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ArbeitsrechtFragen und Antworten zu Überstunden und Überstundenvergütung – das wichtigste Dutzend!

Abo-Inhalt23.01.20258 Min. Lesedauer von RA, FA ArbR Dirk Helge Laskawy, Aderhold Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Leipzig / Frankfurt a. M. / Berlin

| Das Thema Überstunden wirft insbesondere in gut laufenden Physiopraxen immer wieder Fragen auf: Wann und von wem kann man Überstunden verlangen? Wie sind Überstunden zu vergüten? Sind Pauschalierungsabreden zulässig? Anlass genug, das wichtigste Dutzend zum Thema vorzustellen, Antworten darauf zu geben und Formulierungshilfen anzubieten. |

1. Was sind Überstunden?

Überstunden oder Überarbeit sind die Stunden, die über die vereinbarte bzw. regelmäßige betriebliche Arbeitszeit hinaus geleistet werden. Die regelmäßige Arbeitszeit eines Mitarbeiters kann sich aus dem Arbeitsvertrag, dem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung ergeben. Fehlt es an einer konkreten Regelung, gilt die im Betrieb üblicherweise geleistete Arbeitszeit als regelmäßige Arbeitszeit.

Wichtig | Der Begriff „Mehrarbeit“ wird – in Abgrenzung zum Begriff „Überstunden“ – in der Regel für Zeiten verwendet, die über die gesetzliche Arbeitszeit (§ 3 Arbeitszeitgesetz [ArbZG]) hinausgehen (vgl. dazu 5.).

2. Wann müssen Arbeitnehmer Überstunden leisten?

Es besteht keine gesetzliche Pflicht für Ihre Mitarbeiter, Überstunden zu leisten. In Notfällen oder sonstigen außergewöhnlichen Fällen sind sie allerdings aufgrund der arbeitsvertraglichen Treuepflicht dazu verpflichtet.

Beispiel

Es droht die Überschwemmung Ihrer Praxis und das Praxisinventar muss in Sicherheit gebracht werden. In solchen Fällen sind Ihre Mitarbeiter auch nach Feierabend zu Überstunden verpflichtet.

Darüber hinaus besteht eine generelle Pflicht Ihres Mitarbeiters, Überstunden zu leisten, nur bei einer ausdrücklichen Regelung im Arbeits- oder Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung. Existiert keine solche Regelung, können Sie als Arbeitgeber nicht unter Berufung auf Ihr Direktionsrecht einseitig Überstunden anordnen. Das Direktionsrecht erlaubt Ihnen lediglich die Festlegung der Lage der Arbeitszeit, nicht jedoch deren Umfang.

Merke | Auch jahrelang freiwillig erbrachte Überstunden führen nicht zu einer Pflicht des Mitarbeiters, auch künftig Überstunden zu leisten. Umgekehrt führen fortdauernd angeordnete Überstunden nicht zu einem Anspruch Ihres Mitarbeiters auf ein bestimmtes Maß an Überstunden.

Musterformulierung / Überstundenabrede

Der Arbeitnehmer ... verpflichtet sich, nach billigem Ermessen Überstunden in gesetzlich zulässigem Rahmen, d. h. bis zum Erreichen der Höchstgrenze nach § 3 ArbZG im Rahmen der Anordnung durch den Arbeitgeber ... – unter Beachtung der Grenze billigen Ermessens – zu leisten. Etwaige Überstunden werden nach Wahl des Arbeitgebers ... durch Freizeit oder Geld ausgeglichen.
Praxistipp | In den genannten Vereinbarungen können Überstunden an den Eintritt eines bestimmten Ereignisses gekoppelt werden. Das hat den Vorteil, dass Sie diese nicht jedes Mal ausdrücklich anordnen müssen. So wird im Einzelhandel oft vertraglich festgelegt, dass Kunden auch nach Ablauf der individuellen Arbeitszeit zu Ende zu bedienen sind; Gleiches ist in Physiotherapiepraxen selbstverständlich – kein Therapeut wird die Behandlung abbrechen, wenn seine vertragliche Arbeitszeit um wenige Minuten überschritten ist.

3. Müssen Auszubildende Überstunden leisten?

Sie können auch Auszubildende unter den o. g. Voraussetzungen zu Überstunden heranziehen. Für minderjährige Auszubildende gilt jedoch eine tägliche Höchstarbeitszeit von acht sowie eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 40 Stunden (§ 8 Abs. 1 Jugendarbeitsschutzgesetz). Überstunden von Auszubildenden müssen Sie stets vergüten oder durch Freizeit ausgleichen (§ 17 Abs. 7 Berufsbildungsgesetz).

4. Müssen Schwerbehinderte Überstunden leisten?

Ein schwerbehinderter Mitarbeiter ist ebenfalls unter den genannten Voraussetzungen verpflichtet, Überstunden zu leisten. Auf sein Verlangen müssen Sie ihn jedoch von der Mehrarbeit freistellen (§ 207 SGB IX).

5. Besteht eine gesetzliche Überstunden-Höchstgrenze?

Die höchstzulässige Arbeitszeit regelt das Arbeitszeitgesetz. Danach darf die werktägliche Arbeitszeit eines Mitarbeiters acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf maximal zehn Stunden je Werktag verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden (§ 3 ArbZG). Das bedeutet: Da der Samstag ein Werktag ist, ist er bei der Bestimmung der zulässigen Höchstarbeitszeit mitzurechnen. Somit kann ein Mitarbeiter wöchentlich bis zu 48 Stunden ohne Verstoß gegen das ArbZG arbeiten.

Wichtig | Die Höchstgrenzen dürfen nur in Notfällen überschritten werden. § 14 Abs. 1 ArbZG nennt drei Fälle. Für Physiopraxen kommen davon „unaufschiebbare Arbeiten zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen“ sowie „das drohende Misslingen von Arbeitsergebnissen“ in Betracht.

6. Wie sind Überstunden abzugelten?

Sie müssen Überstunden nur abgelten, wenn Sie diese zuvor ausdrücklich angeordnet oder deren Ableistung geduldet haben. Die Duldung muss sich eindeutig aus den Umständen bzw. Ihrem Verhalten ergeben. Weisen Sie etwa Arbeit zu, die innerhalb der vertraglichen Arbeitszeit nicht geleistet werden kann, müssen Sie die Überstunden vergüten. Überstunden sind entweder durch Zahlung einer entsprechenden Vergütung oder durch die Gewährung von bezahlter Freizeit abzugelten. Die Überstundenvergütung kann – wie bei einer Stundenlohnvereinbarung – für jede einzelne Überstunde oder als konkrete Überstundenpauschale geregelt werden. Entscheiden Sie sich für einen Pauschalbetrag, muss dieser in einem angemessenen Verhältnis zu den tatsächlich geleisteten Überstunden stehen.

Beispiel

Eine monatliche Überstundenpauschale in Höhe von 50 Euro wäre wohl noch angemessen, wenn Sie monatlich im Schnitt fünf Überstunden anordnen und Ihr Mitarbeiter einen regulären Stundenlohn von 12,50 Euro hat.

Welche Form der Abgeltung gilt, bestimmt sich zunächst nach der (tarif-)vertraglichen Vereinbarung. Fehlt eine solche, gilt eine Vergütung für Überstunden als stillschweigend vereinbart, wenn die Erbringung von Überstunden den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist (§ 612 Abs. 1 BGB). Entscheidend sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalls. Es besteht kein allgemeiner Rechtssatz, dass jede Überstunde im Zweifel zu vergüten ist. Gibt es keine Regelung zur Vergütungshöhe, müssen Sie die übliche Vergütung für Überstunden leisten. Gilt im Arbeitsverhältnis ein Stundenlohn, ist jede Überstunde mit der Vergütung, die für jede Stunde der vereinbarten Arbeitszeit gezahlt wird, abzugelten. Wurde eine Monatsvergütung vereinbart, muss der auf eine Stunde entfallende Anteil berechnet werden.

7. Können Überstunden pauschal abgegolten werden?

Oft enthalten Arbeitsverträge die Regelung, wonach eine bestimmte Anzahl oder sogar sämtliche Überstunden mit der monatlichen Bruttovergütung abgegolten sind. Eine solche von Ihnen vorformulierte Pauschalierungsabrede ist grundsätzlich zulässig. Damit sie wirksam ist, muss sie jedoch bestimmt und transparent formuliert sein.

Praxistipps | Eine wirksame Pauschalierungsabrede muss in den Arbeitsvertrag aufgenommen werden. Darin muss geregelt sein,
  • wie viele Stunden Ihr Mitarbeiter über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus leisten muss, ohne in den Genuss einer zusätzlichen Vergütung zu gelangen, und
  • dass die zu leistenden Überstunden auf die nach dem Arbeitszeitgesetz höchstzulässige Arbeitszeit beschränkt sind (Bundesarbeitsgericht [BAG], Urteil vom 17.8.2011, Az. 5 AZR 406/10; Abruf-Nr. 114254).
Zudem müssen Sie darauf achten, dass die Überstunden und die Vergütung Ihres Mitarbeiters in einem angemessenen Verhältnis stehen. Folge:
  • Bei Geringverdienern wird die pauschale Abgeltung einer bestimmten Anzahl von Überstunden im Regelfall unwirksam sein.
  • Je höher der monatliche Verdienst Ihres Mitarbeiters ist, desto eher wird eine Pauschalierungsabrede wirksam sein. Auch hier gibt es jedoch Höchstgrenzen. Eine pauschale Abgeltung aller Überstunden wird erst bei einer herausragenden Vergütung möglich sein.

Musterformulierung / Überstunden-Pauschalierungsabrede

Mit der in ... genannten Bruttomonatsvergütung sind Überstunden bis zur gesetzlichen Höchstgrenze, also bis zu ... Überstunden pro Monat abgegolten. Darüber hinausgehende Überstunden werden durch Freizeit ausgeglichen. Ist dies aus betrieblichen Gründen nicht möglich, beträgt die Überstundenvergütung ... Euro pro Überstunde.

8. Besteht ein Anspruch auf Überstundenzuschlag?

Von der regulären Überstundenvergütung ist ein Überstundenzuschlag zu unterscheiden. Ein Überstundenzuschlag muss ausdrücklich geregelt sein (Arbeitsvertrag, Tarifvertrag) oder sich zumindest stillschweigend aus einer betriebsüblichen Praxis ergeben. Einen allgemeinen Anspruch gibt es nicht.

9. Wie ist ein bestehender Betriebsrat zu beteiligen?

Die wenigsten Physiotherapiepraxen haben einen Betriebsrat. Daher sind die folgenden Ausführungen eher theoretischer Natur: Eine Physiotherapiepraxis ist betriebsratsfähig, wenn mindestens fünf wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt sind. Der Betriebsrat hat ein Mitbestimmungsrecht, wenn die betriebsübliche Arbeitszeit für den ganzen Betrieb oder einen abgrenzbaren Teil der Belegschaft verkürzt oder verlängert werden soll (§ 87 Abs. 1 Nr. 3 Betriebsverfassungsgesetz). Das Mitbestimmungsrecht bezieht sich auf alle im Zusammenhang mit der Arbeitszeit anfallenden Fragen, d. h., ob, in welchem Umfang und wann welcher Mitarbeiter länger bzw. verkürzt arbeiten soll. Ohne Beteiligung des Betriebsrats dürfen Sie selbst freiwillig geleistete Überstunden nicht entgegennehmen. Verstoßen Sie gegen das Mitbestimmungsrecht, ist die Überstundenanordnung unwirksam. Die Konsequenz: Ihre Mitarbeiter müssten Ihrer Anordnung nicht folgen.

Wichtig | Das Mitbestimmungsrecht greift nicht, wenn besondere, nur den einzelnen Mitarbeiter betreffende Umstände (ohne kollektiven Bezug) die Abweichung von der üblichen Arbeitszeit veranlassen oder inhaltlich bestimmen.

10. Wer muss was beweisen?

Klagt Ihr Mitarbeiter auf Zahlung einer Überstundenvergütung, muss er darlegen, an welchen Tagen und zu welchen Zeiten er über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus gearbeitet hat. Er muss insbesondere Anfangs- und Endzeit und die Art der Tätigkeit genau vortragen. Bestreiten Sie diese Darlegungen, muss Ihr Mitarbeiter sie beweisen. Das Gleiche gilt, wenn Sie die Anordnung oder Duldung bzw. Billigung von Überstunden im Einzelfall bestreiten.

11. und 12. Überstunden und Mindestlohn

Nach Angaben des Deutschen Medizinischen Rechenzentrums liegen die Bezüge vieler angestellter Physiotherapeuten unter dem Mindestlohnniveau. In puncto Überstundenabgeltung sind hierbei Besonderheiten zu beachten, die wir in der Online-Fassung dieses Beitrags ausführlich darstellen (iww.de/pp > Abruf-Nr. 50259321).

11. Besonderheiten bei Ausschlussfristenregelungen

Ausschlussfristenregelungen sind ein wichtiges Gestaltungselement in Arbeitsverträgen. Durch wirksame Ausschlussfristenregelungen können Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis weit vor Ablauf der regelmäßigen dreijährigen Verjährungsfrist verfallen. Dies gilt grundsätzlich auch für Ansprüche auf Überstundenvergütung, jedenfalls soweit die Überstundenvergütung über den gesetzlichen Mindestlohn hinausgehen würde. Ansprüche auf den Mindestlohn sind grundsätzlich unverzichtbar und werden daher auch von Ausschlussfristenregelungen nicht erfasst. Zur Vermeidung von Missverständnissen ist darauf hinzuweisen, dass in jeder (höheren) Vergütung auch der gesetzliche Mindestlohn enthalten ist.

In Arbeitsverträgen finden sich häufig Formulierungen wie diese: „Alle Ansprüche aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehen verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei in Textform geltend gemacht werden.“ Für Arbeitsverträge, die seit Inkrafttreten des Mindestlohngesetztes und damit nach dem 01.01.2015 geschlossen wurden, bestehen unterschiedliche Auffassungen, ob solche weitgehenden Ausschlussklauseln, die unverzichtbaren Mindestlohnansprüche nicht ausnehmen, zumindest hinsichtlich der verzichtbaren Ansprüche wirksam bleiben oder insgesamt unwirksam sind, weil sie suggerieren könnten, dass auch Ansprüche auf Mindestlohn nach Ablauf der Ausschlussfrist nicht mehr geltend gemacht werden können. Dies kann von Bedeutung sein, wenn es Unstimmigkeiten mit einem Arbeitnehmer über Überstundenvergütungsansprüche gibt. Enthält der Arbeitsvertrag eine wirksame Ausschlussfristenregelung und hat der Arbeitnehmer die Überstundenvergütung zu spät verlangt, könnten die Ansprüche zumindest insoweit abgewehrt werden, als diese über dem Mindestlohn liegen würden. Auf die wirksame Gestaltung von Ausschlussfristenregelungen ist daher besonders zu achten.

Merke | Bislang ist durch das BAG diese Frage noch nicht geklärt worden. Für
die Rechtspraxis besteht weiterhin eine Unsicherheit hinsichtlich der Wirksamkeit von Ausschlussfristenregelungen, bei denen MiLoG-Ansprüche nicht ausdrücklich herausgenommen sind.

12. Pauschalabgeltung von Überstunden und MiLoG

Sofern die Arbeitsvergütung nicht signifikant über dem Mindestlohn liegt, müssen arbeitsvertragliche Überstundenabgeltungsklauseln möglicherweise an das MiLoG angepasst werden. Das Monatsarbeitsentgelt muss so hoch bemessen sein, dass es stets die Stundenzahl erreicht, die der Arbeitnehmer leisten würde, wenn der Arbeitgeber ihm die versprochene Überstundenzahl in vollem Umfang abfordert. Es gilt also: Monatsarbeitsentgelt ≥ (Normalarbeitszeit + Überstunden) x gesetzlicher Mindestlohn (seit 01.01.2025: 12,82 Euro brutto/Stunde). Reicht das Monatsarbeitsentgelt nicht, um die Normalarbeitszeit zuzüglich sämtlicher Überstunden abzugelten, ist die Klausel insgesamt unwirksam.

AUSGABE: PP 2/2025, S. 17 · ID: 50259321

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