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UmsatzsteuerUmsatzsteuerbefreiung für Privatkliniken: EuGH mit neuen Kriterien für Vergleichsbewertung
| Für Stiftungen, die ein privates Krankenhaus betreiben, ist es eminent wichtig, ob die Leistungen des Krankenhauses umsatzsteuerfrei sind. Doch trotz mehrmaliger Gesetzesänderungen ist die Umsetzung der Vorgaben der Mehrwertsteuersystemrichtlinie mit Blick auf die Steuerbefreiung von Privatkliniken nach wie vor unzureichend. Eine Wende könnte nun eine Entscheidung des EuGH bringen. SB stellt sie Ihnen nachfolgend kurz vor. |
Rechtslage bis 2019 – Anerkennung als Plankrankenhaus
Die von 2009 bis 2019 geltende Gesetzesfassung sah vor, dass nur solche privaten Krankenhäuser umsatzsteuerfreie Leistungen erbringen konnten, die als Plankrankenhäuser anerkannt waren. Das Kriterium der Anerkennung als Plankrankenhaus ist für den Vergleich der Leistungen allerdings ungeeignet. Der BFH hat daher im Jahr 2014 entschieden, dass sich Privatkliniken für die Steuerfreiheit unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL berufen können (BFH, Urteil vom 23.10.2014, Az. V R 20/14, Abruf-Nr. 175145).
Gesetzesänderung 2020 – Anknüpfung an Quoten
Anfang 2020 wurde § 4 Nr. 14 Buchst. b S. 2 Doppelbuchst. aa UStG geändert. Danach können auch private Krankenhäuser umsatzsteuerfreie Leistungen erbringen, soweit die Leistungen unter sozial vergleichbaren Bedingungen ausgeführt werden, wie von Krankenhäusern mit Kassenzulassung.
In sozialer Hinsicht vergleichbare Bedingungen sollen vorliegen, wenn das Leistungsangebot des Krankenhauses den Leistungen entspricht, die Krankenhäuser in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft oder nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhäuser erbringen. Außerdem sollen entweder mindestens 40 Prozent der jährlichen Belegungs- oder Berechnungstage auf Patienten entfallen, bei denen kein höheres Entgelt als für allgemeine Krankenhausleistungen nach dem KHG oder der BPflVO berechnet wurde (Preisvergleich) oder voraussichtlich mindestens 40 Prozent der Leistungen den in § 4 Nr. 15 Buchst. b UStG genannten Personen zugutekommen (Patientenvergleich).
Ob diese Quoten mit EU-Recht vereinbar sind, ist fragwürdig. Tatsächlich führt der Preisvergleich immer wieder zu Schwierigkeiten: Die Behandlungspreise der öffentlich-rechtlichen Kliniken in bestimmten medizinischen Bereichen (insbesondere im psychiatrischen Bereich) lassen sich nur schwer bestimmen. Es ist ungeklärt, ob ein bundesweiter oder eher regionaler Maßstab anzulegen ist. Öffentlich-rechtliche Kliniken haben mit einer Zulassung nach § 108 SGB V Anspruch auf die duale Krankenhausfinanzierung; Privatkliniken nicht. Und beim Patientenvergleich ist unklar, ob auch Beihilfepatienten (und ggf. privat Versicherte) bei Ermittlung der 40-Prozent-Quote zu berücksichtigen sind.
EuGH zur Umsatzsteuerbefreiung von Privatkliniken
Aktuell hat der EuGH zum einen bestätigt, dass der Bedarfsvorbehalt der bis 2019 geltenden deutschen Regelung gegen EU-Recht verstoßen hat. In der Folge können sich betroffene Privatkliniken auf die unmittelbare Anwendung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL berufen. Zum anderen hat der EuGH einige neue Kriterien für die Vergleichsbewertung angeführt. Während der EuGH früher nur auf den Gemeinwohlcharakter und die Kosten bzw. deren Übernahme durch ein System der sozialen Sicherheit abstellte, führt er nun einen ganzen Strauß weiterer Umstände an (EuGH, Urteil vom 07.04.2022, Rs. C-228/20, Abruf-Nr. 228981).
Kriterium 1: Zweck der Steuerbefreiung
Oberstes Ziel der Steuerbefreiung sei die Kostensenkung der Heilbehandlungen sowie der niederschwellige Zugang zu qualitativ hochwertigen Heilbehandlungen. Daher müssen Privatkliniken ähnliche Rahmenbedingungen einhalten wie öffentlich-rechtliche Kliniken. Ausdrücklich nicht erforderlich ist aber, dass die Bedingungen identisch sind. Auf einen Vergleich privatrechtlicher Kliniken untereinander soll es zudem gerade nicht ankommen.
Bei der Vergleichsführung ist u. a. die Vergleichbarkeit der Tagessätze und deren Berechnung zu prüfen. Entscheidend soll dabei sein, welche finanzielle Belastung der Patient am Ende der Behandlung selbst zu tragen hat.
Kriterium 2: Kostenträger
Indizwirkung kann lt. EuGH haben, wenn ein Träger des Systems der sozialen Sicherheit oder andere Behörde die Kosten übernehmen. Dies lässt sich richtigerweise nur so verstehen, dass nicht nur die gesetzlichen Krankenkassen insoweit zu berücksichtigen sind, sondern z. B. auch private Krankenkassen und Beihilfestellen. Von deutschen Finanzbehörden wird dies bisweilen bis heute bestritten. Beide sind aber im Lichte der allgemeinen Krankenversicherungspflicht notwendiger Teil des Systems der sozialen Sicherheit.
Kriterium 3: Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit
Der EuGH kommt zu der Einschätzung, dass auch die Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit der Klinik in Sachen Personal, Ausstattung und Räumlichkeiten ein weiteres Kriterium darstellen kann. Voraussetzung hierfür ist, dass die öffentlichen Krankenhäuser vergleichbaren Betriebsführungsindikatoren unterliegen und die genannten Kriterien zur Senkung der Kosten der Heilbehandlung und zur Erweiterung der Zugänglichkeit dienen.
Neue Vergleichs-kriterien des EuGH führen zu Anpassungsbedarf Praxistipp | Auf die 40-Prozent-Grenze ist der EuGH in seinem Urteil aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht explizit eingegangen. Mit seinen Vergleichskriterien geht er einen anderen Weg als der BFH, der bislang nur auf die Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit von Krankenhausbehandlungen abstellt. Ähnlich wie der BFH stellt auch die Finanzverwaltung mit dem BMF-Schreiben aus 2016 (BMF, Schreiben vom 06.10.2016, Az. III C 3 – S 7170/10/10004, Abruf-Nr. 190162) lediglich auf die Berechnung des Preises und die finanzielle Belastung des Patienten ab. Mit Blick auf das EuGH-Urteil erscheint dies ergänzungswürdig bzw. zumindest keinesfalls abschließend. Mit Spannung darf erwartet werden, wie das vorlegende Gericht (FG Niedersachsen) nun entscheidet. Voraussichtlich wird auch der BFH Gelegenheit bekommen, seine rechtliche Einschätzung darzutun. |
AUSGABE: SB 6/2022, S. 119 · ID: 48284694