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StreitwerteckeAbrechnung bei gesonderter Wertfestsetzung für unterschiedlich beteiligte Streitgenossen?

Abo-Inhalt18.05.2024316 Min. Lesedauer

| Frage: In RVG prof. 24, 64 haben Sie die Entscheidung des LG Essen zur gesonderten Wertfestsetzung für Streitgenossen bei unterschiedlicher Beteiligung vorgestellt. Wie ist nun aufgrund der festgesetzten Gegenstandswerte abzurechnen und wie ist die Kostenfestsetzung zu beantragen? |

Antwort von RA Norbert Schneider (Neunkirchen): In dem Fall des LG Essen hatten die beiden Kläger gemeinsam Klage erhoben und Forderungen geltend gemacht, die zum Teil ihnen jeweils allein, zum Teil ihnen aber auch als Gesamtgläubiger zustanden (28.8.23, 9 O 124/19, Abruf-Nr. 239572, RVG prof. 24, 64). Das Gericht hat die Gegenstandswerte wie folgt festgesetzt:

Gegenstandswerte im Fall des LG Essen

Klägerin zu 1)

14.125,00 EUR

Kläger zu 2)

87.587,39 EUR

Kläger gemeinsam

72.109,98 EUR

173.822,37 EUR

1. Abrechnung in drei Schritten

a) Schritt 1: § 7 RVG als Ausgangspunkt beachten

Nach § 7 Abs. 1 RVG erhält der Anwalt seine Vergütung insgesamt nur einmal. Jeder einzelne Auftraggeber schuldet dabei die Vergütung, die er schulden würde, wenn er den Auftrag allein erteilt hätte (§ 7 Abs. 2 RVG).

b) Schritt 2: Verfahrensgebühr wird für die Gesamtabrechnung erhöht

Insgesamt ergeben sich folgende Anwaltsgebühren (zur Erhöhung der Verfahrensgebühr bei unterschiedlicher Beteiligung mehrerer Auftraggeber: AG Augsburg AGS 08, 434; LG Saarbrücken AGS 12, 56; LG Bonn Rpfleger 95, 384):

Anwaltsgebühren

1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 101.712,39 EUR)

1.151,50 EUR

1,6-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 1008 VV RVG

(Wert: 72.109,98 EUR)

2.347,20 EUR

3.498,70 EUR

gemäß § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,6 aus 173.822,37 EUR

3.400,00 EUR

1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 173.822,37 EUR)

2.550,60 EUR

Postpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

Zwischensumme

3.970,60 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

1.134,41 EUR

7.105,01 EUR

c) Schritt 3: Einzelabrechnung pro Mandant prüfen

Im nächsten Schritt ist zu prüfen, welche Vergütung der Anwalt von den einzelnen Mandanten verlangen kann.

Abrechnung für die Klägerin zu 1)

Für die Klägerin zu 1) ergibt sich ein Gegenstandswert in Höhe von 14.125,00 EUR + 72.109,98 EUR, insgesamt 86.234,98 EUR, und damit folgende Abrechnung:

1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG

(Wert: 86.234,98 EUR)

2.029,30 EUR

1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG

(Wert: 86.234,98 EUR)

1.873,20 EUR

Postpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

Zwischensumme

3.922,50 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

745,28 EUR

4.667,78 EUR

Abrechnung für den Kläger zu 2)

Für den Kläger zu 2) ergibt sich ein Gegenstandswert von 87.587,39 EUR + 72.109,98 EUR, insgesamt 159.697,37 EUR, und damit folgende Abrechnung:

1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG

(Wert: 159.697,37 EUR)

2.640,30 EUR

1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG

(Wert: 159.697,37 EUR)

2.437,20 EUR

Postpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

Zwischensumme

5.097,50 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7002 VV RVG

968,53 EUR

6.066,03 EUR

2. Kostenfestsetzung in sechs Schritten

a) Schritt 1: Einheitlicher Antrag ist unzulässig

Ein einheitlicher Kostenfestsetzungsantrag ist nicht zulässig. Vielmehr muss bei mehreren Erstattungsgläubigern für jeden einzelnen Erstattungsgläubiger angegeben werden, welchen Anteil er an der Gesamtvergütung beansprucht.

Beachten Sie | Besteht die erstattungsberechtigte Partei aus mehreren Personen, besteht grundsätzlich keine Gesamtgläubigerschaft. Vielmehr ist dies nach § 420 BGB grundsätzlich eine Teilgläubigerschaft. Mehrere Streitgenossen sind hinsichtlich der auf ihrer Seite insgesamt angefallenen Anwaltskosten als Anteilsgläubiger anzusehen (BGH MDR 23, 395). Diese Teilgläubigerschaft hat zur Folge, dass im Kostenfestsetzungsantrag angegeben werden muss, welcher Teil der Gesamtvergütung für welchen Erstattungsgläubiger zur Festsetzung angemeldet wird.

b) Schritt 2: Innenverhältnis ist maßgebend

Ein gemeinsam gestellter Kostenfestsetzungsantrag muss erkennen lassen, zugunsten welchen Antragstellers welcher Erstattungsbetrag verlangt wird. Eine pauschale Festsetzung der insgesamt entstandenen Kosten kommt nicht in Betracht. Da einer Partei Kosten nur dann i. S. v. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO „erwachsen“ sind, wenn feststeht, dass sie diese tatsächlich bezahlen muss, ist das Innenverhältnis der Streitgenossen auch für die Kostenfestsetzung maßgeblich (OLG Frankfurt AGS 20, 299; OLG Bremen 23.11.23, 1 W 24/23). Ein pauschaler Festsetzungsantrag wird also als unzulässig zurückgewiesen – unbeschadet der Möglichkeit, nachträglich einen neuen zulässigen Antrag zu stellen (OLG Brandenburg AGS 24, 77; OLG Köln 22.2.24, 17 W 218/23).

Beachten Sie | Während man bei gleicher Beteiligung am gesamten Streitgegenstand mit einfachen Bruchteilsquoten arbeiten kann, funktioniert dies bei unterschiedlichen Beteiligungen – wie hier – nicht. Maßgebend ist das Innenverhältnis, das – entgegen einer häufig anzutreffenden Auffassung – allerdings kein vollständiges Gesamtschuldverhältnis, sondern ein sog. eigenartiges Gesamtschuldverhältnis darstellt (OLG Düsseldorf AGS 11, 534). Wie hierbei zutreffend vorzugehen ist, hat das OLG Bremen entschieden (19.4.18, 1 W 40/17): Es muss ermittelt werden, in welcher Höhe jeder der Auftraggeber allein dem Anwalt gegenüber haftet und inwieweit eine Gesamtschuld besteht. Der zur Festsetzung anzumeldende Betrag setzt sich dann aus der Alleinhaftung und der anteiligen Gesamtschuld zusammen.

Dabei ist auf Nettobasis vorzugehen, da die Frage der Erstattungsfähigkeit der Umsatzsteuer für jeden Auftraggeber gesondert zu prüfen ist (s. u.).

c) Schritt 3: Berechnung der Gesamtschuld

Im ersten Schritt ist die Gesamtschuld zu berechnen. Dazu werden die Einzelhaftungen addiert und davon die Gesamthaftung abgezogen.

Gesamtschuld

Klägerin zu 1)

netto 3.922,50 EUR

Kläger zu 2)

netto 5.097,50 EUR

Gesamthaftung

- netto 5.970,60 EUR

Gesamtschuld

- 3.049,40 EUR

In Höhe von 3.049,40 EUR haften also beide Auftraggeber gegenüber dem Anwalt als Gesamtschuldner.

d) Schritt 4: Berechnung der Einzelhaftungen

Aus der Berechnung der Gesamtschuld folgt im Umkehrschluss, dass jeder Auftraggeber, soweit er nicht gesamtschuldnerisch haftet, gegenüber dem Anwalt allein haftet. Das heißt hier also:

Einzelhaftung

Die Klägerin zu 1) haftet in Höhe von

3.922,50 EUR

Gesamtschuld

- 3.049,40 EUR

873,10 EUR

Der Kläger zu 2) haftet in Höhe von

5.097,50 EUR

Gesamtschuld

- 3.049,40  EUR

2.048,10 EUR

f) Schritt 5: Einzelhaftungen anmelden

Die Einzelhaftungen können nur für den jeweiligen Erstattungsgläubiger angemeldet werden.

Beachten Sie | Mit der Gesamtschuld verhält es sich etwas anders. Hier gilt im Zweifel § 426 Abs. 1 S. 1 BGB, wonach Gesamtschuldner im Zweifel zu gleichen Anteilen haften. Danach wäre also jeweils noch die hälftige Gesamtschuld in Höhe von 1.524,70 EUR (= 3.049,40 EUR : 2) jedem der Kläger zur Einzelhaftung hinzuzurechnen.

Anmeldung zur Festsetzung

Für die Klägerin zu 1) sind netto anzumelden:

Einzelhaftung

873,10 EUR

hälftige Gesamtschuld

1.524,70 EUR

2.397,80 EUR

Für den Kläger zu 2) sind netto anzumelden:

Einzelhaftung

2.048,10 EUR

hälftige Gesamtschuld

1.524,70 EUR

3.572,80 EUR

Beachten Sie | Vorsorglich sollten Sie abschließend noch eine Kontrollberechnung durchführen. Addiert man beide Erstattungsforderungen, ergibt sich ein Gesamtbetrag in Höhe von 5.970,60 EUR netto. Das ist genau der Betrag, den beide Kläger insgesamt netto schulden.

g) Schritt 6: Vorsteuerabzugsberechtigung ist gesondert zu prüfen

Hinzu kommt jeweils die Umsatzsteuer, soweit keine Vorsteuerabzugsberechtigung besteht. Denn auch die Frage der Vorsteuerabzugsberechtigung ist für jeden erstattungsberechtigten Streitgenossen einzeln zu prüfen und zu berücksichtigen (OLG Bremen 19.4.18, 1 W 40/17; 23.11.23, 1 W 24/23).

AUSGABE: RVGprof 6/2024, S. 95 · ID: 49991916

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