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SonderzahlungenInflationsausgleichsprämie: Ist sie an alle ArbN und in gleicher Höhe zu zahlen?

Abo-Inhalt19.12.20221574 Min. LesedauerVon Rechtsanwältin Dr. Viktoria Winstel, Osborne Clarke, Köln

| ArbG können ihren ArbN eine steuer- und abgabenfreie „Inflationsausgleichsprämie“ in Höhe von bis zu 3.000 EUR auszahlen. Das regelt der neue § 3 Nr. 11c EStG. Hier stellen sich nun Fragen zur Gleichbehandlung von ArbN: Müssen ArbG die Prämie einheitlich an alle zahlen? Darf differenziert werden, und wenn ja, nach welchen Kriterien? Sind Unterschiede in der Höhe der Zahlungen zulässig? |

1. Erste Hürde: Allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz

Soll die Inflationsausgleichsprämie nicht einheitlich an alle ArbN ausgezahlt werden, muss der ArbG zunächst den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz beachten. Als allgemeine Regel verbietet er eine willkürliche, d. h. sachlich unbegründete Durchbrechung allgemeiner oder gruppenbezogener Regelungen zum Nachteil einzelner ArbN.

a) Bildung von Arbeitnehmergruppen nötig

Die Gleichbehandlung muss innerhalb vergleichbarer ArbN-Gruppen sichergestellt sein. Aus diesem Grund sind Gruppen zu bilden, innerhalb derer die ArbN gleichbehandelt werden müssen.

ArbG, die die Inflationsausgleichsprämie nicht an alle ArbN zahlen wollen bzw. die sie in unterschiedlicher Höhe zahlen möchten, müssen anhand objektiver Kriterien differenzieren. Solche „Differenzierungskriterien” können die besondere Belastung einer Gruppe, der Ausgleich von Nachteilen im Entgeltbereich oder unterschiedliche Aufgaben bzw. Anforderungen an die jeweilige ArbN-Gruppe sein.

Beispiele für sachliche Differenzierung bei Inflationsausgleichsprämie

  • Als Kriterium kann z. B. eine bestimmte Einkommensgrenze dienen. Besonders Geringverdiener bekommen die hohen Reallohnverluste zu spüren, die durch die Preissteigerungen u. a. bei Gas, Strom, Kraftstoffen und Lebensmitteln entstehen. Der ArbG könnte also die Inflationsausgleichsprämie nur an ArbN mit einem Einkommen unterhalb einer bestimmten Grenze auszahlen und Besserverdiener ausschließen.
  • Weiteres Kriterium könnte der Familienstand sein. Von den Preissteigerungen sind ArbN mit Kindern in einem höheren Maße betroffen als diejenigen ohne Kinder. ArbG könnten die Auszahlung der Inflationsausgleichsprämie daher von der Frage abhängig machen, ob ein ArbN Kinder hat.
  • Der ArbG differenziert zulässig, wenn er entsprechend einem Tarifvertrag eine Sonderzahlung nur an die Mitglieder der tarifschließenden Gesellschaft leistet.

Auch andere Kriterien können zulässig sein, solange sie objektivierbar und sachlich sind.

b) Grenzen der Gruppenbildung

Verstößt der ArbG gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, z. B. durch eine sachfremde Gruppenbildung, könnten sich die benachteiligten ArbN wehren. Sie könnten auch eine Prämie in gleicher Höhe fordern.

Beispiel

ArbG A zahlt den beiden in Vollzeit angestellten ArbN eine Inflationsausgleichsprämie von je 2.000 EUR, dem ArbN in Teilzeit zahlt A keine Prämie, weil sein Arbeitspensum geringer ist als das der Vollzeitbeschäftigten.

Ergebnis: A verstößt durch das pauschale Abstellen auf das geringere Arbeitspensum von Teilzeit- gegenüber Vollzeitkräften gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Zudem verstößt A gegen das Diskriminierungsverbot von Teilzeitbeschäftigten nach § 4 TzBfG, das hier die speziellere Regelung darstellt. Folge: „Anpassung nach oben“ und ggf. Schadenersatzpflicht durch A.

Es ist zulässig, eine Inflationsausgleichsprämie anteilsmäßig (pro rata temporis) im Verhältnis Teilzeit- zu Vollzeitbeschäftigung zu kürzen.

2. Zweite Hürde: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

Auch das AGG verbietet eine ungerechtfertigte Benachteiligung Einzelner. Nach § 1 AGG sind Differenzierungen aus „Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“ verboten. Inhaltlich lassen sich AGG und arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz oft nicht überschneidungsfrei abgrenzen.

Differenziert der ArbG bei der Zahlung der Inflationsausgleichsprämie nach den AGG-Merkmalen, hat der benachteiligte ArbN Anspruch auf Schadenersatz (regelmäßig gleichbedeutend mit Anpassung nach oben) sowie zusätzlich auf eine verschuldensunabhängige Entschädigung.

Wichtig | Zahlt der ArbG die Inflationsausgleichsprämie etwa nur an Vollzeitbeschäftigte, werden meist weibliche Beschäftigte mittelbar diskriminiert. Denn sie machen den Hauptanteil der Teilzeitbeschäftigten aus. Zur Rechtfertigung muss der ArbG auch hier sachliche Gründe vortragen, die die Differenzierung legitimieren. Auch im Übrigen dürfen Teilzeit- gegenüber Vollzeitbeschäftigten nicht diskriminiert werden (§ 4 TzBfG).

3. Sonderfall: Inflationsausgleichsprämie für Minijobber

Die Inflationsausgleichsprämie zählt nicht zum sozialversicherungspflichtigen Entgelt. Sie kann somit auch an Minijobber gezahlt werden, ohne dass sich deren sozialversicherungsrechtlicher Status ändert.

Beispiel

Alle Minijobber in einem Unternehmen erhalten wegen der gestiegenen Lebenshaltungskosten zusätzlich zu den 520 EUR eine Inflationsausgleichsprämie von 260 EUR.

Ergebnis: Die Beschäftigung bleibt weiterhin ein Minijob, da es sich bei der Inflationsausgleichsprämie um eine steuerfreie und sozialversicherungsfreie Leistung handelt. Der ArbG verstößt nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, weil er alle Minijobber wegen ihres Einsatzes honoriert.

Zulässig ist es, die Inflationsausgleichsprämie der Höhe nach bei Minijobbern zu kürzen entsprechend der Regelung für Teilzeit-/Vollzeitbeschäftigte.

4. Exkurs: Betriebliche Übung

Wie immer bei Leistungen des ArbG sollte vermieden werden, dass eine betriebliche Übung entsteht und der ArbN so einen dauerhaften Rechtsanspruch auf Zahlung der Inflationsausgleichsprämie hat. Es bleibt zwar zu hoffen, dass die Prämie eine Reaktion auf eine aktuelle Ausnahmesituation ist und nicht mehrfach gewährt wird, sodass keine betriebliche Übung entstehen kann. Allerdings ist derzeit nicht absehbar, ob es in Zukunft noch weitere Inflationsausgleichsprämien geben wird. Vor dem Hintergrund lohnt ein Blick auf die Voraussetzungen einer betrieblichen Übung. Diese sind:

Praxistipp | ArbG stellen immer wieder die Frage, wie sie verhindern können, dass eine betriebliche Übung entsteht. Der vergleichsweise sicherste Weg ist, die Leistung mit einem Freiwilligkeitsvorbehalt zu versehen bzw. zu gewähren. Dann ist für die ArbN klar, dass sie keinen dauerhaften Anspruch auf die Leistung erhalten sollen.

  • Eine die ArbN begünstigende Leistung des ArbG
  • Deren wiederholte Gewährung (mindestens dreimal)
  • Die Gewährung an alle ArbN sowie
  • Eine Leistung ohne Freiwilligkeitsvorbehalt des ArbG

5. Tarifvertraglicher Anspruch auf Inflationsausgleichsprämie

Die freiwillige Sonderzahlung des ArbG kann in einigen Fällen auch eine Pflicht desselben sein, wenn der ArbN einen Anspruch auf Zahlung hat. Ein Anspruch kann sich aus Tarifvertrag ergeben.

Eine solche beispielhafte Aufnahme in das tarifliche Regelungswerk hat aktuell aufgrund der Verhandlungen zwischen IGBCE und Chemie-ArbG stattgefunden. Das verhandelte Entlastungspaket sieht vor: Die Prämie wird in zwei Teilzahlungen ausgezahlt. Die erste Zahlung ist spätestens am 31.12.23 fällig, die zweite spätestens am 31.12.24. ArbG können das Geld aber freiwillig auch schon früher auszahlen oder als Gesamtbetrag.

AUSGABE: AA 1/2023, S. 9 · ID: 48836347

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