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InterviewWie Detektive für Anwälte Zeugen suchen und Aussagen überprüfen
| Raoul Oliver Classen ist seit rund 25 Jahren als Detektiv tätig. Er arbeitet vor allem mit Juristen eng und gern zusammen. Er organisiert abhörsichere Konferenzräume und sucht Zeugen für unterschiedliche Vorgänge: Der eine Anwalt sucht händeringend Personen, die einen Unfall beobachtet haben, der andere will nachweisen, dass sein Mandant von Mitarbeitern betrogen wird. Manchmal geht Classens Puzzlearbeit sogar Jahrzehnte zurück. Wie Detektive im Einzelnen die Beweissuche stützen und Anwälte professionelle Ermittler finden, erklärt er im Interview. |
Frage: Wann melden sich Anwälte bei Ihnen, die Zeugen brauchen?
Antwort: Der Klassiker sind natürlich Strafrechtler, die Entlastendes für ihre Mandanten suchen. Da geht es darum, Alibis zu belegen oder Menschen zu finden, die Geschehnisse beobachtet haben, aber nicht von der Polizei befragt wurden. Oder der Anwalt wünscht sich, dass vielleicht unentdeckte Film- oder Videoaufnahmen vorhanden sind.
Frage: Das müssen Sie bitte erklären.
Antwort: Es gibt ja „Hobbydetektive“, die Fotos und Videos von allem Möglichen machen. Woher soll jemand wissen, wer vielleicht zum Unfallzeitpunkt gerade vor Ort war und Fotomaterial gemacht oder den Unfallhergang genau mitbekommen hat?
Frage: Die bleiben da aber auch nicht stehen, bis ein Detektiv „aufkreuzt“.
Antwort: Hier beginnt meine Arbeit. Ich schaue, welche Geschäfte, Imbisse oder kleine Läden rundherum sind. Hat da vielleicht jemand gegessen, eingekauft, sich länger mit jemandem unterhalten und dann den Unfall gesehen? Kann er bestätigen, dass der Mandant tatsächlich so ausfällig geworden ist, wie es später in der Anklageschrift stand? War die Straße gesperrt oder standen noch Fahrzeuge herum, die beim Eintreffen der Polizei nicht mehr da waren? Und natürlich gilt es, „Klinken zu putzen“. Das ist immer eine hohe Kunst, überzeugend und glaubhaft aufzutreten und Anwohner zu fragen, die vielleicht später eine entscheidende Aussage machen.
Frage: Geht es manchmal auch in die andere Richtung, also dass Anwälte Sie beauftragen, vorhandene Angaben von Zeugen zu prüfen?
Antwort: Dies geschieht sogar oft. Bleiben wir beim Beispiel eines Verkehrsunfalls. Meine Aufgabe kann sein zu ermitteln, wo sich der Zeuge am Unfalltag aufgehalten hat. Stellt sich heraus, dass er nachweisbar an einem anderen Ort war, z. B. weil sein Fahrzeug mit ihm hinter dem Steuer in einer anderen Stadt unterwegs war oder er an einem beruflichen Meeting teilgenommen hat, kann eine Falschaussage bewiesen werden. Oder plötzlich kommt heraus, dass sich Zeuge und Prozesspartei seit Jugendzeiten aus dem Fußballverein oder einem ehemaligen Job kennen. Oder ich finde heraus, dass der Fahrer, der zwingend eine Brille tragen muss, diese am Unfalltag nicht getragen hat. Meine Aufgabe ist daher, sowohl Zeugen zu finden als auch vorhandene Aussagen oder Beweise zu erschüttern.
Frage: Warum hat die Polizei diese Aussagen nicht?
Antwort: Nicht jeder, der einen Unfall oder sonstigen Vorgang beobachtet hat, bleibt an Ort und Stelle stehen oder geht zur Polizei. Wenn ich bei meinen Recherchen auf Personen stoße, die einen Vorgang genau beobachtet haben, bekomme ich Antworten, wie: „Mich hat ja keiner gefragt“ oder „Endlich spricht mich jemand darauf an“.
Frage: Und warum zieht es Sie für Recherchen ausgerechnet in Gerichtsgebäude?
Antwort: Gerichte sind einfach ideale Informationsorte. Häufig sprechen sich nervöse Zeugen vor einer Verhandlung direkt vor dem Sitzungssaal oder in den Raucherzonen ab. Viele Gerichte befinden sich in alten Gebäuden mit langen Fluren. Dies sorgt für gute Akustik. Wenn man da in Hörweite ist, erhält man mitunter wertvolle Informationen, wenn sich Prozessbeteiligte untereinander oder mit ihren Anwälten austauschen. Diese Aspekte kann man dann noch direkt in die Verhandlung einbringen.
Frage: Einmal sind Sie bei der Zeugensuche glatt zum Historiker geworden?
Antwort: Das war ein Fall, bei dem ich tatsächlich zeitlich bis in die vierziger, fünfziger Jahre zurückgehen musste. Ein Deutscher hatte während des zweiten Weltkriegs in Hamburg gewohnt, zog danach in die USA und arbeitete dort bei einem Autohersteller. Als bei ihm eine Asbestose diagnostiziert wurde, verklagte er den Autohersteller, der damals auch mit asbesthaltigen Teilen arbeitete. Die US-Anwälte des Konzerns hatten eine andere Idee: Die Asbestbelastung konnte sich der Kläger auch während des Kriegs in Deutschland zugezogen haben. Die Anwälte beauftragten mich deshalb, die Wohngegend des Klägers in Hamburg zu rekonstruieren.
Frage: Ein Wohnumfeld von vor sechzig, siebzig Jahren ermitteln. Wie macht man das bitte?
Antwort: Alte Baupläne, Fotos und Luftbilder recherchieren, über Nachbarn und Anwohner Personen finden, die damals hier wohnten, sofern sie noch leben. Hier kommt auch mein Hobby ins Spiel: Ich sammle Telefonbücher. Mein erstes Telefonbuch stammt aus dem Jahr 1925. Darin kann man sehen, wer mit welchem Namen unter welcher Adresse wohnte, welche Straßen es schon gab usw. Das war hier nicht ganz entscheidend, hat aber geholfen. In Hamburg finden sich an Häusern, die nach 1945 entstanden, Hinweise, dass sie wieder aufgebaut wurden. Tatsächlich bekam ich heraus, dass auch das Haus des Klägers ausgebombt worden war und sich eine große metallverarbeitende Fabrik in der Nähe befand. In meinem Bericht konnte ich daher festhalten, dass es durchaus denkbar war, dass während der Bombenzerstörungen Asbest in größeren Mengen freigesetzt und in die Lunge des Klägers gekommen war. Wie der Prozess in den USA ausging, habe ich leider nie erfahren.
Frage: Greifen Sie erfolgreich auf Foto- und Videomaterial von Kameras zu?
Antwort: So einen Fall hatte ich vor ein paar Wochen auf dem Gelände eines Getränkemarkts. Ich habe viele Arbeitsstunden damit zugebracht, das dortige Videoüberwachungsmaterial zu sichten – mit hochinteressanten Erkenntnissen, die der Polizei nicht vorlagen. Manchmal hat man Glück und man kann private Aufnahmen sichten. Ebenso kann ich auf staatliche Aufzeichnungen, wie U-Bahn- oder Gebäudeüberwachung zugreifen, die ein Anwalt im Rahmen des Ermittlungsverfahrens erhält.
Frage: Häufig werden Arbeitgeber vertreten, die ahnen, dass in ihrem Unternehmen nicht alles richtig läuft. Wie gehen Sie da vor?
Antwort: Das ist ein Klassiker! Mitarbeiter beschweren sich über Kollegen, dass im Außendienst wohl nicht nur gearbeitet wird. Oder der Arbeitgeber hat einen bestimmten Verdacht und ein berechtigtes Interesse an Aufklärung. Hier haben meine Recherchen schon zu allen möglichen Ergebnissen geführt: Außendienstler fahren regelmäßig während der Arbeitszeit einkaufen oder ins Fitnesscenter, es gibt Arbeitszeitbetrug und Krankschreibungen werden missbraucht. Aber auch im Mietrecht gibt es Bedarf: Ein Vermieter hatte wegen Eigenbedarfs gekündigt, weil er sich von seiner Frau getrennt hatte. Doch bei den Ermittlungen kam heraus, dass die Ehe intakt war und keinerlei Anzeichen für eine Trennung vorlagen. Der Vermieter wollte die Wohnung einfach nur leer haben und neu vermieten oder verkaufen.
Frage: Wie finden Anwälte professionelle Detektive für ihre Mandate?
Antwort: Bis 2022 gab es zwei Fachverbände, die 2023 zum BUNDESVERBAND des Detektiv- und Ermittlungsgewerbes e. V. (kurz BUDEG) verschmolzen sind (https://budeg.de). Wer sich in der Ermittlerbranche überhaupt nicht auskennt, kann über den Verband suchen. Wer als Ermittler Verbandsmitglied werden will, muss Kriterien erfüllen und Qualifikationen nachweisen – hierfür gibt es klare Qualitätsstandards.
Einen großen Fehler sollten Anwälte vermeiden: mangelhaft abgestimmte Honorarfragen! Am besten sollte ein Anwalt bei einem Auftrag konkrete Budgets, also maximale Summen festlegen. Ich selbst halte pro Jahr sechs bis sieben Vorträge in Kanzleien darüber, was Detektive genau leisten. So können Juristen an Beispielen und Abläufen sehen, wie solide Ermittlerarbeit das Mandat stützen oder zu einem erfolgreichen Rechtsstreit führen kann. Aktive Abhörvorgänge bzw. Lauschangriffe beispielsweise sind nicht verwertbar – hier muss man die Informationen dann passiv erlangen. Observationen oder das Mithören einer Unterhaltung müssen in Ermittlungsberichten genau dokumentiert werden – das schätzen die Richter. In anderen Ländern ist man da übrigens schon viel weiter: Detektive sind dort professionelle Zeugen, die wissen, wie wichtig unmissverständliche und gerichtsverwertbare Aussagen sind.
- Anwalt als Zeugenbeistand ist nicht wie Verteidiger zu vergüten, iww.de/ak, Abruf-Nr. 47971651
- Das gilt bei Durchsuchungen/Beschlagnahmen in der Kanzlei, AK 22, 201
AUSGABE: AK 3/2024, S. 49 · ID: 49779664