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PraxisangebotSchlagende Argumente: Therapeutisches Boxen in der Physiopraxis
| Sich einfach mal den Frust von der Seele prügeln? Dafür muss man nicht gleich in den Ring steigen. Beim therapeutischen Boxen geht es nicht ums Kämpfen, sondern um mentalen Ausgleich, Resilienz und Stressreduzierung. Ganz ohne blaue Flecken und Augen kann man so etwas für seine geistige Gesundheit tun. Und auch Physiotherapeuten können therapeutisches Boxen einfach ins Angebot ihrer Praxis integrieren. |
Dampf ablassen, Aggressionen abbauen
Therapeutisches Boxen eignet sich vor allem für Patienten mit psychischen Beschwerden, kann aber auch bei körperlichen Erkrankungen eingesetzt werden. Unterstützend wirkt es bei AD(H)S, Angst- und Borderline-Störungen, Burn-out, Depressionen, Essstörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen sowie Suchterkrankungen. Gerade im physiotherapeutischen Setting kann es als sinnvolle flankierende Maßnahme bei Schmerzpatienten eingesetzt werden. Gerade Patienten mit psychischen Erkrankungen richten Aggressionen häufig auch gegen sich selbst. Durch das Boxtraining lernen sie, diese Emotionen einerseits weg von sich selbst zu lenken und andererseits durch körperliches Training abzubauen und den sprichwörtlichen Dampf abzulassen.
Wichtig | Die Teilnehmer müssen psychisch stabil genug und intellektuell in der Lage sein, sich auf die Methode einzulassen. In jedem Fall sollte vorher eine ärztliche Abklärung erfolgen.
Die sportliche Leistung ist Nebensache
Dabei stehen nicht sportliche Höchstleistungen im Vordergrund, sondern das Erleben und die Wahrnehmung des eigenen Körpers. Typische Übungen umfassen Boxtechniken an Sandsäcken oder Pratzen, kombiniert mit Reflexionen über Körperwahrnehmung, Gefühle und Verhalten. Technik ist wichtig, daher stehen anfangs vor allem boxerisches Grundwissen im Fokus, etwa die Unterscheidung zwischen Schlag- und Führhand, Fußstellung sowie Schlagtechniken. Quasi nebenbei trainieren die Teilnehmer alle fünf motorischen Beanspruchungsformen: Kraft, Schnelligkeit, Ausdauer, Koordination und Beweglichkeit.
Die Wirksamkeit der Methode wurde bereits wissenschaftlich untersucht. Ein relativ aktuelles Review aus dem Jahr 2023 kommt zu dem Schluss, dass gerade der Aspekt des Schlagens an Sandsäcken eine kathartische Wirkung haben kann, die anderen Trainingsformen abgeht [1]. Eine weitere Untersuchung zu virtuellem Boxen konnte nachweisen, dass Stress- und Angstsymptome sich bei Heranwachsenden durch Boxen deutlich reduzieren ließen (2).
Praxistipp | Patienten mit orthopädischen Erkrankungen insbesondere der oberen Extremitäten sollten beim Boxen aufpassen. Schläge auf Polster oder Pratzen können Beschwerdebilder an Schulter, Ellbogen oder Hand verstärken. Auch Personen mit Herz-Kreislauf-Problemen sollten im Vorhinein ärztlich abklären lassen, dass sie den Belastungsintensitäten gewachsen sind. |
Fortbildung ist kurz und knapp
Lernen kann man das therapeutische Boxen zum Beispiel bei der Artemis Academy (artemis-academy.de), die ein viertägiges Seminar für 950 Euro anbietet. Die Inhalte umfassen neben grundlegenden Boxtechniken auch Gesprächsführung, traumasensibles Training und Methoden für Einzel- und Gruppensitzungen. Die sporttherapeutische Akademie in Hannover bietet dreitägige Fortbildungen zum diplomierten Boxtherapeuten an, Kosten sind auf der Website allerdings nicht gelistet (sporttherapeutische-akademie.de). Dasselbe gilt für Anke Henning, die in Hamburg zweitägige Fortbildungen durchführt (therapeutisches-boxen.de). Ebenfalls in Hannover sowie in Leer und Karlsruhe kann man über das Institut für systemische Trauma-Arbeit, Trauma & Sport für 700 Euro eine dreitägige Fortbildung zum Boxtherapeuten absolvieren. Voraussetzung dafür ist zunächst die eintägige Fortbildung zum Box-Coach (350 Euro) (trauma-und-sport.de).
Sowohl für das Einzeltraining als auch die Gruppe geeignet
Therapeutisches Boxen eignet sich sowohl für die Einzeltherapie als auch für das Gruppensetting. Während Einzelsitzungen eine individuell angepasste Betreuung ermöglichen, bieten Gruppensitzungen soziale Interaktion und Motivation durch die Dynamik der Gruppe, was bei Teilnehmern mit psychischen oder psychosomatischen Erkrankungen von Vorteil sein kann.
Wichtig ist eine angemessene Raumgröße, um ausreichend Bewegungsfreiheit zu gewährleisten. Zur Ausstattung gehören Boxhandschuhe in verschiedenen Größen, Pratzen für Partnerübungen sowie optional Sandsäcke, falls kein reines Partnertraining durchgeführt wird. Entsprechende Sets – zwei Boxhandschuhe inklusive zwei Pratzen – sind ab ca. 50 Euro zu haben (z. B. Sport-Thieme). Günstige Sandsäcke sind etwa doppelt so teuer. Hier muss zudem die Aufhängung einkalkuliert werden, evtl. mit Handwerkerkosten.
Praxistipp | Preislich kann sich therapeutisches Boxen je nach Region und Angebot stark unterscheiden. Einzelsitzungen als Personaltraining sollte man mit mindestens 75 bis 120 Euro pro Stunde veranschlagen, während man bei Gruppenkurse mit 15 bis 25 Euro pro Person und Einheit kalkuliert. |
- [1] Johny Bozdarov, Brett D M Jones, Zafiris Daskalakis, Ishrat Husain: Boxing as an Intervention in Mental Health: A Scoping Review. Am J Lifestyle Med. 2022 Sep 9; 17 (4): 589–600. doi.org/10.1177/15598276221124095
- [2] Rose Cioffi, Anat V Lubetzky: BOXVR Versus Guided YouTube Boxing for Stress, Anxiety and Cognitive Performance in Adolescents: A Pilot Randomized Controlled Trial. In: Games Health J. 2023 May 22; 12 (3): 259–268. doi.org/10.1089/g4h.2022.0202
AUSGABE: PP 3/2025, S. 6 · ID: 50319450