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SonderzahlungenFreiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt: Wo liegt der Unterschied?
| In Ergänzung zum Beitrag „Unter diesen Voraussetzungen ist Weihnachtsgeld verpflichtend zu zahlen“ stellt sich die Frage nach dem genauen Unterschied zwischen einem Freiwilligkeits- und einem Widerrufsvorbehalt. Zunächst ist relevant, dass sowohl der Freiwilligkeits- als auch der Widerrufsvorbehalt nicht für das Arbeitsentgelt als Gegenleistung für die erbrachte Arbeit, sondern nur für nicht wesentliche Zusatzbestimmungen vorgesehen werden kann (BAG 25.4.07, 5 AZR 627/06, Abruf-Nr. 072811). Doch es gibt weitere Unterschiede. |
1. Der Freiwilligkeitsvorbehalt
Gewährt der ArbG dreimal hintereinander ohne Vorbehalt eine zusätzliche Leistung, entsteht eine betriebliche Übung des Inhalts, dass der ArbG die Leistung auch künftig gewähren muss. Denn unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des ArbG zu verstehen, aus denen die ArbN schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des ArbG, das von den ArbN in der Regel stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen.
Entscheidend für das Entstehen eines Anspruchs ist, wie die Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des ArbG nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen mussten, und ob sie auf einen Bindungswillen des ArbG schließen durften. Ob dieser tatsächlich mit einem entsprechenden Verpflichtungswillen gehandelt hat, ist unerheblich. Eine betriebliche Übung kommt nur in Betracht, wenn auf die gewährte Leistung kein einzelvertraglicher oder kollektivrechtlicher Anspruch besteht (BAG 26.4.22, 9 AZR 367/21, Abruf-Nr. 230460).
Daraus folgt, dass ein einfacher Hinweis auf die Freiwilligkeit der Leistung trotzdem die betriebliche Übung entstehen lässt. Diese Bezeichnung bringt für die ArbN nicht unmissverständlich zum Ausdruck, dass sich der ArbG eine grundsätzlich freie Lösung von der gegebenen Zusage vorbehält, sondern kann auch so verstanden werden, dass sich der ArbG „freiwillig“ zur Erbringung der Leistung verpflichtet, ohne dazu durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Gesetz gezwungen zu sein. Daher muss der ArbG deutlich machen, dass er eine vertragliche Bindung verhindern will. Der Hinweis auf die Freiwilligkeit der Leistung genügt daher für sich genommen nicht, um einen Rechtsanspruch auf die Leistung auszuschließen. Er kann z. B. die Leistung „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und auch bei wiederholter Zahlung keinen Rechtsanspruch für die Zukunft begründend“ erbringen oder sich bei Gewährung der Sonderzahlung eine Entscheidung vorbehalten, „ob und in welcher Höhe er zukünftig Sonderzahlungen gewährt“ (BAG 8.12.10, 10 AZR 671/09, Abruf-Nr. 104136). Der ArbN kann auch mitteilen, dass er „in jedem Jahr neu entscheiden wird“, ob er z. B. ein Weihnachtsgeld zahlt. Im ersten Fall hätte der ArbN keinen Anspruch auf die Leistung, während in der Alternative nur ein künftiger Anspruch ausgeschlossen wird.
Allerdings können bei einem solchen Vorbehalt Probleme dann auftreten, wenn er im Widerspruch zu einer zuvor erteilten Zusage gemacht wird. So erkannte das BAG einem ArbN einen Anspruch auf eine Sondervergütung zu, weil der ArbG in dem Arbeitsvertrag ein „Weihnachtsgeld in Höhe von (zeitanteilig) 40 Prozent eines Monatsgehalts im ersten Kalenderjahr der Beschäftigung „gewährt“ hat, dass sich pro weiterem Kalenderjahr um jeweils 10 Prozent bis zu 100 Prozent eines Monatsgehalts erhöht. Daran änderte sich nichts, obwohl im nächsten Absatz bestimmt ist: „Die Zahlung der betrieblichen Sondervergütungen (Weihnachtsgratifikation, Urlaubsgeld, Vermögenswirksame Leistungen) erfolgt in jedem Einzelfall freiwillig und ohne Begründung eines Rechtsanspruchs für die Zukunft.“
Aus den Entscheidungsgründen (BAG 20.2.13, 10 AZR 177/12, Abruf-Nr. 131902) |
„Eine Formulierung, nach der vom Arbeitgeber ein Bonus oder eine Gratifikation gezahlt wird oder der Arbeitnehmer einen Bonus oder eine Gratifikation erhält, ist typisch für die Begründung eines Entgeltanspruchs. Für den Begriff „gewährt“ gilt nichts anderes. Darüber hinaus ist die Höhe der Leistung präzise festgelegt, und zwar nicht nur für das Eintrittsjahr, sondern auch für die Folgejahre .... Dem steht nicht entgegen, dass das Weihnachtsgeld sowohl in der Überschrift des § 5 als auch in dessen Absatz 5 als „freiwillige soziale Leistung“ bezeichnet wird. Die Bezeichnung als freiwillig kann auch zum Ausdruck bringen, dass der Arbeitgeber nicht durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Gesetz zu dieser Leistung verpflichtet ist. Sie genügt für sich genommen nicht, um einen Rechtsanspruch auf die Leistung auszuschließen.... Der AGB verwendende Arbeitgeber muss aber bei Unklarheiten nach § 305c Abs. 2 BGB die ihm ungünstigste Auslegungsmöglichkeit gegen sich gelten lassen. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem in § 5 Abs. 5 S. 3 des Arbeitsvertrags enthaltenen Freiwilligkeitsvorbehalt, .... Diese Regelung verstößt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB und ist deshalb unwirksam. .... Der Vorbehalt in § 5 Abs. 5 S. 3 des Arbeitsvertrags bezeichnet die Zahlung der betrieblichen Sondervergütungen einschließlich der Weihnachtsgratifikation nicht nur als freiwillig, sondern will „in jedem Einzelfall“ ausschließen, dass deren Zahlung einen Rechtsanspruch für die Zukunft begründet. Der Wortlaut dieser Abrede ist zwar eindeutig, sie schließt einen Rechtsanspruch auf eine Weihnachtsgratifikation aus. Die Bestimmung steht aber im Widerspruch zu dem nach § 5 Abs. 5 S. 2 gewährten Anspruch auf ein Weihnachtsgeld. Sie ist deshalb nicht klar und verständlich i. S. v. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB und unwirksam. Gemäß § 306 Abs. 1 BGB fällt die unwirksame Regelung ersatzlos weg, der Vertrag im Übrigen bleibt bestehen.“ |
Der Fehler des ArbG lag u. a. darin, dass er bereits im Arbeitsvertrag dargestellt hatte, wie sich das Weihnachtsgeld in den folgenden Jahren berechnet. Hätte er z. B. nur mitgeteilt, dass im Einstellungsjahr ein Weihnachtsgeld in einer bestimmten Höhe gezahlt wird und daran anschließend den Hinweis aufgenommen, dass er in den folgenden Jahren jeweils entscheiden wird, ob ein Weihnachtsgeld gewährt wird, wäre das Urteil anders ausgefallen.
2. Widerrufsvorbehalt
Der grundsätzliche Unterschied zwischen einem – richtig formulierten – Freiwilligkeitsvorbehalt und einem Widerrufsvorbehalt liegt darin, dass in dem ersten Fall ein Anspruch auf die freiwillige Leistung auch für die Zukunft ausgeschlossen werden soll, während in der Alternative der Anspruch entsteht und nur von dem ArbG für die Zukunft widerrufen werden kann. Das BAG (12.1.05, 5 AZR 364/04, Abruf-Nr. 050420) führt hierzu aus, dass der Widerrufsvorbehalt bei der Zahlung einer Zulage und der Fahrtkostenerstattung das Recht des ArbG begründen soll, versprochene Leistungen einseitig zu ändern“. Es lägen bei den Zusagen „keine freiwilligen Leistungen“ vor. Hierfür spreche die Bezeichnung im Arbeitsvertrag, die Art der Leistung und die ausdrückliche Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts.
Allerdings muss der ArbG bei einem solchen, in seine AGB aufgenommenen, Widerrufsvorbehalt § 308 Nr. 4 BGB beachten. Hierzu führt das BAG aus:
Aus den Entscheidungsgründen (BAG 20.2.13, 10 AZR 177/12, Abruf-Nr. 131902) |
„Der Widerrufsvorbehalt stellt eine von Rechtsvorschriften abweichende Regelung gem. § 307 Abs. 3 S. 1 BGB dar. Grundsätzlich ist der Vertrag bindend. Der Satz “pacta sunt servanda” gehört zu den Grundelementen des Vertragsrechts. Die Wirksamkeit des Widerrufsrechts richtet sich nach § 308 Nr. 4 BGB als der gegenüber § 307 BGB spezielleren Norm. Da § 308 Nr. 4 BGB den § 307 BGB konkretisiert, sind freilich auch die Wertungen des § 307 BGB heranzuziehen. Außerdem sind nach § 310 Abs. 4 S. 2 BGB die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen. Die Vereinbarung des Widerrufsrechts ist gem. § 308 Nr. 4 BGB zumutbar, wenn der Widerruf nicht grundlos erfolgen soll, sondern wegen der unsicheren Entwicklung der Verhältnisse als Instrument der Anpassung notwendig ist. ...Voraussetzungen und Umfang der vorbehaltenen Änderungen müssen möglichst konkretisiert werden. Die widerrufliche Leistung muss nach Art und Höhe eindeutig sein, damit der Arbeitnehmer erkennen kann, was ggf. „auf ihn zukommt”. Diese Anforderung lässt sich auch angesichts der Besonderheiten des Arbeitsrechts (§ 310 Abs. 4 S. 2 BGB) im Regelfall erfüllen.“ |
Ein Widerrufsvorbehalt muss daher den formellen Anforderungen von § 308 Nr. 4 BGB gerecht werden. Bei den Widerrufsgründen muss zumindest die Richtung angegeben werden, aus der der Widerruf möglich sein soll, z. B. wirtschaftliche Gründe, Leistung oder Verhalten des ArbN (BAG 24.1.17, 1 AZR 774/14, Abruf-Nr. 194195). Dabei ist zu beachten, dass der Verwender vorgibt, was ihn zum Widerruf berechtigen soll. Welches die Gründe sind, ist keineswegs selbstverständlich und für den ArbN durchaus von Bedeutung.
Widerrufsvorbehalte unterliegen aber nicht nur einer Inhaltskontrolle. Neben der Inhaltskontrolle steht weiterhin die Ausübungskontrolle im Einzelfall gem. § 315 BGB. Die Erklärung des Widerrufs ist eine Bestimmung der Leistung durch den ArbG nach § 315 Abs. 1 BGB. Der Widerruf muss im Einzelfall billigem Ermessen entsprechen. Daran haben die Regelungen der §§ 305 ff. BGB nichts geändert (BAG 24.1.17, 1 AZR 774/14, Abruf-Nr. 194195).
3. Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt in einer Klausel?
Ein übervorsichtiger ArbG oder Rechtsanwalt kann geneigt sein, in einer Klausel einen Freiwilligkeitsvorbehalt („selbst bei mehrmaliger Zahlung entsteht kein Rechtsanspruch“) mit einem Widerrufsvorbehalt („der Anspruch kann aus betriebsbedingten, verhaltensbedingten und personenbedingten Gründen widerrufen werden“) zu kombinieren, um damit sicherzugehen, dass sich der ArbG keinesfalls zur Zahlung verpflichten will. Das BAG urteilte im Jahr 2010 (8.12.10, 10 AZR 671/09, Abruf-Nr. 104136), dass bei einer Verknüpfung von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt in einem Arbeitsvertrag für den ArbN nicht hinreichend deutlich werde, dass trotz mehrfacher, ohne weiterer Vorbehalte erfolgenden Sonderzahlungen ein Rechtsbindungswille des ArbG für die Zukunft ausgeschlossen bleiben solle. Mit einem Freiwilligkeitsvorbehalt könne regelmäßig das Entstehen eines Rechtsanspruchs auf eine künftige Sonderzahlung wirksam verhindert werden.
Ein Freiwilligkeitsvorbehalt dürfe aber nicht mehrdeutig sein. Er dürfe insbesondere nicht in Widerspruch zu anderen Vereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien stehen. Es heißt in der Entscheidung weiter: „Der Arbeitgeber hat eine freiwillige Leistung unter einen Widerrufsvorbehalt gestellt. Bei einem Freiwilligkeitsvorbehalt entsteht aber schon gar kein Anspruch auf die Leistung, bei einem Widerrufsvorbehalt hingegen hat der Arbeitnehmer einen Anspruch, der Arbeitgeber behält sich aber vor, die versprochene Leistung einseitig zu ändern. Die Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt führt dazu, dass für einen um Verständnis bemühten Vertragspartner nicht deutlich wird, dass auch bei mehrfachen, ohne weitere Vorbehalte erfolgten Zahlungen des Weihnachtsgelds ein Rechtsbindungswille für die Zukunft weiterhin ausgeschlossen bleiben soll. ... Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt dementsprechend im Widerrufsvorbehalt auch nicht nur eine „Verstärkung“ des Freiwilligkeitsvorbehalts. Die Rechtsfolge einer solchen missverständlichen Klausel ist, dass der Arbeitgeber auch künftig die Leistungen erbringen muss und sie auch nicht widerrufen kann.“
4. Fazit
Bei der Zahlung von Sondervergütungen – nicht beim laufenden Arbeitsentgelt – kann der ArbG die Voraussetzungen so bestimmen, dass weder auf sie ein Rechtsanspruch besteht, noch bei mehrmaligen Leistungen in der Zukunft ein Rechtsanspruch begründet wird.
Musterformulierung / Zahlung von Sondervergütungen |
Eine solche Klausel könnte z. B. lauten „es besteht kein Rechtsanspruch auf das Weihnachtsgeld. Bei mehrfacher Zahlung wird kein Rechtsanspruch für die Zukunft begründet“ oder „das Unternehmen behält sich das Recht vor, in jedem Jahr nach freiem Ermessen neu zu entscheiden, ob Weihnachtsgeld gezahlt wird“. |
Allein der Hinweis auf die Freiwilligkeit der Leistung ist unerheblich. Die Zahlung von Weihnachtsgeld ist stets dann freiwillig, wenn ein solcher Anspruch nicht aufgrund eines Tarifvertrags, einer Betriebsvereinbarung oder eines Gesetzes besteht. Während bei einem richtig formulierten Freiwilligkeitsvorbehalt ein Anspruch auf künftige Leistungen ausgeschlossen ist, wenn nicht der ArbG bereits das Entstehen eines Anspruchs verhindert, kann der ArbG bei einem Widerrufsvorbehalt einen bereits entstandenen Anspruch widerrufen. Dabei muss er allerdings in der Widerrufsklausel jedenfalls die Richtung angeben, aus welchen Gründen der Widerruf möglich sein soll. Die Vereinbarung eines Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalts in Kombination führt insgesamt zur Unwirksamkeit der Klausel, denn ein nicht entstandener Anspruch kann nicht widerrufen werden. Gefragt ist hier eine klare Regelung.
AUSGABE: AA 2/2023, S. 32 · ID: 49016778