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Persönliche LeistungserbringungVerordnungen nicht eigenhändig unterschrieben, Regress von gut 300.000 Euro dennoch verhindert

Abo-Inhalt02.03.20233259 Min. LesedauerVon RAin Vanessa Laura Skibinski, D+B Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Berlin

| Das Gebot der persönlichen Leistungserbringung erfordert, dass ein Arzt nicht nur die Entscheidung über die Verordnung eines Arzneimittels trifft, sondern diese auch eigenhändig unterzeichnet. Ein ermächtigter Krankenhausarzt konnte zwar beweisen, dass er Arzneimittel selbst digital anforderte und auch sonst alle Entscheidungen diesbezüglich persönlich getroffen hatte, allerdings unterschrieb er die erforderlichen Verordnungen nicht. Dennoch sah das Sozialgericht (SG) Mainz in seiner Entscheidung vom 07.12.2022 (Az. S 3 KA 14/19) Anhaltspunkte dafür, dass kein Regress gegen den klagenden Arzt hätte festgesetzt werden dürfen. |

Der Sachverhalt

Der Kläger ist ermächtigter Krankenhausarzt, der vor allem onkologisch erkrankte Patientinnen ambulant behandelt. Er ist Mitglied eines sog. Tumorboards, das als Fachexpertengremium Therapieentscheidungen zur onkologischen Systemtherapie trifft. Die Patienten werden persönlich vorgestellt und das Tumorboard trifft individuelle Therapieentscheidungen, die von allen Mitgliedern persönlich gegengezeichnet werden. Bei der dann folgenden ambulanten Behandlung seiner Patientinnen nutzte der Kläger ein Programm zur digitalen Arzneimittel-Verordnung. Er selbst nahm die Verordnung von erforderlichen Zytostatika digital vor, druckte sie aus, unterzeichnete sie eigenhändig und nahm sie zur Patientenakte. Ein digitales Rezept-Image wurde zeitgleich über die Software an die Apotheke gesandt. Diese druckte das Image aus und sandte es auf dem Postweg an den Kläger. Dieser hatte allerdings versäumt, die Images ebenfalls persönlich zu unterzeichnen. Für den Zeitraum I/2010 bis IV/2012 wurde u. a. aufgrund der nicht persönlich unterzeichneten Verordnungen ein Regress in Höhe von 260.267,32 Euro sowie im Parallelverfahren für den Zeitraum I/2013 bis IV/2013 ein Regress in Höhe von 26.282,54 Euro festgesetzt.

Die Entscheidung

Das SG Mainz hob den Regressbescheid, soweit er bezüglich der Verordnungen ohne eigenhändige Unterschrift des Klägers erging, auf und verpflichtete die Beklagte über den Widerspruch des Klägers – unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts – erneut zu entscheiden.

Verordnungsfehler zwar vorhanden ...

Das Gericht ging davon aus, dass die Voraussetzungen für die Feststellung eines sogenannten „sonstigen Schadens“ nach § 48 BMV-Ä (Bundesmantelvertrag-Ärzte) dem Grunde nach vorlägen. Als sonstigen Schaden bezeichnet man die Folge eines Verordnungsfehlers, der nicht die eigentliche Auswahl des Medikaments betrifft, sondern die formale Ausstellung des Rezeptvordrucks.

§ 48 Abs. 1 BMV-Ä

„Der sonstige durch einen Vertragsarzt verursachte Schaden, der einer Krankenkasse aus der unzulässigen Verordnung von Leistungen, die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind, oder aus der fehlerhaften Ausstellung von Bescheinigungen entsteht, wird durch die Prüfungseinrichtungen nach § 106 SGB V festgestellt.“

Vorliegend fehlte auf den Verordnungen die eigenhändige Unterschrift des ermächtigten Arztes. Darin, so das Gericht, liege eine Verletzung des Gebotes der persönlichen Leistungserbringung. Nicht nur die ärztliche Entscheidung über das zu verordnende Medikament, sondern auch die Unterzeichnung der Verordnung habe durch den Arzt selbst zu erfolgen. Eine eventuelle Unkenntnis darüber entlaste ihn nicht, da er verpflichtet sei, die einschlägigen Regelungen zu kennen. Schließlich sei auch „unzweifelhaft“ ein Schaden anzunehmen. Der Umstand, dass bei sachgerechter Ausstellung der Verordnung dieselben Kosten entstanden wären, sei unerheblich, da dies andernfalls zu einer Relativierung des vertragsärztlichen Ordnungssystems führen würde.

... Höhe des Regresses aber „rechtsmissbräuchlich“

Dennoch kam das Gericht zu dem Schluss, dass die Festsetzung des Regresses gegen den – auch im Vertragsarztrecht geltenden – Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoße, weil der Bescheid des Prüfgremiums „rechtsmissbräuchlich“ gewesen sei. Das Gericht führte eine Abwägung der Interessen des Klägers und der antragsstellenden Krankenkasse durch:

  • Aufseiten der Krankenkasse besteht das Interesse an der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zur Aufrechterhaltung des vertragsärztlichen Ordnungssystems sowie am verantwortungsvollen Umgang mit den finanziellen Mitteln ihrer Mitglieder. Das Sozialgericht bewertet Letzteres geringer, sofern außer Frage steht, dass die Leistungen grundsätzlich zulasten der GKV verordnet werden können, als wenn die Leistungen nach Art und Umfang fragwürdig erscheinen.
  • Das klägerische Interesse beim Arzt liege vor allem in der Vermeidung finanzieller Belastungen. Je gravierendere finanzielle Auswirkungen auf die persönliche Lebensführung des Arztes zu befürchten seien, desto höher sei das Interesse zu gewichten. Je eher ein Regress dazu geeignet sei, die Existenzgrundlage des Betroffenen zu gefährden, desto weniger könne nämlich das Ziel des Prüfverfahrens – die sanktionsbewährte Anhaltung zu wirtschaftlichem Verhalten – erreicht werden.

Im Ergebnis entschied das Gericht, dass das Interesse des Klägers überwiegt. Ein Regress in Höhe von insgesamt 286.535,52 Euro, ohne dass dem Kläger kompensierende Einnahmen zugeflossen sind, könne sich gravierend auf die Lebensführung des Klägers auswirken. Die Interessen der Krankenkasse seien hingegen marginal zu bewerten, da ausgeschlossen werden könne, dass es nicht nur bei der Unterschrift, sondern auch bei der Festlegung der Therapie zu einem Verstoß gegen das Gebot der persönlichen Leistungserbringung gekommen ist. Zudem bestünden keine Zweifel an der grundsätzlichen Kostentragungspflicht der beigeladenen Krankenkasse für die vom Kläger verordneten Arzneimittel.

Einordnung des Urteils

Das Bundessozialgericht (BSG) geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass gegen das Vorliegen eines Schadens gerade nicht eingewendet werden kann, dass dem Patienten etwa eine vertragsgerechte Leistung zugeflossen ist und dass bei sachgerechter Verordnung die Kosten ohnehin angefallen wären. Es geht insoweit von einem normativen Schadensbegriff aus und hebt die Wichtigkeit der für die vertragsärztliche Versorgung geltenden Bestimmungen hervor.

Das SG Mainz sieht seine Entscheidung dennoch nicht als Abweichung von der bisherigen und anerkannten BSG-Rechtsprechung, da es den Tatbestand des § 48 BMV-Ä dem Grunde nach bejaht. Es verweist sogar selbst darauf, dass eine Relativierung des vertragsärztlichen Ordnungssystems drohe, wenn der Kläger mit einem solchen Argument durchdringen würde. Dennoch bewertet das SG genau dieses Argument in der Interessensabwägung im Rahmen von § 242 BGB (Treu und Glauben). Ob die Entscheidung des SG Mainz daher verallgemeinerungsfähig ist und sich andere Gerichte, insbesondere das BSG, der rechtlichen Würdigung anschließen werden, bleibt äußerst fraglich. Gegen das Urteil wurde denn auch Berufung eingelegt, weshalb es noch nicht rechtskräftig ist.

Begrüßenswert ist dennoch, dass das SG die faktische Situation des betroffenen Arztes erkannt und gewertet hat.

Fazit | Im Ergebnis erscheint die Rechtsauffassung des SG in Bezug auf „die reine Lehre“ angreifbar. Einigkeit dürfte aber bestehen, dass es Extremfälle gibt, in denen ein Regress bzw. eine Schadensfeststellung nicht mehr in Relation zum Fehlverhalten des Arztes steht. Für solche Fälle bietet die Entscheidung einen guten Ansatzpunkt, um die Interessen der Ärzte in Regressverfahren besser geltend machen zu können.

  • Einerseits stellt es klar, dass die Anzahl der Pflichtverletzungen keinen Rückschluss auf die Vehemenz und Qualität der Pflichtverletzung zuließen. Der Arzt erkenne regelmäßig erst im Rahmen eines unter Ausreizung der Fristen gestellten Prüfantrags der Krankenkassen sein Verhalten als pflichtwidrig. Auch die Höhe des Regresses ließe keinen solchen Rückschluss zu, da diese von der beanstandeten Leistung abhänge, worauf der Arzt keinen Einfluss habe.
  • Richtigerweise erkennt das SG auch an, dass Regressforderungen für einen Arzt regelmäßig existenzbedrohend sein können. Dass ein Arzt in einer solchen Konstellation zu künftigem, wirtschaftlichen Verhalten angeregt wird, ist unwahrscheinlich.

AUSGABE: AAA 3/2023, S. 12 · ID: 49218199

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