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MandatsverhältnisVerstoß gegen die anwaltliche Wahrheitspflicht setzt direkten Vorsatz voraus
| Ein Berufsangehöriger darf keine Unwahrheiten verbreiten (§ 43a Abs. 3 BRAO). Ein standesrechtlich relevanter Verstoß gegen diesen Grundsatz liegt nach dem AGH NRW aber nur vor, wenn er hierbei mit direktem Vorsatz handelt. |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Die angeschuldigte Anwältin hatte in einem Berufungsverfahren der zuständigen Vorsitzenden Richterin im Rahmen eines Telefonats erklärt, ihr Mandant wolle die Berufung durchführen. Der Verurteilte selbst hatte jedoch gegenüber seinem Bewährungshelfer geäußert, er wolle das Rechtsmittel zurücknehmen. Das AnwG sah in dem Verhalten der Berufsangehörigen einen Verstoß gegen die von ihr zu beachtende Wahrheitspflicht (§ 43a Abs. 3 BRAO), sprach einen Verweis aus und verhängte eine Geldbuße von 1.500 EUR. Das Rechtsmittel der Anwältin war erfolgreich und führte zu einem Freispruch (AGH NRW 8.9.23, 2 AGH 4/23, Abruf-Nr. 239732).
Nach der vom AGH durchgeführten Beweisaufnahme war unklar, welchen genauen Inhalt das zwischen der Angeschuldigten und der Kammervorsitzenden geführte Telefonat hatte. Zudem hatte ihr früherer Mandant im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben zu den Absprachen mit seiner Verteidigerin und zu seinem Wunsch gemacht, ein Rechtmittel tatsächlich durchzuführen. Weil sich diese Widersprüche nicht mehr aufklären ließen, sprach der AGH die Anwältin aus tatsächlichen Gründen frei.
Relevanz für die Praxis
Rechtsanwälte unterliegen keiner allgemeinen schrankenlosen Wahrheitspflicht und müssen von sich aus ihr Wissen nicht umfassend offenbaren. Sie dürfen daher auch prozessuale Möglichkeiten ausnutzen. Dabei ist „Verbreiten“ mit „Mitteilen“ gleichzusetzen und erfordert explizite Äußerungen gegenüber anderen Personen. Bloßes Schweigen führt nicht zu einem Verstoß gegen § 43a Abs. 3 BRAO. Es kann überdies in manchen Fällen unter dem stets zu beachtenden Aspekt der gewissenhaften Berufsausübung (§ 43 BRAO) geboten sein, gegenüber anderen Verfahrensbeteiligten bestimmte Umstände nicht zu erwähnen.
Ein von § 43a Abs. 3 BRAO erfasstes bewusstes Verbreiten der Unwahrheit setzt voraus, dass der Berufsangehörige positiv weiß, dass seine Aussagen unwahr sind. Bewusst ist „wider besseres Wissen“ oder „wissentlich“. Der Betroffene muss also mit direktem Vorsatz handeln. Bedingter Vorsatz oder fahrlässiges Verhalten genügen nicht, um eine berufswidrige Pflichtverletzung anzunehmen. Verlangt der Mandant einen ersichtlich wahrheitswidrigen Sachvortrag, darf der Anwalt diesem Wunsch nicht nachkommen, wenn er sich nicht selbst dem Vorwurf der Beihilfe zum Prozessbetrug (§§ 27, 263 StGB) oder der Begünstigung (§ 258 StGB) aussetzen will.
AUSGABE: AK 3/2024, S. 43 · ID: 49849647