflegegeld und nicht um Sachleistungen der Pflegeversicherung.
Das Krankenhaus sei sowohl nach dem SGB XI als auch im Rahmen des Entlassmanagements nach § 39 Abs. 1a SGB V verpflichtet gewesen, die Eltern über die Möglichkeit zu informieren, Pflegegeld zu beantragen. Denn es sei zwar eine nicht untypische Folge der Tumorbehandlung des Klägers, dass dieser nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus besonderer Pflege bedurfte, dies sei objektiv erkennbar gewesen.
Diese Informationspflichten des Krankenhauses haben drittschützende Wirkung zugunsten des Klägers, denn er soll in die Lage versetzt werden, rechtzeitig Pflegeleistungen zu beantragen (und dann zu erhalten). Diesen Fehler des Krankenhauses muss sich die Pflegekasse zurechnen lassen. Hierfür spricht der Regelungszweck, nämlich die frühzeitige Organisation eines nahtlosen Übergangs in häusliche Pflege. Durch diesen Fehler ist beim Kläger ein Nachteil eingetreten, der aber dadurch ausgeglichen werden kann, dass ihm auch rückwirkend Pflegegeld gewährt wird – und damit der erhöhte Einsatz seiner Eltern abgegolten wird.
Folgerung für das Krankenhaus
Das BSG hat in diesem Verfahren noch einmal die Pflicht der Sozialdienste der Krankenhäuser betont, Patienten auf die Möglichkeit der Beantragung von Leistungen der Pflegeversicherung hinzuweisen, wenn es Hinweise auf eine Pflegebedürftigkeit gibt – z. B. wegen der Krankheit und/oder des Zustandes des Patienten.
Unterlässt das Krankenhaus diese Information, geht dies – nach diesem Urteil – nicht zulasten des Pflegebedürftigen, soweit es „nur“ um Geld geht. Auch wenn der Patient sich auf eigene Kosten hat pflegen lassen, kann er die Erstattung der Kosten verlangen. Die Pflegekasse kann in einem solchen Fall die Prozesskosten ersetzt verlangen, denn bei einem pflichtgemäßen Verhalten des Krankenhauses hätte es des Rechtsstreits nicht bedurft. Weitere Ansprüche der Pflegeversicherung dürften schon deswegen nicht bestehen, weil sie bei rechtzeitiger Beantragung hätte zahlen müssen.
Entlassmanagement
Ein Krankenhaus ist verpflichtet, für ein ausreichendes Entlassmanagement zu sorgen (§ 39 Abs. 1 a SGB V, dejure.org). Dies betrifft auch die Unterstützung des Patienten bei der Organisation der Anschlussversorgung. Grundsätzlich ist es kein Grund für den Verbleib im Krankenhaus, wenn der Patient z. B. eine Entzugsbehandlung braucht, diese aber erst später zur Verfügung steht (BSG, Urteil vom 17.11.2015, Az. B 1 KR 20/15 R). Hier muss die Krankenkasse nicht zahlen. Eine Ausnahme hat das BSG für den Fall gemacht, dass die Krankenkasse selbst für die Anschlussversorgung (z. B. eine Rehabilitation) verantwortlich ist (BSG, Urteil vom 19.11.2019, B 1 KR 13/19 R, dejure.org).
Übergangspflege
Auf den Platzmangel in Pflegeheimen hat der Gesetzgeber reagiert, indem er den Krankenhäusern nach § 39e SGB V die Möglichkeit der Übergangspflege für bis zu 10 Tage eingeräumt hat. Inzwischen sind die formalen Voraussetzungen festgelegt worden, die an die Dokumentation im Krankenhaus gestellt werden (weitere Informationen zur Übergangspflege und Dokumentationsmuster des GKV-Spitzenverbands [GKV-SV] finden Sie online unter iww.de/s5875). Ungeklärt ist weiterhin, welche Vergütung das Krankenhaus für die Übergangspflege erhält. Dies soll auf regionaler Ebene verhandelt werden, und es ist bisher keine Einigung erkennbar.
AUSGABE: CB 6/2022, S. 19 · ID: 47913601