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ZRZahnmedizinReport

ZR-FachgesprächZemente: „Die intraorale Reinigung mit Alkohol sollte unterbleiben!“

Abo-Inhalt31.03.20253899 Min. Lesedauer

| Provisorische Befestigungszemente müssten gute Hafteigenschaften zeigen, gleichzeitig ohne Beschädigungen entfernt werden. Was kann die Zahnarztpraxis dafür tun? Dr. med. dent. Ulrike Oßwald-Dame hat Privatdozent Dr. med. dent. habil. Thomas Klinke in diesem Kontext u. a. dazu befragt, welche Reinigungsmethode zur Entfernung eines temporären Zementes geeignet ist und welche Zemente er für die temporäre Befestigung von Kronen auf Implantatabutments empfiehlt. |

ZR_Interview_Dr. Klinke_Topnews.jpg (Bild: Universität Greifswald - bearbeitet IWW)
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Bild: Universität Greifswald - bearbeitet IWW

Redaktion: Herr Dr. Klinke, die sofortige Dentinversiegelung auf das frisch beschliffene Dentin nach der Präparation für eine indirekte Restauration soll die Haftfestigkeit indirekter Restaurationen verbessern. Ist das so?

Klinke: Die sofortige Dentinversiegelung (Immediate Dentin Sealing, kurz IDS) ist ein Ansatz aus den 1980er-Jahren, bei dem das Dentin unmittelbar nach der Zahnpräparation, noch vor der Abformung, versiegelt wird [1]. Damit soll erreicht werden, dass die beschliffene Dentinoberfläche vor mechanisch-thermischen Reizen geschützt und verschlossen wird. Je nach Behandlerfertigkeit muss durch die aufgebrachte Schicht mit einer Erhöhung des „inneren Spaltraumes“ [2, 3] gerechnet werden.

Wesentlich bei diesem Verfahren ist die korrekte Abfolge der Anwendungsschritte, um eine Verminderung der erwünschten Vorteile des Verfahrens zu vermeiden [1]. Bei der IDS-Technik wird auf die (mit Kofferdam trocken gelegte) Dentinfläche das Adhäsivsystem aufgetragen und lichtgehärtet. Das Adhäsivsystem diktiert die Hybridschicht bzw. die Technik, ob der Smearlayer beibehalten und teilweise stabilisiert wird, der dünne Layer verblasen oder ob in die gereinigte Dentinoberfläche das (möglichst) hydrophile Adhäsivsystem eindringen kann.

Die Haftfestigkeit indirekt eingebrachter Restaurationen wird durch die Festigkeit des Adhäsivsystems der Dentinversiegelung bestimmt. Untersuchungen konnten zeigen, dass das Versagen von IDS-Proben innerhalb des Adhäsivs und des kohäsiv versagenden Dentins gemischt vorkam [1]. Es bleibt somit zu diskutieren, ob die Ursache für den Versagensbruch in den Spannungen innerhalb des Systems durch die unterschiedlichen WAK-Werte, die Polymerisationsschrumpfung bei der Polymerisation, durch Feuchtigkeitszuritt durch die Dentinkanälchen, oder als Ermüdungsbruch basierend auf den unterschiedlichen Biegefestigkeiten von Dentin und Adhäsiv begründet ist.

Weiterhin darf in der Diskussion nicht vergessen werden, dass sich das Adhäsivsystem und das Befestigungssystem der Restauration wegen der nicht mehr vorhandenen Sauerstoffinhibitionsschicht nur bedingt miteinander verbinden. Somit ist fraglich, ob die große Verbundfläche des Adhäsivsystems überhaupt zur Steigerung der Haftwerte herangezogen werden kann.

Redaktion: Führen Sie die IDS in der Praxis routinemäßig durch? Und welche Art von Adhäsivsystemen sind dafür zu empfehlen?

Klinke: Ein routinemäßiger Einsatz der IDS-Technik wird in meiner Praxis an der Universitätsmedizin Greifswald nicht durchgeführt. Das prothetisch zu versorgende Patientenklientel fokussiert sich auf vorwiegend ältere Patienten. Es kann in diesem Zusammenhang davon ausgegangen werden, dass die Dentinschicht durch die Anlagerung mit Sekundärdentin im Vergleich zu jüngeren Patientinnen und Patienten vergrößert ist und die Anzahl postpräparatorischer Hypersensibilitäten allein dadurch reduziert ist. In substanzschonender Präparation („So wenig wie möglich, aber so viel wie nötig!“) in einer ausreichend dimensionierten Dentinstärke sind postpräparatorische Hypersensitivitäten selten. Treten vereinzelt dennoch postpräparatorische Sensibilitäten auf, wird die Dentinoberfläche mit einem Desensitizer (Gluma®) behandelt.

Vor dem Hintergrund der höheren Dentinreduktion bei der Präparation für die Aufnahme von Vollkeramikrekonstruktionen sollte der Einsatz der IDS-Technik bei der prothetischen Versorgung mit Vollkeramikkronen bei jüngeren Patientinnen und Patienten als Indikation eingeplant werden.

Redaktion: Die Effektivität der verschiedenen Reinigungsmethoden zur Entfernung eines temporären Zementes ist je nach Studie mit Unsicherheiten belegt. Gibt es für Sie in der täglichen Praxis eine sinnvolle Alternative zum Abstrahlen des provisorischen Zementes mit Al2O3?

Klinke: Hier kommt es auf die Oberfläche an. Per se müssen vor der Befestigung einer Rekonstruktion beide Oberflächen mit bewährten und geeigneten Lösungsmitteln gereinigt und entfettet werden. Die organischen Dentinoberflächen sind zudem noch zu desinfizieren. Beide Prozeduren, die suffiziente Entfernung von temporären Befestigungsmaterial und die Desinfektion verlangen unterschiedliche Reinigungslösungen und Vorgehensweisen.

  • Für die organische (Dentin-)Oberfläche ist die grobe Entfernung von temporärem Material (Scaler mit anschließender Reinigung mittels rotierendem Bürstchen unter Wasserkühlung im grünen Winkelstück) sinnvoll. Die intraorale Anwendung von Alkohol sollte aufgrund des unkontrollierbaren Temperaturreizes der Pulpa durch die Verdunstungskälte des Alkohols unterbleiben.
  • Das Abstrahlen von temporärem Zement aus dem Provisorium mit Aluminiumoxid (125 bis 150 µm bei 2 bar) im Sandstrahler sollte aus gesundheitlichen Gründen unterbleiben, da die Keimbelastung in der Luft durch mangelnde und unzureichende Filterung im Abstrahlgerät in der Umgebung für den Anwender extrem steigt.
  • Für die extraorale Reinigung von Provisorien stehen nach der groben Entfernung großer Flächen noch Alkohol, Seifen, Chloroform und Eukalyptusöl oder eine Ultraschall-Entfernungslösung zur Verfügung [4]. Bei der laborseitig angerauten, anorganischen (keramischen/metallischen) Oberfläche einer definitiven Rekonstruktion ist die Reinigung und Entfettung der Oberfläche nach Anprobe (Alkohol 96 %, z. B. FocalDry®, lege artis, Dettenhausen) vor Eingliederung sinnvoll. Eine intraorale Anwendung sollte bei diesen Lösungsmitteln aus den erwähnten Gründen nicht stattfinden.

Redaktion: Welche provisorischen Befestigungszemente empfehlen Sie für die temporäre Zementierung von Kronen auf Implantatabutments und warum?

Klinke: Bei der semi-definitiven Befestigung von Implantatkronen sind zwei wesentliche Voraussetzungen zu erfüllen: Bei der Versorgung von Patienten mit Implantaten muss als Grundvoraussetzung eine nochmalige Zugänglichkeit der Implantate zu einem späteren Zeitpunkt eingeplant werden. So muss bereits bei der Eingliederung gewährleistet werden, dass der Befestigungszement der Suprakonstruktion eine beständige Haftfestigkeit aufweist, die auch über einen möglichst langen Zeitraum erhalten bleibt, um eine Dezementierung zu vermeiden. Darüber hinaus muss aber die zerstörungsfreie Entfernbarkeit der Suprakonstruktion im Bedarfsfall möglich sein.

In der Klinik hat sich ein semi-definitiver, eugenolfreier Befestigungszement auf Akryl-Urethanbasis (ImProv®, Medical Consult Implants GmbH, Rheinberg) bewährt. Im Vergleich zu eugenolhaltigen und eugenolfreien temporären Zementen imponiert das Material durch ausreichende Hafteigenschaft für langfristige Retention der Suprakonstruktion. Zusätzlich ermöglicht der temporäre Zement die Entfernung der Rekonstruktion. Die gewünschte Festigkeitsvarianz kann im Bedarfsfall entweder durch die Beimengung von Vaseline oder durch eine dünne Vaselineschicht auf dem Abutment gewährleistet werden.

Redaktion: Herr Dr. Klinke, vielen Dank für das Gespräch!

Quellen & weiterführende Hinweise
  • [1] Magne P, Kim TH, Cascione D, Donovan TE. Immediate dentin sealing improves bond strength of indirect restorations. J Prosthet Dent. 2005 Dec;94(6):511–9. doi.org/10.1016/j.prosdent.2005.10.010.
  • [2] Dreyer-Jørgensen K. Prüfergebnisse zahnärztlicher Gussverfahren. Dtsch. Zahnarztl. Z. 1958;13:461–469
  • [3] Krejci I, Lutz F, Reimer M. Marginal adaptation and fit of adhesive ceramic inlays. J Dent. 1993 Feb;21(1):39–46. doi.org/10.1016/0300-5712(93)90048-u.
  • [4] Mosharraf R. A simple method for cleaning zinc oxide-eugenol provisional cement residues from the intaglio surface of casting restorations. J Prosthet Dent. 2004 Feb;91(2):200. doi.org/10.1016/j.prosdent.2003.12.001.
  • Implantat-Abutment-Verbindungen: Wie erreicht man niedrige Mikrospaltwerte? (ZR 06/2024, Seite 12)
  • Wirksame Methoden für die Dekontamination von Abutments (ZR 06/2024, Seite 10)
  • Klinischer Vergleich Titan- vs. Zirkonoxid-Implantat-Abutments (ZR 02/2023, Seite 5)
  • Funktionelle Monomere sind Haftvermittler zwischen Zahnsubstanz und dentalen Materialien (ZR 11/2022, Seite 14)
  • Implantate: „Weiche“ Abutments sind besser als starre (ZR 10/2019, Seite 17)

AUSGABE: ZR 4/2025, S. 7 · ID: 50338122

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