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ApothekenrechtArzneimittelabgabe ohne persönlichen Kontakt – ist das erlaubt?

Top-BeitragAbo-Inhalt12.02.2024246 Min. LesedauerVon Dr. jur. Bettina Mecking, Düsseldorf

| Angesichts von Personal- und Lieferengpässen in den Vor-Ort-Apotheken ist die Beantwortung der Frage, ob eine Arzneimittelabgabe ohne persönlichen Kontakt erlaubt ist, gerade besonders bedeutsam. Hinzu kommen die flächendeckende Einführung des E-Rezepts seit Jahresbeginn und die Reformpläne des Bundesgesundheitsministeriums. Noch zieht das geltende Apothekenrecht bei der Arzneimittelabgabe ohne persönlichen Patientenkontakt und der Bewerbung solcher Handhabungen gewisse Grenzen, die zu beachten sind. AH gibt einen Überblick, was aktuell erlaubt und was verboten ist. |

Eröffnung eines umfassenden Arzneimittelversands

Verbraucher können seit nunmehr 20 Jahren zwischen dem kontaktarmen Online-Versandhandel einerseits und dem der Präsenzversorgung aus der Vor-Ort-Apotheke zugeordneten Botendienst andererseits wählen. Während der Botendienst durch Präsenzapotheken gemäß § 17 Abs. 2 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) erlaubnisfrei ist, ist für den Versandhandel mit Arzneimitteln nach § 11a Apothekengesetz (ApoG) eine Erlaubnis erforderlich. Für den Erhalt einer Erlaubnis muss der Apothekeninhaber eine Reihe von Anforderungen erfüllen. U. a. muss jede Versandapotheke vor ihrer Zulassung schriftlich zusichern, dass die Beratung durch pharmazeutisches Personal in deutscher Sprache erfolgt, sofern dies gewünscht ist.

Typisch für den Betrieb eines Versandhandels ist in Abgrenzung zur Präsenzapotheke, dass sich Kunde und Apotheker nicht persönlich begegnen. Daher zeichnen den Versandhandel regelmäßig Bestellmöglichkeiten per E-Mail, Telefon oder Telefax aus. Die Zulassung des Versandhandels mit Arzneimitteln umfasst auch die Möglichkeit, Verschreibungen und Medikamentenbestellungen in einer Sammeleinrichtung entgegenzunehmen und gebündelt an die Apotheke weiterzuleiten. Eine Versandapotheke darf Rezeptbriefkästen praktisch überall anbringen. Ob die Sammelbox in einer bestimmten Räumlichkeit aufgestellt wird oder an einer frei zugänglichen Stelle außerhalb eines Gebäudes, ist insoweit ohne Bedeutung.

Merke | Für E-Rezepte wird es möglicherweise Sammel-Terminals oder Tablets mit Scan-Funktionen geben. Sicherlich wird man diese direkt in Arztpraxen verbieten können, sofern sich hier unerlaubterweise gewerbliche Anbieter präsentieren. Ein Abfangen von Verschreibungen „an der Quelle“ durch Vorrichtungen, die nicht alle Apotheken berücksichtigen, dürfte eine Art von Rezeptübermittlung darstellen, die an berufsrechtliche Grenzen wie das Zuweisungsverbot stößt.

Darüber hinaus bieten die Versandhändler insbesondere ihre rezeptfreien Waren typischerweise durch Prospekte, Anzeigen und elektronische Medien einem möglichst großen Kundenkreis an, um die Kunden neben der Einreichung von Verschreibungen zur Bestellung rezeptfreier Waren zu animieren. Der Versand der Waren erfolgt i. d. R. über ein externes Logistikunternehmen.

Merke | Die Grenzen zum Versandhandel sind fließend. Der Dreh- und Angelpunkt mit Blick auf den persönlichen Kontakt ist bei allen Abgabeformen außerhalb der Präsenzapotheke die Frage „Beratungspflicht – ja oder nein?“.

Keine aktive Beratungspflicht für Versandapotheken

Bei einer Arzneimittelabgabe über den Versand soll trotz der aufgrund von § 20 ApBetrO für Vor-Ort- und Versandapotheken unterschiedslos geltenden Informations- und Beratungspflicht nach höchstrichterlicher Rechtsprechung für Versandapotheken keine aktive, sondern lediglich eine eingeschränkte Beratungspflicht bestehen. Nur auf Nachfrage müssen Versandapotheken demnach die Kunden beraten. Zudem müssen sie ihre Kunden darauf hinweisen, dass bei Problemen mit der Medikation ein Arzt zu konsultieren ist. Angesichts des fehlenden persönlichen Kundenkontakts reiche bei den Versendern häufig eine schriftliche Beratung aus, etwa hinsichtlich der Angaben zur Dosierung oder der Hinweise zur Aufbewahrung. Da eine zusätzliche Beratung erforderlich werden könnte, müssen die Kunden ihre Telefonnummer hinterlassen. Versandapotheken müssen grundsätzlich mitteilen, zu welchen Zeiten sie eine Beratung anbieten können.

Beispiel: Prozess ohne Beratung

Ein Verbraucher könnte im Webshop einer Apotheke Arzneimittel aussuchen, elektronisch bezahlen und wählen, wie und wo er seine Bestellung zugestellt bekommen möchte, ganz ohne „Zwangsberatung“. Er könnte auch eine rechtskonforme Vorbestellfunktion einer Apotheke für die kontaktlose Übermittlung seines Bestellwunschs nutzen. Die eventuell erforderliche Verschreibung versendet er auf dem Postweg oder digital über die neuen Übertragungswege für E-Rezepte.

Beachten Sie | Kunden, deren Vertragsschluss mit dem Arzneimittelanbieter über Distanz (z. B. per E-Mail) zustande kommt, schließen einen Fernabsatzvertrag, sodass zumindest ein vertragliches Band besteht.

Zulassung der telepharmazeutischen Beratung

Hat die Apotheke einen eigenen Botendienst, kann sie auch ohne Versandhandelserlaubnis Arzneimittel zustellen.

§ 17 Abs. 2 ApBetrO

Die Zustellung von Arzneimitteln durch Boten der Apotheke ist ohne Erlaubnis nach § 11a des Apothekengesetzes zulässig. […] Hat die Verschreibung vor der Auslieferung nicht in der Apotheke vorgelegen, so muss diese spätestens bei der Aushändigung der Arzneimittel übergeben werden. Hat vor der Auslieferung keine Beratung stattgefunden, so muss diese in unmittelbarem Zusammenhang mit der Aushändigung des Arzneimittels erfolgen. Die Beratung kann auch im Wege der Telekommunikation durch die Apotheke erfolgen. [...]

Durch den neu gefassten § 17 Abs. 2 ApBetrO ist nunmehr die telemediale Beratung und Betreuung von Patienten im Rahmen des Botendienstes im Sinne einer pharmazeutischen Fernbetreuung möglich. Die pharmazeutische Beratung muss nicht mehr zwingend persönlich, sondern kann auch telefonisch erfolgen. Auch PTA können neben der persönlichen Beratung in der Apotheke die an den Botendienst gekoppelte pharmazeutische Beratung per Telefon oder Webchat durchführen. Nach einem vorangegangenen Beratungstelefonat mit oder ohne Bild muss also kein pharmazeutisches Personal mehr für den Botendienst eingesetzt werden.

Beachten Sie | Strittig ist die Frage des Einsatzes von Fremdpersonal bei Botendiensten. Wenn man davon ausgeht, dass bei Zustellung durch externes Personal dieses der Weisungshoheit der Apothekenleitung untersteht, muss dies vertraglich eingeräumt und auch tatsächlich ausgeübt werden. Teilweise wird vertreten, dass der Bote zum Apothekenpersonal gehören muss.

Pick-up-Stellen

Vor-Ort-Apotheken mit Versandhandelserlaubnis sind rechtssicher in die Lage versetzt, im lokalen Bereich patientenfreundliche und flexible Versorgungsmodelle zu etablieren. Die Rechtsprechung hat gerade in den letzten Jahren die rechtlichen Freiheiten derjenigen, die unter der Flagge eines erlaubten Versandhandels segeln, in einer Unbegrenztheit manifestiert, die aufhorchen lässt. Das Gesamtbild der höchstrichterlichen Vorgaben erweckt den Eindruck nahezu grenzenloser Gestaltungsmöglichkeiten. Das ist ein zweischneidiges Schwert, da sich natürlich auch die ausländischen Versandlogistiker diese Freiheiten zunutze machen können.

Beachten Sie | Apotheken können unter Berufung auf eine erteilte Versanderlaubnis in ihrem regionalen Umfeld Bestellboxen zur Rezeptsammlung oder Sammlung ausgedruckter E-Rezept-Token auch allein zu dem Zweck unterhalten, sich durch Umgehung der für die Präsenzversorgung geltenden Anforderungen (z. B. Einsatz von pharmazeutischem Personal im Rahmen des Botendienstes) Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren Mitbewerbern zu verschaffen. Das gilt auch dann, wenn sie ansonsten nicht im Versandhandel tätig sind.

Vor diesem Hintergrund erscheint das Modell der genehmigungspflichtigen Rezeptsammelstellen nach § 24 ApBetrO obsolet, da die bundesrechtlichen Regelungen zum Versand der ApBetrO vorgehen. Der Verordnungsgeber wird sich die Frage stellen müssen, ob diese Regelung noch erforderlich ist. Spätestens mit der flächendeckenden Einführung des E-Rezepts dürfte sich das Erfordernis einer Rezeptsammelstelle erübrigt haben, denn die zugrunde liegende Vorschrift dürfte jetzt endgültig gegenstandslos sein. Und so räumen die höchsten Verwaltungsrichter am Ende eines wichtigen Urteils ein, „dass Präsenzapotheken, die Rezeptsammelstellen nur nach Maßgabe des § 24 ApBetrO unterhalten dürfen, gegenüber Apotheken mit Versanderlaubnis, die diesen Beschränkungen nicht unterliegen, im Nachteil sind“. Die Differenzierung sei aber Folge der Zulassung des Versandhandels mit Arzneimitteln. Es sei Sache des Normgebers, ob und ggf. welche Folgerungen er daraus für § 24 ApBetrO zieht (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.04.2020, Az. 3 C 16.18).

Automatisierte Ausgabestationen

Seit Inkrafttreten des Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetzes (VOASG) sind die automatisierten Ausgabestationen für Arzneimittel in § 17 Abs. 1b ApBetrO geregelt. Apotheken, die keinen Versandhandel betreiben, also den typischen Vor-Ort-Apotheken, ist die Einrichtung automatisierter Ausgabestationen nur erlaubt, wenn sie sich innerhalb der Betriebsräume der Apotheke befinden und durch das Apothekenpersonal bestückt werden. Dagegen sind solche Abholautomaten für den zugelassenen Versandhandel zulässig – sowohl ohne jede räumliche Beschränkung als auch ohne jede Beschränkung bezüglich des Personals, das die Bestückung vornimmt.

Merke | Apotheken, die erlaubterweise einen Versandhandel mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln betreiben, könnten also bei entsprechenden wirtschaftlichen Ambitionen bundesweit eine Vielzahl automatisierter Ausgabestationen einrichten. Sie könnten diese neben jeder Vor-Ort-Apotheke, vor Ärztehäusern oder Pflegeheimen, an Tankstellen oder in Supermärkten aufstellen.

Weitere Möglichkeiten durch das E-Rezept

Das E-Rezept eröffnet ganz neue Möglichkeiten für den Versandhandel mit Arzneimitteln. Von Amazon etwa kennt man große Abholstationen, die in großem Umfang kontaktlose Zustellungen ermöglichen. Das Beratungserfordernis ist bereits dann erfüllt, wenn der Besteller des Arzneimittels der Apotheke im Wege der Telekommunikation ausdrücklich mitteilt, keinen Beratungsbedarf zu haben. Schließlich beruht die Zulassung des Versandhandels mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln gerade auf der von der Rechtsprechung gebilligten Annahme des Gesetzgebers, dass der Kunde im Versandhandel häufig nicht beratungsbedürftig ist, weil er mit den bestellten Arzneimitteln bereits vertraut ist.

Völlige Kontaktlosigkeit – sowohl zum Apotheker als auch zum verschreibenden Arzt – bieten Online-Vertriebsplattformen für verschreibungspflichtige Arzneimittel, die aus verschiedenen Gründen nicht rechtskonform agieren. Betäubungsmittel oder Rezepturen von Spezialarzneimitteln sind dort zwar nicht erhältlich, aber längst mehr als nur Lifestyle-Produkte. Hier bleibt zu hoffen, dass es gelingt, Umsatzeinbußen, die nach einem Einzug der E-Rezept-Logistiker auf das Apothekensystem zukommen werden, zu verhindern oder stark einzudämmen. Und das kann nur mithilfe derjenigen Kunden gelingen, die beim Bezug der besonderen Ware Arzneimittel gerade nicht auf den persönlichen Kontakt zu ihrer Vor-Ort-Apotheke verzichten wollen.

Weiterführende Hinweise
  • „Expresskurierdienste für Apotheken – ist das rechtens?“, in AH 11/2022, Seite 13
  • „Rezeptsammlung im Supermarkt auch ohne Erlaubnis möglich“, in AH 08/2020, Seite 16
  • „Abgrenzung Arzneimittelversand und Botendienst durch Apotheken – ein wieder aktuelles Thema“, in AH 09/2018, Seite 10

AUSGABE: AH 3/2024, S. 12 · ID: 49856154

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