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Digitalisierung im deutschen MittelstandWenn die KI führt: 10 Handlungsempfehlungen für die Einführung von Artificial Leadership

Abo-Inhalt05.06.2025874 Min. LesedauerVon Prof. Dr. Markus H. Dahm, Hamburg

| Informationen und Daten spielen für mittelständische Unternehmen und deren Management eine entscheidende Rolle. Neue Technologien führen zu immer mehr datengetriebenen Entscheidungen. Dabei stellt sich die Frage, ob diese datengetriebenen Entscheidungen von Maschinen (KI) oder von Menschen getroffen werden sollen. Unternehmen werden in Zukunft nicht nur die besten Mitarbeiter und Manager einstellen, sondern auch die besten Algorithmen einkaufen und diese mit Führungsaufgaben betrauen. |

1. Digital versus Artificial Leadership

Unternehmen müssen sich mit neuen Entscheidungsprozessen auseinandersetzen, die auf einer „doppelten digitalen Ambidextrie“ basieren. Diese Beidhändigkeit ist für Unternehmen notwendig, um sich einerseits weiterhin ihrem Kerngeschäft widmen zu können und andererseits den Unsicherheiten und Herausforderungen der digitalen Transformation zu begegnen. Zwischen Bestands- und Innovationsgeschäft sowie operativer und strategischer Entscheidungsfindung werden Menschen oder Maschinen (KI) eingesetzt. Aus diesen Kombinationen ergeben sich Ansätze für ein Digital Leadership und die Möglichkeit zur Einführung eines sogenannten Artificial Leaderships:

  • Im ersten Fall zeichnet der Mensch für die Entscheidungsfindung innerhalb der digitalen Transformation und Umsetzung verantwortlich.
  • Im zweiten Fall ist es die Maschine, die datenbasierte Entscheidungen trifft.

2. Einsatz von KI: Ergebnisse aus der Praxis

Bei den folgenden Beispielen wird deutlich, dass die digitale Transformation nicht nur eine technologische Dimension hat, sondern viele kulturelle und soziale Facetten. Diese sind entscheidend für die Akzeptanz und den Erfolg der Einführung der Technologien.

2.1 Artificial Leadership bei der aquaRömer GmbH & Co. KG

Das deutsche mittelständische Unternehmen aquaRömer setzt eine KI namens „Mary“ ein. Per Funk steuert diese selbstständig die Logistikmitarbeiter im Lager und gibt Anweisungen. Dies zeigt, dass durch die stetige Weiterentwicklung von KI Maschinen nicht nur einfache Rechenaufgaben im Rahmen der digitalen Automatisierung übernehmen, sondern mit ihren Ergebnissen Arbeitsabläufe und -prozesse direkt steuern und damit unmittelbar Einfluss auf Arbeitsanweisungen für die Mitarbeiter nehmen können.

Auswirkungen von Artificial Leadership zeigten sich bei der aquaRömer GmbH & Co. KG nach Angaben des Betriebsratsvorsitzenden wie folgt: Es kam zu einer Arbeitserleichterung, jedoch führte die KI „Mary“ dazu, dass ca. 25 % weniger Personal in der Logistik benötigt wurde und somit Arbeitsplätze rationalisiert wurden. Zudem kommunizierten die Mitarbeiter während der Arbeit nicht mehr miteinander, da „Mary“ ständig Anweisungen und positive Meldungen gab und einforderte (vgl. Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten 2019: www.iww.de/s11955) und somit die Zeit für sozialen Austausch fehlte.

2.2 Einsatz von KI in Strafverfahren

Auch die Qualität der KI ist von entscheidender Bedeutung. Anwendungen werden mit Datensätzen trainiert, die zu Verzerrungen und damit zu Diskriminierung führen können.

Ein Beispiel dafür ist eine Software, die in den USA in Strafverfahren eingesetzt wird. Diese bewertete Strafgefangene danach, ob sie nach ihrer Entlassung auf Bewährung wieder straffällig werden könnten. Eine Recherche von Journalisten ergab, dass diese KI mit statistischen Datensätzen trainiert worden war, die rassistische Stereotype reproduzierten und Angehörigen bestimmter ethnischer Bevölkerungsgruppen pauschal eine höhere Rückfallquote unterstellten. Hier ist eine ethische Prüfung erforderlich, um die Reproduktion rassistischer Stereotype zu vermeiden.

2.3 KI in Unternehmen – aktueller Stand

Die Entwicklung von KI und deren fortgeschrittene Integration in den Arbeitsalltag spiegelt sich auch in der Studie „State of AI in the Enterprise – 5th Edition“ (www.iww.de/s11954) von Deloitte aus dem Jahr 2022 wider. In dieser gaben weltweit 2.620 KI-Experten Auskunft über den aktuellen Stand der KI-Entwicklung in ihren Unternehmen. Alle Teilnehmer nutzten zum Zeitpunkt der Befragung bereits eine KI-Technologie oder befanden sich in der Implementierungsphase. Die Fragen richteten sich ausschließlich an Führungskräfte mit direkter Verantwortung für die Implementierung neuer Technologien. Die Studie zeigt, dass der Einsatz von KI-Lösungen einen relevanten Anteil am Gesamterfolg von Unternehmen hat. Rund 94 % der Befragten gaben an, dass KI-Technologien für die Zukunft der Unternehmen sehr wichtig oder wichtig sind.

3. Zehn Handlungsempfehlungen für den Einsatz von KI

Die folgenden zehn Handlungsempfehlungen führen zu mehr Erfolg und Akzeptanz in Unternehmen, die auf dem Weg sind, menschliche Führung durch KI zu unterstützen – oder vielleicht sogar zu ersetzen.

Empfehlung 1: Entwicklung einer Vision und Strategie für den Einsatz von KI

Es sollten klare Ziele und eine umfassende langfristige Vision für den Einsatz von KI im Unternehmen festgelegt werden. Die Vision entwickelt eine klare und inspirierende Vorstellung vom Einsatz von KI im Unternehmen. Sie konzentriert sich auf langfristige Ziele sowie gewünschte Auswirkungen auf das Unternehmen und seine Stakeholder. Konkrete und messbare Ziele können bei der Umsetzung der Strategie helfen. Die Ziele sollten realistisch und erreichbar sein und als Meilensteine zur Erreichung der langfristigen Vision dienen. Relevante Stakeholder, wie z. B. die Mitarbeiter, sollten einbezogen werden.

Empfehlung 2: Gewährleistung des Datenschutzes bei der Nutzung von KI

Neben den bereits implementierten Datenschutzrichtlinien sollten spezielle Richtlinien für den Einsatz von KI-Technologien entwickelt werden. Diese sollten den Umgang mit personenbezogenen Daten regeln und die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben sicherstellen. Gleichzeitig sollte sichergestellt werden, dass nur die Daten erhoben werden, die für die Nutzung einer KI-Anwendung erforderlich sind. Dabei sollte auf eine Reduzierung der verarbeiteten personenbezogenen Daten geachtet werden. Ebenso können Techniken dazu beitragen, Daten zu anonymisieren, um die Identifizierbarkeit von Personen zu verhindern. Darüber hinaus sollte die Implementierung robuster Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der Daten vor unberechtigtem Zugriff, Verlust oder Manipulation gefördert werden. Dies kann durch Verschlüsselung, Zugangskontrollen und regelmäßige Sicherheitsüberprüfungen erreicht werden. Auch sollten Reaktionspläne für Datenschutzvorfälle eingeführt werden, um im Fall eines Datenlecks schnell und wirksam reagieren zu können.

Empfehlung 3: Analyse des Kenntnisstands der Mitarbeiter über KI

Vor der Einführung von KI in einem Unternehmen kann es sinnvoll sein, den Wissensstand der Mitarbeiter zu evaluieren. Dabei geht es darum, Wissenslücken zu identifizieren. Dies kann dazu beitragen, weitere notwendige Maßnahmen für die Implementierung abzuleiten, wie z. B. begleitende Workshops. So können Ressourcen effizient eingesetzt und die Effektivität der Weiterbildung maximiert werden.

Merke | Das Verstehen und die Akzeptanz der Mitarbeiter von KI sind entscheidend für eine erfolgreiche Implementierung. Durch eine Befragung können Unternehmen die Einstellung der Mitarbeiter besser verstehen und gezielt Maßnahmen ergreifen, um mögliche Widerstände zu adressieren. Partizipation im Implementierungsprojekt trägt dazu bei, die Wertschätzung der Mitarbeiter zu erhöhen.

Empfehlung 4: Transparente Kommunikation innerhalb des Unternehmens

Die Gründe für den Einsatz von KI im Unternehmen sollten transparent und umfassend kommuniziert werden. Dabei ist es wichtig, nicht nur den Mehrwert für das Unternehmen, sondern auch für die Mitarbeiter aufzuzeigen. Dabei können Potenziale verdeutlicht werden, z. B. wie durch den Einsatz von KI neue Geschäftsfelder erschlossen werden können oder wie KI zur Effizienzsteigerung beitragen kann. Wenn die Gründe für die Einführung von KI und die erwarteten Vorteile kommuniziert werden, fühlen sich die Mitarbeiter in den Prozess eingebunden. Ebenso können durch eine transparente Kommunikation Unsicherheiten abgebaut werden. Gerade KI-Implementierungen können Ängste vor Arbeitsplatzverlust oder Veränderungen in den Arbeitsprozessen auslösen. Durch eine ehrliche Kommunikation können diese Ängste minimiert und eine positive Einstellung zum Einsatz von KI gefördert werden.

Empfehlung 5: Mitarbeiterschulung zur Verbesserung der Kenntnisse über KI

Es sollte in Schulungsmaßnahmen für das Personal investiert werden, um es auf den Umgang mit KI vorzubereiten. Dabei sollten nicht nur technische Aspekte erläutert werden, sondern auch die Auswirkungen von KI auf die Arbeitsprozesse. Die Akzeptanz kann durch Schulungen gefördert werden, da Unsicherheiten abgebaut werden. Darüber hinaus können Beschäftigte Know-how im Umgang mit den neuen Technologien erwerben und lernen, diese effektiv einzusetzen. Ebenso können Arbeitsabläufe optimiert werden, wenn Beschäftigte ein gutes Verständnis von KI haben. Sie können auch innovative Ideen und Vorschläge für den Einsatz von KI in ihrem Arbeitsbereich einbringen, was zu einer kontinuierlichen Verbesserung im Unternehmen führt.

Empfehlung 6: Vernünftiges und professionelles Projektmanagement

Die Implementierung von KI in Unternehmen ist eine komplexe und ressourcenintensive Aufgabe. Ohne ein vernünftiges und professionelles Projektmanagement kann das Potenzial von KI-Lösungen nicht voll ausgeschöpft werden. Ein professionelles Projektmanagement kann dabei helfen, die strategische Ausrichtung mithilfe eines Projektplans zu definieren. Es ermöglicht auch die effiziente Zuweisung von Ressourcen, einschließlich Budget, Personal und Zeit. Es kann außerdem das Risikomanagement unterstützen, da ein strukturiertes Projektmanagement Unsicherheiten, Bedenken und Herausforderungen identifizieren kann. Ein systematisches Projektmanagement kann auch die für eine KI-Lösung erforderlichen Qualitätsstandards festlegen. Agile Projektmanagement-Methoden ermöglichen kontinuierliche Anpassungen und Verbesserungen, was für eine iterative Entwicklung und Flexibilität spricht.

Empfehlung 7: Einbindung der Mitarbeiter

Die Mitarbeiter sollten aktiv in den Einführungsprozess einbezogen werden. Durch das Einholen von Feedback können ihre Bedenken und Anregungen berücksichtigt werden. Dies stärkt nicht nur das Vertrauen und die Akzeptanz, sondern fördert auch eine offene Kommunikationskultur im Unternehmen. Eine solche Einbindung in das Projekt erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Mitarbeiter den Neuerungen positiv gegenüberstehen, da sie sich wertgeschätzt fühlen. Zudem sind Mitarbeiter, die in ein Projekt eingebunden sind, i. d. R. motiviert und tragen aktiv zum Erfolg bei. Darüber hinaus können sie aufgrund ihrer praktischen Erfahrungen mögliche Risiken im Implementierungsprozess frühzeitig erkennen und entsprechende Maßnahmen vorschlagen. Die Einbeziehung ihrer Perspektive trägt dazu bei, dass eine Implementierung nicht nur den technologischen Anforderungen entspricht, sondern auch operativ reibungslos und effizient umgesetzt wird.

Die aktive Einbindung der Mitarbeiter stärkt zudem die Teamdynamik und das Zusammengehörigkeitsgefühl. Wenn alle Beteiligten das Gefühl haben, dass ihre Beiträge geschätzt und berücksichtigt werden, kann dies auch die Innovationskultur innerhalb des Unternehmens fördern.

Empfehlung 8: Pilotprojekte und schrittweise Implementierung

Am Anfang sollten kleine Pilotprojekte stehen. Diese bieten eine wertvolle Gelegenheit, in einer kontrollierten Umgebung zu experimentieren und praktische Erfahrungen zu sammeln. Durch die gezielte Auswahl von Pilotbereichen können die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen in verschiedenen Abteilungen oder Teams evaluiert und besser verstanden werden. Die Erkenntnisse aus diesen Projekten können genutzt werden, um die Implementierung schrittweise zu optimieren und auszuweiten. Dabei sollten die gewonnenen Daten systematisch analysiert und die besten Praktiken identifiziert werden, die auf das gesamte Unternehmen übertragen werden können. Dieses iterative Vorgehen ermöglicht es, mögliche Hindernisse frühzeitig zu erkennen und gezielt zu adressieren.

Gleichzeitig kann das Feedback der Mitarbeiter genutzt werden, um die Akzeptanz zu erhöhen und das Vertrauen zu stärken. Das Feedback sollte in regelmäßigen Abständen eingeholt und in den weiteren Optimierungsprozess integriert werden, um sicherzustellen, dass die Implementierung nicht nur technisch, sondern auch kulturell gut im Unternehmen verankert wird.

Empfehlung 9: Klare Definition von Rollen und Verantwortlichkeiten

Die Rollen und Verantwortlichkeiten von menschlichen Führungskräften und KI-Systemen sollten klar definiert werden. Eine eindeutige Abgrenzung der Aufgabenbereiche ist entscheidend, um Missverständnisse zu vermeiden und die Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI effizient zu gestalten. Diese Klarheit hilft nicht nur dabei, Verantwortlichkeiten festzulegen, sondern auch, Vertrauen in die neue Technologie aufzubauen. Führungskräfte sollten genau wissen, in welchen Bereichen KI sie unterstützen kann und welche Aufgaben weiterhin ihre persönliche Expertise und Entscheidungskompetenz erfordern. Die Mitarbeiter sollten sich darüber im Klaren sein, wann und wie sie die Unterstützung durch KI in Anspruch nehmen können. Es ist wichtig, den Mitarbeitern klar zu vermitteln, wie KI ihre Arbeit erleichtern kann, sei es durch Datenanalysen, Entscheidungsunterstützung oder Automatisierung von Routineaufgaben. Diese Transparenz fördert die effektive Integration von KI in den Arbeitsalltag und reduziert Unsicherheiten.

Darüber hinaus sollten klare Richtlinien entwickelt werden, die den Einsatz von KI in verschiedenen Szenarien regeln. Dazu gehören nicht nur technische Vorgaben, sondern auch ethische und rechtliche Überlegungen. Mitarbeiter sollten idealerweise wissen, wie sie KI-Ergebnisse interpretieren und in ihre Entscheidungen einbeziehen können, ohne ihre eigene Urteilsfähigkeit zu verlieren.

Empfehlung 10: Schaffung einer unterstützenden Unternehmenskultur

Es ist empfehlenswert, eine Kultur zu fördern, die Innovation und den Einsatz neuer Technologien unterstützt. Dies kann erreicht werden, indem ein Umfeld geschaffen wird, in dem neue Ideen und Ansätze offen diskutiert und ausprobiert werden können. Die Mitarbeiter sollten ermutigt werden, sich etwas zuzutrauen und kreative Lösungen zu entwickeln, ohne Angst vor Fehlern zu haben. Dies trägt zu einer positiven Einstellung gegenüber Veränderungen und Weiterentwicklungen bei, die notwendig ist, um in einem zunehmend digitalen und wettbewerbsintensiven Umfeld erfolgreich zu sein. Gleichzeitig sollten Führungskräfte als Vorbilder agieren und den Einsatz neuer Technologien aktiv vorleben, um deren Akzeptanz im gesamten Unternehmen zu fördern.

Zum Autor | Prof. Dr. Markus H. Dahm lehrt und forscht an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management in Hamburg und ist Organisations- und Strategieberater für digitale Transformation im Mittelstand.

AUSGABE: BBP 6/2025, S. 172 · ID: 50234194

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