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KI in der AnwaltskanzleiEnterprise Search kann auch für kleinere Kanzleien ein Mehrwert sein

Abo-Inhalt22.04.20251632 Min. LesedauerVon Alexia Libert Lemay, General Counsel und Corporate Secretary beim Enterprise-Search-Anbieter Sinequa

| Das Ergebnis sog. Enterprise-Search-Lösungen, die um neue Technologien der generativen Künstlichen Intelligenz angereichert werden, ist eine „Retrieval-Augmented Generation“ (RAG). Zuerst führt man eine Suche durch und lässt danach das Large Language Modell – basierend auf den gefundenen Informationen – eine Antwort generieren (AK 25, 8). Üblicherweise sind solche Suchlösungen recht teuer und werden deshalb zumeist von Großkanzleien eingesetzt. Trotzdem sind die Anforderungen kleiner und mittelständischer Kanzleien im Prinzip die gleichen, was das Auffinden von Informationen angeht. Auch dort benötigen Anwälte schnellen Zugriff auf Präzedenzfälle, Dokumentationen und sonstige relevante Informationen. |

Schnell auf Präzedenzfälle zugreifen

Eine einfache Stichwortsuche über die Informationen in der Kanzlei, wie sie im Windows-Explorer durchgeführt werden kann, ist in der Regel viel zu ungenau, um nach Präzedenzfällen zu suchen. Kanzleien können insofern Microsoft SharePoint anpassen, damit er als zentraler Dokumentenspeicher mit umfassenden Kollaborationsmöglichkeiten dient. Das ist eine günstige Option für Kanzleien, die bereits viel mit dem Microsoft-Ökosystem arbeiten. Trotzdem wird man auch hier bei einer spezifischen Frage unter einer Lawine zu allgemeiner Ergebnisse begraben. Hier wäre eigentlich Relevanz gefragt.

Etliche Kanzleien nutzen deshalb inzwischen weiterentwickelte Dokumentenmanagementsysteme (DMS). iManage, LEXolution oder OpenText eDOCS sind bekannte Namen in diesem Bereich. Sie bieten weiterreichende Möglichkeiten der Suche und helfen dabei, Dokumente, E-Mails und andere Informationen sicher zu speichern, zu organisieren, zu teilen und zu bearbeiten.

Kontextsensitiv suchen

Um kontextsensitiv zu suchen, bieten Enterprise-Search-Lösungen – über DMS hinaus – spezifische Vorteile, insbesondere, wenn es um Informationen im juristischen Alltag geht. Sie kontextualisieren Anfragen durch KI, d. h.: Sie suchen nach Inhalten, die denselben Bezug haben, also „nahe beieinander stehen“ und in einem Zusammenhang gesehen werden. Dazu durchforsten sie Informationen aus mehreren, heterogenen Datenquellen (DMS, E-Mails, Intranet, CRM, Cloud-Speicher, Wissensdatenbanken) gleichzeitig. Das ermöglicht eine einheitliche Suche, selbst, wenn die Informationen über verschiedene Systeme verteilt sind.

Die Nützlichkeit hängt also von der „intelligenten“ Extraktion des Wesentlichen aus einer großen Datenmenge ab. Eine solche Extraktion liefert Informationen, die sich nicht nur auf den Inhalt der Frage beziehen, sondern auch auf die Identität der fragenden Person. So muss z. B. deren Arbeitskontext bei der Auswahl der relevanten Antworten eine Rolle spielen. Genau dies vermag Enterprise Search. Diese sucht Informationen innerhalb eines bestehenden Datenfundus, während generative KI Antworten unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt formuliert. Eine Lösung dieses Problems liegt in der Verbindung eines KI-Chatbots mit der Enterprise-Search-Software, auch Retrieval-Augmented Generation (RAG) genannt.

Diese 5 praktischen Anwendungsfälle sind denkbar

1. Effiziente Fallrecherche und Dokumentenverwaltung

In einer Kanzlei müssen Anwälte auf eine Vielzahl an Dokumenten, Gerichtsentscheidungen und Fallakten zugreifen. Diese werden oft in separaten Systemen, wie E-Mail-Postfächern, externen Datenbanken und internen Laufwerken, abgelegt. Eine Enterprise-Search-Plattform verbindet alle relevanten Dokumente, Verträge, E-Mails, juristischen Fälle sowie interne Wissensdatenbanken und bettet sie in eine zentrale, durchsuchbare Oberfläche ein. Das spart deutlich Zeit in der Recherche. Geschwindigkeit und Genauigkeit der Fallbearbeitung steigern sich.

2. Rechtskonforme Archivierung und Compliance

Die Anforderungen an die Dokumentation und die Einhaltung von Compliance-Vorgaben sind auch für kleinere Kanzleien hoch. Eine strukturierte und rechtskonforme Archivierung aller Akten, E-Mails und Unterlagen ist erforderlich. Eine Enterprise-Search-Lösung mit Archivierungsfunktion hilft dabei, alle relevanten Informationen strukturiert und revisionssicher abzulegen. Sie kann auch Funktionen, wie automatische Indexierung, Verschlagwortung und Filterung nach gesetzlichen Anforderungen bieten. Die Einhaltung von Compliance-Vorgaben wird dadurch erleichtert.

3. Wissensmanagement und Expertennetzwerk

Besonders in kleinen Teams geht Fachwissen schnell verloren, wenn Fachkräfte die Kanzlei verlassen. Durch eine Enterprise-Search-Lösung können Sie eine interne Wissensdatenbank aufbauen, die Wissen aus vergangenen Fällen, juristischen Gutachten und Expertise von Kollegen speichert und abrufbar macht. Die Plattform kann anhand von bestimmten Schlüsselwörtern und Themen die passenden Experten der Kanzlei identifizieren. So bleibt das Wissen langfristig in der Kanzlei erhalten und ist schnell zugänglich.

4. Mandantenkommunikation und Kundenservice verbessern

Mandanten erwarten von ihren Anwälten schnelle und präzise Antworten auf rechtliche Fragen zu laufenden Fällen. Oft ist es zeitaufwendig, die aktuelle Situation eines Falls herauszufinden und die entsprechenden Informationen dem Mandanten bereitzustellen. Mit einer Enterprise-Search-Plattform erhalten Kanzleien eine 360-Grad-Ansicht auf jedes Mandat und finden schnell alle relevanten Dokumente, Kommunikation und Notizen zum Fall.

5. Personalisierte Rechtsprechungs- und Gesetzesupdates

Gesetze und Regelungen ändern sich regelmäßig und jeder Anwalt muss auf dem neuesten Stand bleiben. Enterprise-Search-Lösungen integrieren externe Datenbanken und juristische Quellen. Sie informieren proaktiv über neue Entwicklungen im relevanten Rechtsgebiet. Damit die Enterprise-Search-Lösung auf bereits bezahlte Datenbanken, z. B. Beck oder juris, zugreifen kann, muss die Kanzlei dies beim Datenbankprovider anmelden. Dieser öffnet eine Schnittstelle, über die die Suchlösung andockt, um die Beck/juris-Inhalte zu indizieren. Ob und zu welchen Konditionen er dies tut, ist abhängig vom geschlossenen Vertrag: Wie viele User haben Zugriff, sind Downloads möglich etc. Technisch gesehen ist das Andocken der Suchsoftware einfach. Von dieser Seite aus verursacht es keine zusätzlichen Kosten.

Fazit | Obwohl Enterprise-Search-Lösungen kostspielig sind, können sie eine nachhaltige Investition sein. Denn sie können bei der Optimierung der internen Abläufe unterstützen, Rechtskonformität bieten, die Mandantenkommunikation verbessern und zur langfristigen Wissenssicherung beitragen. Vor allem übertreffen sie Dokumentenmanagementsysteme in Szenarien, in denen kontextsensitives und quellenübergreifendes Auffinden von Informationen entscheidend ist. Für Kanzleien kann eine Kombination aus beiden Ansätzen ideal sein: DMS für die strukturierte Dokumentenverwaltung und Enterprise Search, um relevante Informationen aus verschiedenen Systemen schnell und effizient zu erschließen.

Definition und Funktionen von Enterprise-Search-Lösungen

  • Enterprise-Search-Lösungen
    • sind spezialisierte Suchmaschinen für Kanzleien, die Inhalte aus verschiedenen Quellen (z. B. DMS, E-Mails, Intranet) zentral durchsuchen und relevante Ergebnisse bereitstellen.
    • nutzen KI-gestützte Funktionen, wie linguistische Analyse, Deep Learning und Relevanzmodelle, um präzise Suchergebnisse zu liefern.
    • integrieren generative KI (genAI), wie ChatGPT, und erstellen neue Inhalte auf Basis gefundener Informationen (Retrieval-Augmented Generation = RAG).
  • Vorteile und Einsatzmöglichkeiten
    • Effizienzsteigerung bei Recherchen, indem Dokumente, Verträge und juristische Informationen in einer durchsuchbaren Oberfläche verbunden werden. Das spart Zeit und erhöht die Genauigkeit.
    • Kontextsensitive Suche erkennt Zusammenhänge zwischen Informationen und liefert relevante Antworten unter Berücksichtigung des Arbeitskontexts des Suchers.
    • 360-Grad-Ansicht macht alle Informationen zu einem Fall – von Dokumenten bis zu E-Mails – zentral verfügbar. Das erleichtert die Mandantenkommunikation und Fallbearbeitung.
  • Anwendungsbeispiele
    • Rechtskonforme Archivierung erleichtert die strukturierte und gesetzeskonforme Ablage und Indexierung von Dokumenten.
    • Wissensmanagement bewahrt internes Wissen und identifiziert Experten innerhalb der Kanzlei, um den Wissensverlust durch Fluktuation zu minimieren.
    • Mandantenkommunikation/Kundenservice wird durch schnellen Zugriff auf relevante Fallinformationen verbessert und spart Zeit bei der Bearbeitung von Mandantenanfragen.
    • Personalisierte Updates zu Gesetzesänderungen und Rechtsprechungen helfen, stets auf dem neuesten Stand zu bleiben.
  • Herausforderungen und Nachteile
    • Kosten: Enterprise-Search-Lösungen sind häufig teuer, was v. a. kleine und mittelgroße Kanzleien betrifft.
    • Datenintegration und Datenschutz: Der Einbezug externer Datenbanken kann aufwendig sein und datenschutzrechtliche Herausforderungen mit sich bringen.
    • Limitierungen von genAI: Große Sprachmodelle (LLMs) können Halluzinationen erzeugen, Quellen nicht angeben und sind oft nicht aktuell. RAG verbessert diese Probleme durch faktenbasiertes Arbeiten.

AUSGABE: AK 5/2025, S. 84 · ID: 50269117

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