Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Aug. 2023 abgeschlossen.
ZR-FachgesprächVollkeramik ist nicht gleich Vollkeramik
| Vollkeramik wird heute oft als Alternative zu metallbasierten Versorgungen eingesetzt, denn sie bietet u. a. Minimalinvasivität, Ästhetik und Biokompatibilität. Vollkeramik ist aber nicht gleich Vollkeramik, und so ist für den klinischen Langzeiterfolg u. a. die Berücksichtigung von Indikation, Materialien und ihren Eigenschaften ein geeignetes Instrumentarium und die Einhaltung der Präparationsregeln entscheidend. Das erörterte PD Dr. med. dent. M. Oliver Ahlers im Gespräch mit ZR-Schriftleiterin Dr. med. dent. Ulrike Oßwald-Dame und gibt wertvolle Tipps für die Praxis. |
Frage: Herr Dr. Ahlers, metallbasierte Restaurationen galten in Bezug auf Langlebigkeit lange als Goldstandard für festsitzenden Zahnersatz. Wie beurteilen Sie aktuell diese Diskussion – inwieweit konnte Vollkeramik hier schon aufschließen?
Ahlers: Von der Datenlage her sind metallbasierte Restaurationen nach wie vor der Goldstandard. Dies betrifft insbesondere die metallkeramischen Restaurationen. Hier ist die Datenlage mit einer Verlustrate von ca. 1 % pro Jahr exzellent. Auch bei großen weitspannigen Brücken ist die Datenlage für metallbasierte Restaurationen besser. Deswegen werden Sie eine entsprechende Freigabe hierfür in der Leitlinie nicht finden.
Aufgeholt haben vollkeramische Restaurationen in anderen Bereichen. Das findet auch seinen Niederschlag in der Neufassung der AWMF-Leitlinie (S3) Vollkeramische Kronen und Brücken [1]. Auf Grundlage der neuesten Studiendaten konnten wir die Indikation für verschiedene Vollkeramiken in Abhängigkeit ihrer Eigenschaften ausweiten.
Die Haltbarkeit in der Praxis beweist die Ceramic Success Analysis, getragen von der Deutschen Gesellschaft für computergestützte Zahnheilkunde (DGCZ) sowie der Arbeitsgemeinschaft (AG) Keramik. Diese Datensammlung belegt, dass unter Praxisbedingungen gefräste Keramikrestaurationen beeindruckend lange halten und damit bei Einzelzahnrestaurationen zu metallbasierten Restaurationen aufschließen können. Die Beachtung der Indikationen und Verarbeitungshinweise ist Voraussetzung, denn beides ist bei Vollkeramiken kritisch wichtig.
Frage: Es stehen eine Reihe von Silikatkeramiken, aber auch Zirkonoxidkeramiken für vollkeramische Kronen und Brücken als Materialien zur Verfügung. Die Wahl des Materials wiederum hängt von vielen Faktoren ab – wie blickt der Praktiker da durch? Und wo finde ich einen einfachen Fahrplan, wann ich welchen vollkeramischen Werkstoff nehmen kann und wann er nicht empfohlen ist?
Ahlers: Die Einordnung der verschiedenen Keramiken ist in den Praxen tatsächlich schwierig. Daran ist die Kommunikation der Industrie nicht unbeteiligt, weil hier primär Marken gebildet und gestärkt werden, die aber zunehmend ganze Materialgruppen umfassen. Bei Gipsen macht es die Dentalindustrie sehr gut und ordnet die verschiedenen Dentalgipse nachvollziehbarer als Gips zur Modellmontage gemäß Typ II oder Superhartgips als Typ IV ein. Da dies durch entsprechende Normen unterlegt ist, können die Kolleginnen und Kollegen diese Daten gut einordnen. Das vermeidet Missverständnisse und hat sich sehr gut bewährt.
Bei Dentalkeramiken ist das anders. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Früher war e.max der Inbegriff für Lithiumdisilikatkeramik. Kundige Kolleginnen und Kollegen wussten, dass die Presskeramik eine Biegefestigkeit von ca. 480 MPa aufweist und gut hält. Dann kam e.max CAD hinzu; scheinbar das gleiche Material, aber mit der anderen Verarbeitung geht eine deutlich geringere Biegefestigkeit einher. Und weil die Lithiumdisilikatkeramik unter dem Namen so gut angenommen wurde, gibt es jetzt auch e.max ZirCAD. Dabei aber handelt es sich nicht mehr um eine Silikatkeramik, sondern eine Oxidkeramik, also etwas völlig anderes – aber beides heißt e.max.
Auch die Einordnung der Zirkonoxidkeramiken nach Generationen ist für die Zahnärzte als Verbraucher nicht transparent. Sie ist aber wichtig, denn die Materialien haben völlig verschiedene Biegefestigkeiten, halten unterschiedlichen Belastungen stand und sind unterschiedlich zu verarbeiten.
Einen Fahrplan finden Kolleginnen und Kollegen in der schon erwähnten AWMF-Leitlinie (S3) Vollkeramische Kronen und Brücken.
Eine praktische Anleitung finden Sie in der Neuauflage des Keramikhandbuches unter dem neuen Titel „Vollkeramische Therapiekonzepte“. Das Buch (erhältlich über die AG Keramik: ag-keramik.de) gibt eine praxisorientierte Übersicht über die verschiedenen Werkstoffe und beschreibt deren indikationsgerechte Verarbeitung mit bebilderten Beispielen aus allen Bereichen der Anwendung vollkeramischer Restaurationen [2].
Frage: In der Vergangenheit gab es teilweise Indikationseinschränkungen für die Behandlung für Bruxismus-Patienten mit vollkeramischen Restaurationen. Haben diese nach wie vor Bestand?
Ahlers: Dies war in der Vergangenheit in der Tat eine unglückliche Situation, weil ein großer Dentalhersteller die verschiedenen vollkeramischen Restaurationen, insbesondere Lithiumdisilikat, als Behandlungsmittel für die Behandlung mit Onlays ausdrücklich freigab, andererseits aber für die Behandlung von Patienten mit Bruxismus nicht. Das ist in sich widersprüchlich, denn typischerweise werden diese Restaurationen in der Versorgung von Patienten mit Folgeschäden aus Zahnverschleiß, u. a. als Folge von Bruxismus, eingesetzt.
Die Leitlinie vollkeramischer Restaurationen schafft hier Klarheit: Demnach ist bei allen Studien zur Haltbarkeit von Dentalkeramiken wegen der Verbreitung von Bruxismus regelhaft davon auszugehen, dass Patienten mit Bruxismus eingeschlossen waren. Vor dem Hintergrund der guten Ergebnisse für die Behandlung von Patienten auch in den Praxen ist daher die Behandlung von Patienten mit Zeichen von Schlifffacetten an anderen Zähnen mittels monolithischem Lithiumdisilikat möglich. Wichtig für die Praxen sind die dabei geltenden Rahmenbedingungen:
- Vorherige Aufklärung der Patienten mit folgenden Inhalten:Ausführliche Patientenaufklärung unerlässlich
- bei Bruxismus sind metallische Restaurationen im Zweifel die sichere Versorgungsform
- ggf. der Hinweis, dass der Hersteller das Produkt für die Behandlung von Patienten mit Bruxismus nicht freigegeben hat
- dass die Leitlinie aufgrund der in Studien nachgewiesenen Haltbarkeit Vollkeramik zulässt, bei Einbettung in ein entsprechend abgestuftes Okklusionskonzept, das z. B. dysfunktionelle Querschübe vermeidet, und
- die Patienten nach Eingliederung nachts eine Schutzschiene aus Kunststoff tragen sollten, um eine Überlastung der vollkeramischen Restauration zu vermeiden.
Frage: Empfehlen Sie bei Bruxismus-Patienten vollkeramische Restaurationen?
Ahlers: Hier unterscheiden wir zwischen der Behandlung von Zahnverschleiß als Folge von Bruxismus und der Behandlung des Bruxismus:
- Bei der Behandlung von Zahnverschleiß als Bruxismusfolge sind vollkeramische Restaurationen sehr hilfreich, weil sie weniger invasive Präparationen ermöglichen. Genau dafür haben Prof. Edelhoff und ich die Präparationsinstrumente des Okklusionsonlay-Sets entwickelt, mit denen diese Restaurationen zielgerichtet in einem genau definierten Prozess präpariert werden. Vergleichbar ästhetisch anmutende Restaurationen aus Metallkeramik wären deutlich weniger biegefest als beispielsweise monolithisches Lithiumdisilikat, weniger transparent und würden sichtbare Metallränder aufweisen, was bei gingivaler Retraktion trotz intakter Ränder Neuversorgungen nach sich zieht. Deswegen ist sowohl die Freigabe monolithischer Einzelzahnrestaurationen aus Lithiumdisilikat in der Leitlinie als auch die Bereitstellung darauf abgestimmter spezieller Schleifinstrumente so wichtig [3].
- Anders ist die Situation bei der Behandlung des Bruxismus an sich. Hier hat die Bruxismusleitlinie festgestellt, dass eine kausale Therapie des Bruxismus durch dentale Restaurationen in der Mehrzahl der Fälle nicht gelingt [4].
In der Summe bedeutet dies, dass vollkeramische Restaurationen Zahnhartsubstanzschäden als Bruxismusfolge korrigieren können, den Bruxismus selbst aber nicht „heilen“. Natürlich gibt es Ausnahmen, die wir aus dem klinischen Alltag alle kennen.
Frage: Gibt es denn aus Ihrer Sicht Bereiche, in denen vollkeramische Restaurationen den metallbasierten bereits überlegen sind?
Ahlers: Die gibt es in der Tat. Das betrifft aus meiner Sicht in erster Linie die Behandlung durch Zahnverschleiß schwer geschädigter Frontzähne mit Keramik-Veneers. Diese sind im Vergleich zu metallbasierten Restaurationen ästhetisch vorteilhafter, und sie sind bei Präparation im Zahnschmelz sehr gut haltbar.
Dass die Vorgabe einer Präparation im Schmelz umsetzbar ist, zeigt eine Studie meiner Arbeitsgruppe. Dabei stellte sich heraus, dass Studierende mit speziellen Schleifinstrumenten und einer einheitlichen Schulung in der Präparation von Keramik-Veneers fast genau die geforderte Größenordnung korrekt entfernten – ein exzellentes Ergebnis. Mittlerweile sind die Schleifer nochmals optimiert, um z. B. sicher die Nachbarzähne zu schonen [3].
Frage: Was halten Sie von den Bestrebungen der Hersteller hinsichtlich transluzenteren Materialien oder mehrschichtigen Blöcken mit einem Farb- und Transluzenzverlauf? Ist das nicht gefährlich, weil es zulasten der mechanischen Eigenschaften geht?
Ich freue mich über alle Bestrebungen der Hersteller, ihre Materialien weiterzuentwickeln. Ohne ein solches Engagement wären die zahnfarbenen Behandlungsmöglichkeiten heute nicht so weit und differenziert entwickelt. Zusätzliche Transluzenz, Farbverläufe und Transluzenzverläufe können eine natürlichere Farbanpassung ermöglichen. Problematisch ist allerdings, dass die Biegefestigkeiten der transluzenteren Zirkonoxid-Varianten deutlich niedriger sind und dieses von den Herstellern nicht in der gleichen Transparenz kommuniziert wird wie die Information um den Transparenzgewinn. Auch hier wären eine klare Einteilung und die transparente Einordnung der Produkte seitens der Dentalindustrie hilfreich.
Frage: Was sind Ihrer Erfahrungen nach die häufigsten Fehler in der tägliche Praxis rund um die Vollkeramik?
Ahlers: Die Arbeiten aus der Grazer Arbeitsgruppe um Arnetzl konnten früh zeigen, dass Präparationen von Keramikinlays mit eckigen Übergängen vom okklusalen Kasten zum Approximalbereich spätere Frakturen der Keramikinlays begünstigen. Das Gleiche gilt für zu gering dimensionierte okklusale Boxen.
Um diese Fehler zu vermeiden, habe ich zusammen mit den Kollegen Blunck, Frankenberger, Hajtó, Mörig und Pröbster ein Präparationskonzept und die darauf angepassten Schleifer entwickelt [5]. Diese Diamantschleifer stellen durch entsprechende Laser-gravierte Tiefenmarkierungen sicher, dass direkt bei der Präparation ausreichend tiefe Präparationen erfolgen. Im Übergang zu den Approximalräumen muss man dann zusätzlich die dort entstehenden Kanten sorgfältig beseitigen. Sie finden bei Youtube einen Film, der das korrekte Vorgehen illustriert [6].
Ein weiterer häufiger Fehler bei der Inlay-Präparation sind unzureichend geglättete approximale Kästen. Hier schaffen moderne Schallfeilen Abhilfe bei der Präparation, etwa die Schallfeilen mit der Bezeichnung SFM7 und SFD7 (= Schallfeile [SF] für mesiale bzw. distale Qualitäten Kavitäten, erhältlich in den Größen für Prämolaren und Molaren) [7].
Darüber hinaus ist der typische Fehler bei vollkeramischen Teilkronen und Kronen der unzureichende Substanzabtrag, insbesondere nach bukkal. Dies führt dazu, dass die Zahntechniker zur Einhaltung der Mindestschichtstärke die Restauration in den Bereichen eher überkonturieren müssen. Wenn dann Patienten später Bruxismus entwickeln und größere Kräfte nach lateral wirken, treten im Seitenzahnbereich an den Restaurationen dynamische Kontakte auf, die dort nicht gewollt waren und störende Lasten in das Kauorgan einleiten. Dieses sehen wir dann in unserem spezialisierten Zentrum im Rahmen der Auswertung von okklusalen Belastungsbildern.
Bei Veneers ist es genau andersherum: Hier konnte die Arbeitsgruppe um Galip Gürel zeigen, dass die Haltbarkeit entscheidend davon abhängt, die Präparation auf den Schmelz zu beschränken. Genau das sicherzustellen, ist das Ziel der speziellen Veneer-Schleifer, die vor diesem Hintergrund entwickelt wurden.
Bei vollkeramischen Brücken sind die Verbinder das Problem: Sind die Verbinder zu grazil, führt das zum Risiko einer Fraktur. Wenn sie hinreichend dimensioniert sind, entsteht recht viel Kontur zum Approximalraum hin, damit die Verbinder nicht als solche von außen sichtbar werden. Und last, but not least ist bei verblendeten Kronen aus Zirkondioxid das Problem die Gestaltung der Zirkondioxid-Grundlage. Bei metallkeramischen Kronen hat es sich teils eingebürgert, den Metallguss möglichst zierlich zu machen, um Platz für eine ästhetische Verblendung zu haben und darüber hinaus teures Metall einzusparen. Bei verblendeten Zirkonkronen geht dies vorhersehbar schief und es kommt zum Chipping. Um dies zu vermeiden, müssen die Gerüste ausreichend groß dimensioniert sein, um Bereiche mit nicht durch das Gerüst unterstützter Verblendkeramik zu vermeiden.
Ein Fehler bei monolithischen Zirkonoxidkronen betrifft die Politur. Wichtig ist eine Hochglanzpolitur der Keramik vor einer Glasur, da mit der Zeit die Glasur verloren geht. Wenn dann die darunterliegende Keramik nicht poliert ist, schädigt dies den Antagonisten. Deswegen sollten die noch nicht glasierten monolithischen Kronen glattpoliert werden, damit nach späterem Verlust der Glasur die Oberfläche nicht destruktiv auf den Antagonisten wirkt.
- [1] S3-Leitlinie: Vollkeramische Kronen und Brücken, iww.de/s8275.
- [2] Vollkeramische Therapiekonzepte, Arbeitsgemeinschaft für Keramik in der Zahnheilkunde e.V., iww.de/s8276.
- [3] Vollkeramik & CAD/CAM, Komet Dental, iww.de/s8277.
- [4] S3-Leitlinie: Diagnostik und Behandlung von Bruxismus, iww.de/s8278.
- [5] Experten-Set für Keramik-Inlays und -Teilkronen nach PD Dr. Ahlers, Dr. Blunck, Prof. Dr. Frankenberger, Dr. Hajtó, Dr. Mörig, Prof. Dr. Pröbster), Komet Dental, iww.de/s8279.
- [6] Anleitungsvideo: Präparationsregeln für Keramik-Inlays und -Teilkronen, Anwendung des Experten-Sets 4562ST und der Schallspitzen für die approximale Kavitätenpräparation , iww.de/s8280
- [7] Kavitätenpräparation SFM7, Komet Dental, iww.de/s8281.
AUSGABE: ZR 8/2023, S. 16 · ID: 49570418