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VergütungMit einer Anwesenheitsprämie den Krankenstand reduzieren: Das gilt es steuerlich zu wissen

Abo-Inhalt04.09.20246 Min. LesedauerVon Dipl.-Finanzwirt Marvin Gummels, Hage

| Im ersten Halbjahr 2024 waren die Fehlzeiten von Arbeitnehmern so hoch wie nie zuvor in diesem Zeitraum. Dieser Entwicklung gegensteuern wollen manche Arbeitgeber mithilfe einer Anwesenheitsprämie. Sie soll einen Anreiz für Arbeitnehmer schaffen, sich nicht gleich über einen längeren Zeitraum krankschreiben zu lassen, wenn sie nicht ernsthaft erkrankt sind. Doch wie ist eine solche Prämie steuer- und beitragsrechtlich einzuordnen, wie muss sie vertraglich gestaltet sein und wann darf sie gekürzt werden? SSP hat die Antworten. |

Das ist die Anwesenheitsprämie

Die Fehlzeiten ihrer Arbeitnehmer reduzieren, die Produktivität steigern und Kosten sparen – das sind die Ziele, die Arbeitgeber mit der Zahlung einer Anwesenheitsprämie erreichen wollen. Mit der als Sonderleistung ausgestalteten Prämie sollen gezielt solche Arbeitnehmer finanziell belohnt werden, die selten bis gar nicht krank sind. Ergo: Es soll ein Anreiz für die Anwesenheit geschaffen werden.

Wann, wie und in welcher Höhe die Prämie zu zahlen ist

Für die Anwesenheitsprämie gibt es keine Höchstgrenze. Der Arbeitgeber kann also selbst über die Höhe entscheiden. Genauso kann er die Auszahlung frei regeln. In der Praxis haben sich aber zwei Modelle etabliert: Entweder zahlt der Arbeitgeber die Prämie

  • 1. am Anfang des neuen Jahres für das abgelaufene Jahr oder
  • 2. monatlich für den vergangenen Monat.

Wichtig | Obgleich der Arbeitgeber Höhe und Auszahlungsrhythmus frei bestimmen kann, gelten für die Kürzung der Prämie Grenzen. Unzulässig ist z. B. die Staffelung der Prämie à la 1.000 Euro bei bis zu fünf Fehltagen, 500 Euro bei bis zu zehn Fehltagen und null Euro bei mehr als zehn Fehltagen. Zulässig ist die Kürzung nur folgendermaßen:

  • Fehlt der Arbeitnehmer und besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung, kann der Arbeitgeber die Prämie pro Tag um ein Tagesarbeitsentgelt kürzen. Typische Anwendungsfälle sind unbezahlter Sonderurlaub, unberechtigte Fehlzeiten („Blaumachen“) oder die Teilnahme an einem Streik.
  • Fehlt der Arbeitnehmer und besteht Anspruch auf Entgeltfortzahlung, darf die Kürzung für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit ein Viertel des Arbeitsentgelts nicht überschreiten, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt (§ 4a EntgFG). Eine geringere Kürzung (z. B. nur ein Fünftel) kann vereinbart werden. Der klassische Anwendungsfall für diese Kürzung ist die Krankheit.
  • Wichtig | Die Kürzung ist auch dann zulässig, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen ist (BAG, Urteil vom 15.12.1999, Az. 10 AZR 626/98, Abruf-Nr. 243550).

Will der Arbeitgeber die Prämie kürzen, muss er folglich zunächst das Jahresbruttoentgelt des betreffenden Arbeitnehmers ermitteln und dieses dann durch Zahl der Arbeitstage teilen. Dieser Betrag ist in Fällen der Nummer 1 – also bei Abwesenheit des Arbeitnehmers ohne Anspruch auf Entgeltfortzahlung – zu berücksichtigen. In Fällen der Nummer 2 – sprich bei Entgeltfortzahlung – ist ein Viertel des ermittelten Betrags als Kürzung anzusetzen (BAG, Urteil vom 07.08.2002, Az. 10 AZR 709/01, Abruf-Nr. 243485).

Wichtig | Fehlzeiten infolge von Mutterschutz (EuGH, Urteil vom 21.10.1999, Rs. C-333/97, Abruf-Nr. 243486) und bezahlten Urlaubs dürfen nicht leistungsmindernd berücksichtigt werden.

Praxistipp | Damit die Kürzung wirksam ist, muss sie zwingend in die vertragliche Vereinbarung über die Anwesenheitsprämie aufgenommen werden.

Beispiel

Arbeitnehmer Arno erhält bei einer Fünf-Tage-Woche einen monatlichen Bruttolohn von 4.000 Euro sowie eine einmalige Anwesenheitsprämie in Höhe von 1.000 Euro brutto. Arno ist im Jahr 2024 an 15 von 250 Arbeitstagen krankheitsbedingt nicht zur Arbeit erschienen. Gemäß Arbeitsvertrag kürzt sein Arbeitgeber die Anwesenheitsprämie konform mit § 4a EntgZG um die krankheitsbedingten Fehltage.
Lösung: Ohne Sonderzahlung beträgt das Jahresbruttoentgelt von Arno 48.000 Euro (12 x 4.000 Euro). Auf einen Arbeitstag entfallen somit 192 Euro (48.000 Euro : 250 Arbeitstage). Ein Viertel davon machen 48 Euro aus. Die Anwesenheitsprämie von 1.000 Euro darf der Arbeitgeber also um höchstens 720 Euro (48 Euro x 15 Fehltage) kürzen. Folglich würde die Anwesenheitsprämie bei Arno erst ab 21 Krankheitstagen vollständig entfallen.

So ist die Prämie zu versteuern und zu verbeitragen

Die Anwesenheitsprämie ist steuer- und beitragspflichtiger Arbeitslohn, weil es sich um eine Leistung des Arbeitsgebers handelt, die aus dem Arbeitsverhältnis resultiert (§ 8 Abs. 1 und § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Demnach ist die Prämie in der Lohnabrechnung als sonstiger Bezug zu erfassen.

Wichtig | Auch wenn die Anwesenheitsprämie oft als Gesundheitsprämie verstanden wird, ist sie nicht steuerfrei nach § 3 Nr. 34 EStG. Unter diese Steuerbefreiung fallen nur zusätzlich zum geschuldeten Arbeitslohn erbrachte Leistungen des Arbeitgebers zur Verhinderung und Verminderung von Krankheitsrisiken und zur Förderung der Gesundheit in Betrieben, die hinsichtlich Qualität, Zweckbindung, Zielgerichtetheit und Zertifizierung den Anforderungen den §§ 20 und 20b SGB V genügen, soweit sie 600 Euro im Kalenderjahr nicht übersteigen. Diese Anforderungen erfüllt die Anwesenheitsprämie nicht.

Praxistipp | Damit die Anwesenheitsprämie steuer- und beitragsfrei bleibt, gibt es zwei Kniffe: Zahlt der Arbeitgeber die Prämie zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn monatlich durch Sachbezüge aus, und übersteigt sie im Monat zusammen mit anderen nach § 8 Abs. 2 S. 1 EStG bewerteten Sachbezügen nicht die Grenze von 50 Euro, ist sie nach § 8 Abs. 2 S. 11 EStG steuer- und nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 SvEV beitragsfrei. Gleiches gilt nach § 3b EStG, wenn der Arbeitgeber die Anwesenheitsprämie als Zuschlag für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit zahlt.

Was in die vertragliche Vereinbarung zur Prämie muss

Soll in einem Unternehmen eine Anwesenheitsprämie eingeführt werden, sollte diese schriftlich festhalten werden, um Klarheit für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber zu schaffen. Dazu kann eine Klausel in den Arbeitsvertrag ein- gefügt oder eine Betriebsvereinbarung getroffen werden. Die Vereinbarung sollte Höhe und Auszahlungszeitpunkt der Prämie sowie Bedingungen für deren Kürzung definieren.

Wichtig | Besteht ein Tarifvertrag, der eine Anwesenheitsprämie regelt, muss sich der Arbeitgeber an dessen Vorgaben halten. Ebenso ist der Betriebsrat einzubeziehen, wenn ein solcher für das Unternehmen besteht.

Arbeitgeber, die eine Anwesenheitsprämie einführen wollen, können in ihre bestehenden Arbeitsverträge folgende Musterklausel aufnehmen:

Musterklausel / Zahlung einer Anwesenheitsprämie

Der Arbeitnehmer ... (Name) erhält zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn für das volle Jahr eine Anwesenheitsprämie von brutto ... Euro (Betrag). Diese Prämie wird zusammen mit dem Arbeitslohn für den Monat Januar des Folgejahrs ausgezahlt. Bei Fehlzeiten des Arbeitnehmers, für die kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht, wird die Prämie pro Tag um das Arbeitsentgelt gekürzt, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt (z. B. unbezahlter Sonderurlaub, Streikteilnahme und unberechtigte Fehlzeiten). Die Anwesenheitsprämie wird zudem für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Krankheit um ein Viertel des Arbeitsentgelts gekürzt, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt (§ 4a EntgFG). Ruht das Arbeitsverhältnis aufgrund von Elternzeit oder ähnlichem, entsteht kein Anspruch auf Zahlung der Prämie. Ruht das Arbeitsverhältnis nicht das gesamte Kalenderjahr, wird die Prämie um jeweils 1/12 pro vollem Kalendermonat gekürzt, in dem das Arbeitsverhältnis ruht.
Praxistipp | Die Anwesenheitsprämie hat auch eine Kehrseite: Um sich die Sonderzahlung zu sichern, könnten sich manche Arbeitnehmer auch krank zur Arbeit schleppen. Das Problem daran: Einerseits sind diese Arbeitnehmer nicht voll einsatz- und leistungsfähig, andererseits verlängert sich deren Regenerationszeit. Zudem besteht das Risiko, dass andere Arbeitnehmer angesteckt werden. Deshalb kann es sinnvoll sein, die Prämie bei nachweislich bestehender Erkrankung, sprich bei Abwesenheit mit ärztlichem Attest, nicht zu kürzen oder in die vertrag- liche Vereinbarung Kulanztage aufzunehmen, bis zu deren Erreichen keine Kürzung erfolgt.

AUSGABE: SSP 10/2024, S. 17 · ID: 50144688

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