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FreiheitsentziehungsmaßnahmenGebührenansprüche bei Freiheitsentziehungen im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht
| Mit Migrationsthemen einhergehend nimmt die Anzahl von Freiheitsentziehungsmaßnahmen im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht nach § 415 Abs. 1 FamFG zu. Hierunter fallen z. B. Zurückweisungshaft (§ 15 Abs. 5 AufenthG), Anordnungen des weiteren Aufenthalts im Transitbereich eines Flughafens (§ 15 Abs. 6 AufenthG), Zurückschiebungshaft (§ 57 Abs. 3 AufenthG), Abschiebungshaft (§ 62 Abs. 2, 3 AufenthG), Überstellungshaft (Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO), Ausreisegewahrsam (§ 62b AufenthG) und Verbringungshaft nach § 59 Abs. 2 AsylG). Der folgende Beitrag zeigt, welche Vergütungsansprüche für Rechtsanwälte in diesen Verfahren anfallen. |
1. VKH bzw. Pflichtverteidigung sind möglich
Nach § 76 Abs. 1 FamFG i. V. m. § 114 ZPO kann der Rechtsanwalt dem Betroffenen im Wege der Verfahrenskostenhilfe beigeordnet werden (BGH RVGreport 12, 381; OLG München RVGreport 06, 57). Insofern sichert er sich damit seine Ansprüche aus der Staatskasse (s. a. unter 3.).
2. Diese Gebühren entstehen in gerichtlichen Verfahren
Verfahren vor der Verwaltungsbehörde bereiten das gerichtliche Verfahren lediglich vor. Anwaltliche Tätigkeiten werden mit einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG vergütet (AnwK-RVG/Thiel/Volpert, 9. Aufl., VV 6300–6303 Rn. 20 m. w. N.).
Gerichtliche Verfahren in Abschiebungshaftsachen fallen unter die Nrn. 6300 ff. VV RVG (Gerold/Schmidt/Mayer, 26. Aufl., RVG VV 6300 Rn. 1 m. w. N.; Ahlmann/Kapischke/Pankatz/Rech/Schneider/Schütz/H. Schneider, 11. Aufl., RVG VV 6300 Rn. 2). Im Einzelnen gilt:
a) Verfahrensgebühr
Einem Rechtsanwalt steht eine Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Entgegennahme der Information zu (Vorbem. 6 Abs. 2; OLG München, a. a. O.). Für deren Entstehung genügt die Teilnahme an Anhörungsterminen, Besprechungen mit dem Gericht oder dem Betroffenen sowie die Anlage von Handakten (AnwK-RVG/Thiel/Volpert, a. a. O., VV 6300–6303 Rn. 32 m. w. N.).
aa) Erstmalige Anordnung von Freiheitsentziehungsmaßnahmen
In Verfahren wegen der erstmaligen Anordnung einer Maßnahme nach § 415 FamFG erhält der Rechtsanwalt nach Nr. 6300 VV RVG eine Verfahrensgebühr mit einem Rahmen von 44 bis 517 EUR (Mittelgebühr 280,50 EUR). Für den Pflichtverteidiger entsteht eine Festgebühr von 224 EUR.
bb) Verlängerung oder Aufhebung der Freiheitsentziehungsmaßnahmen
In Verfahren über die Dauer und Verlängerung bzw. Aufhebung der Freiheitsentziehung (§§ 425, 426 FamFG) erhält der Rechtsanwalt nach Nr. 6302 VV RVG eine Verfahrensgebühr mit einem Rahmen von 22 bis 330 EUR (Mittelgebühr 176 EUR). Für den Pflichtverteidiger entsteht eine Festgebühr von 141 EUR.
cc) Einstweilige Anordnungen von Freiheitsentziehungsmaßnahmen
Nach § 427 Abs. 1 FamFG kann das Gericht durch eine einstweilige Anordnung eine vorläufige Freiheitsentziehung anordnen, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Freiheitsentziehung gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. Solche Verfahren sind eine eigenständige Angelegenheit, sodass gesonderte Gebühren nach den Nrn. 6300, 6302 VV RVG anfallen (§ 17 Nr. 4 Buchst. b RVG; Ahlmann/Kapischke/Pankatz/Rech/Schneider/Schütz/H. Schneider, a. a. O., RVG VV 6300 Rn. 15).
Beachten Sie | Das Verfahren wegen der Aufhebung der einstweiligen Anordnung ist allerdings gegenüber dem einstweiligen Anordnungsverfahren keine gesonderte Angelegenheit (§ 16 Nr. 5 RVG). Die Folge ist: Der Rechtsanwalt, der in beiden Verfahren tätig war, erhält keine gesonderten Gebühren. Nur wenn der Anwalt allein im Aufhebungsverfahren auftragsgemäß tätig wird, fällt für das Aufhebungsverfahren eine gesonderte Vergütung an (Ahlmann/Kapischke/Pankatz/Rech/Schneider/Schütz/H. Schneider, a. a. O., VV 6300 Rn. 15a).
dd) Rechtsmittelverfahren
Die Verfahrensgebühr entsteht für jeden Rechtszug gesondert (vgl. Anmerkung zu Nrn. 6300, 6302 VV RVG). Wird der Rechtsanwalt also zusätzlich im Beschwerde- oder Rechtsbeschwerdeverfahren (§§ 58 ff., 70 ff. FamFG) tätig, erhält er die gleichen Gebühren wie im ersten Rechtszug nochmals.
Beachten Sie | Gemäß § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 RVG gehört allerdings das Einlegen des Rechtsmittels bei dem Gericht desselben Rechtszugs noch zu den Tätigkeiten des Rechtszugs, dessen Entscheidung angefochten wird (Ahlmann/Kapischke/Pankatz/Rech/Schneider/Schütz/H. Schneider, 11. Aufl., RVG VV 6300 Rn. 12).
b) Terminsgebühr
Nach den Nrn. 6301, 6303 VV RVG kann in den Fällen von Nr. 6300 und Nr. 6302 VV RVG eine Terminsgebühr entstehen. Die Gebühr entsteht nur für die Teilnahme an gerichtlichen Terminen jedweder Art. Insofern entsteht die Gebühr auch, wenn das Gericht einen Termin außerhalb des Gerichtsgebäudes angeordnet hat und der Anwalt an dem Termin teilnimmt.
aa) Erstmalige Anordnung
Im Verfahren wegen der erstmaligen Anordnung der Maßnahme in Freiheitsentziehungssachen nach § 415 FamFG erhält der Rechtsanwalt nach Nr. 6301 VV RVG eine Terminsgebühr mit einem Rahmen von 44 bis 517 EUR (Mittelgebühr 280,50 EUR). Für den Pflichtverteidiger entsteht eine Festgebühr von 224 EUR.
bb) Verfahren auf Verlängerung oder Aufhebung der Maßnahme
In Verfahren über die Dauer und Verlängerung bzw. Aufhebung der Freiheitsentziehung (§§ 425, 426 FamFG) erhält der Anwalt nach Nr. 6303 VV RVG eine Verfahrensgebühr mit einem Rahmen von 22 EUR bis 330 EUR (Mittelgebühr 176 EUR). Für den Pflichtverteidiger entsteht eine Festgebühr von 141 EUR.
Beachten Sie | Durch die Formulierung „gerichtliche Termine“ wird verdeutlicht, dass die Terminsgebühr in demselben Rechtszug nur einmal anfallen kann. Dies bedeutet, dass bei mehrfacher Anhörung des Betroffenen oder bei der Vernehmung von Zeugen und Sachverständige keine weitere Terminsgebühren entstehen (Gerold/Schmidt/Mayer, 26. Aufl., RVG VV 6300 Rn. 5 m. w. N.). Der hierdurch erhöhte Aufwand wird nach den Bemessungskriterien nach § 14 Abs. 1 RVG berücksichtigt.
cc) Rechtsmittelverfahren
Die Terminsgebühr entsteht für jeden Rechtszug gesondert. Nimmt also der Rechtsanwalt zusätzlich im Beschwerde- oder Rechtsbeschwerdeverfahren (§§ 58 ff., 70 ff. FamFG) an einem bzw. mehreren gerichtlichen Termin teil, erhält er die Terminsgebühr nochmals (Schneider/Volpert/Thiel/Volpert, a. a. O., VV 6300–6303 Rn. 47; Gerold/Schmidt/Mayer, a. a. O., VV 6300 Rn. 5).
3. Das gilt für die Kostenfestsetzung bzw. Kostenerstattung
Wurde dem Betroffenen ein Rechtsanwalt im Wege der VKH bzw. als Pflichtverteidiger beigeordnet, kann dieser seine Vergütungsansprüche beim erstinstanzlichen Gericht aus der Staatskasse nach § 55 Abs. 1 RVG beanspruchen.
Wird ein Antrag der Verwaltungsbehörde auf Freiheitsentziehung abgelehnt oder zurückgenommen und hat das Verfahren ergeben, dass kein begründeter Anlass für den Antrag vorlag, muss das Gericht die – zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen – Auslagen des Betroffenen der Körperschaft auferlegen, der die Verwaltungsbehörde angehört (§ 430 FamFG). Im Rahmen einer Kostenentscheidung ist der Erstattungsanspruch im Kostenfestsetzungsverfahren nach den §§ 103 bis 107 ZPO geltend zu machen (§ 85 FamFG).
4. Beispielsfälle
Beispiel 1: Erstmalige Anordnung der Freiheitsentziehungsmaßnahme | |
Die Bundespolizei hat den Ausländer A wegen der unerlaubten Einreise nach Deutschland in Abschiebehaft genommen (§ 23 BPolG, § 62 AufenthG). Beim zuständigen AG wird eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Freiheitsentziehung beantragt (§ 40 BPolG i. V. m. §§ 416, 417 FamFG). Rechtsanwalt R bestellt sich für A und nimmt an einer Anhörung teil. Lösung R kann wie folgt abrechnen (Mittelgebühr): | |
Verfahrensgebühr, Nr. 6300 VV RVG | 280,50 EUR |
Terminsgebühr, Nr. 6301 VV RVG | 280,50 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
19 % USt., Nr. 7008 VV RVG | 110,39 EUR |
691,39 EUR |
Beispiel 2: Verlängerung der Freiheitsentziehungsmaßnahme | |
Wie Beispiel 1. Beim zuständigen AG wird eine richterliche Entscheidung über die Fortdauer der Freiheitsentziehung beantragt (§ 40 BPolG i. V. m. § 425 FamFG). Rechtsanwalt R bestellt sich für den Betroffenen A und nimmt an einer Anhörung teil. Der zuständige Richter erlässt einen entsprechenden Beschluss gemäß § 421 FamFG. Lösung | |
Es fallen eine Verfahrens- und eine Terminsgebühr an | |
Verfahrensgebühr, Nr. 6302 VV RVG | 176,00 EUR |
Terminsgebühr, Nr. 6303 VV RVG | 176,00 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
19 % USt., Nr. 7008 VV RVG | 70,68 EUR |
442,68 EUR |
Beispiel 3: Einstweilige Anordnung der Freiheitsentziehungsmaßnahme | |
Wie Beispiel 1. Die Polizeibehörde befürchtet, dass der Betroffene A im Regelverfahren (§ 420 Abs. 1 FamG) die Ladung zu dem Anhörungstermin mit der Mitteilung des Haftantrags dazu nutzen wird, sich der Abschiebung zu entziehen. Das Gericht erlässt daraufhin ohne mündliche Verhandlung im Wege einer einstweiligen Anordnung eine vorläufige Freiheitsentziehung. Lösung Die Gebühren entstehen in der Hauptsache und im Verfahren der eA | |
1. Hauptsacheverfahren | |
Verfahrensgebühr, Nr. 6300 VV RVG | 280,50 EUR |
Terminsgebühr, Nr. 6301 VV RVG | 280,50 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
19 % USt., Nr. 7008 VV RVG | 110,39 EUR |
691,39 EUR | |
2. Einstweiliges Anordnungsverfahren | |
Verfahrensgebühr, Nr. 6300 VV RVG | 280,50 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
19 % USt., Nr. 7008 VV RVG | 57,09 EUR |
357,59 EUR |
Beispiel 4: Aufhebung der einstweiligen Anordnung | ||
Wie Beispiel 3. Die Polizeibehörde befürchtet, dass der Betroffene A im Regelverfahren (§ 420 Abs. 1 FamG) die Ladung zu dem Anhörungstermin mit der Mitteilung des Haftantrags dazu nutzen wird, sich der Abschiebung zu entziehen. Das Gericht erlässt daraufhin ohne mündliche Verhandlung im Wege einer einstweiligen Anordnung eine vorläufige Freiheitsentziehung. R beantragt die Aufhebung der einstweiligen Anordnung. | ||
Lösung R kann wie folgt abrechnen (Mittelgebühr): | ||
1. Hauptsacheverfahren | ||
Verfahrensgebühr, Nr. 6300 VV RVG | 280,50 EUR | |
Terminsgebühr, Nr. 6301 VV RVG | 280,50 EUR | |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR | |
19 % USt., Nr. 7008 VV RVG | 110,39 EUR | |
691,39 EUR | ||
2. Einstweiliges Anordnungsverfahren | ||
Verfahrensgebühr, Nr. 6300 VV RVG | 280,50 EUR | |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR | |
19 % USt., Nr. 7008 VV RVG | 57,09 EUR | |
357,59 EUR | ||
|
Beispiel 5: Rechtsmittelverfahren | |
Beim zuständigen AG wird eine richterliche Entscheidung über die Fortdauer der Freiheitsentziehung beantragt (§ 40 BPolG i. V. m. § 425 FamFG). Rechtsanwalt R bestellt sich für den Betroffenen A und nimmt an einer Anhörung teil. Der zuständige Richter erlässt einen entsprechenden Beschluss gemäß § 421 FamFG. R legt hiergegen Beschwerde ein und beantragt gleichzeitig festzustellen, dass die Haft rechtswidrig war. Das AG hilft der Beschwerde nicht ab und legt die Sache dem LG zur Entscheidung vor. Dieses hilft der Beschwerde ohne mündliche Verhandlung ab, woraufhin A aus der Haft entlassen wird. Lösung Die Verfahrensgebühr entsteht hier in jedem Verfahren | |
1. Verfahren vor dem AG | |
Verfahrensgebühr, Nr. 6300 VV RVG | 280,50 EUR |
Terminsgebühr, Nr. 6301 VV RVG | 280,50 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
19 % USt., Nr. 7008 VV RVG | 110,39 EUR |
691,39 EUR | |
2. Rechtsmittelverfahren | |
Verfahrensgebühr, Nr. 6300 VV RVG | 280,50 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
19 % USt., Nr. 7008 VV RVG | 57,09 EUR |
357,59 EUR |
AUSGABE: RVGprof 12/2024, S. 203 · ID: 50195209