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BarrierefreiheitsstärkungsgesetzDigitale Barrierefreiheit – ab Ende Juni 2025 gelten neue gesetzliche Spielregeln

Abo-Inhalt06.03.20255 Min. LesedauerVon Prof. Dr. Ralf Jahn, Würzburg

| Am 28.6.25 tritt in Deutschland das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft. Es setzt eine EU-Richtlinie (2019/882) in nationales Recht um. Das Gesetz verpflichtet erstmals auch private Unternehmen, ihre Produkte und Dienstleistungen barrierefrei anzubieten. BBP berichtet, was zu beachten ist. |

1. Rechtlicher Hintergrund der digitalen Barrierefreiheit

Barrierefreiheit ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft, in der alle Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen können. Digitale Barrierefreiheit gewährleistet, dass alle Menschen – unabhängig von körperlichen oder kognitiven Einschränkungen – uneingeschränkt Zugang zu digitalen Produkten und Dienstleistungen haben.

1.1 Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/882 durch das BFSG

In Bezug auf Produkte und Dienstleistungen fördert das BFSG (16.7.21, BGBl I 21, 2970, www.iww.de/s12280) die gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Teilhabe von älteren Menschen sowie Menschen mit Behinderungen und Einschränkungen. Mit dem BFSG wird die EU-Richtlinie 2019/882 zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act – EAA – 17.4.19, Abl. L 151 vom 7.6.19, S. 70) umgesetzt. Die EU-Richtlinie über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen legt die technischen Anforderungen für die Barrierefreiheit sowie die barrierefreien Informationspflichten bestimmter Produkte und Dienstleistungen durch klare Standards einheitlich fest. Durch einheitliche EU-Anforderungen soll das BFSG auch kleinen und mittleren Unternehmen helfen, die Möglichkeiten des europäischen Binnenmarkts auszuschöpfen. Eine barrierefreie Webseite bzw. einen barrierefreien Onlineshop anzubieten, kann technisch herausfordernd sein. Barrierefreiheit sorgt jedoch nicht nur für mehr Inklusion, sondern verbessert auch die Nutzererfahrung für alle und erhöht die Reichweite.

Die Anforderungen des BFSG gelten grundsätzlich für Produkte, die nach dem 28.6.25 in Verkehr gebracht werden, und für Dienstleistungen, die für Verbraucher nach dem 28.6.25 erbracht werden. Für einige Produkte und Dienstleistungen gibt es jedoch Übergangsbestimmungen gemäß § 38 BFSG, wonach die Barrierefreiheitsanforderungen erst zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt sein müssen. So gilt z. B. für bestimmte Dienstleistungen eine Übergangsfrist von 5 Jahren und für Selbstbedienungsterminals von 15 Jahren.

1.2 Regelung der Anforderungen durch Rechtsverordnung

Die Anforderungen an die Barrierefreiheit für Produkte und Dienstleistungen sind gemäß § 3 Abs. 2 BFSG in einer Rechtsverordnung geregelt, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen, dem Bundesministerium für Gesundheit, dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sowie dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur erarbeitet hat (Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – BFSGV – 15.6.22, BGBl I 22, 928). Die BFSGV regelt im Einzelnen in den §§ 4 ff. die Anforderungen an Produkte (Produktinformation, Produktgestaltung, Leistung) und in den §§ 12 ff. BFSGV die Anforderungen an Dienstleistungen. Die Rechtsverordnung tritt ebenfalls am 28.6.25 in Kraft.

1.3 Leitlinien des BMAS

Als Hilfestellung für Unternehmen hat das BMAS Leitlinien zum BFSG zur Verfügung gestellt. Darin werden Detailfragen zum BFSG beantwortet, z. B. ob das eigene Unternehmen in den Anwendungsbereich des Gesetzes fällt oder was passiert, wenn die Anforderungen des BFSG an die Barrierefreiheit nicht eingehalten werden. Diese „Leitlinien für die Anwendung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes“ (www.iww.de/s12276) erläutern den Inhalt des Gesetzes anhand von praktischen Beispielen. Gerade für Kleinstunternehmen sind die Leitlinien deshalb eine wertvolle Orientierungshilfe. Sie erläutern auch, warum die Umsetzung von Barrierefreiheit für Unternehmen eine lohnende Investition sein kann.

2. Wen und was betrifft das BFSG?

Das BFSG gilt für Hersteller, Händler und Importeure der nachfolgend genannten Produkte sowie für Erbringer der nachfolgend genannten Dienstleistungen. Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von höchstens 2 Mio. EUR oder einer Jahresbilanzsumme von höchstens 2 Mio. EUR, die Dienstleistungen erbringen, sind vom Gesetz ausgenommen. Kleinstunternehmen, die Produkte in Umlauf bringen, fallen jedoch unter das BFSG. Unternehmen müssen u. a. folgende Produkte künftig barrierefrei anbieten:

  • Hardwaresysteme einschließlich Betriebssystemen und Routern
  • Selbstbedienungsterminals: Zahlungsterminals, Geldautomaten, Fahrausweisautomaten, Check-in-Automaten, Selbstbedienungsterminals zur Bereitstellung von Informationen
  • Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für Telekommunikationsdienste oder für den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten verwendet werden (Computer, Notebooks, Tablets, Smartphones, Mobiltelefone, Fernsehgeräte mit Internetzugang)
  • E-Book-Lesegeräte

Beachten Sie | Bevor ein Produkt, dessen Übereinstimmung mit den Barrierefreiheitsanforderungen der nach § 3 Abs. 2 BFSG zu erlassenden Rechtsverordnung im Verfahren nach Anlage 2 nachgewiesen wurde, in den Verkehr gebracht wird, muss der Hersteller eine EU-Konformitätserklärung (CE-Kennzeichnung) ausstellen (§ 18 BFSG).

Das BFSG gilt für folgende Dienstleistungen, die für Verbraucher nach dem 28.6.25 erbracht werden:

  • Telekommunikationsdienste
  • Elemente von Personenbeförderungsdiensten: Webseiten, Apps, elektronische Tickets und Ticketdienste, Bereitstellung von Verkehrsinformationen, interaktive Selbstbedienungsterminals (für Stadt-, Vorort- und Regionalverkehrsdienste nur interaktive Selbstbedienungsterminals)
  • Bankdienstleistungen für Verbraucher
  • E-Books und hierfür bestimmte Software
  • Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr

3. Einhaltung und Kontrolle der Standards

Die Einhaltung und Kontrolle der Standards erfolgt durch die Bundesländer im Rahmen der sogenannten Marktüberwachung. Unterstützt werden sie dabei von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Sie übernimmt die Koordination zwischen den einzelnen Bundesländern sowie die Kommunikation mit der EU-Kommission und den anderen EU-Mitgliedstaaten. Bei Nichteinhaltung kann die Marktüberwachungsbehörde den Wirtschaftsakteur zunächst auffordern, innerhalb einer von ihr festgesetzten angemessenen Frist geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Konformität des Produkts herzustellen (§ 22 Abs. 2 BFSG). Die Marktüberwachungsbehörde überprüft eine Dienstleistung auch ohne konkreten Anlass anhand angemessener Stichproben auf geeignete Art und Weise und in angemessenem Umfang darauf, ob und inwiefern sie den Anforderungen der BFSGV an die Barrierefreiheit genügt (§ 28 Abs. 2 BFSG). Die Behörde kann die Bereitstellung des Produkts oder der Dienstleistung einschränken oder untersagen oder dafür sorgen, dass Produkte zurückgenommen oder zurückgerufen werden. Dies betrifft nicht nur Hersteller, sondern auch Händler und Importeure.

Wer gegen die Anforderungen an Produkte und Dienstleistungen im Hinblick auf die digitale Barrierefreiheit verstößt, begeht unter den näheren Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 BFSG eine Ordnungswidrigkeit. Diese kann mit einem Bußgeld von bis zu 100.000 EUR belegt werden (§ 37 Abs. 2 BFSG).

4. Verbraucherrechte

Werden die Anforderungen des BFSG an Produkte und Dienstleistungen nicht erfüllt, können Verbraucher bei der für die Marktüberwachung zuständigen Landesbehörde beantragen, dass Maßnahmen gegen denjenigen ergriffen werden, der die gesetzlichen Standards nicht einhält. Lehnt die Behörde dies ab, steht der Verwaltungsrechtsweg offen (§ 33 BFSG, § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO). Wer sich als Verbraucher in seiner Rechtsdurchsetzung beeinträchtigt sieht, kann sich unterstützen und insbesondere durch einen Verband vertreten lassen. Alternativ zu einer verwaltungsgerichtlichen Klage kann ein Verbraucher auch einen Antrag auf Einleitung eines Schlichtungsverfahrens bei der Schlichtungsstelle nach § 16 Abs. 1 des Behindertengleichstellungsgesetzes stellen (§ 34 BFSG). Die Schlichtungsstelle zieht die Marktüberwachungsbehörde auf Antrag des Verbrauchers als Beteiligte im Schlichtungsverfahren hinzu.

Weiterführender Hinweis
  • Bundesfachstelle Barrierefreiheit – Katalog zu allen Fragen rund um die die Barrierefreiheit: www.iww.de/s12428

AUSGABE: BBP 3/2025, S. 72 · ID: 50287044

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