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HaftpflichtversicherungIm vorweggenommenen Deckungsprozess kann auf Deckungsschutz geklagt werden
| Das OLG Karlsruhe entschied, dass der VN gegen den Haftpflicht-VR im vorweggenommenen Deckungsprozess auf Feststellung der Verpflichtung zur Gewährung bedingungsgemäßen Deckungsschutzes klagen kann, solange das Bestehen des Haftpflichtanspruchs nicht rechtskräftig festgestellt ist. |
Sachverhalt
In der Familienhaftpflichtversicherung der VN sind minderjährige Kinder mitversichert. Silvester 2020 kam es durch Brandstiftung (Feuerwerk) in einer Tiefgarage zu einem Brand. Der 16-jährige Sohn wurde als Tatverdächtiger festgenommen. Die VN meldete den Schaden beim VR. Der VR teilte der VN mit, er werde den Ausgang des Strafverfahrens abwarten, bevor er eine Entscheidung über den beantragten Versicherungsschutz treffen werde. Sollte sich der Tatvorwurf der Brandstiftung betätigen, sei er von der Leistung frei.
Der Sohn wurde wegen fahrlässiger Brandstiftung verurteilt und von der Gebäudeversicherung auf Schadenersatz verklagt. Der VR ist dem Rechtsstreit auf Seiten des Sohns beigetreten und hat dort im Innenverhältnis Weisungen erteilt. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Die VN hat nun Feststellungsklage erhoben, dass der VR verpflichtet ist, Deckungsschutz für das Schadenereignis zu gewähren. Das LG hat den VR entsprechend verurteilt.
Entscheidungsgründe
Das OLG Karlsruhe hat die Entscheidung (bis auf einige Nebenforderungen) bestätigt (6.3.25, 12 U 75/24, Abruf-Nr. 247135). Der Senat hielt den Feststellungsantrag als vorweggenommene Deckungsklage für zulässig.
Aussagen des OLG zum praktischen Vorgehen |
Im Haftpflichtversicherungsrecht kann der VN im Allgemeinen vom VR nicht Befriedigung des Haftpflichtgläubigers verlangen. Dem Haftpflichtversicherer steht es vielmehr frei, ob er die gegen seinen VN geltend gemachten Haftpflichtansprüche erfüllen oder den Versuch einer Abwehr dieser Ansprüche machen will. Selbst eine Klage auf Befreiung von der Haftpflichtverbindlichkeit, d. h. also auf Befriedigung des Haftpflichtgläubigers, kommt demnach in der Regel nur in Betracht, wenn das Bestehen des Haftpflichtanspruchs rechtskräftig festgestellt ist. Solange dies nicht der Fall ist, klagt der VN richtigerweise auf Feststellung, dass der VR wegen einer im Einzelnen genau zu bezeichnenden Haftpflichtforderung Versicherungsschutz zu gewähren habe. |
Der VR schuldet Rechtsschutz für die Forderungsabwehr oder Freistellung wegen der Ansprüche, die von dem Gebäudeversicherer gegen den Sohn der VN erhoben werden. Das genügt für die Begründetheit der hier erhobenen vorweggenommenen Deckungsklage.
Im vorweggenommenen Deckungsprozess – d.h. bei einem Deckungsprozess vor rechtskräftiger Feststellung einer Schadenersatzverpflichtung, wie im vorliegenden Fall – ist grundsätzlich auf die Behauptungen des Geschädigten abzustellen und nicht über den Haftpflichtanspruch zu entscheiden (BGH 15.11.00, IV ZR 223/99). Die Frage, ob tatsächlich eine Schadenersatzforderung besteht, kann offenbleiben. Der VR schuldet nämlich nicht nur die Freistellung von berechtigten Forderungen, sondern – als gleichrangige Hauptleistungspflicht – auch die Abwehr unbegründeter Ansprüche (Rechtsschutzverpflichtung) (BGH 10.1.19, IX ZR 89/18). Somit hat der Versicherte bereits einen fälligen Anspruch auf Gewährung von Haftpflichtversicherungsschutz, wenn er von einem Dritten auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird. Unerheblich ist dabei, ob der Haftpflichtanspruch begründet ist oder nicht (OLG Naumburg 25.7.13, 2 U 23/13).
So formulieren Sie den Antrag richtig Praxistipp | Im Feststellungsantrag muss daher immer auf „bedingungsgemäßen“ Versicherungsschutz abgestellt werden. Durch diesen Vorbehalt behält der VR das Recht, sich in einem späteren Deckungsprozess auf Befreiung von der Haftpflichtverbindlichkeit darauf zu berufen, dass der Deckungsschutz aus anderen, aus dem Versicherungsverhältnis herrührenden Gründen, über welche vorliegend noch nicht entschieden werden kann, zu versagen ist. Dies gilt z. B. für den Einwand der vorsätzlichen Herbeiführung. |
Die Behauptungen der Geschädigten unterstellt, ist der Versicherungsfall nach Ziff. 1 AHB eingetreten: Es werden deliktische Schadenersatzforderungen geltend gemacht, das Schadenereignis fällt zeitlich in den Deckungsschutz und ebenso unstreitig ist der zum Schadenereignis minderjährige Sohn der VN mitversichert.
Auf die umstrittenen Fragen, ob der Sohn den Schaden verursacht hat und ob er aufgrund starker Alkoholisierung deliktsunfähig war, kommt es nicht an. Der objektive Handlungsablauf und die Deliktsfähigkeit der versicherten Person sind nicht im vorweggenommenen Deckungsprozess, sondern in dem vom Geschädigten anzustrengenden Haftpflichtprozess zu klären. Insoweit besteht Voraussetzungsidentität, was die Bindungswirkung der im Haftpflichtprozess getroffenen Feststellungen für den Deckungsprozess nach sich zieht. Die Bindungswirkung sichert den Gleichlauf zwischen Haftpflicht- und Deckungsverhältnis. Sie verhindert, dass die im Haftpflichtprozess getroffene Entscheidung und die zugrunde liegenden Feststellungen im Deckungsprozess erneut überprüft werden können (BGH 24.1.07, IV ZR 208/03). Für den inneren Tatbestand – insbesondere zum Vorsatz – gilt im Ergebnis nichts anderes.
Relevanz für die Praxis
Der vorweggenommene Deckungsprozess ist das statthafte Mittel, mit dem der VN die grundsätzliche Einstandspflicht des VR auch für die Abwehrdeckung, einer gerichtlichen Klärung zuführen kann. Soweit das Deckungsverhältnis von Fragen abhängt, die im Haftpflichtprozess zu klären sind, bleiben diese vom Prüfungsumfang des vorweggenommenen Deckungsprozesses ausgenommen. Eine Aussetzung nach § 148 ZPO würde dazu führen, dass sich der VR der geschuldeten Abwehrdeckung entziehen könnte.
AUSGABE: VK 5/2025, S. 84 · ID: 50379028