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MehrfachvertreterMehrfachagenten-Modelle im Kommen: Das gilt es rechtlich zum Mehrfachvertreter zu wissen

Top-BeitragAbo-Inhalt16.01.2025524 Min. LesedauerVon Rechtsanwalt Mathias Effenberger, Anwaltskanzlei Küstner, v. Manteuffel Partnerschaft mbB, Göttingen

| Die Versicherungsbranche wandelt sich. Veränderte Kundenbedürfnisse und technologische Fortschritte fordern neue Vertriebsstrategien. In diesem Kontext gewinnen Mehrfachvertreter, auch bekannt als Mehrfach(general)agenten, an Bedeutung. Mit einem Mehrfachagenten-Modell wollen Versicherer Kundenbindungen festigen und Marktanteile sichern. VVP nimmt das zum Anlass, Sie in einer Serie über die Feinheiten zu informieren. Los geht es mit den rechtlichen Basics für Mehrfachvertreter. |

Was ist ein Mehrfachvertreter?

Von einem Mehrfachvertreter spricht man, wenn ein selbstständig tätiger Versicherungsvertreter über mehrere voneinander unabhängige Handelsvertreterverträge mit unterschiedlichen Produktpartnern verfügt, die typischerweise zueinander in Konkurrenz stehen. Die Begriffsdefinition erfolgt also primär über die zivilrechtliche Vertragsebene, nicht über das Verhältnis des Vermittlers zum Kunden oder über das Gewerberecht.

Das ist der Unterschied zum Ausschließlichkeitsvertreter

Im Gegensatz zum Mehrfachvertreter verfügt der Ausschließlichkeits- oder Einfirmenvertreter regelmäßig nur über einen Handelsvertretervertrag mit einem Versicherer, auch wenn über dieses Vertragsverhältnis Produkte weiterer, meist konzernzugehöriger Versicherer vermittelt werden können.

Beispiele für Ausschließlichkeitsbindungen

  • Der Handelsvertretervertrag besteht nur mit der Sachversicherungsgesellschaft; über diesen Vertrag können aber auch Produkte des konzernzugehörigen Lebens-, Kranken- und Rechtsschutzversicherers sowie ggf. versicherungsfremde Produkte vermittelt werden.
  • Der Handelsvertretervertrag besteht zwar formal mit mehreren konzernzugehörigen Versicherern, bildet aber eine Einheit, die beispielsweise nur einheitlich beendet werden kann.
  • Der Handelsvertretervertrag besteht nur mit einer Vermittlungsgesellschaft, und für den Vertreter gilt ein Wettbewerbsverbot. In dem Fall ist der Vertreter auch dann nicht „Mehrfachvertreter“, wenn die Vermittlungsgesellschaft ihrerseits ein Mehrfachvertreter oder Makler mit vielerlei konkurrierenden Produkten im Portfolio ist. Der Vertreter muss als Erfüllungsgehilfe der Vermittlungsgesellschaft gegebenenfalls die Pflichten der Vermittlungsgesellschaft als Mehrfachvertreter/Makler erfüllen, ohne selbst ein solcher zu sein.

Wichtig | Die Grenzen zwischen Ausschließlichkeits- und Mehrfachvertretung verschwimmen, wenn dem Ausschließlichkeitsvertreter über eine eigene vertragliche Anbindung ein „Ventil“ geboten wird, Geschäft auch an konkurrierende Versicherer zu vermitteln. Die damit verbundenen Fragen und Probleme werden an dieser Stelle nicht weiter vertieft.

Das ist der Unterschied zum Makler

Der Versicherungsmakler verfügt zwar auch über eine Vielzahl an Produktpartneranbindungen in Form direkter Courtagezusagen von Versicherern oder indirekt über einen Maklerpool. Das sind aber keine Handelsvertreterverträge. Der Makler ist insbesondere von keinem Versicherer ständig mit der Vermittlung von Versicherungsverträgen betraut (§ 59 Abs. 3 S. 1 VVG). Er steht vielmehr im Lager des Kunden und unternimmt es kraft Maklerauftrags für diesen, in dem im Auftrag bestimmten Umfang Versicherungsschutz zu vermitteln sowie den Kunden hinsichtlich bestehender Verträge zu betreuen (zur Abgrenzung: etwa OLG Hamm, Urteil vom 03.02.1994, Az. 18 U 113/93).

Das sind die zivilrechtlichen Regeln für Mehrfachvertreter

Für Mehrfachvertreter gelten folgende zivilrechtlichen Regeln:

Wettbewerbsverbot und Befreiung hiervon

Nicht jeder Versicherungsvertreter kann sich kraft eigener Entscheidung zu einem Mehrfachvertreter entwickeln, indem er z. B. weitere Handelsvertreterverträge mit anderen Versicherern abschließt. Denn in aller Regel enthält der bestehende Handelsvertretervertrag ein ausdrücklich geregeltes Wettbewerbsverbot.

Doch selbst wenn im Einzelfall ein solches Wettbewerbsverbot nicht ausdrücklich geregelt sein sollte, wird ein solches Verbot von der ständigen Rechtsprechung schon aus der gesetzlich zwingend vorgesehenen Interessenwahrnehmungspflicht des Vertreters nach § 86 Abs. 1 HGB hergeleitet. Ein Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot kann auch ohne vorherige Abmahnung eine fristlose, ausgleichsvernichtende Kündigung begründen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 21.10.1963, Az. VII ZR 103/62).

Wichtig | Im Grundsatz heißt das, dass in jedem Handelsvertretervertragsverhältnis ein Wettbewerbsverbot gilt. Ausnahmen hiervon müssen ausdrücklich geregelt werden.

Praxistipp | Mehrfachvertreter oder Mehrfachagenturen müssen zentral darauf achten, dass in jedem Handelsvertretervertrag, den sie abschließen, das Wettbewerbsverbot ausdrücklich und jederzeit nachweisbar suspendiert wird. Mündliche Zusagen oder Ähnliches sind hierfür nicht geeignet. Achten Sie auch darauf, dass das Unternehmen/der Versicherer die Suspendierung nicht jederzeit einseitig widerrufen kann.

Ohnehin wird man eine Mehrfachagentur in der Praxis kaum erfolgreich aufbauen können, wenn den Vertragspartnern die Absicht, eine Mehrfachagentur zu betreiben, verheimlicht wird. Abgesehen davon, dass das auf Dauer nicht gelingt, werden die Vertragspartner in der Regel die Zusammenarbeit beenden, wenn sie davon erst im Nachhinein erfahren.

Eine Befreiung vom Wettbewerbsverbot zieht die Eigenschaft als Handelsvertreter der jeweiligen Vertragspartnergesellschaft nicht in Zweifel: Das Bestehen eines Wettbewerbsverbots ist nach der Rechtsprechung nicht „wesensbestimmend“ für ein Handelsvertretervertragsverhältnis (vgl. BGH, Beschluss vom 15.04.1986, Az. KVR 3/85; Beschluss vom 25.09.1990, Az. KVR 2/89; OLG Nürnberg, Urteil vom 27.01.1994, Az. 8 U 1184/93).

Ausgleichsanspruch und Bestandszuordnung

Entsprechend hat auch der Mehrfachvertreter Anspruch auf einen Ausgleich gemäß § 89b HGB, wenn das Handelsvertretervertragsverhältnis zu einem einzelnen Versicherer in ausgleichserhaltender Weise beendet wird.

Ein Ausgleichsanspruch entsteht grundsätzlich

  • im Fall einer einvernehmlichen Vertragsaufhebung,
  • einer ordentlichen Kündigung durch das Unternehmen,
  • ausnahmsweise bei einer Eigenkündigung des Handelsvertreters aus Alters- oder Krankheitsgründen bzw. aus begründetem Anlass,
  • bei Tod des Handelsvertreters.

Ein Ausgleichsanspruch entsteht nicht

  • bei einer sonstigen Eigenkündigung,
  • im Fall der fristlosen Kündigung durch das Unternehmen wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters,
  • bei Abschluss einer Nachfolgeregelung i. S. v. § 89b Abs. 3 Nr. 3 HGB.

Wichtig | Die Kehrseite der Handelsvertreterstellung und des Bestehens eines Ausgleichsanspruchs ist, dass der geworbene Vertragsbestand – anders als beim Makler – nie dem Mehrfachvertreter „gehört“, sondern immer dem Unternehmen, bei dem der jeweilige Versicherungsvertrag geführt wird.

Bei der Ermittlung der Höhe des Ausgleichsanspruchs ist zu berücksichtigen, dass der Mehrfachvertreter sehr viel besser als ein Ausschließlichkeitsvertreter in der Lage ist, den bei Vertragsende vorhandenen Bestand auch in Zukunft provisionsmäßig für sich zu nutzen: Er verfügt in der Regel über weiter bestehende Handelsvertreterverträge mit konkurrierenden Versicherern, die prinzipiell eine Umdeckung möglich erscheinen lassen.

Wichtig | Es kann und darf nicht als Aufruf zur Umdeckung verstanden werden, wenn das Handelsvertretervertragsverhältnis zu einem einzelnen Versicherer beendet wird. Stets müssen die Kundeninteressen Vorrang haben.

Die Umdeckungsmöglichkeit ist nach der Rechtsprechung im Einzelfall bei der Bemessung der Höhe des Ausgleichsanspruchs zu berücksichtigen, etwa

  • indem (teilweise) das Entstehen von Provisionsverlusten verneint wird oder
  • indem ein pauschalisierender Billigkeitsabschlag vorgenommen wird (BGH, Urteil vom 22.09.1960, Az. VII ZR 245/59; OLG Stuttgart, Urteil vom 15.02.2000, Az. 10 U 183/99, Abruf-Nr. 243860). Ein solcher Abschlag kann im Einzelfall auch dazu führen, dass ein Ausgleichsanspruch der Höhe nach insgesamt verneint wird.

Das gilt für den Umgang mit Bestandsdaten

Kraft Handelsvertreterstellung gilt unter anderem das Gebot, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse des Versicherers nach Vertragsende nicht unbefugt zu verwerten (§ 90 HGB). Zu diesen Geschäftsgeheimnissen gehören typischerweise die Vertragsdaten einschließlich eventueller Ablaufdaten, während die Kundendaten (Adress- und Kontaktdaten) beim Mehrfachvertreter nicht zwangsläufig aus seiner Tätigkeit für dieses einzelne Versicherungsunternehmen herrühren müssen.

Praxistipps |

  • Mehrfachvertreter sollten sich frühzeitig Gedanken darüber machen, wie mit diesen sensiblen Daten insbesondere im Fall der Vertragsbeendigung umzugehen ist. Unter Umständen empfehlen sich hierzu besondere Regelungen oder Klarstellungen in den Handelsvertreterverträgen.
  • Größere Vermittlungsgesellschaften, die als Mehrfachvertreter auftreten und über eigene Kunden- und Bestandsverwaltungssysteme verfügen, sollten sicherstellen, dass die Daten einzelner Versicherer, zu denen die Vertragsbeziehung ggf. einmal beendet wird, separat gesperrt werden können, um nicht die Weiternutzung des gesamten Systems durch die eigene Vermittlerorganisation zu gefährden.

Zwingende Schutzrechte

Als Handelsvertreter genießt der Mehrfachvertreter allerdings auch die Schutzrechte, die der Gesetzgeber in den §§ 84 ff., 92 HGB zwingend vorgegeben hat. Dazu zählen beispielsweise

Praxistipp | Mehrfachvertreter verfolgen in ihrem werblichen Auftritt oft einen umfassenden Betreuungsansatz gegenüber den Kunden. Daher empfiehlt es sich regelmäßig, im Handelsvertretervertrag einen Anspruch des Mehrfachvertreters auf Stornogefahrmitteilungen festzuschreiben, damit er die Nacharbeit selbst durchführen kann. Ohne eine solche ausdrückliche Regelung hat der Versicherer die Wahl, die Nacharbeit auch selbst durchzuführen.

  • die zwingend einzuhaltenden Mindestkündigungsfristen des § 89 HGB,
  • die weitreichenden Provisionskontrollrechte des § 87c HGB einschließlich des Anspruchs auf Buchauszug sowie
  • die strengen Provisionserhaltungsvorschriften in den Absätzen 2 und 3 des § 87a HGB. Letztere verpflichten die Versicherer nach ständiger Rechtsprechung insbesondere zur Nacharbeit bei stornogefährdeten Verträgen, die entweder durch eigene ausreichende Maßnahmen des Versicherers oder durch rechtzeitigen Versand einer Stornogefahrmitteilung gewährleistet werden muss (vgl. etwa BGH, Urteil vom 08.07.2021, Az. I ZR 248/19, Abruf-Nr. 224072, m.w.N.).
Weiterführender Hinweis
  • Den zweiten Teil der Beitragsserie rund um die Gewerbeerlaubnis, das Verhältnis zu Kunden und zu Versicherern und Haftungsfragen finden Sie in VVP 3/2025.

AUSGABE: VVP 2/2025, S. 3 · ID: 50172005

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