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ApothekervergütungNotdienst: Wann drohen Retaxationen?

Abo-Inhalt08.07.2024519 Min. LesedauerVon RAin und Apothekerin Isabel Kuhlen, Vellmar

| Der Notdienst ist ein notwendiges Übel mit diversen zusätzlichen Schwierigkeiten. Nicht nur, dass die normale Arbeitszeit erheblich überschritten wird, meist sind auch die Ärzte nur schwer erreichbar und die benötigten Arzneimittel werden i. d. R. dringend gebraucht. Der Gesetzgeber hat dieser besonderen Situation Rechnung getragen und den Apothekern bei der Versorgung von Notfallpatienten zusätzliche rechtliche Möglichkeiten eingeräumt, um im Notfall flexibler handeln zu können. Allerdings ist zu beachten: Die Vorgaben des Rahmenvertrags gelten grundsätzlich auch im Notdienst. |

Neue Austauschregeln durch das ALBVVG

Nachdem die Nichtverfügbarkeit von Arzneimitteln in Deutschland in den letzten Jahren zunehmend zu einem Problem geworden ist, hat der Gesetzgeber im Rahmen des „Lieferengpass-Gesetzes“ (ALBVVG) die zunächst während der Coronazeit eingeführten Sonderregeln durch § 129 Abs. 2a Sozialgesetzbuch (SGB) V davon unabhängig im Gesetz verankert und so Erleichterungen geschaffen, die dem Apotheker – auch im Rahmen des Notdienstes – zusätzlichen Handlungsspielraum geben, wenn Arzneimittel nicht verfügbar sind. Abweichend von den grundsätzlich geltenden Regelungen zur Belieferung von Arzneimitteln nach § 129 SGB V und dem ergänzenden Rahmenvertrag können Apotheken bei Nichtverfügbarkeit von prinzipiell nach der Abgaberangfolge des Rahmenvertrags abzugebenden Arzneimitteln diese gegen ein verfügbares wirkstoffgleiches Arzneimittel unter Berücksichtigung folgender Vorgaben austauschen:

§ 129 Abs. 2a SGB V

[...] Apotheken dürfen ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt von der ärztlichen Verordnung im Hinblick auf Folgendes abweichen, sofern hierdurch die verordnete Gesamtmenge des Wirkstoffs nicht überschritten wird:

  • 1. die Packungsgröße, auch mit einer Überschreitung der nach der Packungsgrößenverordnung maßgeblichen Messzahl,
  • 2. die Packungsanzahl,
  • 3. die Abgabe von Teilmengen aus der Packung eines Fertigarzneimittels, soweit die verordnete Packungsgröße nicht lieferbar ist, und
  • 4. die Wirkstärke, sofern keine pharmazeutischen Bedenken bestehen.

Abgabe einer abweichenden Menge

Diese Vorgaben spielen insbesondere auch bei der Versorgung von Patienten mit Antibiotika im Notdienst eine wichtige Rolle. Im Frühjahr 2024 bestanden z. B. Lieferschwierigkeiten bei der Verordnung von Azithromycin-Tabletten. Auf Basis der Regelung des § 129 Abs. 2a SGB V ist in einem Eilfall die Abgabe von 1 × 6 Tbl. Azithromycin 250 mg statt verordneter 1 × 3 Tbl. Azithromycin 500 mg – mit entsprechender Dokumentation auf der Verordnung – möglich. Gleiches gilt im umgekehrten Fall, sofern die 500-mg-Tablette teilbar ist. Insofern ist ein Austausch problemlos möglich.

Abgabe einer höheren Gesamtmenge als verordnet wurde

Die gesetzliche Regelung gibt ausdrücklich vor, dass die verordnete Gesamtmenge des Wirkstoffs nicht überschritten werden darf. Wie ist also vorzugehen, wenn im Notdienst ein Antibiotikum verordnet wurde, das nicht verfügbar ist und die Versorgung nur mit einem Arzneimittel möglich wäre, bei dem die Gesamtmenge des verordneten Wirkstoffs überschritten würde? Soweit z. B. 20 Tabletten Cefaclor 250 mg verordnet wurden und im Notdienst lediglich eine Packung mit 1 × 14 Tbl. Cefaclor 500 mg (teilbar) verfügbar ist, kommt es genau zu dieser Problematik. Darf der Apotheker in diesem Fall ohne Rücksprache mit dem Arzt – unter Anpassung der Dosierung – den Austausch vornehmen, obwohl dadurch die Gesamtmenge des verordneten Wirkstoffs überschritten wäre? Die Antwort auf diese Frage lautet:

Die genannte Neuregelung gibt im Akutfall ohne Rücksprache mit dem Verordner nur die Möglichkeit, bis zur gleichen Gesamtmenge des Wirkstoffs auszutauschen. Maximal zulässig wäre es daher, zehn Tabletten der Stärke 500 mg abzugeben.

Abgabe von Teilmengen aus einer verfügbaren größeren Packung

Apotheken dürfen aber in Fällen, in denen die verordnete Packungsgröße nicht verfügbar ist, auch eine Teilmenge aus einer verfügbaren größeren Packung abgeben und abrechnen. Für die Abrechnung wurde zwischenzeitlich zwischen dem Deutschen Apothekerverband e. V. (DAV) und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) vereinbart, dass die Abgabe einer Teilmenge mit der Kennzeichnung „TMA“ auf der Verordnung zu dokumentieren ist. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des ALBVVG war noch umstritten, wie in einem solchen Fall abzurechnen ist. Inzwischen herrscht hier Klarheit:

Es besteht Einigkeit darüber, dass bei Verordnung einer kleineren Packung und Entnahme der benötigten Menge aus einer größeren Packung nur die kleinere Packung abrechenbar ist. Dies ist mit der Sonder-PZN für Nichtverfügbarkeit 02567024 und dem Faktor 2, 3 oder 4 zu dokumentieren. Fehlt das Kürzel „TMA“ auf dem Rezept, soll dies zwar nicht zu Retaxationen führen, jedoch verbleibt beim Apotheker das wirtschaftliche Risiko, die „angebrochene“ Packung nicht mehr verwenden zu können. Vor diesem Hintergrund betonen die Verantwortlichen aufseiten der Apotheker, dass Apotheken nicht zur Teilmengenabgabe verpflichtet sind. Ein Kontrahierungszwang bestehe insoweit nicht.

Praxistipp | Den Apotheken ist zu empfehlen, Rücksprache mit dem verordnenden Arzt zu halten, sofern das wirtschaftliche Risiko, eine angebrochene Packung nicht mehr verwenden zu können, als zu hoch eingeschätzt wird. Die Ausstellung eines neuen Rezepts durch den Arzt ist dann die sicherere Lösung.

„Dringlichkeitsliste“ für Kinderarzneimittel

Weitere Besonderheiten gelten für die Abgabe von Arzneimitteln für Kinder, die auf der „Dringlichkeitsliste“ für Kinderarzneimittel stehen. Der Gesetzgeber hat durch § 129 Abs. 2b SGB V folgende Erleichterung geschaffen.

§ 129 Abs. 2b SGB V

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte kann nach Anhörung des Bundesministeriums für Gesundheit eine Liste für Kinderarzneimittel erstellen, die essenzielle Arzneimittel für die Pädiatrie enthält, die möglicherweise einer angespannten Versorgungssituation unterliegen. Die nach S. 1 erstellte Liste sowie die Änderungen dieser Liste sind vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf seiner Internetseite zu veröffentlichen. Abweichend von Abs. 1 S. 1 bis 5 und 8, Abs. 2a und dem Rahmenvertrag nach Abs. 2 können Apotheken bei Nichtverfügbarkeit eines nach Maßgabe des Rahmenvertrags nach Abs. 2 abzugebenden Arzneimittels, das auf der nach S. 1 erstellten Liste geführt wird, dieses gegen ein wirkstoffgleiches in der Apotheke hergestelltes Arzneimittel, auch in einer anderen Darreichungsform, oder gegen ein wirkstoffgleiches Fertigarzneimittel in einer anderen Darreichungsform ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt austauschen. Abs. 2a S. 2 und 3 gilt entsprechend.

Wie ist aber nun konkret vorzugehen, wenn ein bestimmtes Kinderantibiotikum verordnet wurde, aber nicht lieferbar ist? Steht das verordnete Antibiotikum auf der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erstellten Dringlichkeitsliste für Kinderarzneimittel, hat die Apotheke zusätzliche Möglichkeiten, das Arzneimittel auszutauschen: Es kann – ohne Rücksprache mit dem Arzt – ein Aut-simile-Austausch vorgenommen werden oder auch eine Rezepturherstellung erfolgen, wobei letzteres im Notdienst nicht realistisch ist.

Bei Verordnungen, bei denen auf der Grundlage dieser Dringlichkeitsliste ein Austausch erfolgt ist, muss – bei Muster-16-Rezepten – in der Abrechnungszeile im Feld „Arzneimittelkennzeichen“ die PZN des gelieferten Fertigarzneimittels aufgedruckt werden. Zusätzlich ist die Sonder-PZN 02567024 mit dem Wert „0“ im Feld „Taxe“ zu dokumentieren. Ergänzend sind die Buchstaben „DL“ (das steht für „Dringlichkeitsliste“) zu dokumentieren.

Merke | Bietet auch die Neuregelung zur Dringlichkeitsliste keine ausreichenden Austauschmöglichkeiten, muss auch insoweit – nach Rücksprache mit dem Arzt – eine neue Verordnung angefordert werden, um den Patienten „retaxsicher“ versorgen zu können.

Weiterführender Hinweis
  • „Lieferengpass-Gesetz“ (ALBVVG): Wichtige Neuerungen für die Apothekenpraxis“, in AH 09/2023, Seite 10

AUSGABE: AH 8/2024, S. 14 · ID: 50056977

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