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Verhaltensbedingte KündigungWie kann einem Low-Performer gekündigt werden?

Abo-Inhalt18.01.20232052 Min. Lesedauer

| Wenn ein ArbN über einen längeren Zeitraum die Durchschnittsleistung um mehr als 1/3 unterschreitet, kann dies ggf. nach einschlägiger Abmahnung eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung rechtfertigen. |

Sachverhalt

Der 50 Jahre alte ArbN ist seit 2011 als Kommissionierer zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von knapp über 2.300 EUR beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis wird der Entgelttarifvertrag für den Groß- und Außenhandel NRW angewendet; der ArbN erhält eine Vergütung nach Lohngruppe III. Ein Betriebsrat ist errichtet.

Die Kommissionierung wird mithilfe des Warenwirtschaftssystems gesteuert, in welches in regelmäßigen Zeitabständen die Kundenaufträge einfließen. Diese beinhalten alle Verpackungseinheiten der im Markt verkauften Produkte in der Menge, in der sie jeweils für die nächste Warenlieferung vom Markt bestellt wurden. Die Priorisierung orientiert sich an den durch den Fuhrpark vorgegebenen Zeitfenstern für die Beladung der LKWs.

2017 wurde eine Betriebsvereinbarung zur Prämienentlohnung abgeschlossen, die die Zahlung einer Leistungsprämie für Kommissionierer vorsieht, die vor dem 1.10.16 eingestellt worden sind. Festgelegt wird eine Basisleistung (100 Prozent), die der Normalleistung entspricht und mit dem Grundlohn vergütet wird. Die Basisleistung wird nach Vereinbarung zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat in Kolli pro Stunde bemessen. Die Leistungsprämie soll im Durchschnitt für jeden Bereich der Kommissionierung über alle Kommissionierer etwa 120 Prozent betragen. Seit seinem Wechsel in ein anderes Lager erreichte der ArbN in keinem Monat die Basisleistung.

2019 führten die Parteien Gespräche hinsichtlich der Leistungswerte des ArbN. Im Januar 2020 erteilte der ArbG dem ArbN eine Abmahnung wegen bewusster Zurückhaltung seiner ihm zur Verfügung stehenden Arbeitskraft und Arbeit nicht unter angemessener Anspannung seiner Kräfte und Fertigkeiten. Er warf ihm vor, im Dezember 2019 eine Leistung erbracht zu haben, die einer Basisleistung von knapp 73 Prozent entsprach, bei einer Leistung von knapp über 116 Prozent der Basisleistung der vergleichbaren Mitarbeitergruppe. Zwei Monate später erteilte der ArbG eine weitere Abmahnung mit gleichem Vorwurf. Er warf ihm eine Leistung im Februar 2020 von knapp über 72 Prozent der Basisleistung bei einer durchschnittlichen Leistung der vergleichbaren Mitarbeitergruppe von durchschnittlich knapp 118 Prozent vor. Im Mai 2020 hörte der ArbG den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung an. Dieser gab keine Stellungnahme ab. Der ArbG kündigte danach das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.9.20, hilfsweise zum nächstzulässigen Termin.

Das Arbeitsgericht Köln erhob Beweis durch Vernehmung des Betriebsratsmitglieds H als Zeugen und wies die Klage ab (10.6.21, 6 Ca 3769/20). Die ordentliche Kündigung sei rechtswirksam, weil sie nach § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe, die im Verhalten des ArbN liegen, bedingt sei. Der ArbG habe bewiesen, dass der ArbN über einen längeren Zeitraum die Durchschnittsleistung vergleichbarer ArbN erheblich unterschritten habe. Dem ArbN sei es nicht gelungen, die Aussagekraft des Zahlenwerks in Abrede zu stellen oder zu belegen, dass er aufgrund äußerer Umstände nur eine deutlich geminderte Leistung habe erbringen können, obwohl er seine Leistungsfähigkeit ausgeschöpft habe. Auch die Interessenabwägung vermöge eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zu rechtfertigen, insbesondere erfüllten die streitgegenständlichen Abmahnungen die Hinweis- und Warnfunktion und seien einschlägig.

Der ArbN habe auch keinen Anspruch auf Entfernung der Abmahnungen. Die Leistungen seien korrekt angegeben, es habe sich in den relevanten Monaten um eine erheblich von den Leistungen der Kollegen nach unten abweichende Arbeitsleistung gehandelt. Auch formell bestünden keine Bedenken.

Entscheidungsgründe

Auch das LAG Köln (3.5.22, 4 Sa 548/21, Abruf-Nr. 230336, und 4 Sa 762/21, Abruf-Nr. 230339) gab dem ArbG Recht. Das Arbeitsgericht habe zu Recht die Klage abgewiesen. Der ArbN habe weder die vom ArbG vorgelegten Zahlenwerte und ihre Aussagefähigkeit plausibel bestritten, noch erklärt, warum er mit seiner deutlich unterdurchschnittlichen Leistung dennoch seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpfe. Sein Bestreiten erfülle nicht die Substanziierungspflichten des § 138 ZPO; es sei damit unbeachtlich.

Es sei davon auszugehen, dass die Leistungen des ArbN über einen längeren Zeitraum, insbesondere auch dem für die Kündigung herangezogenen Zeitraum zwischen der zweiten Abmahnung, die Durchschnittsleistung vergleichbarer ArbN um deutlich mehr als 1/3 unterschritten hat.

Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachengrundlage des Arbeitsgerichts aufgrund einer fehlerhaften Beweiswürdigung oder in der Berufung neu vorgebrachter Umstände begründen könnten, lägen nicht vor. Die Beweiswürdigung, der sich das Berufungsgericht anschließe, sei nicht zu beanstanden. Der ArbN habe in der Berufung keine neuen Umstände diesbezüglich vorgebracht. Ebenso wenig habe er plausibel dargelegt, warum er mit seiner unterdurchschnittlichen Leistung dennoch seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpfe. Altersbedingte Leistungsdefizite könnten hier eine Rolle spielen.

Die Kündigung sei auch verhältnismäßig. Beruhe die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des ArbN, sei grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden könne. Ordentliche und außerordentliche Kündigungen wegen einer Vertragspflichtverletzung würden deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraussetzen. Der ArbG habe den ArbN unter Darlegung seiner Leistung sowie der Leistung der Vergleichsgruppe aufgefordert, zukünftig seine volle Arbeitsleistung zur Verfügung zu stellen. Er habe ihm für einen erneuten Anlass zur Beanstandung arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung angedroht. Die Abmahnungen hätten jeweils die Hinweis- und Warnfunktion erfüllt.

Checkliste / Low-Performer: Wann kommt eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht?

Auf Pflichtverletzungen beruhende Schlechtleistungen sind geeignet, eine ordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Nachfolgend sechs Fakten:

  • 1. Ob eine Leistung eine Schlechtleistung ist, beurteilt sich nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Ist die Arbeitsleistung im Vertrag der Menge und der Qualität nach nicht oder nicht näher beschrieben, so richtet sich der Inhalt des Leistungsversprechens zum einen nach dem vom ArbG durch Ausübung des Direktionsrechts festzulegenden Arbeitsinhalt und zum anderen nach dem persönlichen, subjektiven Leistungsvermögen des ArbN. Der ArbN muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann. Die Leistungspflicht ist nicht starr, sondern dynamisch und orientiert sich an der Leistungsfähigkeit des ArbN.
  • 2. Der ArbN kann seine Arbeitspflicht selbst willkürlich nicht bestimmen. Er darf nicht das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung einseitig bestimmen. Er muss vielmehr unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten.
  • 3. Ob der ArbN dieser Verpflichtung nachkommt, ist für den ArbG anhand objektivierbarer Kriterien nicht immer erkennbar. Der Umstand, dass der ArbN unterdurchschnittliche Leistungen erbringt, muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass der ArbN seine persönliche Leistungsfähigkeit nicht ausschöpft.
  • 4. In einer Vergleichsgruppe ist stets ein Angehöriger der Gruppe das „Schlusslicht“. Das kann auch daran liegen, dass die übrigen Gruppenangehörigen besonders leistungsstark sind, sich überfordern oder dass umgekehrt der gruppenschwächste ArbN besonders leistungsschwach ist.
  • 5. Andererseits ist das deutliche und längerfristige Unterschreiten des von vergleichbaren ArbN erreichbaren Mittelwerts oft der einzige für den ArbG erkennbare Hinweis darauf, dass der schwache Ergebnisse erzielende ArbN Reserven nicht ausschöpft, die mit zumutbaren Anstrengungen nutzbar wären. Dem muss auch im Rahmen des Kündigungsschutzrechts Rechnung getragen werden. Ansonsten würde einer Vertragspartei die Möglichkeit genommen, einen vertragswidrigen Zustand mit rechtlich zulässigen Mitteln zu beseitigen (BAG 17.1.08, 2 AZR 536/06, Abruf-Nr. 081964).
  • 6. Bei quantitativen Minderleistungen orientiert sich die Rechtsprechung an den Werten, die für die Annahme einer grundlegenden Störung des Leistungsgleichgewichts herangezogen worden sind (BAG 11.12.03, 2 AZR 667/02, Abruf-Nr. 042210).

Checkliste / Low-Performer-Kündigung: Wer muss was beweisen?

Es gelten die Regeln der abgestuften Darlegungslast:

  • 1. Zunächst ist es Sache des ArbG, zu den Leistungsmängeln das vorzutragen, was er wissen kann. Kennt er die objektiv messbaren Arbeitsergebnisse, so genügt er seiner Darlegungslast, wenn er Tatsachen vorträgt, aus denen hervorgeht, dass die Leistungen des betreffenden ArbN deutlich hinter denen vergleichbarer ArbN zurückbleiben, also die Durchschnittsleistung erheblich unterschreiten.
  • 2. Davon kann dann gesprochen werden, wenn – gemessen an der durchschnittlichen Leistung der vergleichbaren ArbN – das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stark beeinträchtigt ist. Zum Beispiel bei einer langfristigen Unterschreitung der Durchschnittsleistung um mehr als 1/3. Dem entspricht es, wenn das BAG in anderen Fällen unterhalb einer Grenze von etwa 1/3 liegende Vergütungseinbußen als noch hinnehmbar und nicht als eine grundlegende Störung des Leistungsgleichgewichts im kündigungsrechtlich geschützten Kernbereich angesehen hat (BAG 11.12.03, 2 AZR 667/02, Abruf-Nr. 042210).
  • 3. Trägt der ArbG vor, dass die Leistungen des ArbN über einen längeren Zeitraum den Durchschnitt im vorgenannten Sinne unterschritten haben, ist es Sache des ArbN, hierauf zu entgegnen – gegebenenfalls das Zahlenwerk und seine Aussagefähigkeit im Einzelnen zu bestreiten und/oder darzulegen, warum er mit seiner deutlich unterdurchschnittlichen Leistung dennoch seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpft. Hier können altersbedingte Leistungsdefizite, Beeinträchtigungen durch Krankheit oder betriebliche Umstände eine Rolle spielen.
  • 4. Legt der ArbN derartige Umstände plausibel dar, ist es Sache des ArbG, sie zu widerlegen. Trägt der ArbN hingegen derartige Umstände nicht vor, gilt das schlüssige Vorbringen des ArbG als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO). Es ist dann davon auszugehen, dass der ArbN seine Leistungsfähigkeit nicht ausschöpft.

AUSGABE: AA 2/2023, S. 20 · ID: 49016770

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