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UmsatzsteuerAbrechnung gekündigter Bau- oder Planungsverträge: Das EuGH-Urteil und die Folgen
| Wird ein Bau- oder Planungsvertrag vom Auftraggeber frei gekündigt, ist es in Deutschland so, dass die Vergütung, die auf die kündigungsbedingt nicht mehr erbrachten Leistungen entfällt, nicht der Umsatzsteuer unterliegt. Das könnte sich bald ändern. Der EuGH ist nämlich der Auffassung, dass die gesamte Kündigungsvergütung umsatzsteuerpflichtig ist. Das Urteil erging zwar zu Österreich. Deren „Kündigungsabrechnungsregelung“ ist aber mit der deutschen vergleichbar. Erfahren Sie deshalb, was nach der EuGH-Entscheidung bei gekündigten Verträgen zu veranlassen ist. |
Das regelt das BGB zur vorzeitigen Vertragskündigung
Gemäß § 648 S. 1 BGB und § 8 Abs. 1 VOB/B kann der abgeschlossene Vertrag vom Auftraggeber bis zur Vollendung jederzeit gekündigt werden. In diesem Fall geht der Auftragnehmer jedoch nicht leer aus. Denn er hat trotz Kündigung Anspruch auf die komplette vereinbarte Vergütung. Das gilt also sowohl für Planungsverträge als auch Bauverträge.
§ 648 BGB bzw. § 8 Abs 1 VOB/B richtig lesen und einordnen
Mit einer Einschränkung: Auftragnehmer müssen sich dasjenige anrechnen lassen, was sie infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung ihrer Arbeitskraft erworben oder zu erwerben böswillig unterlassen haben (§ 648 S. 2 BGB bzw. § 8 Abs. 2 S. VOB/B). Diese Positionen müssen bei BGB-Verträgen gesondert vorgetragen werden. Machen Auftragnehmer das nicht, findet im BGB-Vertrag der ungünstige § 648 S. 3 BGB Anwendung. In diesem Fall erhalten Auftragnehmer nur fünf Prozent der Vergütung für die nicht mehr erbrachten Leistungen.
Wortlaut von § 648 BGB – „Kündigungsrecht des Bestellers“ |
... vorzeitig gekündigten Bau- und Planungsverträgen |
Die zweigliedrige Abrechnung bei gekündigtem Vertrag
Folglich müssen Auftragnehmer eine solche Honorar- bzw. Werklohnabrechnung in zwei Punkte gliedern, nämlich
- 1. in die Vergütung der erbrachten Leistungen und
- 2. in die Vergütung der nicht mehr erbrachten Leistungen.
Grundsätzlich unterliegen der Umsatzsteuer die erhaltenen Entgelte für tatsächlich erbrachte Lieferungen und sonstige Leistungen. Wäre der Vertrag also bis zum Ende durchgeführt worden, wäre das komplette Entgelt der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Doch was gilt im Falle der vorzeitigen Kündigung? In diesem Fall wurde ja ein Teil der Leistung gerade nicht erbracht – man erhält dafür aber trotzdem ein Honorar. Unterliegt das der Umsatzsteuer?
EuGH sieht vollständige Steuerpflicht der Honorarforderung
Da kommt jetzt der EuGH ins Spiel. Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens wurde ihm von dem österreichischen OGH folgender Streitfall vorgelegt: Ein Unternehmen war mit Bauleistungen für ein Immobilienprojekt beauftragt worden. Kurz nach Beginn der Arbeiten wurde das Projekt vom Auftraggeber aus Gründen, die der Auftragnehmer nicht zu vertreten hatte, eingestellt. Weil in Österreich über Art. 1168 Abs. 1 ABGB (eine dem deutschen § 648 BGB sehr ähnliche Regelung) dem Auftragnehmer für die nicht mehr zu erbringenden Leistungen eine Vergütung abzüglich der ersparten Aufwendungen zusteht, erhielt der Auftragnehmer trotz Aufhebung des Immobilienprojekts ein Honorar. Er musste sich jedoch das anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Arbeit erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hatte.
Der EuGH musste jetzt klären, ob das Honorar für die nicht mehr erbrachten Leistungen auf Basis der Mehrwertsteuerrichtlinie der Umsatzsteuer unterliegt. Und er hat das bejaht. Entscheidend ist dabei Folgendes:
- 1. Der Auftragnehmer muss bereit und in der Lage gewesen sein, die vereinbarte (und nun gekündigte) Leistung zu erbringen.
- 2. Die Vertragsbeendigung muss aus Gründen erfolgen, die dem Auftraggeber zuzurechnen sind.
- 3. Es muss ein direkter Zusammenhang zwischen der vereinbarten (und nun gekündigten) Leistung und dem erhaltenen Gegenwert bestehen.
Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall vor. Damit musste das Honorar für umsatzsteuerliche Zwecke nicht in einen Teil für die tatsächlich erbrachten Leistungen und einen anderen Teil für die nicht mehr zu erbringenden Leistungen aufgeteilt werden. Denn beide Umsätze unterlagen der Umsatzsteuer. Das begründete der EuGH damit, dass es sich bei dem aus § 1168 Abs. 1 ABGB resultierenden Anspruch des Auftragnehmers nicht um Schadenersatz, sondern um ein Entgelt für die Bereitschaft zur Leistungserbringung handelt (EuGH, Urteil vom 28.11.2024, Rs. C-622/23, Abruf-Nr. 245914).
Deutsche Finanzverwaltung sieht die Rechtslage anders
Auch in Deutschland ist klar, dass die Vergütung für die erbrachten Leistungen der Umsatzsteuer unterliegt. Hinsichtlich der Vergütung für die nicht mehr zu erbringenden Leistungen gilt jedoch anderes. So ist der BGH der Auffassung, dass auf die Vergütung für die kündigungsbedingt nicht mehr zu erbringende Leistung keine Umsatzsteuer anfällt (BGH, Urteil vom 22.11.2007, Az. VII ZR 83/05, Abruf-Nr. 080224). Und auch der BFH differenziert bei der Frage nach der Umsatzsteuerpflicht. Er ist zwar ebenfalls wie der BGH der Auffassung, dass die nach Kündigung eines Bau- oder Planungsvertrags zuzahlende Vergütung nur insoweit umsatzsteuerbares Entgelt nach § 10 Abs. 1 UStG darstellt, als sie auf schon erbrachte Leistungsbestandteile entfällt (BFH, Urteil vom 26.08.2021, Az. V R 13/19, Abruf-Nr. 226549 und BFH, Urteil vom 27.08.1970, Az. V R 159/66). Denn der Anspruch aus § 648 S. 2 BGB hat nach seiner Auffassung entschädigungsähnlichen Charakter dafür, dass dem Auftragnehmer durch die (freie) Kündigung des Auftraggebers die Möglichkeit genommen wird, die volle Vergütung zu verdienen. Insofern mangelt es an einem Leistungsaustausch und es liegt nicht steuerbarer Schadenersatz vor. Allerdings sieht er von diesem Grundsatz auch zwei Ausnahmen:
- 1. Bei einer nicht ernsthaft gewollten Aufteilung des Honorars in erbrachte und nicht mehr zu erbringenden Leistungen („Scheinaufteilung“) unterliegt auch die in den Bereich der nicht mehr zu erbringenden Leistungen „verschobene“ Vergütung der Umsatzsteuer.... wird in Deutschland noch als ...
- 2. Bei einem Verzicht gegen Entgelt auf eine vertraglich oder gesetzlich zustehende Rechtsposition handelt es sich nicht um Schadenersatz, sondern um ein der Umsatzsteuer unterliegendes Entgelt.
Mit anderen Worten: Nur das auf dem Papier Vereinbarte ist nach Auffassung des BFH nicht maßgebend für die umsatzsteuerlichen Folgerungen. Entscheidend ist vielmehr das, was hinter der Vereinbarung steckt und welche Leistungen tatsächlich erbracht worden sind. Dieser Auffassung folgt auch die Finanzverwaltung (Abschn. 1.3 Abs. 5 UStAE). Das bedeutet konkret:
- Honorar für tatsächlich erbrachte Leistung: Umsatzsteuerpflicht
- Honorar für nicht erbrachte Leistung: Keine Umsatzsteuer
EuGH oder BFH – was gilt jetzt für gekündigte Verträge?
Die Brisanz der unterschiedlichen Rechtsauffassungen ist offensichtlich. Das Honorar für die nicht erbrachten Leistungen unterliegt nach Maßgabe des EuGH der Umsatzsteuer, während der BFH eine Umsatzsteuerpflicht verneint. Das hat vor allem dann praktische Auswirkungen, wenn der Leistungsempfänger nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Denn in diesem Fall stellt die vom Baunternehmer oder Planer geforderte Umsatzsteuer eine echte und finale Belastung dar. Doch was gilt nun?
Das Urteil des EuGH wurde zwar in Bezug auf eine in Österreich ansässige Gesellschaft getroffen. Allerdings gelten die daraus resultierenden Schlussfolgerungen aufgrund der Harmonisierung der Vorschriften zur Umsatzsteuer für alle Mitgliedstaaten der EU, also auch für die deutschen Gerichte. Diese sind wiederum verpflichtet, das nationale Recht richtlinienkonform – in Interpretation des EuGH – anzuwenden und auszulegen. Das Problem für in Deutschland ansässige Auftragnehmer: Der in Deutschland geltende § 648 S. 2 BGB entspricht im Wesentlichen der über § 1168 Abs. 1 ABGB in Österreich geltenden Rechtslage. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass sich das EuGH-Urteil auch in Deutschland auswirken wird.
Das ist für gekündigte Auftragnehmer jetzt veranlasst
Bis dato hat sich die Finanzverwaltung noch nicht positioniert. Es ist nicht mit Sicherheit klar, ob und wenn ja wie sie das EuGH-Urteil umsetzt. Denkbar wäre z. B., dass für „Altfälle“ Übergangsregelungen geschaffen werden. Zudem stellt sich auch zivilrechtlich die Frage, ob die bisher vom BGH vertretene Auffassung, dass eine Entschädigung i. S. v. § 648 S. 2 BGB nicht der Umsatzsteuer unterliegt, weiterhin Bestand haben kann.
Damit Auftragnehmer auf der sicheren Seite sind, sollten hinsichtlich dieser Ungewissheit Vertragsklauseln aufgenommen bzw. Zusatzvereinbarungen getroffen werden. Dabei sollte zum Ausdruck kommen, dass – wenn das Finanzamt rückwirkend eine Umsatzsteuerpflicht der Vergütung für nicht erbrachte Leistungen feststellt – dem Auftragnehmer gegenüber dem Auftraggeber ein zusätzlicher Anspruch in Höhe der Umsatzsteuer zusteht.
Der Grund: Ohne eine entsprechende Klausel wird sich der Auftraggeber im Nachhinein wohl kaum darauf einlassen, die Vergütung rückwirkend brutto anstatt wie bisher gehandhabt netto auszuzahlen. Damit würde die Umsatzsteuer rückwirkend in voller Höhe Ihren Gewinn schmälern. Das gilt vor allem für die Fälle, in denen der Auftraggeber nicht oder nicht vollständig zum Vorsteuerabzug berechtigt ist und die Umsatzsteuer deshalb für ihn zu einer effektiven Belastung führen würde. In der Praxis ist das regelmäßig der Fall, wenn der Auftraggeber die Leistung für umsatzsteuerfreie Ausgangsumsätze verwendet. Z. B. für eine gemäß § 4 Nr. 12 UStG umsatzsteuerfreie Vermietung von Wohnraum. Auftragnehmer sollten deshalb nicht abwarten, bis sich die Finanzverwaltung zur konkreten Anwendung des EuGH-Urteil äußert, sondern bereits jetzt vorsorgen und handeln.
Eine Vertragsklausel zum Thema Umsatzsteuer bei vorzeitiger Vertragskündigung könnte wie folgt lauten:
Vertragsklausel / Umsatzsteuer bei vorzeitiger Vertragskündigung |
So könnte eineVereinbarungkonkret aussehen |
AUSGABE: SSP 3/2025, S. 23 · ID: 50289969