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KündigungszugangZugang, Beweis, Einwurf-Einschreiben: Was ArbG beim Zugang der Kündigung beweisen müssen

Abo-Inhalt11.06.20256260 Min. LesedauerVon Prof. Dr. Ralf Jahn, Würzburg

| Die Beweislast für den Zugang einer Kündigung trägt der ArbG. Aus einem Einwurf-Einschreiben allein folgt noch kein Anscheinsbeweis für den Zugang. |

Sachverhalt

Die ArbN arbeitete seit Mai 2021 bei dem ArbG. Dieser kündigte das Arbeitsverhältnis mehrfach außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich, zuletzt mit Schreiben vom 26.7.22. Die ArbN erhob dagegen Kündigungsschutzklage. Sie bestritt im Verlauf des weiteren Verfahrens den Zugang des Kündigungsschreibens.

Der ArbG meinte, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei mit Zugang des Schreibens vom 26.7.22 beendet worden. Die ArbN habe diese Kündigung nicht innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 S. 1 KSchG angegriffen. Mitarbeiter hätten das Kündigungsschreiben gemeinsam in einen Briefumschlag gesteckt. Danach habe eine – als Zeugin benannte – ArbN den Umschlag zur Post gebracht und dort am 26.7.22 um 15:35 Uhr als Einwurf-Einschreiben mit Sendungsnummer persönlich aufgegeben. Ausweislich des im Internet abrufbaren sog. Sendungsstatus sei das Schreiben mit der entsprechenden Sendungsnummer der ArbN am 28.7.22 zugestellt worden. Es bestehe ein Anscheinsbeweis. Dieser werde durch das pauschale Bestreiten der ArbN nicht erschüttert. Zwar können der ArbG keinen Auslieferungsbeleg mehr vorlegen. Die Frist, innerhalb derer die Deutsche Post AG die Kopie eines Auslieferungsbelegs erteilt, sei nämlich zwischenzeitlich abgelaufen. Dies sei aber unerheblich.

Das Arbeitsgericht Heilbronn (11.1.23, 1 Ca 91/22) wies die Kündigungsschutzklage ab. Das LAG Baden-Württemberg (12.12.23, 15 Sa 20/23) gab ihr hingegen statt und hob das erstinstanzliche Urteil auf. Der ArbG habe den Zugang des Kündigungsschreibens nicht nachweisen können.

Entscheidungsgründe

Die Revision des ArbG vor dem BAG (30.1.25, 2 AZR 68/24, Abruf-Nr. 247195) blieb erfolglos, die LAG-Entscheidung wurde bestätigt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien sei nicht durch eine Kündigung vom 26.7.22 außerordentlich fristlos oder hilfsweise ordentlich aufgelöst worden. Der ArbG sei für den Zugang der Kündigung beweisfällig geblieben.

Die Beweislast für den Zugang einer Kündigung trage der ArbG. Ein Einwurf-Einschreiben allein reiche nicht aus, um einen Anscheinsbeweis für den Zugang zu führen. Auch der Einlieferungsbeleg und der online abrufbare Sendungsstatus der Post würden nicht beweisen, dass das Kündigungsschreiben tatsächlich in den Briefkasten der ArbN gelangt sei. Vielmehr hätte der ArbG auch den Auslieferungsbeleg vorlegen müssen, was ihm nicht mehr möglich gewesen sei. Es würden konkrete Beweise für den tatsächlichen Einwurf, z. B. durch Zeugen oder eine dokumentierte Zustellung, fehlen.

Relevanz für die Praxis

Mit seiner Entscheidungsbegründung klärt das BAG wichtige Fragen zum Zugang von Willenserklärungen im Arbeitsverhältnis, Anscheinsbeweis und zur rechtlichen Bedeutung von Einwurf-Einschreiben. Die Begründung des BAG ist deshalb für eine Vielzahl vergleichbarer Fälle im Arbeitsrecht und damit im Berufsalltag von Personalverantwortlichen praktisch relevant.

Nach ständiger Rechtsprechung geht eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden im Sinne von § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten (BAG 20.6.24, 2 AZR 213/23, Abruf-Nr. 243082). Der ArbG trägt für den ihm günstigen Umstand des Zugangs des Kündigungsschreibens die Darlegungs- und Beweislast (BAG 22.8.19, 2 AZR 111/19, Abruf-Nr. 211799).

Bei Kündigungen ist zu beachten, dass eine Kündigung nicht als von Anfang an (also ab dem Datum des Kündigungsschreibens) als „rechtswirksam“ gilt. Die Frist des § 4 S. 1 KSchG beginnt erst ab Zugang der schriftlichen Kündigung zu laufen (BAG 26.4.22, 9 AZR 139/21, Abruf-Nr. 231144; BAG 6.9.12, 2 AZR 858/11, Abruf-Nr. 130899).

Praxistipp | Behauptet der ArbG den Einwurf eines (Kündigungs-)Schreibens in den Empfängerbriefkasten – etwa durch eigenes Personal – , muss er im Bestreitensfall hierfür Beweis anbieten. Hierbei empfiehlt sich zu dokumentieren und von den beteiligten Zeugen unterschreiben zu lassen, dass explizit das Kündigungsschreiben in Gegenwart in einen Umschlag (Fenster- oder geschlossener Umschlag) eingetütet worden ist und von wem, an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit in den Empfängerbriefkasten eingeworfen worden ist; noch besser ist, wenn der Briefeinwurf durch ein Handyfoto dokumentiert wird.

Dem Beweispflichtigen kann der Anscheinsbeweis zugutekommen. Der Beweis des ersten Anscheins greift bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist. „Typisch“ bedeutet dabei nicht, dass die Ursächlichkeit einer Tatsache für den Erfolg bei allen Sachverhalten der Fallgruppe immer vorhanden sein muss; sie muss aber so häufig gegeben sein, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist (BAG 20.6.24, 2 AZR 213/23, Abruf-Nr. 243082; BGH 3.12.24, VI ZR 18/24, Abruf-Nr. 246125).

Der Einlieferungsbeleg eines Einwurf-Einschreibens, aus dem neben dem Datum und der Uhrzeit der Einlieferung die jeweilige Postfiliale und die Sendungsnummer ersichtlich sind, genügt zusammen mit einem im Internet abgefragten Sendungsstatus nicht für einen Beweis des ersten Anscheins, dass ein Schreiben tatsächlich zugegangen ist. Der Einlieferungsbeleg beweist mit Datum und Uhrzeit lediglich, dass eine bestimmte Briefsendung an einem bestimmten Tag und zu einer bestimmten Uhrzeit bei der Post aufgegeben, also abgesendet worden ist; der Einlieferungsbeleg belegt auch nicht den Inhalt der (verschlossenen) Briefsendung.

Praxistipp | Der bloße Sendungsstatus lässt weder erkennen, an wen die Zustellung erfolgt sein soll (persönlich an den Empfänger, an eine andere Person in dessen Haushalt oder Einwurf in den Hausbriefkasten), noch zu welcher Uhrzeit, unter welcher Adresse oder zumindest in welchem Zustellbezirk. Würde ein solcher Sendungsstatus, der auch die Person des Zustellers in keiner Weise kenntlich macht, für einen Anscheinsbeweis genügen, hätte der vermeintliche Empfänger der Sendung – anders als bei dem Einwurf eines Schreibens in den Hausbriefkasten durch einen Boten – praktisch keine Möglichkeit, ihn zu erschüttern oder gar einen Gegenbeweis anzutreten. Der Sendungsstatus ist deshalb auch kein Ersatz für den Auslieferungsbeleg.

Der Absender eines Einwurf-Einschreibens kann sich aber bei Vorlage des Einlieferungsbelegs zusammen mit einer Reproduktion des Auslieferungsbelegs auf den Beweis des ersten Anscheins berufen, dass die Sendung durch Einlegen in den Briefkasten bzw. das Postfach zugegangen ist, wenn ein näher beschriebenes Verfahren eingehalten wurde (BGH 11.5.23, V ZR 203/22, Abruf-Nr. 236382; BGH 27.9.16, II ZR 299/15, Abruf-Nr. 190212).

Praxistipp | Der bloße „Einlieferungsbeleg“ ist für die Frage des Zugangs ohne Bedeutung, da er keinen Nachweis für den Zugang erbringen kann. Die Vorlage des Einlieferungsbelegs eines Einwurf-Einschreibens und die Darstellung seines Sendungsverlaufs begründen ohne die Vorlage einer Reproduktion des „Auslieferungsbelegs“ keinen Anscheinsbeweis für den Zugang beim Empfänger. Es fehlen die Angaben über die Person des den Einwurf bewirkenden Postbediensteten sowie die weiteren Einzelheiten der Zustellung. Auch der bloße Sendungsstatus im Sendungsverlauf begründet keinen Zugangsnachweis.

Das Nachweisverfahren mit Auslieferungsbeleg gilt etwa für das Zustellverfahren der Deutschen Post AG, bei dem die Auslieferung der Sendung durch deren Einwurf in den Briefkasten oder das Postfach des Empfängers erfolgt ist. Unmittelbar vor dem Einwurf wird hierbei das sog. „Peel-off-Label“ (Abziehetikett), das zur Identifizierung der Sendung dient, von dem zustellenden Postangestellten abgezogen und auf einen vorbereiteten, auf die eingeworfene Sendung bezogenen Auslieferungsbeleg aufgeklebt. Auf diesem Beleg bestätigt der Postangestellte nach dem Einwurf mit seiner Unterschrift und der Datumsangabe die Zustellung. Wird dieses Verfahren eingehalten, ist nach der Rechtsprechung der Schluss gerechtfertigt, dass die eingelieferte Sendung tatsächlich in den Briefkasten des Empfängers gelangt ist (BGH 27.9.16, II ZR 299/15, Abruf-Nr. 190212).

Praxistipp | Der auf die eingeworfene Sendung bezogene Auslieferungsbeleg ist der Kern eines rechtssicheren Zugangsnachweises. Auf diesem Beleg bestätigt der Postangestellte nach dem Einwurf mit seiner Unterschrift und der Datumsangabe die Zustellung. Die Deutsche Post AG speichert in der Regel Kopien des Auslieferungsbelegs für eine Dauer von 15 Monaten. Diese Frist war im Streitfall vor dem BAG schon abgelaufen, obwohl dem ArbG in den vorherigen Gerichtsinstanzen – also vor Fristablauf – bekannt war, dass der Zugang des Kündigungsschreibens bestritten war. Deswegen ist in der Praxis gerade auf den Auslieferungsbeleg (neben dem Einlieferungsbeleg mit Sendungsstatus) besonderes Augenmerk zu legen.

AUSGABE: AA 6/2025, S. 107 · ID: 50424719

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