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AGG„Digital Native“ in Online-Stellenbeschreibung ist eine Altersdiskriminierung
| Mit der Formulierung „… als ‚Digital Native‘ …“ in einer Stellenanzeige möchte der ArbG Bewerber ansprechen, die mit digitalen Technologien, Computern, dem Internet und Smartphones aufgewachsen sind und diese von klein auf in ihren Alltag integriert haben. Eine solche Stellenausschreibung ist ein Indiz für eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG. |
Sachverhalt
Die Parteien streiten darüber, ob der ArbG verpflichtet ist, an den Bewerber eine Entschädigung wegen Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot des AGG zu zahlen. Der 1972 geborene Bewerber ist ausgebildeter Diplom-Wirtschaftsjurist. Der ArbG ist ein international agierendes Handelsunternehmen im Bereich Sportartikel. Im April 2023 schrieb er auf zahlreichen Internetplattformen wie stepstone, LinkedIn, Xing eine neue Position aus. In der Stellenanzeige heißt es unter der Überschrift „WIR LIEBEN“ unter anderem wie folgt: „Als Digital Native fühlst Du Dich in der Welt der Social Media, der Daten-getriebenen PR, des Bewegtbilds und allen gängigen Programmen für DTP, CMS, Gestaltung und redaktionelles Arbeiten zu Hause“ und „Du bist ein absoluter Teambuddy …“.
Mit Lebenslauf bewarb sich der Wirtschaftsjurist auf die ausgeschriebene Stelle über das Online Karriere-Portal des ArbG. In dem Anschreiben äußerte er eine Gehaltsvorstellung von rund 90.000 EUR brutto pro Jahr. Er erhielt auf seine Bewerbung eine Absage. Daraufhin verlangte er eine Entschädigung in Höhe von 37.500 EUR wegen Altersdiskriminierung.
Das Arbeitsgericht Heilbronn (18.1.24, 8 Ca 191/23), sprach dem Bewerber einen Schadenersatz in Höhe von 7.500 EUR zu. Der Begriff „Digital Native“ weise im gängigen Sprachgebrauch eine generationenbezogene Konnotation auf. Die Formulierung des ArbG zeige, dass er eben nicht nur eine Person mit sicheren Kenntnissen in diesen Kommunikationsfeldern suche, sondern jemanden, der diese Eigenschaft regelmäßig von Natur aus als „Eingeborener“ mitbringe. Dem ArbG sei es auch nicht gelungen, die Vermutung der Benachteiligung des Bewerbers wegen seines Alters auszuräumen. Er habe weder aufgezeigt, dass er bei der Sichtung der Bewerbungen einem formellen Verfahren gefolgt sei, noch substanziierten Vortrag dazu gehalten, nach welchen Kriterien vorliegend ausschließlich ausgewählt worden sei.
Der Entschädigungsanspruch sei auch nicht dem Rechtsmissbrauchseinwand ausgesetzt. Die vom ArbG vorgetragenen Einwände (anderer Wohnsitz des Bewerbers, Überqualifizierung, Gehaltsvorstellung) seien unzureichend, um auf Rechtsmissbrauch zu schließen. Eine Entschädigung in Höhe von 1,5 auf der ausgeschriebenen Stelle erzielbaren Bruttomonatsverdienste, das heißt in Höhe von 7.500 EUR, sei angemessen (§ 15 Abs. 2 AGG).
Entscheidungsgründe
Das LAG Baden-Württemberg (7.11.24, 17 Sa 2/24, Abruf-Nr. 247472) bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung inhaltlich und bejahte ebenfalls eine Diskriminierung aufgrund des Alters. Der Begriff „Digital Native“ sei eine direkte Anknüpfung an das Alter. Der Begriff bezeichne Personen, die mit digitalen Medien aufgewachsen seien, typischerweise ab den 1980er Jahren. Der Bewerber sei 1972 geboren und falle somit nicht in diese Gruppe. Die Formulierung in der Stellenanzeige sei daher ein starkes Indiz für Altersdiskriminierung.
Die weiteren Ausdrücke wie „Teambuddy“ und „dynamisches Team“ würden diesen Eindruck verstärken und sich eher an jüngere Bewerber richten. Der ArbG könne auch nicht überzeugend darlegen, dass ausschließlich andere Gründe zur Ablehnung geführt hätten. Mit dem Begriff „Digital Native“ würde unmittelbar an das Lebensalter angeknüpft. Auf Deutsch übersetzt heiße der Begriff „digitaler Eingeborener“ bzw. „digitaler Ureinwohner“. Und weiter: Die Bezugnahme auf das Alter werde durch die weiteren Passagen in der Stellenausschreibung, in welcher der gesuchte Bewerber als „absoluter Teambuddy“ bezeichnet werde, verstärkt und ihm Aufgaben in einem „dynamischen Team“ geboten werden würden. Die Ansprache als „Teambuddy“ richte sich aus Sicht eines objektiven Lesers des Stellenprofils eher an einen jüngeren als einen älteren Bewerber. Auch der Begriff „dynamisch“ beschreibe eine Eigenschaft, die im Allgemeinen eher jüngeren als älteren Menschen zugeschrieben werde.
Relevanz für die Praxis
Der Begriff „Digital Native“ wurde von Marc Prensky im Jahr 2001 geprägt, um die Generation von Menschen zu beschreiben, die mit digitalen Technologien wie Computern, dem Internet und anderen mobilen Geräten aufgewachsen sind, und sie der Generation der „Digital Immigrants“ gegenüberzustellen, der älteren Generation, die nicht mit diesen Technologien groß geworden ist (Prensky, M., 2001, „Digital Natives, Digital Immigrants“).
Laut Duden ist ein „Digital Native“ eine „Person, die mit digitalen Technologien aufgewachsen ist und in ihrer Benutzung geübt ist“. Ähnlich wird der Begriff in Wikipedia umschrieben. Dort heißt es: „Als digital native (deutsch „digitaler Eingeborener, Plural digital natives) wird eine Person der gesellschaftlichen Generation bezeichnet, die in der digitalen Welt aufgewachsen ist. Im Gegensatz dazu stehen die Begriffe des „Digital Immigrant“ (deutsch „digitaler Einwanderer“ oder „digitaler Immigrant“) für jemanden, der diese Welt erst im Erwachsenenalter kennengelernt hat, …“.
Im vorliegenden Fall sei daher festzustellen, dass sowohl Prensky bei der Verwendung des Begriffs „Digital Native“ als auch Duden und Wikipedia bei der Definition des Begriffs eben nicht nur auf die besonderen Fähigkeiten eines „Digital Native“ im Umgang mit digitalen Technologien wie Computer, Internet, etc. abstellen, sondern vor allem darauf, dass der „Digital Native“ von klein auf mit den digitalen Medien vertraut ist, weil er in die digitale Welt hineingeboren wurde. Damit kann dem Begriff „Digital Native“ ein Alters- bzw. Generationenbezug nicht abgesprochen werden.
AUSGABE: AA 6/2025, S. 95 · ID: 50424891