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MandatsverhältnisWiderstreitende Interessen – sind „Chinese Walls“ die Lösung?
| Wir kennen es: Ein potenzieller Mandant kommt mit einer neuen Sache ins Büro. Das Honorar ist lukrativ. Die Honorarvereinbarung wird unterschrieben. Alle sind glücklich! Der Anwalt, weil er sichere Einnahmen hat, und der Mandant, weil er einen kompetenten Berater gefunden hat. Kurz danach klingelt das Telefon. Der Gegner meldet sich. In dieser Rolle will er aber nicht über die Sache sprechen. Die Kanzlei soll ihn vertreten. Darf der Anwalt das? Der Einzelanwalt: nein! Die Kanzlei mit mehreren Berufsträgern: nur, wenn sie sog. Chinese Walls errichtet. |
Die Ausgangssituation ist problematisch
Was sich zunächst unrealistisch anhört, kommt immer wieder vor. Gerade bei Kanzleien, die hoch spezialisiert sind und deshalb am Markt mit relativ wenig Konkurrenz rechnen müssen, sind solche Konstellationen denkbar.
Es gibt zwar viele Regelungen im anwaltlichen Berufsrecht, gegen die der Anwalt verstoßen kann und woraufhin er mit „Ärger“ von der Rechtsanwaltskammer rechnen muss. Strafrechtliche Konsequenzen drohen aber eher selten. Eine Ausnahme stellt der Parteiverrat (§ 356 StGB) dar. Das ist eine der wenigen Normen des Strafrechts, die konkret auf die anwaltliche Praxis zugeschnitten ist. Das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen ist eine der anwaltlichen Grundpflichten (§ 43a Abs. 4 BRAO). Eine Interessenkollision liegt vor, wenn der Anwalt in derselben Rechtssache beide Parteien berät oder vertritt.
Was bedeutet „dieselbe Rechtssache“?
Was allerdings unter dem Begriff „dieselbe Rechtssache“ zu verstehen ist, lässt der Gesetzgeber offen. Eine Legaldefinition findet sich nicht. Auch in § 3 BORA, der die Regelung konkretisieren soll, bleibt der Begriff unklar.
Fakt ist, dass sich das Verbot immer nur auf eine ganz konkrete Sache bezieht. Damit sind sämtliche Fälle ausgeschlossen, in denen der Anwalt in einer Sache den Kläger und in einer anderen Sache den Beklagten vertritt. Solche Konstellationen kommen insbesondere im Arbeitsrecht vor. Z. B. vertritt der Anwalt im Januar einen Arbeitnehmer wegen einer betriebsbedingten Kündigung gegen dessen Arbeitgeber. Im Februar verdrehen sich die Rollen dann: Jetzt vertritt er den Arbeitgeber. Für ihn soll er eine verhaltens- bedingte Kündigung gegen einen anderen Arbeitnehmer aussprechen.
Was für den Laien durchaus als eine Art Interessenkollision aussehen mag, ist aus berufsrechtlicher Sicht vollkommen unproblematisch. Denn es handelt sich offensichtlich um zwei verschiedene Rechtssachen.
Bei der Prüfung, ob widerstreitende Interessen vorliegen, müssen Sie die Identität der Tatsachen und die Gesamtheit der Interessen betrachten. Würdigen Sie den Sachverhalt in seinem vollen Umfang und stellen Sie sich die Frage, ob das materielle Rechtsverhältnis auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt basiert. Ist das der Fall, liegt dieselbe Rechtssache vor.
Belanglos ist dabei die Frage, welche konkrete Ausgestaltung die einzelnen Ansprüche haben. So kann ein Rechtsanwalt nicht einerseits einen Anspruch auf Schadenersatz wegen eines Totalschadens an einem Fahrzeug gegen den Schädiger geltend machen und zugleich den Schädiger gegen das Unfallopfer vertreten, wenn es um die Geltendmachung von Schmerzensgeld geht. Denn beide Ansprüche beruhen auf demselben Sachverhalt – dem Unfall.
Auch zeitliche Komponenten sind für die Beurteilung belanglos. Es spielt keine Rolle, wann der Anwalt ins Spiel kommt. Findet etwa zwischen den Instanzen ein Anwaltswechsel statt, hat das auf die Beurteilung der Interessenkollision keine Auswirkungen. So darf die Vertretung in der Berufungsinstanz nicht durch den gegnerischen Anwalt der ersten Instanz stattfinden.
Was bedeutet „Interessengegensatz?“
Ein identischer Lebenssachverhalt reicht aber noch nicht aus, um von einem widerstreitenden Interesse sprechen zu können. Hinzu kommen muss ein gegenläufiges Interesse. Das liegt vor, wenn die Interessen der beiden Parteien gegeneinander stehen. Das ist etwa der Fall, wenn die Beratung des Mandanten A dazu führt, dass dem Mandanten B ein geringerer Anspruch zusteht. Berät der Anwalt z. B. ein Ehepaar in der Scheidungsphase und geht es um den Zugewinnausgleich, führt die Beratung des Ehemanns mit dem Ziel, den Zugewinn zu reduzieren, dazu, dass die Ehefrau weniger erhält.
Eine solche Situation kann sich etwa aus der Vertretung mehrerer Gesamtschuldner entwickeln: Hat der Anwalt alle im Prozess vertreten und einen Großteil des Anspruchs abgewehrt, liegt hierhin noch kein Interessengegensatz. Denn das Ziel sämtlicher Gesamtschuldner ist es, den Anspruch so weit wie möglich durch das Gericht abweisen zu lassen. Steht aber endgültig fest, wie viel die Beklagten zahlen müssen, geht es um den Ausgleich zwischen den Gesamtschuldnern. In diesem Fall beginnt das „Hauen und Stechen“ zwischen den einzelnen Mandanten. Keiner von ihnen möchte mehr zahlen als notwendig. In dieser Phase ist eine gemeinschaftliche Vertretung durch einen Anwalt nicht mehr zulässig. Denn jetzt geht es darum, die Interessen innerhalb der Gesamtschuldner auszugleichen. Keiner von ihnen möchte etwas zahlen. Würden alle Schuldner von einem Anwalt vertreten werden, folgt daraus zwangsläufig, dass die Reduzierung des Haftungsbetrags bei dem einen dazu führt, dass ein anderer mehr zahlen muss.
Und genau diese Situation möchte der Gesetzgeber vermeiden. Denn der Anwalt muss sich in diesem Fall für einen der Gesamtschuldner positionieren. Irgendwie rutscht er in dieses Dilemma hinein, indem er – wenn auch ungewollt – den einen Mandanten „besser“ berät als die anderen, auch wenn das nur daraus folgt, dass genau dieser Mandant mehr Druck aufbaut oder geschickter im Gespräch mit dem Anwalt ist. Deshalb darf der Anwalt hier keinen seiner bisherigen Mandanten mehr vertreten, auch nicht nur einen.

Mit „Chinese Walls“ Informationsaustausch trennen
Neben diesen Einschränkungen hat der Anwalt die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen Mandanten mit widerstreitenden Interesse zu vertreten. So enthält § 43a Abs. 4 S. 4 BRAO eine Öffnung für die Fälle, in denen die Mandanten umfassend belehrt und entsprechende kanzleiinterne Vorkehrungen getroffen wurden. Indem Abteilungen oder Anwälte in einer Kanzlei so voneinander getrennt werden, dass keine Informationen ausgetauscht werden, spricht man von „Chinese Walls“. Allerdings bleiben die Vorgaben vage:
- Die Mandanten sind in Textform umfassend zu informieren. Dabei reicht es nicht aus, wenn nur allgemeine Angaben zu den berufsrechtlichen Regelungen gemacht werden. Die bloße Aussage, Anwälte dürfen keine widerstreitenden Interessen vertreten, ist zu unpräzise. Denn die Mandanten müssen auf Basis dieser Information frei entscheiden können, ob sie die Vertretung wünschen.Alle betroffenen Mandanten informieren
Praxistipp | Sie müssen konkret darlegen, dass ein einheitlicher Lebenssachverhalt vorliegt, der die Grundlage der Beratung ist. Erläutern Sie, welche Konsequenzen die Tätigkeit für mehrere Mandanten mit sich bringt. Zeigen Sie die Folgen daraus. Den Mandanten muss klar sein, auf was sie sich einlassen. Dafür müssen Sie als Anwalt präzise erläutern, welche Probleme die gemeinschaftliche Vertretung mit sich bringen kann. Dabei empfiehlt es sich auch, klarzumachen, dass das Mandat zu allen Mandanten beendet werden muss, wenn sich herausstellt, dass sich die Interessen auf einen Widerstreit zuspitzen. |
- Sie müssen bestimmte Vorkehrungen in Ihrer Kanzlei treffen. Was § 43a Abs. 4 S. 4 BRAO damit konkret meint, bleibt offen. Es hilft § 3 Abs. 4 BORA. Dort hat der Satzungsgeber präziser formuliert, welche Ansprüche er hat, wenn in einer Kanzlei widerstreitende Interessen vertreten werden sollen.Organisatorische Vorkehrungen treffen
- Wesentlich ist dabei die Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht. Es muss sichergestellt werden, dass ausschließlich verschiedene Personen das Mandat inhaltlich bearbeiten (§ 3 Abs. 4 S. 2 Buchst. a BORA). Was zunächst einfach aussieht, kann sich in der Praxis als schwierig gestalten. Anfangs lässt sich für jeden Mandanten ein konkreter Anwalt festlegen. Das wird gegenüber den Mandanten sowie innerhalb der Kanzlei klar kommuniziert. Schwierig wird es, wenn weitere Anwälte zur Bearbeitung hinzugezogen werden sollen, die auch in der Kanzlei tätig sind. Dann kann das Personal ausgehen. Denn der Satzungsgeber will gerade vermeiden, dass ein dritter Anwalt in der Kanzlei existiert, den die beiden anderen Anwälte wechselseitig kontaktieren, etwa, um ein konkretes Problem zu lösen.
- Die weitere Voraussetzung hat eher technischen Charakter. Sie soll einen gemeinsamen Zugriff auf die Aktenverwaltung ausschließen (§ 3 Abs. 4 S. 2 Buchst. b BORA). Hierzu können in der Software etwa konkrete Zugriffsrechte eingeräumt werden. Im Umkehrschluss können bestimmten Mitarbeitern der Zugang zum besonderen Anwaltspostfach entzogen werden. Hinsichtlich der Papierakte gestaltet es sich noch einfacher: Sie bleibt einfach im Büro des bearbeitenden Anwalts.Kein Zugriff von anderen auf die Akten
- Aber auch hier stößt die Theorie schnell an die Grenzen der Praxis. Denn unter Umständen wandert die Akte in die Buchhaltung, um einen Vorschuss oder Reisekosten zu buchen. Oder die Auszubildende holt sie sich, um darin aufzuräumen. Kommt dann der gegnerische Anwalt zufällig dazu, kann es sein, dass er einem Blick in die Akte nicht widerstehen kann.
- In der letzten Vorgabe des § 3 Abs. 4 S. 2 Buchst. c BORA sollen die Gespräche über das Mandat z. B. in der Kaffeeküche und der Raucherecke ausgeschlossen werden. Die mandatsbearbeitenden Personen dürfen nicht über das Mandat sprechen.Keine Gespräche mit anderen über Mandat
- Was in der Theorie schnell formuliert ist, wird in der Praxis schwierig durchzuhalten sein. Denn einerseits kennt man sich in einer Kanzlei möglicherweise schon Jahrzehnte. Andererseits „zwingt“ die Neugier vielleicht dazu, die Grenzen etwas auszutesten. Und einen Aspekt kann die Regelung nicht völlig ausschließen: Dass einer der Anwälte zufällig mitbekommt, was die anderen über das Mandat besprechen. Denn eine Pflicht zum Vergessen sehen weder die BRAO noch die BORA vor.
- Zu guter Letzt muss die Einhaltung dieser Pflichten dokumentiert werden (§ 3 Abs. 4 S. 3 BORA). Einfach gestaltet sich das bei der Festlegung der bearbeitenden Rechtsanwälte und der Trennung der Akten. Wie allerdings dokumentiert werden soll, dass die Sachbearbeiter nicht über das Mandat kommuniziert haben sollen, verrät der Satzungsgeber nicht. Die bloße Kommunikation, dass diese Verpflichtung ausgesprochen wurde, scheint nicht auszureichen. Denn es geht nach dem Wortlaut konkret um die „Einhaltung“ der Vorkehrungen.Dokumentation der Vorkehrungen
Zwar finden sich im Berufsrecht nun konkretere Regelungen zu der Frage, inwiefern in Kanzleien Mandate mit widerstreitenden Interessen bearbeitet werden dürfen. Dennoch ist dies mit erheblichem Aufwand verbunden, den sicherlich nur größere Einheiten leisten können. Einer Großkanzlei mit einem Standort in Hamburg und einem anderen in München dürfte die Trennung deutlich einfacher fallen als einer Kanzlei mit zwei Anwälten. Dennoch gibt das Berufsrecht die Möglichkeit, auch bei widerstreitenden Interessen die Mandanten zu beraten und vertreten. Gerade bei lukrativen Mandaten lohnt sich deshalb die Überlegung, sich auf den Aufwand einzulassen. Wesentlich ist jedoch, dass mit den Mandanten transparent umgegangen wird. Denn von dort dürfte die größte Gefahr für Ärger drohen.
AUSGABE: AK 3/2025, S. 51 · ID: 50318083