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GebäudeversicherungLeitungswasserschaden: Ansprüche gegen den Gebäudeversicherer sowie den Nachbarn
| Ein Leitungswasserschaden i. S. d. § 1 Nr. 2 lit. A AWB 87 kann auch vorliegen, wenn ein Zuleitungsrohr der Wasserversorgung eines Nachbargrundstücks nur unter dem versicherten Gebäude verläuft und nicht dessen Versorgung dient. Inhaber einer Anlage i. S. d. § 2 Abs. 1. S. 1 HaftpflG ist, wer die tatsächliche Sachherrschaft ausübt und entsprechende Weisungen erteilen kann. Ein Grundstückseigentümer, dessen Grundstücksnutzung durch die Zuführung von Stoffen seitens des Nachbarn wesentlich beeinträchtigt wird, kann einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen (§ 906 Abs. 2. S. 2 BGB). Hierbei besteht kein Gesamtschuldverhältnis zwischen Gebäudeversicherung und Schädiger. So entschied es das OLG Brandenburg. |
Sachverhalt
Der VN nimmt seinen Gebäude-VR und die Eigentümerin des hinterliegenden Nachbargrundstücks als einfache Streitgenossen in Anspruch. Auf dem Nachbargrundstück stand eine Kegelbahn. Diese wurde durch eine Wasserleitung versorgt, die auf dem Grundstück des VN und unter seinem Haus verlief. Aufgrund einer Gebäudeabsenkung wurde die Wasserleitung beschädigt und verursachte am Haus des VN einen Wasserschaden.
Das LG hat die Klage insgesamt abgewiesen, weil das undichte Rohr zur Kegelbahn nicht der Versorgung des versicherten Gebäudes gedient habe. Die Eigentümerin des Nachbargrundstücks hafte auch nicht gemäß § 2 HaftPflG, weil sie nicht Inhaberin der behauptet schadensursächlichen Wasserleitung sei.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des VN hatte vor dem OLG Brandenburg in der Sache ganz überwiegend Erfolg (20.11.24, 11 U 223/23, Abruf-Nr. 247764). Es hat festgestellt, dass die beiden Beklagten wie Gesamtschuldner haftend dem VN nach näherer Maßgabe zum Ersatz der bereits entstandenen und noch entstehenden Schäden aus dem Leitungswasseraustritt verpflichtet sind, der VR jedoch nur bis zu 450.000 EUR und der sich im Übrigen aus den AVB ergebenden Haftung.
Die zulässigen Feststellungsklagen sind gegenüber der Eigentümerin des Nachbargrundstücks insgesamt und gegenüber dem VR ganz überwiegend begründet.
Zunächst muss der VR den entstandenen Leitungswasserschaden aufgrund des Schadensereignisses bedingungsgemäß erstatten. Der Anspruch folgt aus dem bestehenden Gebäudeversicherungsvertrag, in den die AWB 87 einbezogen wurden. Hiernach kommt dem VN dem Grunde nach ein Anspruch auf Versicherungsleistung in Höhe der Schäden am Gebäude zu, die durch den Austritt von Wasser aus der die auf dem Grundstück der Nachbarin aufstehenden Kegelbahn versorgenden Trinkwasserleitung entstanden sind. Die Einstandspflicht des VR ergibt sich nicht aus einer Rohrbruchversicherung nach § 1 Nr. 3 AWB 87, sondern konkret aus § 1 Nrn. 1, 2 lit. a AWB 87. Deren Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben. Nach § 1 Nr. 1 dieser Bestimmung leistet der VR Entschädigung für versicherte Sachen, die durch Leitungswasser zerstört oder beschädigt worden sind.
- Dabei ist Leitungswasser i. S. d. AWB 87 gemäß Nr. 2 lit. a Wasser aus den fest verlegten Zu- oder Ableitungsrohren der Wasserversorgung. Entgegen der vom LG vertretenen Rechtsauffassung ist das aus der die Kegelbahn auf dem Nachbargrundstück versorgenden Trinkwasserleitung ausgetretene Wasser als Leitungswasser i. S. v. § 1 Nr. 2 lit. a AWB 87 zu qualifizieren. Dies folgt aus der gebotenen Auslegung des Versicherungsvertrags einschließlich der AWB 87. Die vom LG vorgenommene einschränkende Interpretation, wonach das Leitungswasser, das einen bedingungsgemäßen Schaden herbeizuführen geeignet ist, auch das Grundstück des VN versorgen müsse, ergibt sich hieraus nicht.Voraussetzung 1: Leitungswasserschaden
- Die die Kegelbahn versorgende Trinkwasserleitung ist unzweifelhaft und unstreitig ein fest verlegtes Zuleitungsrohr der Wasserversorgung das mit dem Gebäude des VN sogar verbunden (gewesen) ist. Zwar versorgt(e) die Trinkwasserleitung, aus der das Wasser ausgetreten ist, nicht das von dem VN versicherte, auf seinem Grundstück aufstehende Gebäude, sondern das auf dem Nachbargrundstück aufstehende Gebäude (die Kegelbahn). Auch verlief die Trinkwasserleitung unstreitig „nur“ unter dem versicherten Gebäude hindurch. Die interessen- und sachgerechte Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen der AWB 87 ergibt jedoch, dass für den Eintritt des Versicherungsfalls und damit für den Versicherungsschutz nicht Voraussetzung ist, dass die schadensverursachende Leitung der Wasserversorgung gerade des versicherten Gebäudes dient.Voraussetzung 2: Zuleitungsrohr der Wasserversorgung
- Dem Wortlaut von § 1 Nr. 2 AWB 87 kann eine Beschränkung auf Rohre, die das versicherte Gebäude mit Wasser versorgen, nicht entnommen werden. Diese Voraussetzung ist dort nicht erwähnt. Dem steht nicht entgegen, dass der VR formuliert hat “... aus den fest verlegten Zu- und Ableitungsrohren ...“. Das Wort „den“ mag bei gewollter Erfassung von jeder Art von Leitung auch ohne Bezug zum Gebäude „überflüssig“ sein. Das ändert nichts daran, dass dem Wortlaut der Klausel keine ausdrückliche Beschränkung auf das versicherte Gebäude ver- bzw. entsorgende Zu- und Abwasserleitungen entnommen werden kann.
- Zudem wird der durchschnittliche VN, der grundsätzlich ein Interesse an einem umfassenden Versicherungsschutz hat, auch die Gesamtheit der Bedingungen und deren Sinnzusammenhang in den Blick nehmen. Dabei wird er auch erkennen, dass nach § 2 Nr. 1 lit. a AWB 87 u. a. Gebäude und Gebäudebestandteile am Versicherungsort gemäß § 4 Nr. 2 AWB 87 versichert sind. Er wird dabei auch davon ausgehen, dass der VR als fachkundiges Unternehmen vor Abschluss des Versicherungsvertrags eventuell bedeutsame besondere Umstände für seine Entscheidung über den Abschluss des Versicherungsvertrags und für die Prämienkalkulation, die möglicherweise dem künftigen VN noch nicht einmal selbst bekannt sind, erfragt und / oder in Erfahrung bringt. Stellt der VR vor Vertragsschluss solche Fragen nicht und klärt dies auch nicht anderweitig, darf sich der durchschnittliche VN in seinem Verständnis und seiner Erwartung von einem umfassenden Schutz vor Leitungswasserschäden jeglicher Art von Wasserleitungen durch den einschränkungslosen Wortlaut von § 1 Nr. 2 lit. a AWB 87 bestätigt fühlen.Auslegung der AWB
- Gestützt wird diese kundenfreundliche Auslegung dadurch, dass der VR gemäß § 1 Nr. 3 lit. b AWB 87 auch außerhalb des versicherten Gebäudes Frost- und sonstige Bruchschäden u. a. an den Zuleitungsrohren der Wasserversorgung versichert hat, allerdings nur, soweit die sich innerhalb des Grundstücks befindlichen Rohre – ausdrücklich – der Versorgung des versicherten Gebäudes dienen (§ 1 Nr. 3 lit. b aa AWB 87). Aus der ausdrücklichen Erwähnung dieser Voraussetzung für den Ersatz von Bruchschäden kann der durchschnittliche VN bei verständiger Würdigung ohne Weiteres den naheliegenden Rückschluss ziehen, dass Leitungswasserschäden gemäß § 1 Nr. 1, 2 AWB 87 – die ihrem Wortlaut nach keine dahin gehende ausdrückliche Einschränkung erfahren haben – umfassend versichert sind. Hinzu kommt, dass sich der durchschnittliche VN in der vorliegenden besonderen Konstellation bei dieser Auslegung dadurch bestätigt sehen durfte, dass nach § 1 Nr. 1 lit. b AWB 87 der VR auch Entschädigung leistet für durch Leitungswasser zerstörte oder beschädigte versicherte Sachen aus den sonstigen mit dem Rohrsystem fest verbundenen Einrichtungen der Wasserversorgung. Denn das die Kegelbahn versorgende Leitungswasserrohr diente einerseits der Wasserversorgung. Andererseits war es fest mit dem das versicherte Gebäude des VN mit Wasser versorgenden Rohrsystem – über die Abnahmestelle – verbunden. Ein etwaiger Rückstau in einem Rohrsystem hätte sich auch auf das verbundene Versorgungssystem auswirken können.Kundenfreundliche Auslegung
Die Eigentümerin des Nachbargrundstücks haftet aus § 2 Abs. 1 HaftPflG. Wird durch die Wirkungen u. a. von Flüssigkeiten, die von einer Rohrleitungsanlage ausgehen, eine Sache beschädigt, muss der Inhaber der Anlage den daraus entstehenden Schaden ersetzen. Die Voraussetzungen einer anlagenbezogenen Gefährdungshaftung nach dieser Vorschrift liegen vor.
- Bei der Trinkwasserversorgungsleitung, die durch das Grundstück des VN verlief und aus der das Wasser austrat, handelt es sich zunächst um eine Rohrleitungsanlage gem. § 2 Abs. 1 HaftPflG, mittels derer Flüssigkeiten im Sinne dieser Vorschriften transportiert werden. Unter einer Anlage ist eine technische Einrichtung im weitesten Sinne zu verstehen, die ihre Selbstständigkeit nicht bereits dadurch verliert, dass sie Teil einer anderen Anlage ist, z. B. ein Hausanschluss. In diesem Sinne ist der aus der Verbindung des Verteilungsnetzes mit der Kundenanlage bestehende (§ 10 Abs. 1 AVBWasserV) und zu den Betriebsanlagen des Wasserversorgungsunternehmens gehörende (vgl. § 10 Abs. 3 S. 1 AVBWasserV) Hausanschluss als eigenständige Anlage zu verstehen.Rohrleitungsanlage nach § 2 Abs. 1 HaftpflG
- Inhaber der Anlage im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 HaftPflG ist, wer die tatsächliche Herrschaft über ihren Betrieb ausübt und die hierfür erforderlichen Weisungen erteilen kann. Es kommt also auf die tatsächliche und nicht auf die rechtliche Verfügungsmacht an. Bei Anschlussleitungen zu den Abnehmern einer Versorgungsanlage, wie hier, hängt dies nach der Rechtsprechung aber auch wesentlich von den Regelungen in den Satzungen oder den Versorgungsbedingungen der Unternehmen ab, wo die Übergabestelle liegt, somit die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit des Versorgungsunternehmens endet und die des Anschlussnehmers beginnt. Gemessen daran ist die Eigentümerin des Nachbargrundstücks und nicht der VN für die zur Kegelbahn führende Trinkwasserleitung als „Inhaberin der Anlage“ im Sinne von § 2 Abs. 1 HaftPflG anzusehen.Nachbarin ist Inhaberin der Anlage
- Hierfür spricht bereits die vom VN zur Akte gereichte Satzung des TAV(X). Nach Ziffer 8.2. S. 2 der Satzung fällt die hinter der ersten Grundstücksgrenze liegende Hausanschlussleitung in den Verantwortungsbereich des jeweiligen Kunden. Kunde der hier in Rede stehenden Trinkwasserleitung die den Schaden hervorgerufen hat, war jedoch unstreitig die Nachbarin Hiermit korrespondiert auch die Kostentragungspflicht nach Ziffer 8.3 der TAV(X)-Satzung. Diese stellt maßgeblich auf den Anschlussnehmer (Kunden) ab. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des BGH. Er leitet in solchen Fällen die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit bei einem auch hier in Rede stehenden Hausanschluss unter Hinweis auf § 10 Abs. 1 AVBWasserV her, der an der Abzweigstelle des Verteilungsnetzes beginnt und an der Hauptabsperrvorrichtung, der Wasseruhr endet. Mit Blick darauf kann im Streitfall die eigentumsrechtliche Zuordnung des auf dem Grundstück des VN befindlichen (ursprünglichen) Teils der die Kegelbahn versorgenden Trinkwasserleitung dahinstehen. Letztendlich werden in der Praxis fremde Versorgungsleitungen als Scheinbestandteile des Grundstücks im Sinne von § 95 BGB angesehen. Das spricht für die hier vertretene Auslegung.Verantwortung des Anschlussnehmers nach Versorgungs-zuständigkeit
- Die tatsächlichen Herrschaftsverhältnisse rechtfertigen im Streitfall ebenfalls keine anderslautende Wertung. Wenn man dem VN in faktischer Hinsicht überhaupt eine Rolle zumessen wollen würde, so beschränkte sich diese allenfalls darauf, dass er das Betreten duldete und ihnen dies mithin stillschweigend gestattete. Die faktische Beendigung der Versorgung über die über das Grundstück des VN verlaufende Leitung lag jedenfalls allein in seiner Hand. Die anderweitige Versorgung ohne Inanspruchnahme des Grundstücks des VN war möglich, wie die nach dem Schadensfall erfolgte Verlegung des Anschlusses der Kegelbahn zeigt.Tatsächliche Herrschafts-verhältnisse
- Ungeachtet dessen folgt ein solcher Anspruch überdies aus dem Nachbarrecht des BGB. Dabei zieht der Senat mit der insoweit einschlägigen höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung das nachbarschaftliche Gefälligkeitsschuldverhältnis als besondere Ausprägung des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses im Sinne von § 906 Abs. 2 analog, § 242 BGB als entsprechende (weitere) Anspruchsgrundlage heran.Zusätzlich: Anspruch aus dem Nachbarrecht
Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch ist gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die der Eigentümer oder Besitzer des betroffenen Grundstücks nicht dulden muss, aus besonderen Gründen jedoch nicht gem. § 1004 Abs. 1, § 862 Abs. 1 BGB unterbinden kann. Voraussetzung ist, dass er hierdurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen. Nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB kann ein Grundstückseigentümer, dessen Grundstücksnutzung durch die Zuführung von Stoffen seitens des Nachbarn wesentlich beeinträchtigt wird, daher einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen. Ein solcher Anspruch besteht etwa, wenn ein Überschwemmungsschaden infolge eines Bruchs der auf einem Nachbargrundstück betriebenen Wasserversorgungsleitung entsteht. Er muss gleichermaßen (und erst recht) bestehen, wenn die wesentliche Eigentumsbeeinträchtigung von einer von dem Nachbarn eigennützig auf fremdem Grund gelegten Leitung ausgeht.
Relevanz für die Praxis
Der Fall zeigt das Zusammentreffen von Ansprüchen aus Gebäudeversicherung und Haftung des Grundstücksnachbarn. Das OLG stellt klar, dass kein Gesamtschuldverhältnis zwischen dem VR und der beklagten Eigentümerin des Nachbargrundstücks besteht. Es fehlt an einer Tilgungsgemeinschaft, weil der Leistungszweck der einen gegenüber der anderen Verpflichtung subsidiär sei (im Einzelnen BGH r+s 21, 50). Aus diesem Grund ist keine Gesamtschuld zwischen Schädiger und Sachversicherung anzunehmen. Wegen der fehlenden Gleichstufigkeit liegt danach allerdings ein „unechtes Gesamtschuldverhältnis“ vor. Der Geschädigte kann nicht jeden der beiden gesondert bis zur vollen Höhe in Anspruch nehmen, sondern nur beide insgesamt bis zur vollen Höhe des auf den Austritt von Leitungswasser beruhenden Gebäudeschadens. Dies hat das Gericht im Tenor berücksichtigt.
Zutreffend geht das Gericht davon aus, dass nach der Auslegung des Bedingungswerks ein Ersatzanspruch für den Leitungswasserschaden auch besteht, wenn ein Zuleitungsrohr der Wasserversorgung eines Nachbargebäudes unter dem versicherten Gebäude verläuft. Anders ist es, wenn im Außenbereich um ein Gebäude verlegte Drainagerohre ausschließlich Niederschlags und Sickerwasser ableiten (OLG Nürnberg r+s 21, 270).
Die Eigentümerin des Nachbargrundstücks ist Inhaberin einer Anlage i. S. d. § 2 Abs. 1 S. 1 HaftPflG. Sie übt die tatsächliche Sachherrschaft aus und kann die erforderlichen Weisungen erteilen. Hinzu kommt, dass bei ihr die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit als Anschlussnehmerin liegt (BGH r+s 22, 86; BGH NJW-RR 07, 823). Schließlich ist auch ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 analog, § 242 BGB gegeben (BGH NJW 03, 2377; OLG Schleswig SchlhA 13, 202, BeckRS 2013, 8641).
- Zur Zulässigkeit der Feststellungsklage: BGH VK 22, 112
AUSGABE: VK 5/2025, S. 76 · ID: 50397823