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SachmangelDer „Verbrauch“ der Elektrofahrzeuge: Das neue Brot der vormaligen Dieselskandal-Kanzleien

Abo-Inhalt17.04.20255414 Min. Lesedauer

| Für die „Dieselskandal“-Anwaltskanzleien hat es sich ausgedieselt. Das neu entdeckte Futter ist offenbar der Stromverbrauch der Elektrofahrzeuge (BEV) im Realbetrieb in Relation zum – zugegeben absurden – Normverbrauch. Die Kanzleien bewerben ihre Dienste zu dem Thema so offensiv wie einst bei den manipulierten Dieselfahrzeugen. Das sind für Anwälte auch lukrative Streitwerte, denn in den meisten Fällen wird der Rücktritt vom Kaufvertrag angestrebt. Da rollt nun die nächste Welle auf den Handel zu. Was muss man dazu wissen? ASR klärt Sie auf. |

Der Realverbrauch ist nicht das Maß der Dinge

Mindestens eine der Kanzleien, die sich derzeit auf das Thema stürzen, versucht durchzusetzen, es sei ein erheblicher Mangel, wenn der Realverbrauch den Normverbrauch um mehr als zehn Prozent überschreite. Auf den schriftsätzlichen Einwand, dass es kaufrechtlich nicht um den Realverbrauch gehe, denn das sei bei Verbrennerfahrzeugen ja auch nicht so, kontert man dort wörtlich: „Tatsache ist, dass die Angaben zum Verbrauch auch bei Verbrennermotoren nicht ohne Weiteres im Realbetrieb eingehalten werden. Jedoch hat die Rechtsprechung anerkannt, dass ein Mehrverbrauch von zehn Prozent einen erheblichen Mangel darstellt. Nichts anderes gilt für die Elektrofahrzeuge.“

Wichtig | Das einzig Richtige daran ist: Es gibt keinen Grund, die BEV rechtlich anders zu behandeln als die Verbrennerfahrzeuge. Es wird also so werden, dass die Gerichte die Rechtsprechung zum Verbrauch von Verbrennerfahrzeugen auch auf die BEV anwenden.

Das bedeutet: Der Käufer muss behaupten, das von ihm gekaufte Auto verbrauche, wenn man es unter Normbedingungen daraufhin überprüft, mehr Strom als nach der WLTP-Norm angegeben wurde.

BGH zum nach EG-Richtlinien ermittelten Kraftstoffverbrauch

So heißt es im BGH-Urteil vom 18.06.1997, Az. VIII ZR 52/96, (auf das sich der BGH auch in seiner späteren Rechtsprechung bezieht) unter II b.:

BGH-Urteil im Wortlaut

Es mag sein, dass der Käufer eines Neuwagens – wie die Revision meint – mehr an Angaben über den tatsächlichen Kraftstoffverbrauch „im normalen Betrieb“ als an den nach der EG-Richtlinie ermittelten „Laborwerten“ interessiert ist. Das besagt indessen nichts darüber, welche Beschaffenheitsmerkmale im konkreten Vertrag vereinbart worden sind. In der Betriebsanleitung, anhand derer dem Kläger gegenüber, seinem eigenen Vortrag folgend, bei den Verkaufsverhandlungen Erklärungen über den Benzinverbrauch des Wagens abgegeben worden sind, heißt es nach den Zahlenangaben für die einzelnen Fahrzyklen:

„Die Kraftstoffverbrauchsangaben wurden nach EG-Richtlinien ermittelt.“ Waren die Erklärungen des Verkäufers der Beklagten, was unterstellt werden kann, als Angebot einer Vereinbarung über eine bestimmte Eigenschaft des Pkw zu verstehen, so konnten sie nur so Vertragsinhalt werden, wie es ihrem ausdrücklichen Wortlaut entspricht, nämlich als „nach den EG-Richtlinien ermittelter Kraftstoffverbrauch“. Dem Kläger als Erklärungsempfänger war damit jedenfalls erkennbar, dass die Herstellerangaben auf einer verobjektivierenden Grundlage beruhten und dass sich der bei individueller Fahrweise erzielte Kraftstoffverbrauch mit den angegebenen Werten nicht decken musste. Selbst wenn der Kläger, wie die Revision geltend macht, „über die Funktion der EG-Richtlinie nicht aufgeklärt“ worden ist, kann dies nicht dazu führen, die der Beklagten zuzurechnenden Erklärungen in einem mit dem erkennbar Gewollten unvereinbaren Sinne auszulegen.

Also muss das Fahrzeug auf dem Normprüfstand auf seinen Verbrauch unter Normbedingungen überprüft werden. Das ist aber eine sehr teure Angelegenheit, sodass der rechtschutzversicherte Käufer im Hinblick auf die Prozessrisikobereitschaft dem Autohändler mehr als nur eine Nasenlänge voraus ist.

Praxistipp | Es ist also ratsam, den Hersteller mit ins Boot zu holen. Denn wer weiß, was bei der Normmessung für das konkrete Fahrzeug herauskommt? Und immerhin stammen die Normangaben für das Fahrzeug ja aus Unterlagen, die der Hersteller in den Markt gebracht hat.

Eine Abweichung im Realverbrauch ist kein Sachmangel

Die BGH-Rechtsprechung auf das BEV übertragen sagt also: Keinesfalls muss das Fahrzeug auch im Alltag den WLTP-Verbrauch aufweisen und das auch noch unabhängig von

  • der dabei extrem relevanten Außentemperatur,
  • der ebenso relevanten Fahrweise und
  • der Anzahl der zugeschalteten Stromverbraucher im Fahrzeug.

Das genormte Prüfverfahren erweckt den Eindruck, als seien kaufentschlussfördernde Ergebnisse politisch gewollt. Denn es ist auf die Erzielung imponierender Reichweiten außerhalb des Realbetriebs abgestimmt. In so ziemlich jedem Autotest seriöser Medien hat sich erwiesen, dass man von der Norm-Reichweitenangabe des Herstellers für den tatsächlichen Fahrbetrieb getrost mindestens 20 Prozent abziehen kann. Im Winter auch noch reichlich mehr.

Verbrauchsmessung unter Normbedingungen – und der Realbetrieb

Die „Wohlfühltemperatur“ einer Antriebsbatterie für ein Elektroauto liegt bei 23 Grad. Bei niedrigeren Temperaturen nimmt die Leistungsfähigkeit der Batterie exponentiell ab. Letzteres ist physikalisch zwingend.

Die Innenraumheizung eines Elektroautos wird nicht durch die Abwärme des Motors (weil es die dort mangels „Verbrennung“ nicht gibt) gespeist. Stattdessen funktioniert sie wie der gute alte Heizlüfter. Eben mit Strom. Sie kann das Auto auch vorheizen, während man, bildhaft gesprochen, noch beim Frühstück sitzt. Der für das Heizen verbrauchte Strom fehlt dann der Reichweite ebenso wie der für die Sitzheizung. Je kälter es ist, desto mehr addieren sich die reduzierte Leistung der Batterie und der Stromverbrauch durch die Komfort-Features.

Wichtig | Daher wird die „Verbrauchsmessung“ unter Normbedingungen bei einer Labortemperatur von 23 Grad und bei abgeschalteten Stromverbrauchern aus dem Komfortbereich durchgeführt. Diese Verhältnisse werden im tatsächlichen Fahrbetrieb nicht häufig bestehen.

Der Fahrzyklus beim Normtest – und die realen Fahrten im Alltag

Hinzu kommt: Beim Normtestzyklus wird ein definierter Fahrtzyklus simuliert. Kern des WLTP ist dabei der Fahrzyklus WLTC (C für Cycle), also die Geschwindigkeitskurve, die im Labor exakt nachgefahren werden muss.

Der WLTC besteht aus den vier Teilzyklen Low, Medium, High und Extra High. Die Begriffe stehen für Geschwindigkeitsniveaus. So wird in Low maximal 56,5 km/h gefahren. Und auf 56 Prozent des 3.095 Meter langen Low-Abschnitts steht das Elektroauto auf dem Prüfstand still. Hier werden eine Ampelphase oder Stop-and-Go-Verkehr simuliert.

Die höchste und nur für wenige Sekunden gefahrene Geschwindigkeit im Teilzyklus Extra High beträgt 131,3 km/h. Betrachtet man den kompletten Fahrzyklus WLTC, kombiniert aus den Teilzyklen Low, Medium, High und Extra High, liegt das Durchschnittstempo inkl. Haltephasen bei nur 46,5 km/h.

Wichtig | Es gehört – gemessen an der BGH-Rechtsprechung für die Verbrenner – nicht zu den objektiven Anforderungen (§ 434 Abs. 3 BGB) an das Fahrzeug, dass es im Alltag unter widrigen Umständen wie niedrigen Temperaturen und höheren Durchschnittsgeschwindigkeiten als im Normzyklus nicht mehr verbraucht, als der unter Normbedingungen ermittelte Normverbrauch beträgt.

Streitvermeidende Aufklärung vorab dokumentieren

Aus dem Blickwinkel des Juristen wäre es voraussichtlich sehr streitvermeidend, mindestens aber hochgradig risikovermindernd, wenn im Kaufvertrag und beim Verbrauchsgüterkauf zusätzlich in der vorvertraglichen Information notiert wäre:

Musterformulierung / Der reale Energieverbrauch eines BEV

Der Energieverbrauch nach der WLTP-Norm und der reale Energieverbrauch im gemischten Realbetrieb stimmen nicht überein. Die Reichweite des Fahrzeugs, die nach der WLTP-Norm ermittelt wurde, wird also im Realbetrieb nicht erreicht werden. Abweichungen von mindestens 20 Prozent nach unten, bei kühlen und kalten Außentemperaturen und auch bei zügiger Fahrweise noch mehr, sind realistisch zu erwarten.

Wenn man diese Divergenzen vorab mit dem Kunden besprochen hat, um keine unrealistischen Erwartungen zu wecken, müsste das auch umsetzbar sein.

AUSGABE: ASR 6/2025, S. 9 · ID: 50392164

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