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RechtsprechungWichtige Urteile aus dem Arbeitsrechtsjahr 2022

Abo-Inhalt19.12.20221562 Min. Lesedauer

| Auch im Jahr 2022 hatten die Arbeitsgerichte gut zu tun. Von AGB bis Urlaub zeigt Ihnen AA Arbeitsrecht aktiv die wichtigsten Entscheidungen ab Mitte des Jahres 2021 und im Jahr 2022 im gewohnten Kurzüberblick auf. |

1. AGB: Aufgepasst bei Rückzahlungsklauseln von Fortbildungskosten!

Keine Rückzahlung der Fortbildungskosten, weil die entsprechende Klausel wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam ist (BAG 1.3.22, 9 AZR 260/21, Abruf-Nr. 229055 in AA 22, 116).

2. AGG: „Coole Typen“ gesucht: Benachteiligung?

Sucht ein ArbG in seiner Stellenausschreibung „coole Typen“, begründet dies jedenfalls ohne weiteren Sachvortrag des abgelehnten Bewerbers noch keine Benachteiligung wegen des Alters oder des Geschlechts im Sinne von §§ 1, 7 Abs. 1, 11 AGG. Leitet der ArbG die Bewerbung eines potenziellen ArbN unbefugt und mit einem negativen Kommentar versehen an externe Dritte weiter, kann dies Entschädigungsansprüche des Bewerbers wegen Verletzung seines Allgemeinen Persönlichkeitsrechts auslösen (Arbeitsgericht Koblenz 9.2.22, 7 Ca 2291/21, Abruf-Nr. 230319 in AA 22, 130).

3. Arbeitsentgelt: Überstundenvergütung? Alles beim Alten!

Die unionsrechtlich begründete Pflicht zur Messung der täglichen Arbeitszeit hat keine Auswirkung auf die nach deutschem materiellen Recht und Prozessrecht entwickelten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess. Es genügt nicht, lediglich geleistete Überstunden zu behaupten, ohne den Umfang der Arbeiten näher zu beschreiben (BAG 4.5.22, 5 AZR 359/21, Abruf-Nr. 228995 in AA 22, 206).

4. Aufhebung: Wenn der Tod in der Vertragsabschlussphase kommt

Ein Aufhebungsvertrag kommt ungeachtet des in der Vertragsabschlussphase eingetretenen Todes des ArbN auch zustande, wenn der ArbG das Angebot vor dessen Tod bereits erhalten hat, es aber erst nach dem Tod des ArbN annimmt. Allerdings verlieren die Erben des ArbN infolge dessen Todes den Anspruch auf die Abfindung, weil der ArbN bereits zum Zeitpunkt des Zustandekommens des Aufhebungsvertrags die von ihm geschuldete Leistung nicht mehr erbringen konnte und daher auch der Anspruch auf die Gegenleistung entfällt (LAG Baden-Württemberg 15.12.21, 2 Sa 11/21, Abruf-Nr. 227123 in AA 22, 58).

5. Aufhebungsvertrag: Faires Verhandeln unter Druck

Ein Aufhebungsvertrag kann unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen sein. Das ist anhand der Gesamtumstände der Verhandlungssituation im Einzelfall zu entscheiden. Allein der Umstand, dass der ArbG den Abschluss eines Aufhebungsvertrags von der sofortigen Annahme seines Angebots abhängig macht, stellt für sich genommen keine Pflichtverletzung gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB dar, auch wenn dies dazu führt, dass dem ArbN weder eine Bedenkzeit verbleibt noch er Rechtsrat einholen kann (BAG 24.2.22, 6 AZR 333/21, Abruf-Nr. 228197 in AA 22, 64).

6. Aufhebungsvertrag: Extrem hohe Abfindung verstößt gegen … nichts

Der ArbG hat keinen Anspruch auf Rückzahlung einer ungewöhnlich hohen Abfindung von 265.000 EUR, die er einem ArbN durch einen Aufhebungsvertrag zugesagt und später auch gezahlt hat. Vielmehr hat dieser das ihm vorteilhaft erscheinende Angebot annehmen dürfen (LAG Hamm 15.2.22, 6 Sa 903/21, Abruf-Nr. 228667 in AA 22, 86).

7. Befristung: Kompetenzförderung begründet Befristung

Die Zulässigkeit der Befristung des Arbeitsvertrags mit wissenschaftlichem oder künstlerischem Personal setzt neben der Einhaltung einer Höchstbefristungsdauer voraus, dass die befristete Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifikation erfolgt. Das ist der Fall, wenn mit der befristeten Tätigkeit eine wissenschaftliche/künstlerische Kompetenz gefördert wird, die in irgendeiner Form zu einer beruflichen Karriere auch außerhalb der Hochschule befähigt (BAG 2.2.22, 7 AZR 573/20, Abruf-Nr. 229283 in AA 22, 188).

8. Keine Mitbestimmung bei „Raucherpausen in festgelegten Pausen“

Die Anordnung eines ArbG, dass Rauchen nur in den festgelegten Pausen gestattet ist, unterliegt regelmäßig nicht dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Die Anordnung soll die Einhaltung der Arbeitszeit sicherstellen und betrifft somit nicht das Ordnungsverhalten, sondern das Arbeitsverhalten (LAG Mecklenburg-Vorpommern 29.3.22, 5 TaBV 12/21, Abruf-Nr. 228540 in AA 22, 80).

9. Datenschutz: Weitergabe hochsensibler Daten aus Schriftsätzen

Die Offenlegung und Veröffentlichung von ausschließlich für ein Kündigungsschutzverfahren bestimmten Schriftsätzen, die Gesundheitsdaten Betroffener enthalten, an die Betriebsöffentlichkeit über eine E-Mail mit „Dropbox-Link“, ist geeignet, einen wichtigen Grund nach § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung zu bilden. Ein solches vorsätzliches Fehlverhalten muss zuvor auch nicht abgemahnt werden (LAG Baden-Württemberg 25.3.22, 7 Sa 63/21, Abruf-Nr. 229203 in AA 22, 96).

10. Kündigung: Vergleich des IfSG mit Ermächtigungsgesetz von 1933

Setzt eine Polizeiärztin in einer Kleinanzeige unter anderem das Infektionsschutzgesetz vom 18.10.20 mit dem Ermächtigungsgesetz vom 23.3.33 gleich, verstößt sie damit in erheblichem Maß gegen die Pflicht gegenüber ihrem Dienstherrn, sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des GG zu bekennen. Eine hierauf gestützte ordentliche Kündigung ist sozial gerechtfertigt (LAG Baden-Württemberg 2.2.22, 10 Sa 66/21, Abruf-Nr. 227596 in AA 22, 44).

11. Kündigung: Strafrechtliche Relevanz entbindet ArbN nicht von Darlegung

Der ArbG trägt auch dann die Beweislast für den von ihm behaupteten Kündigungs- bzw. Auflösungsgrund, wenn das betreffende Verhalten des ArbN den Tatbestand der üblen Nachrede i. S. v. § 186 StGB erfüllen würde (BAG 16.12.21, 2 AZR 356/21, Abruf-Nr. 227965 in AA 22, 75).

12. Kündigung: Konsequenzen, wenn ArbN Abrechnung verfälscht

Verfälscht der ArbN über das eigene Arbeitsverhältnis erstellte Abrechnungen, um einen Kreditgeber zu täuschen, kann dies seine persönliche Eignung für die ihm übertragenen Aufgaben infrage stellen, wenn im Rahmen einer kaufmännischen Tätigkeit gerade die Vertragsanbahnung zu seinen Arbeitsaufgaben gehört (LAG Hamm 19.8.21, 8 Sa 1671/19, Abruf-Nr. 224695 in AA 22, 25).

13. Nebentätigkeit: Verstoß gegen Anzeigepflicht für Nebentätigkeit

Eine tarifliche Regelung, nach der ein ArbN die anderweitige Verwertung einer während seiner arbeitsvertraglichen Tätigkeit bekannt gewordenen Nachricht anzuzeigen hat, soll dem ArbG regelmäßig die Prüfung ermöglichen, ob seine berechtigten Interessen durch die beabsichtigte Veröffentlichung beeinträchtigt werden. Verstößt der ArbN gegen die Anzeigepflicht, kann dies eine Abmahnung rechtfertigen (BAG 15.6.21, 9 AZR 413/19, Abruf-Nr. 225697 in AA 22, 29).

14. Öffentliche Verhandlung: Kein Platz für Zuhörer = Keine Öffentlichkeit

Im arbeitsgerichtlichen Verfahren kann nicht darauf verzichtet werden, den Öffentlichkeitsgrundsatz einzuhalten (BAG 2.3.22, 2 AZN 629/21, Abruf-Nr. 228196 in AA 22, 63).

15. Kündigung: Bei Kündigung nicht auf den Betriebsrat verlassen

Will ein ArbN gegen eine Kündigung klagen, muss er sich unverzüglich darum kümmern, ob und wie ihm dies möglich ist. Auch wenn der Betriebsrat ein Ansprechpartner für arbeitsrechtliche Fragen ist, darf sich der ArbN aber nicht auf dessen Auskunft verlassen, ob er klagen soll oder nicht (LAG Hamm 11.1.22, 14 Sa 938/21, Abruf-Nr. 227808 in AA 22, 101).

16. Kündigung: Genesenenzertifikat selbst ausgestellt

Stellt sich ein angestellter Apotheker selbst ein sogenanntes „Genesenenzertifikat“ nach § 2 Nr. 5 COVID_19-Schutzmaßnahmen-AusnahmeVO aus, obwohl er aufgrund seiner Eigenschaft als Apotheker zumindest hätte wissen müssen, dass dessen Voraussetzungen nicht gegeben sind, ist dies ein geeigneter Grund nach § 626 Abs. 1 BGB (Arbeitsgericht Dortmund 1.4.22, 10 Ca 3610/21, Abruf-Nr. 230795 in AA 22, 148).

17. Kündigung: Täuschung über Arbeitsleistung

Ein Arbeitszeitbetrug, bei dem ein ArbN vortäuscht, für einen näher genannten Zeitraum seine Arbeitsleistung erbracht zu haben, obwohl dies tatsächlich nicht oder nicht in vollem Umfang der Fall ist, ist eine besonders schwerwiegende Pflichtverletzung und erfüllt an sich den Tatbestand des wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB. Dasselbe gilt für den Verstoß eines ArbN gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren (Thüringer LAG 3.5.22, 1 Sa 18/21, Abruf-Nr. 229358 in AA 22, 168).

18. Urlaub: Jahresurlaub bei Kurzarbeit berechnen

Fallen aufgrund von Kurzarbeit einzelne Arbeitstage vollständig aus, ist dies bei der Berechnung des Jahresurlaubs zu berücksichtigen (BAG 30.11.21, 9 AZR 225/21, Abruf-Nr. 226173 in AA 22, 5).

AUSGABE: AA 1/2023, S. 12 · ID: 48836315

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