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ApothekenrechtDer Apotheker zwischen Kontrahierungszwang, Sorgfaltspflicht und Wirtschaftlichkeit
| Apotheker müssen laut Apothekengesetz (ApoG) eine ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung gewährleisten. Sie unterliegen einem Kontrahierungszwang für alle Arzneimittel, einschließlich rezeptfreier. Ausnahmen bestehen nur bei Unklarheiten, Missbrauchsverdacht und technischen Beschränkungen. Während das Kostenrisiko bei GKV-Versicherten gering ist, bleibt die Situation bei Privatpatienten aufgrund potenziell unsicherer Vergütung problematisch. AH erläutert, wie der Spagat zwischen Kontrahierungszwang, Sorgfaltspflicht und wirtschaftlichen Aspekten gelingt. |
In diesen Fällen müssen Apotheken „liefern“
Aus rein steuerrechtlicher Sicht ist der Apotheker ein Kaufmann. Der Beruf des Apothekers ist jedoch in vielerlei Hinsicht weit mehr als der eines klassischen Kaufmanns: Der Gesetzgeber hat den Apotheken in § 1 ApoG einen Sicherstellungsauftrag auferlegt: „Den Apotheken obliegt die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung“. Aus diesem Auftrag resultiert grundsätzlich ein Kontrahierungszwang für die Apotheke. Anders als klassische Kaufleute, die die Vertragsfreiheit in Anspruch nehmen und daher selbstständig entscheiden können, ob, mit wem und zu welchen Bedingungen sie Geschäfte tätigen und entsprechende Verträge schließen, müssen Apotheker grundsätzlich die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherstellen.
§ 17 Abs. 4 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) konkretisiert diesen Kontrahierungszwang. Die Vorschrift verpflichtet den Apotheker ausdrücklich, ärztliche Verschreibungen in angemessener Zeit auszuführen, d. h. zu beliefern. Schon allein, weil die Regelung in § 1 ApoG nicht zwischen verschreibungspflichtigen und nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln differenziert, umfasst der Kontrahierungszwang auch die Versorgung mit OTC-Arzneimitteln. Hintergrund dieser Regelung ist der Grundgedanke des Gesetzgebers, dass ein Patient in einer Notlage nicht gezwungen werden soll, nach einer Apotheke zu suchen, die bereit ist, ihn mit Arzneimitteln zu versorgen.
Beachten Sie | Ob der Kontrahierungszwang auch für weitere Produkte (z. B. freiverkäufliche Arzneimittel und Produkte aus dem Nebensortiment) Anwendung finden soll, ist umstritten. Zumindest die grundlose Verweigerung einer Belieferung wird aber als problematisch angesehen.
In jedem Fall vom Kontrahierungszwang umfasst sind Rezepturarzneimittel. Diese sind in der Herstellung z. T. sehr zeit- und personalintensiv, sodass sie betriebswirtschaftlich häufig nicht rentabel sind. Aufgrund der Verpflichtung des Apothekers zur Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln müssen aber auch diese Arzneimittel von Apotheken abgegeben werden.
Im Zusammenhang mit dem Versandhandel wird durch § 11a Nr. 3b ApoG nunmehr auch ausdrücklich festgelegt, dass sicherzustellen ist, dass „alle bestellten Arzneimittel geliefert werden, soweit sie im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes in den Verkehr gebracht werden dürfen und verfügbar sind“.
Ausnahmen vom Kontrahierungszwang
Dieser grundsätzlich bestehende Kontrahierungszwang der Apotheken gilt aber nicht grenzenlos.
Fehlende technische Möglichkeiten
So kann z. B. – mangels technischer Voraussetzungen – nicht jede Apotheke Zytostatika herstellen. Die Sorgfaltspflicht des Apothekers würde es in diesem Fall verbieten, dass er – ohne entsprechende Ausrüstung – ein Zytostatikum herstellt, um seinem Versorgungsauftrag nachkommen zu können. In diesen Fällen darf – wenn die unmittelbare Versorgung durch eine geeignete Apotheke nicht ermöglicht werden kann – die Regelung des § 11 Abs. 3 S. 1 ApoG genutzt werden, die es dem Apotheker erlaubt, Zytostatika von einer anderen Apotheke zu beziehen.
Keine Abgabe eines bedenklichen Arzneimittels
Es gibt auch Fälle, in denen die Abgabe eines Arzneimittels nicht im Einklang mit anderen gesetzlichen Vorgaben steht, z. B. die Abgabe eines bedenklichen Arzneimittels aufgrund ärztlicher Verschreibung. Bei einer solchen Sachlage besteht einerseits die Pflicht zur Belieferung des verordneten Arzneimittels aufgrund der Vorgaben des § 1 ApoG bzw. 17 Abs. 4 ApBetrO. Gleichzeitig aber verbietet § 5 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) das Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel. In einer solchen Konstellation wird das AMG als höherrangiges Recht angesehen, das die Anwendbarkeit der anderen Vorschriften bei einer sogenannten Normenkollision verdrängt. Es ist daher nicht erlaubt, ein solches bedenkliches Arzneimittel abzugeben.
Unklarheiten
Darüber hinaus gibt es Fälle, in denen aufgrund von Unklarheiten eine Abgabe gegen die Sorgfaltspflicht des Apothekers verstoßen würde. Dies ist z. B. gegeben, wenn Unklarheiten über die Dosierung oder mögliche Kontraindikationen bestehen. Für diesen Fall enthält § 17 Abs. 5 ApBetrO eine Sonderregelung:
§ 17 Abs. 5 ApBetrO |
Die abgegebenen Arzneimittel müssen den Verschreibungen und den damit verbundenen Vorschriften des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur Arzneimittelversorgung entsprechen. […] Enthält eine Verschreibung einen für den Abgebenden erkennbaren Irrtum, ist sie nicht lesbar oder ergeben sich sonstige Bedenken, so darf das Arzneimittel nicht abgegeben werden, bevor die Unklarheit beseitigt ist. |
Durch dieses Abgabeverbot darf eine Arzneimittelbelieferung nicht ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt erfolgen. Das Abgabeverbot ist eine sogenannte lex specialis, die der generellen Regelung vorgeht. Die Sorgfaltspflicht steht in diesem Fall also über dem grundsätzlichen Kontrahierungszwang.
Arzneimittelmissbrauch
Die Apotheke ist auch berechtigt, die Abgabe eines Arzneimittels zu verweigern, wenn ein Missbrauchsverdacht besteht. Hier gibt § 17 Abs. 8 ApBetrO – ebenfalls als lex specialis – die Befugnis, entgegen dem Kontrahierungszwang zu handeln. Bei begründetem Missbrauchsverdacht sollte daher in der Praxis die Abgabe des Arzneimittels verweigert und vorsorglich ein Vermerk über die konkrete Situation und die Umstände, die zu dem Missbrauchsverdacht geführt haben, angefertigt werden.
Kontrahierungszwang versus Unsicherheit bei der Vergütung
Unangenehm sind Situationen, in denen die Abgabe eines Arzneimittels vom Patienten gewünscht wird, der Apotheker aber um dessen Zahlungsprobleme weiß. In diesem Fall kollidiert der Kontrahierungszwang mit kaufmännischen Aspekten, die gegen die Abgabe des Arzneimittels sprechen. Bei GKV-Versicherten, die ein Rezept zulasten der GKV einlösen, ist das Kostenrisiko i. d. R. überschaubar. Mit Ausnahme der vom Versicherten zu leistenden Zuzahlung nach § 31 Abs. 3 Sozialgesetzbuch (SGB) V, die bei Befreiung entfällt, hat der Apotheker einen Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse. Die Einziehung der Zuzahlung ist eine Verpflichtung, die der Apotheker für die Krankenkasse wahrnimmt. Sofern der Versicherte – trotzt gesonderter schriftlicher Aufforderung – nicht zahlt, sind teilweise Erstattungsregelungen in den Arzneimittelversorgungsverträgen festgelegt. Vor diesem Hintergrund wird der Kontrahierungszwang regelmäßig Vorrang gegenüber wirtschaftlichen Aspekten genießen, wenn Gesundheitsrisiken für den Patienten im Raum stehen.
Anders ist die Situation bei Privatpatienten: Soweit hier die Vergütung fraglich scheint, besteht die Möglichkeit, sich den Auszahlungsanspruch des Versicherten gegenüber seiner Privatversicherung als Sicherheit an die Apotheke abtreten zu lassen, um das Kostenrisiko zu reduzieren. Soweit die Zahlungsfähigkeit des Kunden problematisch ist, ist umstritten, ob der Apotheker die Abgabe eines Arzneimittels unter Hinweis auf die fehlende Zahlungsbereitschaft verweigern darf: Zwar wird man von einem Apotheker nicht verlangen können, dass er jede Belieferung vornimmt, auch wenn die Vergütungsfrage nicht geklärt werden kann. Angesichts der Verpflichtung des Apothekers, seine Kunden mit Arzneimitteln zu versorgen, wird eine Verzögerung der Belieferung wegen ungeklärter finanzieller Fragen aber zumindest dann problematisch, wenn eine Gefahr für die Gesundheit des Patienten besteht.
Bei akutem Handlungsbedarf sollte Abgabe des Arzneimittels Vorrang haben Fazit | Die Nichtaushändigung eines Arzneimittels könnte – je nach konkreter Situation – den Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung oder der fahrlässigen Körperverletzung, im Extremfall sogar der fahrlässigen Tötung nach sich ziehen. Diese Konfliktsituation wird dann strafrechtlich relevant. Zumindest in Situationen, in denen akuter Handlungsbedarf besteht, sollte daher primär der Hilfeleistung nachgekommen werden und die Abgabe des Arzneimittels Vorrang haben. Insbesondere im Notdienst, wenn alternative Versorgungsmöglichkeiten stark reduziert sind, wird daher regelmäßig von einer Belieferungspflicht auszugehen sein, sofern allein finanzielle Aspekte gegen die Abgabe eines Arzneimittels sprechen. |
AUSGABE: AH 6/2025, S. 11 · ID: 50363641