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ComplianceNachhaltigkeit im Autohaus: Wie die ESRS-Sozialstandards aufgebaut und umzusetzen sind

Abo-Inhalt28.05.202496 Min. LesedauerVon Werner Koller, LL.M., Geschäftsführer der TCJG, München

| CSRD, ESRS, Berichtspflicht & Co. – spätestens ab 2025 werden das keine Fremdwörter mehr für schätzungsweise knapp 600 Kfz-Händler sein. Ab da müssen sie nämlich beweisen, dass sie nachhaltig wirtschaften. Und zwar in einem Nachhaltigkeitsbericht. Besonderes Augenmerk legen die EU-Regularien dabei auf die Einhaltung von Sozialstandards. Das zeigt sich allein daran, dass sich vier der zehn ESRS mit sozialen Aspekten befassen. Was es mit ihnen konkret auf sich hat und wie Sie diese in der Praxis erfüllen, erfahren Sie in Teil 3 der ASR-Serie zu „Nachhaltigkeit im Autohaus“. |

Kleines Fresh-Up: Wie war das mit der CSRD und den ESRS?

Die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) konkretisieren die Inhalte, über die Ihr Unternehmen – so es von der Nachhaltigkeitsberichtspflicht lt. CSRD betroffen ist – informieren muss. Oberstes Ziel ist die Verständlichkeit, Relevanz, Überprüf- und Vergleichbarkeit der Nachhaltigkeitsinformationen. Die ESRS sind also konkret auf die Anforderungen der CSRD angepasst und von allen berichtspflichtigen Unternehmen anzuwenden.

Konkret umfassen die ESRS zehn Hauptstandards aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance; vier davon beschäftigen sich mit dem Bereich Soziales, genauer gesagt mit den sozialen Aspekten nachhaltigen Wirtschaftens.

Das sind die vier Sozialstandards der ESRS

Die vier Sozialstandards der ESRS sind die Standards S1 bis S4. Sie zielen darauf ab, Transparenz über soziale Praktiken, Strategien und Maßnahmen in Unternehmen zu schaffen. Konkret müssen Sie deswegen im Rahmen der CSRD-Berichtspflicht aufklären über Ihre wesentlichen Auswirkungen, Risiken und Chancen im Hinblick auf

  • die eigene Belegschaft (S1),
  • die Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette (S2),
  • betroffene Gemeinschaften (S3) sowie
  • Verbraucher und Endnutzer (S4).

Inhaltlich lehnen sich die vier Sozialstandards maßgeblich an internationale und europäische Menschenrechtsinstrumente und -übereinkommen an. Deswegen müssen Sie für Ihr Autohaus möglichst umfassende Informationen über Arbeitsbedingungen, Gleichbehandlung und Menschenrechte offenlegen.

Dazu gehören z. B. Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, faire Löhne, sichere Beschäftigung, sozialer Dialog, gewerkschaftliche Freiheit sowie Grundrechte.

50030837_ASR Grafik_Koller.eps (© IWW Institut)
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© IWW Institut

So sind die Standards S1 bis S4 aufgebaut

Bei den vier Sozialstandards wurde eine Stakeholder-orientierte Struktur gewählt, die die Auswirkungen Ihres Autohauses auf die betroffenen Stakeholder in den Mittelpunkt rückt. Die Folge: Sie enthalten viele unterschiedliche Offenlegungsanforderungen.

Drei der vier Sozialstandards – und zwar die Standards S2, S3 und S4 – haben dennoch nahezu den gleichen Umfang und Aufbau. Das liegt daran, dass Orientierungspunkt für diese Strukturierung der Prozess der Sorgfaltspflichten (Sustainability Due Diligence) ist, entlang dessen Phasen die Angabepflichten der einzelnen Standards gesehen werden können.

Diese fünf Offenlegungspflichten gelten für die Standards S2 bis S4

Die drei Standards S2, S3 und S4 enthalten auch alle dieselben fünf Offenlegungspflichten, wobei die Angaben im Rahmen der einzelnen Standards jeweils für die verschiedenen Stakeholder-Gruppen offenzulegen sind. Konkret umfasst die Offenlegungssystematik folgende Punkte:

  • 1. Strategien im Zusammenhang mit der jeweiligen Stakeholder-Gruppe
  • 2. Verfahren zur Einbeziehung der jeweiligen Stakeholder-Gruppe
  • 3. Verfahren zur Behebung negativer Auswirkungen auf die jeweilige Stakeholder-Gruppe
  • 4. Maßnahmen in Bezug auf wesentliche Auswirkungen und Ansätze zur Minderung wesentlicher Risiken und zur Nutzung wesentlicher Chancen im Zusammenhang mit der jeweiligen Stakeholder-Gruppe
  • 5. Ziele im Zusammenhang mit der jeweiligen Stakeholder-Gruppe

Die Methodiken der Datenerfassung orientieren sich hier sowohl an den Ergebnissen Ihrer vorgeschalteten Wesentlichkeitsanalyse als auch an den Resultaten Ihrer Stakeholder-Analyse.

Wichtig | Die Regelungen in den ESRS gehen widerlegbar davon aus, dass alle Stakeholder-Gruppen – auch die in der Lieferkette – bezogen auf deren Einfluss auf das Ergebnis („material impact“) Ihres Autohauses wesentlich sind. Das gilt unabhängig davon, ob Sie den Vorgaben aus dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) oder der europäischen Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) jetzt oder künftig unterliegen.

Für Standard S1 gelten besondere Offenlegungspflichten

Der Sozialstandard S1, also die Offenlegungen zur eigenen Belegschaft, ist am umfangreichsten. Er umfasst – neben den fünf genannten – zwölf weitere Angabepflichten. Das lässt sich maßgeblich darauf zurückführen, dass Unternehmen hier sowohl über mehr Daten verfügen als auch einen höheren Einfluss im Vergleich zu anderen Stakeholder-Gruppen ausüben können – und darum wird der Standard S1 im Folgenden auch genauer betrachtet.

Besonderer Fokus liegt auf dem Standard S1

Zunächst ist hervorzuheben, dass der Begriff „eigene Belegschaft“ auch nicht direkt bei Ihnen beschäftigte Mitarbeiter meint, sofern diese ihrer Tätigkeit auf Ihrem Firmengelände nachgehen und mit „direkten“ Mitarbeitern Ihres Autohauses interagieren. Sprich der Begriff schließt auch Mitarbeiter von Fremdfirmen im Unterauftrag (Sub-Unternehmer) oder Selbstständige ein. Für diese gelten die Regelungen zu Sozialstandard S1 analog.

Welche Offenlegungspflichten speziell für Standard S1 gelten

Für Ihre „eigene Belegschaft“ müssen Sie offenlegen,

  • welche wesentlichen Auswirkungen aus Ihrer Geschäftstätigkeit sowie der Art und Weise der Leistungserbringung auf Ihre Belegschaft entfallen,
  • welche Maßnahmen Sie ergreifen, um tatsächliche oder potenzielle negative Auswirkungen zu verhindern, abzuschwächen oder zu beseitigen,
  • welche Ergebnisse Sie mit diesen Maßnahmen erzielt haben,
  • welchen wesentlichen Chancen, Risiken und Abhängigkeiten Ihr Autohaus in Bezug auf Strukturmerkmale Ihrer „eigenen Belegschaft“ ausgesetzt ist,
  • welche Maßnahmen es hieraus ergreift und
  • welche finanziellen Effekte für Ihr Autohaus aus diesen Chancen und Risiken kurz-, mittel- und langfristig entstehen.

Hier zeigt sich sehr schön die doppelte Logik der Standards: Die Berichtspflicht zu Sozialstandard S1 umfasst immer sowohl die Effekte auf Ihre Belegschaft als auch solche aus der Belegschaft.

Das regulatorische Fundament des Standards S1

Die Anforderungen an die Sozialberichterstattung stehen im Einklang mit den internationalen und europäischen Rahmenwerken im Hinblick auf Sozial- und Menschenrechtsbelange. Sie bilden zugleich auch das regulatorische Fundament des Standards S1. Im Detail sind das:

  • Internationale Charta der Menschenrechte
  • UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte
  • OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen
  • Erklärung der Internationalen Arbeitsorganisation über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit
  • UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
  • Europäische Menschenrechtskonvention
  • Europäische Sozialcharta
  • Charta der Grundrechte der Europäischen Union

Wie Sie Standard S1 in der Praxis erfüllen

Das Wichtigste vorweg: Der Erfüllungsaufwand für die Einhaltung der Vorgaben des Standards S1 ist in der Praxis weniger komplex als es der juristische Regelungsgehalt impliziert. Im Prinzip geht es „nur“ um die berichtliche Darstellung folgender Punkte:

  • Arbeitsbedingungen
    • Sicherheit des Beschäftigungsverhältnisses
    • Angemessene Arbeitszeitregelungen
    • Angemessene Entlohnung
    • Sozialer Dialog
    • Schutz der Vereinigungsfreiheit und Ermöglichung von Betriebsräten
    • Einhaltung der Arbeitnehmerrechte auf Information und Mitbestimmung
    • Teilnahme an Tarifverhandlungen und Quote der tariflich gebundenen Arbeitskräfte
    • Sicherstellung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben
    • Sicherstellung von Gesundheitsschutz und Ausstattung der Arbeitsplätze
  • Gleichbehandlung und Chancengleichheit
    • Gleichstellung der Geschlechter und gleicher Lohn für gleiche Arbeit
    • Angemessene Schulungen und regelmäßige Kompetenzentwicklung
    • Beschäftigung und Inklusion von Menschen mit Behinderung
    • Maßnahmen gegen Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz
    • Förderung von Vielfalt/Diversität
  • Sonstige arbeitsbezogene Rechte
    • Einhaltung des Verbots von Kinderarbeit
    • Einhaltung des Verbots von Zwangsarbeit
    • Sicherstellung angemessener Unterbringung
    • Sicherstellung des wirksamen Schutzes der persönlichen Daten

Wichtig | Wo immer möglich, müssen Sie die einzelnen Berichtselemente mit quantitativen Kennzahlen versehen und für die nächste Berichtsperiode mit Zielen belegen. Von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung – und damit im Nachhaltigkeitsbericht spezifischer zu detaillieren – sind Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel, die Sicherstellung des Kompetenzerhalts im Rahmen der demographischen Entwicklung sowie die Sicherstellung der Vertraulichkeit der Meldewege für interne und externe Hinweisgeber zu Missständen und/oder Rechtsverstößen in Ihrem Autohaus.

Praxistipp | In seiner Gesamtheit unterliegt der Standard S1 den sog. Phase-in-Regelungen für Unternehmen und Konzerne, deren Mitarbeiteranzahl im Jahresschnitt nicht über 750 liegt. Das heißt konkret: Autohäuser mit im Jahresschnitt weniger als 750 Mitarbeitern können für das erste Jahr ihrer Berichtspflicht – das ist typischerweise das Geschäftsjahr 2025 – auf die Berichterstattung zu Standard S1 erstmal verzichten.

AUSGABE: ASR 6/2024, S. 15 · ID: 50030837

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